Zu viel Stress fürs Kind: Ich will weg vom Wechselmodell

Wechselmodell

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Ihr Lieben, das Thema Wechselmodell sorgt immer wieder für Diskussionen. Die einen halten es für die gerechteste Lösung, die anderen fürchten, die ständigen Wechsel würden die Kinder überfordern. Unsere Leserin Anja lebt seit Jahren das Wechselmodell, sie fand das zu Beginn auch gut, hat aber dann gemerkt, dass es dem gemeinsamen Kind nicht guttut. Seitdem kämpft sie für eine Änderung. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Liebe Anja, seit wann bist du vom Vater deines Kindes getrennt und kannst du sagen, warum die Beziehung auseinander gegangen ist?

Ich bin seit Mai 2022 vom Vater meines zweiten Kindes getrennt. Die Gründe für die Trennung waren so vielschichtig, dass sie schwer zusammenzufassen sind. Ein wichtiger Punkt aber war: Ich fühlte mich von meinem Mann in meinen beruflichen und privaten Krisen im Stich gelassen. Ein Beispiel: Ich wollte beruflich meine Stunden nach und nach aufstocken, dafür hätte mein Mann aber seine Arbeitszeit reduzieren müssen – und das wollte er nicht. Für ihn war mein Wunsch unverständlich und die Kommunikation darüber schwer bis unmöglich.

Noch ein Punkt war, dass das soziale Gefüge durch Schicksalsschläge bei uns in der Familie stark beeinträchtigt war. Er hatte dafür kein Gespür, keine Einsicht und es gab auch keine Aussicht, dass er sich irgendwie ändern könnte.

Wie hast du deinen Ex-Mann als Vater erlebt, als ihr noch zusammen wart?

Vor der Trennung war ich hauptbetreuender Elternteil. Ich hatte die volle Elternzeit genommen, die Teilzeit auf über zwei Jahre gestreckt. Meinen Ex-Mann habe ich in dieser Zeit als wenig engagiert erlebt.

Was waren deine Gedanken nach der Trennung bezüglich des Wohn-Modells?

Mein ausdrücklicher Wunsch war, dass unserem Kind beide Eltern erhalten bleiben. Ich wollte meinen Ex nicht mehr als meinen Partner, aber ich wollte ihm das Kind ja nicht wegnehmen. Der Vater war nach der Trennung in eine andere Stadt gezogen, etwa 25 km entfernt. Unsere Arbeitszeiten und die Kitabetreuungszeiten musste man berücksichtigen, da hatte das Wechselmodell definitiv Vorteile.

Und was wollte der Vater?

Mein Ex wollte sich ebenso an der Fürsorge beteiligen und fand den Vorschlag gut.

Das heißt: Das Wechselmodell war eine gemeinsame, friedliche Entscheidung?

Ja, es war wohl die letzte gemeinsame Entscheidung, die wir einvernehmlich getroffen haben. Denn was wir nicht bedacht haben, sind die Konsequenzen des Wechselmodells. Man ist als Ex-Partner gezwungen, sich häufiger und enger auszutauschen. Was natürlich nicht immer leichter ist.

Für Eltern hört sich das Wechselmodell auch gar nicht so schlecht an. Man hat plötzlich Freiräume, wenn das Kind beim anderen Elternteil ist, wird dadurch ja auch entlastet. Aber wir Eltern hatten nicht durchdacht, was das Wechselmodell mit dem Kind macht. Zu unserem Kind hat das Modell nicht gepasst und es hat es stark verunsichert.

Wie genau habt ihr das Wechselmodell gelebt?

Wir haben uns die Zuständigkeit der einzelnen Tage aufgeteilt. Unser Kind war montags und dienstags ganz bei mir, mittwochs und donnerstags von 14 Uhr bis zum nächsten Tag beim Vater, und dann jeweils ein Wochenende bei ihm und bei mir. Zu Beginn hat unser Kind die Kita nur halbtags besucht. Die Zeiten dazwischen habe ich unser Kind betreut.

Da das Kind damals erst 2 Jahre alt war, fand ich das gut, ihm da die Beständigkeit zu geben, dass die Startphase in der Kita von mir umrahmt wurde. Das hat ihm die Orientierung gegeben, die er brauchte. Nach einem Jahr wollte der Vater auch Kontakt zur Kita haben, also brauchte es dann eine andere Lösung. Die war dann, dass er auch das Bringen und Abholen übernimmt.

Wie ging es deinem Kind mit dem Wechselmodell?

Ganz am Anfang war das für unser Kind gut. Ich habe im ersten Kindergartenjahr das Bringen und Abholen übernommen und hatte damit täglichen Kontakt zu ihm. Das hat ihm die Orientierung gegeben, die es zu der Zeit gebraucht hat.

Als er drei Jahre wurde und der Vater eben mehr Aufgaben übernommen hat, verlor das Kind diese wichtige Orientierung. Sein Verhalten änderte sich, er war wie innerlich zerrissen und wurde bei mir zu Hause und auch in der Kita immer aggressiver. Mein Ex gab an, dass er dieses Verhalten nicht kennen würde. Für mich war jedenfalls nicht länger hinnehmbar, dass das Kind so unter Stress geraten war. 

Du hast dir da auch externe Hilfe gesucht, richtig?

Genau. Als sich das Verhalten vom Kind immer weiter verstärkt hat, wurde auch die Kommunikation zwischen dem Vater und mir immer schwieriger. Also suchte ich Hilfe beim Jugendamt, das wollte jedoch nur beratend tätig werden und zwischen uns Eltern vermitteln.

Bei einem Termin sagte ich dann, dass ich aus dem Wechselmodell aussteigen möchte. Das war für den Vater überraschend, muss ich zugeben. Die erste Beraterin vom Kommunalen Sozialen Dienst des Jugendamtes war echt engagiert, sie hat sich Zeit genommen, um die Positionen zu verstehen. Leider hat sie es genauso wenig geschafft zu vermitteln wie die vorangegangene Mediation über ein Beratungszentrum. Dann überschlugen sich die Ereignisse.

Mein Ex-Mann stellte einen Antrag bei Gericht, dass die elterliche Sorge so verteilt bleibt, wie sie es war, mit der Begründung, dass er sich an der Sorge auf jeden Fall beteiligen will. In der Kita wurde das Verhalten des Kindes über eine Verhaltensbeobachtung betrachtet, die der Kita die Empfehlung gab, eine Kindeswohlgefährdungsmeldung (Meldung ans Jugendamt nach SGB8a) zu machen. Das hat natürlich noch mehr Dramatik in die ganze Sache gebracht.

Wie ging es weiter?

Wir waren eng mit dem Jugendamt im Austausch, das dann feststellte, dass wir Eltern Kommunikationsprobleme haben und uns in einer streitigen Trennung befinden, aber das Wechselmodell nicht das Problem sei – sondern eben die streitige Trennung.

Für dich aber war das Wechselmodell der entscheidende Punkt, richtig?

Ja! Der Punkt, der mich am meisten getroffen hat, war, dass mir nicht richtig zugehört wurde. Ich will weiterhin nicht – und wollte auch nie – den Vater ausschließen (das hält er mir bis heute vor). Ich sehe aber, dass mein Kind nicht die Stabilität hat, die es braucht, um gut leben zu können. Ich erlebe, wie schwer es dem Kind fällt, alle 2 bis 4 Tage den Wohnort zu wechseln, wie wenig Ruhe es hat, weil es immer wieder rausgerissen wird.

Immer wieder heißt es: Das Wechselmodell kann nicht schlecht sein für das Kind, weil es ja dann beide Eltern gerecht hat. Auch vor Gericht hatte ich den Eindruck, dass dort die Meinung vertreten wird, am besten sei es, das Kind hälftig zu teilen. Ich aber sage: Das geht nicht spurlos an unserem Kind vorbei, man merkt ihm diesen Stress an. Das aber heißt nicht, dass mein Kind nur bei mir leben soll.

Mittlerweile sind zwei Berater aus Beratungszentren dran, uns zu helfen, zwei Mitarbeitende vom Kinderschutz des Jugendamtes, Sachbearbeiter vom Kommunalen Sozialen Dienst, das Gericht mit jeweils einem Anwalt und zwei RichterInnen (streitiges Verfahren und richterliche Mediation) und eine Beratung über den Kindergarten. Und alle können das grundsätzliche Problem nicht lösen: Der Vater des Kindes und ich können nicht normal miteinander zu reden.

Seit den Sommerferien hat sich nun etwas geändert. Warum und was?

Vor den Sommerferien haben wir eine richterliche Mediation durchlaufen, die in einem Vergleich endete. Dort wurden die Betreuungszeiten neu aufgeteilt und zwar über einen regelmäßigen 4 Wochen-Ablauf. Unser Kind ist momentan etwas mehr in meinem Haushalt und ich finde, schon diese Veränderung gibt ihm mehr Ruhe.

In den nächsten 2 bis 3 Monaten soll eine Auswertung beim Jugendamt erfolgen, ob das neue Konstrukt etwas gebracht hat. Also ist es weiterhin nicht ausgeschlossen, dass alles nochmal geändert wird. Das wird nicht einfach werden, aber ich werde mich dafür einsetzen, dass die Zeiten für das Kind überschaubarer zusammengesetzt werden.

Wenn du dir wünschen könntest, wo euer Kind wann lebt was wäre dein Wunsch-Modell?

Ich wünsche mir ein klassisches Residenzmodell, mit einem Tag für den Vater.

Was meinst du: Wann kann ein Wechselmodell funktionieren und im Sinne des Kindes sein und wann nicht?

Ich bin vom Grunde her eine totale Befürworterin für ein Wechselmodell, auch nach meinen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Aber es ist unbedingt notwendig, für sich selbst und auch als Elternpaar Beratung in Anspruch zu nehmen. 

Man muss erstmal die Trennung verarbeiten und es schaffen, die Paarebene und die Elternebene zu trennen. Guckt euch an, wie die Kommunikation mit dem anderen Elternteil in der Beziehung lief. Wenn ihr auch zum Ende hin gut miteinander reden konntet, ist das ein Hinweis, dass das Wechselmodell möglich sein könnte. Wenn ihr schon während der Paarzeit das Gefühl habt, dass euer Gesagtes nicht ankommt, ist davon auszugehen, dass sich das nach der Trennung verstärkt. Gut und fair miteinander reden zu können, ist absolut notwendig, um ein Wechselmodell gut gestalten zu können.

Und natürlich ist es total wichtig, sich das Kind anzusehen und zu schauen, was individuell zu ihm passt. Wenn mehrere Kinder im Spiel sind, heißt es übrigens auch nicht, dass für alle Kinder das Gleiche passen muss.

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8 comments

  1. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Kind im Alter von drei Jahren aggressiv wird, da es verstärkt, seinen eigenen Willen durchsetzen möchte. Die Mutter schreibt dieses Verhalten allein dem Wechselmodell zu – ohne nach etwaigen anderen Gründen auch nur Ausschau zu halten. im Text wird auch deutlich, dass sie eigentlich den Kontakt des Vaters mit der Kindertagesstätte nicht wollte. Außerdem gab es am Ende einen Kompromiss mit veränderten Betreuungszeiten.
    Zudem beklagt die Mutter, dass ihr nicht zugehört wurde. Ich vermute, man hat lediglich ihre Einschätzung nicht geteilt, denn es haben ja zahlreiche Beratung von verschiedenen Institutionen stattgefunden und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eltern dort nicht zu Wort gekommen sind. „Aber es ist unbedingt notwendig für sich selbst und auch als Elternpaar Beratung in Anspruch zu nehmen.“
    Richtig, gerade bei kleinen Kindern braucht das Wechselmodell Beratung für die Eltern.

    1. Ich möchte noch eine Anregung geben: wie wäre es ihr würdet das selbe Interview mit dem Vater des Kindes machen wie der das erlebt hat? Da bekämen wir vermutlich eine ganz andere Geschichte zu hören. Subjektive Wahrheiten.

    2. Noch eine wichtige Voraussetzung fürs Wechselmodell: Beide Eltern haben sich schon vor der Trennung gleichberechtigt um das Kind gekümmert, Elternzeit genommen, ggf. Stunden reduziert. Ansonsten liegt es doch auf der Hand, dass das Wechselmodell das Kind stresst. Zur Trennung der Eltern kommt dann noch die Trennung von der hauptsächlichen Bezugsperson über längere Zeit. Außerdem frage ich mich, welcher Erwachsene gerne alle 3-4 Tage den Wohnort welchseln möchte. Aber nun, mag sein, dass Kinder da flexibler sind.

  2. Was ich mich Frage, warum wurden die Zeiten nicht ersteinmal verlängert? alle 2-3 Tage wechseln ist schon ziemlich viel.
    sie möchte den Vater nicht rausdrängen, wünscht sich aber, dass der Vater das Kind nur noch 1x sieht

    Wenn ja schon mehrere Beratungen stattgefunden hat, warum wird nur der Mutter nicht zugehört? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

    Momentan ist das Kind länger bei der Mutter. Hier wäre es auch ein Versuch wert, wenn das Kind länger beim Vater ist. Wie verhält es sich dann? Es kann ja sein, dass das Kind dann auch ruhiger ist.

  3. Vielleicht kann auch der Vater wieder in den Wohnort zurück ziehen (normalerweise muss die andere Person da zustimmen bei geteiltem Sorgerecht), damit die sonstige Umgebung gleich bleibt?
    Ich muss Chris oben zustimmen, dass es schön ist, dass dieser Vater so engagiert ist und bleiben will. Vielleicht kann statt 4-2, das nach häufiger Wechselei klingt, ja auch irgendwann ein Wochenrhythmus eingeführt werden, damit es nicht so viele Übergaben gibt (die Kommunikation zwischen den Eltern also etwas weniger wird).
    Und Nestmodell aus dem anderen Kommentar funktioniert m.E. nur dann gut, wenn die beiden Erziehenden sich gut verstehen- schließlich muss der/die Erwachsene dann die Umgebung teilen, zeitlich verschoben.

  4. Na ja, sehr einseitig leider. liest sich daher gefühlt so ein bisschen wie „die fürsorgliche Mutter und der egoistische Vater“. Modell mit einem Tag für den Vater… wenn man dss mal umdrehen würde mit einem Tag für die Mutter, wie fände sie das? Die Frage vermisse ich hier. Als Papa muss ich sagen das geht für mich gar nicht. Das neue Wechselmodell der beiden klingt auf jeden Fall besser. Ich finde es sehr gut, dass der Vater nicht klein beigegeben hat wie s viel zu oft passiert. Offensichtlich ist das nicht nur ein „Freizeit-Papa“.

  5. da hier beide Eltern arbeiten gehen drängt sich mir die Frage auf, wie wäre es hier mit dem Nest-modell?
    das Kind bleibt an einem Ort und die Eltern wechseln sich ab? evtl bringt das auch schon mehr Ruhe, weil es dann nicht jeden Tag neu umdenken muss. Das Ordnungssystem in der Wohnung bleibt das selbe, die Spielsachen, die Kleidung. etc.
    lg

    1. Das Nestmodelle kann funktionieren, wenn man sich gerade getrennt hat. es ist aber auch recht teuer. Zudem beenden viele dieses, wenn es einen neuen Partner gibt. es wird in durchschnitt 2 Jahre geführt und dann beendet.
      Auch wenn die Wechsel im WM weiter auseinanderliegen, treffen die Eltern weniger auseinander. Was hier ggf helfen kann ist ein Übergabebuch. Dort kann man wichtige Themen eintragen und so dem anderen mitteilen. Denn Kommunikation ist nicht ur miteinander sprechen.

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