Ihr Lieben, zu Recht landet Familienberaterin Inke Hummel mit ihrer langjährigen Erfahrung und Expertise für Familien mit ihren Büchern immer wieder auf den Bestsellerlisten. Mit ihrem neuen Werk „Vom Müssen zum Wollen: Wenn du als Elternteil nur noch funktionierst. Dein Coaching für einen selbstbestimmten Familienalltag“ spricht sie ein Thema an, das bislang zu weit unter dem Radar lief.
Sie kann zwar nicht dafür sorgen, dass unsere Kinder nicht mehr streiten, wohl aber dafür, dass wir all das besser aushalten. Wie? Lest selbst. Danke für die mal wieder tollen Antworten und Tipps, liebe Inke!
Liebe Inke, in deinen Beratungen erlebst du Eltern, die ihre Kinder lieben, aber wenig Glück in ihrer Elternrolle finden. Wie geht das zusammen und wie äußert sich das?

Das ist im Grunde fast ein bisschen zu hart formuliert. Es geht nicht um „regretting motherhood“. Bei den Eltern, die zu mir in die Beratung kommen zu irgendeinem Thema, aber dann mittendrin so einen Satz äußern wie „Ich würde manchmal lieber die Tür von außen zumachen und wegrennen.“, geht es um ein Gefühl. Das kommt immer mal wieder, ist sehr intensiv und beeinflusst dadurch auch ihr Handeln und ihre Beziehung zum Kind.
Das ist das große Gefühl der Fremdbestimmung, das ganz normal ist, sobald ein Kind geboren wurde, denn schließlich schläft es wie es schläft, schreit wie es schreit, isst wie es isst, wird autonom… Aber der dauernde Tritt gegen die Selbstbestimmung kann einen inneren Stress verursachen, der von Elternteil zu Elternteil unterschiedlich gut genommen werden kann.
Sie lieben ihre Kinder, sind auch meist gern Eltern, aber wünschen sich doch, etwas zu verändern: mehr vom Elternsein-Müssen in ein Elternsein-Wollen-Gefühl zu kommen, sich wieder mehr auf zu Hause zu freuen, auch mit dem Stress am Morgen und am Abend. Sprich: das trifft auf ziemlich viele Eltern zu.
Welche nachhaltigen Lösungen hast du für diese Eltern parat?
Zunächst ist es eine erste Hilfe, dass sie verstehen, wo dieses Druckgefühl herkommt. Es wird nicht einfach dadurch verursacht, dass ihr Kind „schwierig“ ist“ oder dass sie selbst irgendwas nicht richtig machen oder gar „sich anstellen“. Es ist ergibt sich logisch aus der Situation.
Und dann schauen wir hier, wie die Eltern ihre Erwartungshaltung realistischer gestalten können, um nicht ständig auch unbewusst enttäuscht zu werden, und wie sie in Selbstbestimmung kommen können, ohne einen Machtkampf anzuzetteln und ihrem Kind hart zu begegnen.
Du möchtest Eltern rausholen aus der vermeintlichen Ohnmacht und wieder reinbringen in die Handlungskompetenz?
Das beschreibt es ziemlich gut. Das ist es, was ich in meiner Beratung mache und jetzt auch in eine Buchform gießen durfte. Ich möchte Gefühle und Haltungen verändern. Und dadurch ergeben sich Veränderungen in der Handlungskompetenz, aber auch in der Beziehung zum Kind und allgemein im Alltag.
Ich beschreibe das als echte Selbstfürsorge, während ich mit dem Kind zusammen bin, nicht wenn ich endlich mal frei habe. Und zwar eine Selbstfürsorge vor allem durch mehr Selbstbestimmung, indem ich Dinge anders mache, nicht indem ich noch tausend neue Dinge tue. Dazu hat ja niemand Kraft.
Ich weiß noch, wie ich mir in einer absoluten „Ich funktioniere nur noch“-Phase irgendwann eine neue Brille aufgesetzt habe mit der Botschaft: Sie tun das nicht gegen dich, sondern können grad nicht anders“. Es war natürlich ein Prozess, diesen liebevollen Blick anzuwenden, aber er hat uns alle dauerhaft ruhiger werden lassen…
Ja, das war ganz bestimmt ein wichtiger Schlüsselmoment für dich. Es braucht ein bisschen Handwerkszeug und ein bisschen Geduld, aber dann ändert sich wirklich etwas. Ich liebe es immer sehr, wenn Eltern im Verlauf der Beratungen erzählen, dass zum Beispiel der Morgen immer noch genauso ätzend und hektisch ist wie eh und je, aber sie sich verändert haben und deshalb alles nur noch halb so schlimm ist.
Das Buch ist auch wirklich so konzipiert, dass es mitlaufen kann. Vielleicht auch ein ganzes Jahr lang. Immer mal wieder ein bisschen an den Schrauben drehen. Machbare Veränderung, zum Beispiel auch für Alleinerziehende oder Eltern mit Neurodivergenz oder anderen Herausforderungen. Auch diese Eltern erlebe ich ja täglich im Beratungskontext.

Vom Müssen zum Wollen: Dein Ziel ist es, dass Eltern keinen Horror mehr vor dem Wochenende haben, wo alles so unkontrolliert ist, sondern sich wieder freuen können auf Zeit mit den Kindern?
Genau das. Und das Wochenende ist ein super Beispiel. Ich weiß nicht, wie oft Eltern mit exakt diesem Thema zu mir kommen. Wochenende, Ferien, Leerlauf – es fühlt sich unkontrollierbar an und wirkt gerade deshalb so bedrohlich. Stress und Machtkampf schwingen am Horizont so mit. Die Situation ist ja auch wirklich oft vertrackt und auch nicht immer zu verändern, aber ich kann mich anders aufstellen.
Wie kann das funktionieren, wenn sich meine Kinder zum Beispiel nonstop streiten?
Es macht emotional einen Unterschied, ob du da reingehst mit dem Gefühl „Nicht schon wieder! Wir haben doch gestern darüber gesprochen! Heute muss es doch endlich mal friedlich laufen!“, oder ob du mit dem Gefühl und der Erwartungshaltung startest, „Das wird jetzt anstrengend, das ist hart, aber das ist auch normal.“ Du kannst auf dem ersten Weg ja im Grunde nur enttäuscht werden. Auf dem zweiten kannst du aber souverän in die Situation gehen. Du kannst dich entscheiden, wie du agieren willst, statt blind zu reagieren. Damit wird es dir besser gehen und die Kinder reagieren dann oft auch plötzlich immer mal wieder überraschend anders.
Du plädierst auch dafür, Selbstfürsorge in den Alltag einzubinden statt einmal jährlich auf einem Wellness-Wochenende… hast du da konkrete Tipps?
Das fängt wirklich an mit Körperarbeit: Wenn das Kind sich nicht die Schuhe anziehen lassen will oder vor der Zahnbürste wegrennt, tue erstmal was für dich. Entscheide dich bewusst, nicht hinterherzurennen, sondern dich hinzusetzen oder dich fest auf beide Füße zu stellen, die Schultern zu lockern und zu pfeifen. Klingt albern?
Ist aber der Start fürs Mary-Poppins-Prinzip. Du wirst lockerer, selbstbestimmter. Damit hast du die Schuhe noch nicht am Kind oder die Zähne nicht geputzt, aber es geht im ersten Schritt nicht um die Problemlösung außen, sondern um dein Stärkegefühl. Damit hast du für dich gesorgt und kannst wieder anders auf dein Kind zugehen oder machst sogar möglich, dass es auf dich zukommt. Und nein, das hilft nicht immer und klappt nicht immer, aber jedes bisschen Gelassenheit und Stärke verändert dich und euch.
Deine drei Kinder sind mittlerweile groß, hattest du selbst auch Gamechanger-Momente in der Erziehung?
Jede Menge. Und Fremdbestimmungsgefühle waren bei mir auch Thema. Ich hatte ja wie du auch lange 3 Kleinkinder gleichzeitig und habe mir so oft gewünscht, allein beim Verlassen des Hauses eine Pausetaste zu haben, damit ich nicht drei Wuselzwerge auf einmal beachten muss, bis endlich alle Schuhe und Jacken anhaben – und ich bitte auch!
Mir hat sehr geholfen, nach Gelassenheit zu suchen, anstatt nur nach Problemlösungen, wie ja oft der Fokus ist. „Mach doch eine Anziehstraße!“, „Legt die Klamotten schon abends raus!“ – ja, und wenn das nicht klappt? Dann kann ich halt nur noch an mir etwas verändern. Mir Zeit und Raum nehmen, mich in ein Selbstbestimmungsgefühl bringen, meine Erwartungshaltung ändern – und mich nur mit zwei Jacken, einem Kind in Hausschuhen und einem meckernden Baby in der Trage fünfzehn Minuten später als gedacht zum Treffen auf den Weg machen, aber mit okayer Laune und einer Banane in meinem Bauch. Oder so.
Was möchtest du Eltern, die sich gerade eher in einer überforderten Phase befinden, gern zurufen?
Zum einen unbedingt, dass die Zeit auf unserer Seite ist, denn mit größer werdenden Kindern – meine sind jetzt zwischen 15 und 20 – nimmt auch die Fremdbestimmung wieder eklatant ab.
Und zum anderen, dass sie bei all dem Mist mit Kitakrise, Wackelzahnpubertät, drittem Läusebefall in diesem Jahr und einer blöden neuen Kollegin eben wirklich immer ein bisschen was selbst in der Hand haben können. Eltern sind nicht das Problem, weil sie irgendwas falsch machen, sondern die Umstände sind das Ärgernis. Aber Eltern sind Teil der Lösung, weil sie manches anders machen können. Erst einmal nur für sich selbst und damit aber auch für das ganze Familienteam.
