Vierfachvater Tillmann Prüfer über Medien: „Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!“

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Ihr Lieben, vielleicht kennt ihr ihn von seiner Kolumne im ZEITmagazin: Prüfers Töchter. Vielleicht sagt er euch auch etwas, weil wir ihn hier schon einmal zum Interview gebeten haben, als er über sein Leben in einem Fünf-Frauen-Haushalt erzählte.

Vielleicht lernt ihr ihn aber auch erst hier etwas besser kennen, und zwar mit unseren Lieblingsthema, dem Digitalen im Kinderzimmer. Er hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, das keinen schöneren Titel haben könnte: Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus! (Affiliate Link) Wir haben den Autoren zu Fluch und Segen der modernen Medien im Familienalltag befragt.

Lieber Tillmann, du hast vier Töchter im Alter von sieben bis 20 Jahren, sprecht ihr noch miteinander oder kommuniziert ihr nur noch über die Familien-Whatsapp-Gruppe?

Wie ich in meinem Buch schreibe, spielt WhatsApp eine irre Rolle im Töchterleben. Es gibt auch tatsächlich eine Familien-WhatsApp-Gruppe, aber da teilen wir eher Urlaubsbilder mit der Oma. Wenn zuhause mit meinen Kindern sprechen möchte, dann rufe ich sie  am besten auf ihren Smartphones an. Denn das bekommen sie wenigstens mit, wenn sie mit ihren Kopfhörern in den Ohren durch die Wohnung stapfen. Wenn ich sie anspreche, müsste ich schreien.

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Tillmann Prüfer: Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus! (Affiliate Link)

Fragen dich deine Töchter manchmal, wie ihr eure Kindheit und Jugend damals eigentlich verbracht habt? So ganz ohne Youtube, TikTok und Snapchat?

Wenn ich davon anfange, und erzähle, dass es in meiner Kindheit noch kein Internet gab, dann verziehen sie sich möglichst schnell. Dass ihr Vater älter als das World Wide Web ist, finden sie ziemlich unsexy. Es ist wie, als wenn Opa vom Krieg erzählt. Ich habe sogar auf meinem Schreibtisch noch ein altes funktionierendes  Wählscheiben-Telefon stehen, aus Nostalgie. Das finden meine Töchter  kein bisschen faszinierend. Sie meinen, das sei eben einfach eine gekloppte Art gewesen  zu telefonieren.

Meine Kinder haben, als sie noch klein waren und ich noch nicht wusste, was In-App-Käufe sind, aus Versehen 500 Euro für virtuelles Heu in einem Bauernhof-Spiel ausgegeben. Welche Fauxpas sind dir im Medienumgang deiner Töchter schon widerfahren?

Oh, das tut mir leid, das muss ein großer Heuvorrat gewesen sein! Ich unterschätze die Medien auch immer wieder. Manchmal benehme ich mich in der eigenen Wohnung ziemlich affig. Ich singe komische Sachen und tanze dabei. Es ist eben meine Privatraum – dachte ich.  Was ich nicht wusste, war, dass meine Kinder das mit ihren Smartphones filmen und in der WhatsApp-Gruppe ihrer Freundinnen teilen. Hashtag #crazydad. Wenn man mit digitalisierten Kindern zusammenlebt, gibt es leider keine Chance mehr, die eigene Schwachsinnigkeit zu verbergen.

Es gibt dieses tolle Comic, wie eine Mutter in den 70ern versucht, ihr Kind wieder nach drinnen zu ziehen, weil es zu viel draußen unterwegs ist – und dazu die heutige Mutter, die versucht, ihr Kind nach draußen zu ziehen, weil es sich permanent in den eigenen vier Wänden aufhält. Ist das bei euch ähnlich? Verpassen die Kinder Real-Life-Sozialleben durch die Medien? Oder trennst du digitales und analoges Sozialleben gar nicht mehr?

Ich kenne Eltern, die haben tatsächlich schwere Probleme damit, dass ihr Nachwuchs durchaus zufrieden damit wäre, 24 Stunden vor der Wii-Konsole zu sitzen, wenn man ihnen regelmäßig etwas zu Essen ins Zimmer schieben würde. Bei meinen Töchtern wechselt das ständig ab. Es gibt Nachmittage, die sie damit verbringen, sich von TikTok-Filmchen zudröhnen zu lassen – und dann geben sie mir Bescheid, natürlich auch per Message, dass sie jetzt zwei Tage bei der Freundin verbringen. Etwas dazwischen wäre mir ganz lieb.

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Autor Tillmann Prüfer hat vier „total vernetzte“ Töchter.

Bei uns gleicht es einem Nahkampf, wenn ich den Kindern „medienfrei“ (klingt wie schulfrei und dadurch schöner als ein medienverbot, finde ich) gebe, der Anfang ist sehr zäh und verzweifelt, später bewährt es sich aber immer, weil sie kreativ werden und ihre Langweile nutzen und auch viel ausgeglichener sind. Wie schaffst du solche Zeiten und nimmst du das ähnlich wahr?

Ich bin ein großer Fan von medienfreier Zeit. Ich finde aber, Eltern sollten nicht bloß Kampf gegen diese ganzen Geräte führen, sondern sich überlegen, was sie selbst mit ihren Kindern anstellen könnten. Sooo faszinierend sind Smartphones nun auch nicht, dass es nichts Spannenderes zu tun gäbe.  Meine Erfahrung ist: Wenn man etwas Echtes macht, das kann ein Ausflug sein, gemeinsam ein neues Kochrezept ausprobieren, ein einfaches Gesellschaftsspiel oder ein Eltern-Gegen-Kinder-Wettkampf im Wassergurgeln – dann sind diese Erfahrungen viel eindrücklicher und interessanter als alles Virtuelle. Zumindest erinnert man sich später daran. Von welcher WhatsApp-Message kann man das schon sagen?

Nun hast du nur Töchter… spielen die auch Fortnite und weitere Ballerspiele oder nutzen sie die Medien sozialer?

Von Fortnite praktizieren sie vor allem die Tänze. Es ist aber ein Mythos, dass Mädchen keine Ballerspiele spielen. Luna ist bei Looter-Shooter-Spielen ganz gut. Aber tatsächlich wird es ihnen schnell langweilig, nur Punkte und Levels zu sammeln. Es ist Ihnen dann schon wichtig, irgendetwas zu erleben. Vielleicht sind Männer ja wirklich besser darin, eindimensional nach Erfolg zu streben.

Sind Medien für die Jugend Fluch oder Segen oder beides?

Sie waren immer Fluch und Segen. Ich habe neulich einen Brief meines Urgroßvaters an seine Töchter gefunden. Das war um 1900. Er warnte sie eindringlich davor, Romane zu lesen. Das seien erfundene Geschichten, die einen nur Grillen in den Kopf setzen und dem rationalen Denken  schaden würden. Unsere Angst vor den Medien der Jugend ist also nichts neues – deswegen muss sie aber nicht immer falsch sein.

Ist «Jetzt mach doch endlich mal das Ding aus!» DER neue Generationenkonflikt?

Dazu müsste es die jüngere Generation das erst einmal als Konflikt erkennen. Die machen aber einfach nicht das Ding aus, trotten weiter und hören gar nicht zu.

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2 comments

  1. Klingeling hier, Klingeling da… – der NERVFAKTOR unserer heutigen Zeit.

    Ich kann gar nicht genug betonen, wie froh ich bin, daß ich Jahrgang 1970er und eine Generation weiter bin, als die heutige Jugend. Diese ständige Erreichbarkeit ist Fluch und Segen gleichermaßen. Privat finde ich es einfach nur lästig, wenn ich unterwegs von ständig quaselnden Handynutzern*innen um mich herum belästigt werde. Wenn ich schon in einem Restaurant ein Handy offen auf dem Tisch liegen sehe, könnte ich an die Decke gehen. Sind diese Personen geltungssüchtig nach dem Motto „ich bin wichtig, in bekomme gleich ´nen Anruf…!“

    Auf Handelswegen oder in der Wirtschaft ist die schnelle weltweite Kommunikation natürlich nicht mehr wegzudenken, allerdings hat das eine fatale Schattenseite. Das Leben ist dadurch unnötig hektisch geworden und der Zwang quasi in allem der erste sein zu müssen ist schlicht katastrophal. Die Arbeitswege haben sich durch e-mail und Handy unheimlich verkürzt, was wiederum den Arbeitsdruck erhöht: „ach das schaffst du doch heute noch, schick mir dann einfach die mail dazu raus…“.

    Ein weiteres Manko ist die ständige Präsenz in den sozialen Medien – heute werden Menschen mit „Likes“ und „Dislikes“ digital beurteilt und das weltweit. Jeder darf zu ALLEM seine Meinung äußern und alles darf gepostet werden. Mal schnell ein Selfie vom leckeren Frühstück hochladen – wem interessiert das???
    Natürlich möchte ich diese Freiheiten nicht gänzlich kritisieren, ich habe schließlich auch meine Vorlieben über die ich spreche und poste. Aber heute sind wir alle so abhängig geworden, quasi unser persönliches Leben online zu teilen, daß die Grenze zur Privatsphäre immer weiter verschwimmt.

    Was hat das zur Folge? Die Jugend drückt sich heute nicht mehr in ganzen Sätzen aus, sondern sogenannte Emojis ersetzen ganze Wörter oder drücken gleich unsere Gefühle oder Stimmung aus. Unsere ganze schriftliche Kommunikation (die man mir 10 Jahre in der Schule beigebracht hat…) wird immer mehr durch „Grafiken“ oder Wortfetzen ersetzt. Bin ich schon zu alt um das schrecklich zu finden?

    Ich besitze kein Handy, hab noch nie eine SMS verschickt und Seiten wie Instagram oder Facebook habe ich noch nie besucht. Fehlt mir deshalb etwas in meinem Leben? Natürlich NICHT! Im Gegenteil es befreit mich davon, mich im Internet beurteilen zu lassen oder nach Aufmerksamkeit zu gieren.

    1. Sooooo, nachdem ich gestern ganz schön gemeckert habe, tat Eine-Nacht-darüber-zu schlafen ziemlich gut und möchte heute über eine andere Betrachtungsweise schreiben – nämlich aus Sicht einer Mutter im Hinblick auf das eigene Kind.

      Zunächst einmal möchte ich aber kurz über die Enkelin meines Stiefpapas schreiben. Anne ist 14 Jahre und öfters bei ihrer „Tante Jennifer“ (…also bei mir 🙂 ) für ein paar Tages übers Wochenende zu Besuch. Ich liebe es das Mädel bei mir zu haben, allerdings ist das auch mit einer Menge Verantwortung verbunden. Anne hat viele Interessen: trifft sich mit Freundinnen, tanzt in einer Tanzgruppe und macht eben das, was Mädels in ihrem Alter so tun. Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn Anne die Wohnung verlässt und unterwegs ist. Und wie es üblich ist, besitzt Anne ein Handy und ich sage ihr immer „ruf mich bitte an, wenn es ein Problem gibt.“

      So sehr ich in meinem anderen Kommentar über die Handys geschimpft habe, so sehr erachte ich sie in diesem Fall als große Hilfe. Anne kann mich so immer erreichen und klingelt auch immer mal wieder bei mir an „Tante Jennifer kannst du mich abholen…?“. Alles kein Problem. Sind wir beiden unter uns, ist ihr Handy auch sehr oft präsent – hier mal eine schnelle SMS oder ein Bild verschickt. Ich lasse ihr das alles durchgehen – warum? Sie ich nicht mein Kind und ich habe kein Recht in die Erziehung einzugreifen.

      Anders sieht es aus, wenn ich Mutter eines Kindes wäre. Und ja, ich wäre sicher auch eine Mutter die ihrem 8 (9, oder 10…) jährigem Kind ein Handy in die Tasche stecken würde. Als Mutter wäre ich einfach zu ängstlich, daß meinem Kind unterwegs (auf dem Schulweg, in der Freizeit, oder sonst wo) etwas passieren könnte. Ich gebe es zu, Mütter mussten vor der Handyzeit auch damit klarkommen und warum ist man heute davon so abhängig? Die Antwort ist relativ einfach – Handys kosten fast kein Geld mehr (man benötigt ja auch nicht das teuerste Smartphone…) und durch Flatrates halten sich die Telefonkosten ziemlich in Grenzen.

      Allerdings würde ich meinem Kind „eintrichtern“, daß das Handy nur zum Telefonieren ist und alle anderen Funktionen wie Bilder verschicken, etc. würde ich strickt verbieten! Ich glaube, in diesem Alter würden die Kleinen wohl noch auf die Mutter hören. Schwieriger wird es dann im Teenie-Alter, wo die Kinder ihren eigenen Kopf haben und sich, dank Pubertät, nicht mehr groß etwas von den Eltern sagen lassen. Dennoch würde ich versuchen mein Kind dahingehend zu erziehen, möglichst wenig von sozialen Medien abhängig zu werden. Zumindest würde ich versuchen ihr*m ein Gespür für Vernunft und Umgang mit privaten Dingen zu vermitteln – wäre sicher schwer bei all dem Gruppenzwang dem Kinder heute ausgesetzt sind.

      Es ist ein schwieriges Thema – wie viel Freiheit räumt man dem Kind ein? Welche Werte kann man durch Erziehung seinem Kind beibringen?

      Liebe Lisa und Katharina, ihr beide seit fürsorgliche Mütter und habt dem Thema auf eurem Blog Aufmerksamkeit verschafft. Mich würde von euch beiden interessieren, wie ihr über Handys (etc.) denkt und was ihre euren Kindern handymäßig erlaubt. Schreibt es entweder als Kommentar oder per mail – es würde mich interessieren.

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