Ihr Lieben, neulich schnappte mein Mann im Radio folgenden Satz auf: Es gibt nicht zu viel Liebe für die Kinder. Zu viel Aufmerksamkeit aber schon. Immer wieder erinnern wir uns seither an diesen Satz, weil er so viel so gut beschreibt. Denn ja, „Ich liebe dich bis zum Mond und zurück“ klingt gut und gesund, während „Ich folge dir auf Schritt und Tritt bis zum Mond und zurück“ eher stalkig und einschüchternd klingt. Ein kleiner, feiner, aber wichtiger Unterschied.
Wenn ich permanent auf dem Spielplatz um mein Kind kreise, damit es ja nicht von der Rutsche fällt, dann ist das nicht zu viel Liebe, aber zu viel Aufmerksamkeit. Wenn ich mein Kind auf der Ferienfreizeit morgens, mittags und abends anrufe, um zu checken, wo es ist, was es macht und mit wem es sich umgibt, dann ist das ebenfalls nicht zu viel Liebe, sondern zu viel Aufmerksamkeit.
Nicht zu viel Liebe, aber zu viel Aufmerksamkeit
Liebe, das heißt nämlich auch: Dem anderen Dinge zuzutrauen. Selbstbewusstsein zu pflanzen. Ihn oder sie zur Selbstwirksamkeit zu ermächtigen. Das gilt in der Liebe in der Partnerschaft genauso wie in der Liebe zu unseren Kindern. Ich weiß, der Satz ist abgenutzt und durchgenudelt, aber er stimmt: Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn die Kinder größer sind, gib ihnen Flügel.
Meine Mutter hat in ihrer Kindheit und Jugend einige Schicksalsschläge erlebt, sie hätte uns später in Angst und Bange aufwachsen lassen können. Aber sie entschied sich zusammen mit meinem Vater für den genau anderen Weg: Für das Zutrauen. Für die Freiheit und das Wagnis. Ihr Ansatz war nicht, der des „Hilfe-euch-kann-ja-überall-und-dauernd-was-passieren“, sondern der des „Es-kann-eh-immer-was-passieren-dann-lass-uns-doch-lieber-jeden-Tag-nutzen“.
Wenn Eltern Kindern etwas zutrauen
Meine Eltern erlaubten mir (okay, nach einigen Diskussionen, aber dennoch), mit 15 selbst organisiert für ein Schulhalbjahr nach Lateinamerika zu gehen. Ich schrieb einfach der deutschen Schule, dass ich eine Gastfamilie suche und machte mich dann ohne Organisation doppelten Boden oder Fallnetz auf den Weg zu einer fremden Familie.
Weil sie wussten, wie sehr ich das wollte. Und weil sie mir Zutrauen schenkten. Weil sie mir Flügel gaben, in der Gewissheit, die Wurzeln gelegt zu haben. Ich durfte aufwachsen ohne Kontrollettitum, durfte mich entfalten – nicht aus Desinteresse, nie. Sondern aus der Überzeugung heraus, dass ich meinen Weg schon machen würde.
Und dass meine Wünsche und Träume ernstzunehmen sind. Als ich in meiner Teeniezeit wahnsinnig in Leo Di Caprio verknallt war, war es mein Vater, der irgendwann meinte: Hä, wie? Keine Chance? Fahr halt hin, lern ihn kennen und schau, ob ihr euch versteht. Diese Gewissheit, meine Eltern gönnen mir das Beste und trauen mir was zu, waren und sind mein Rückgrat, mein Motor. In allen Belangen. Bis heute.
Und wie das so ist, wenn man Freiheiten lässt, dann bleibt da Luft zum Atmen, zum Entfalten und dann kommen viele auch freiwillig zurück. Sowohl ich als auch mein Bruder wohnen mittlerweile wieder mit den Eltern unter einem Dach. Eigene Wohnungen zwar, aber Großfamilienhaus. Weil da kein Einmischen ist, sondern ein: Leben und leben lassen.
Eine Akzeptanz, dass andere manches anders machen, dass das aber nicht den Wert einer Person ausmacht. Dass man von den Macken der anderen auch lernen kann und dass jeder und jede selbst für das eigene Glück verantwortlich sein darf, was auch immer das ist. Manchmal sehen wir uns alle tagelang nicht, manchmal dauernd. Zwanglos. In gewisser Weise: Bedürfnisorientiert.
Auch unsere Kinder haben viele Freiheiten
Auch unsere Kinder haben viele Freiheiten, dürfen Dinge ausprobieren und trotzdem haben wir Werte vorgelebt, haben versucht, Wurzeln anzulegen, damit sie jetzt beginnen können, zu fliegen. Manchmal weiß ich in dieser ach so spannenden Jugendzeit nicht, wo sie sind. Manchmal nicht mal, wo sie übernachten. Ab und zu schreiben sie von selbst und sagen Bescheid, gelegentlich fragen wir auch mal nach.
Unsere Große war mit einer Organisation im Ausland, ganz so mutig wie meine Eltern mit mir waren wir also nicht. Aber auch hier: Wir haben die Freiheit, das selbst zu entscheiden, da redet niemand rein. Wir kommen wieder mit anderen Erfahrungen daher als unsere eigenen Eltern und dürfen deswegen auch andere Entscheidungen treffen. Die Jungs möchten grad gar nicht weg, auch das ist okay. Ihr Leben. Ihre Freiheit.
Wir lieben diese Kinder wie niemanden sonst in unserem Leben und wir freuen uns für sie, wenn sie viel unterwegs sind, wenn sie Erfahrungen sammeln, wenn sie das Leben da draußen genießen. IHR Leben, nicht unseres oder eins, das wir uns für sie ausgedacht hätten. Wir kreisen nicht um sie und haben sie dennoch immer auf dem Schirm… und im Herzen ja sowieso.
Vertrauen, Respekt, Augenhöhe
Wir schenken Vertrauen, wir versuchen, ihnen auf Augenhöhe und in Respekt zu begegnen, wir halten sie nicht fest, wir lassen sie ziehen. Wie schrieb Cordula Strathmann neulich noch so schön zum möglichen Auszug ihres Sohnes: „Dann werde ich ihn total vermissen und in mein Kissen heulen. Werde meinen Freunden sagen: Boah ist das ´ne harte Phase, den wirklich gehen zu lassen. Und ich werd´ ihm sagen: Hau ab. Freu dich auf deine WG.“
Und vielleicht, vielleicht kommen sie ja auch irgendwann zurück, diese Kinder dieser Cordulas und dieser Lisas und dieser Eltern im Spagat zwischen Wehmut und Stolz, weil sie wissen, dass sie bei ihnen sein dürfen wie sie sind. Oder ihre Kinder laden sie mal ein, wenn sie am anderen Ende der Welt wohnen, weil sie wissen, dass sie sie für ihre Entscheidungen bewundern. In dem vollen Vertrauen, dass die Wurzeln halten, auch wenn mal Turbulenzen auftauchen bei ihren Flügen. Was könnte es Schöneres geben. Oder etwa nicht?!
5 comments
Der erste Absatz ist herrlich, ich habe sehr gelacht. Und gleichzeitig über meine Kindheit nachgedacht. An meine Mutter, die meiner Freundin heimlich die Gummistiefel meines Bruders lieh, damit wir im Bach spielen konnten. Und an meinen Vater nach dem Tod meiner Mutter. Ich dachte, ich sollte vielleicht doch besser zu Hause wohnen bleiben und in der Nachbarstadt studieren, und er sagte: Du musst gehen, du musst dein Leben leben. Für all das bin ich bis heute sehr dankbar. Es war nicht alles perfekt früher, aber so viel Liebe, die gab es schon.
Und heute versuche ich, meinen Jungs alles mitzugeben. Freiheit und Nähe, ein offenes Ohr und mal auch beide Augen zugedrückt.
Lieben Dank für den Artikel.
Einer der besten Artikel!!!! Danke!
Liebe liebe liebe diesen Text!
Liebe Lisa, das klingt toll. Ich nehme dich so oft als Vorbild für meine. Teens. Allerdings gilt bei uns eine kleine „Regel“. Wir sagen uns IMMER wo wir sind. Eine kleine Nachricht. Mehr braucht es nicht. Alles andere ist für nicht sonst ein Zeichen von Desinteresse und nicht von Freiheit. Liebe Grüße
Ach, das freuuuut uns so, dass so viele was daraus mitnehmen können. Und ja, das habe ich vielleicht ein bisschen zu lax formuliert. Wenn die Tochter abends nicht zu Hause ist, schläft sie beim Freund, wenn die Jungs abends nicht da sind, sind sie beim Training. Und wenn sie sich danach noch mit Freunden treffen, weiß ich manchmal nicht explizit, ob bei dem einen oder bei dem anderen (gut hier ja aber auch meistens: sie sind dann eh zu zweit und nicht allein unterwegs – Zwillinsgvorteil). So war´s eher gemeint. So in etwa wissen wir schon Bescheid. Aber wenn ich zum Beispiel beim Pferd bin, kann das schon auch mal ne Stunde länger dauern und dann spamme ich nicht ihre WhatsApp-Gruppen mit meinem Standort und meiner Verspätung zu. Wer wissen will, wo die anderen sind, fragt halt kurz. Kein Desinteresse, nur praktikabler Alltag.