Ihr Lieben, wir posten ja immer wieder über unsere Facebook-Seite Archiv-Artikel – und so auch neulich die Geschichte von Till, der einen Gendefekt hat, den es weltweit nur 150 Mal gibt. Viele von Euch haben uns geschrieben und wollten wissen, wie es der Familie geht. Also haben wir mal nachgehakt…
Liebe Katrin, wir haben vor einem Jahr schon mal über Deinen Sohn Till, der einen ganz seltenen Gendefekt hat, berichtet. Heute ist er 3,5 Jahre alt. Erzähl doch mal, wie es ihm heute geht.
Till hat sich wunderbar entwickelt. Es geht ihm sehr gut. Er kann ganz alleine laufen und ist so stolz darauf. Und wir natürlich auch. Er läuft nicht so sicher und schnell wie andere Kinder, aber er kann auch kleine Spaziergänge komplett alleine laufen und auch beim Treppensteigen braucht er nur noch eine Hand zur Unterstützung. Er hat eine Brille, da er stark kurzsichtig ist. Seit er die Brille hat, benutzt er die Augen und schaut seine Umwelt und sein Gegenüber an. Er interessiert sich für alles und er kann stundenlang Dinge untersuchen und betrachten. Seine Koordination ist, auch durch die Brille, viel besser geworden. Er liebt es Bälle zu kicken.
Essen und trinken kann er zwar nicht alleine, aber zumindest nimmt er mittlerweile kleine Stücke Brezel selbst in die Hand und steckt sie sich in den Mund. Till versteht alles, was wir sagen. Er spricht nach wie vor nicht, aber seit ein paar Tagen nickt er, wenn er „Ja“ sagen will und er schüttelt den Kopf bei „Nein“. Manchmal unterstützt mit Lauten wie „nei, nei“. Das erleichtert die Kommunikation ungemein. Früher ist er ausgeflippt, wenn er etwas nicht wollte, heute schüttelt er nur den Kopf. Und wir akzeptieren das dann natürlich. Zumindest, wenn es nicht darum geht, Medikamente zu nehmen oder Zähne zu putzen. Till erzählt sehr viel in seiner Sprache. Manchmal bin ich „Mamamam“. Wir sind also zuversichtlich was das Sprechen angeht.
Till geht ja auch in eine Kinderkrippe. Wie gefällt es ihm dort?
Till liebt die Krippe. Wir haben das große Glück, dass er mit einer Ausnahmeregelung noch bis nächsten Sommer in dieser Einrichtung bleiben kann, obwohl er im Januar schon vier Jahre alt wird. Er hat einen Integrationsplatz in einer städtischen Einrichtung und das Personal dort ist ganz wunderbar. Sie gehen auf seine Bedürfnisse ein ohne ihn in Watte zu packen. Er hat einen Individualbegleiter, der ihn im Krippenalltag unterstützt und es ihm ermöglicht, an allen Aktivitäten teilzunehmen. Till mag die anderen Kinder und er profitiert sehr davon, mit gesunden Kindern zusammen zu sein. Er will alles können, was die anderen auch machen und schaut sich viel ab. Er hat zwar noch keine richtigen Freunde, aber es gibt Kinder, mit denen er lieber spielt und wenn er morgens ankommt, ist immer ein Kind da, das ihm sein Lieblingsspielzeug bringt und ihn in Empfang nimmt.
Welche Unterstützung habt Ihr für Till momentan?
Till bekommt Logopädie und Ergotherapie. Die Therapie bekommt er über die Frühförderstelle und die Therapeuten kommen in die Krippe. Das ist super, weil wir zum einen nicht nachmittags noch in die Praxis müssen und zum anderen, weil im Krippenalltag viele Situationen entstehen, in denen Till Hilfe braucht. Und das kann dann gleich vor Ort geübt werden. Treppensteigen oder Händewaschen, Essen oder Malen. Bis zum Sommer hatte er noch Physiotherapie, aber wir hatten das Gefühl, dass drei Therapien pro Woche zu viel für ihn sind.
Am Anfang war das für mich nicht so einfach, dass ich nicht dabei bin, wenn Till Therapie hat. Aber wir sind mit den Therapeuten in engem Kontakt und stimmen uns ab, was wir zuhause beobachten oder üben sollen. Wir haben auch verschiedene Hilfsmittel zur unterstützten Kommunikation. Zum einen eine Art Buzzer, auf den man Nachrichten aufnehmen kann oder Lieder . Till drückt den Buzzer und freut sich, wenn er zum Beispiel seinen Papa singen hört. Allerdings benutzt er den Buzzer eher als Spielzeug und drückt nicht gezielt zur Kontaktaufnahme. Das andere Hilfsmittel ist ein Gerät, in das man Bildtafeln schieben kann. Wenn man zum Beispiel auf das Symbol Banane drückt, sagt das Gerät „Banane“. Es gibt unzählige Symbole für alle Lebenslagen. Allerdings ist das momentan noch zu kompliziert für Till. Er drückt zwar auf die Bilder, aber noch eher ziellos und nur, um ein Geräusch zu erzeugen.
Müsst Ihr regelmäßig auch zu speziellen Ärzten?
Wir sind mit Till in einem Sozialpädiatrischen Zenrrum und müssen mindestens zweimal in Jahr zu Untersuchungen. Er bekommt dort regelmäßig Hörscreenings (Till hört sehr gut, zum Glück) und EEGs. Auch die dortige Kinderärztin und eine Psychologin schauen sich Till und seine Entwicklung regelmäßig an. Wir besuchen die Epilepsiesprechstunde, wenn es Veränderungen hinsichtlich seiner Krampfanfälle gibt. Und demnächst steht ein Autismus-Test an. Auch zum Augenarzt und zum Kardiologen müssen wir regelmäßig.
Gibt es neue Prognosen, wie Till sich weiterentwickeln wird?
Nein. Aber wir sind da ganz entspannt. Till hat so viel geschafft. Er kann laufen und er kommuniziert zumindest ja und nein ganz klar. Alles andere wird sich zeigen. Die Ärzte wissen viel zu wenig über sein Syndrom. Und die paar Betroffenen, die es weltweit gibt, sind so unterschiedlich. Aber alle Ärzte sind zuversichtlich. Er ist kurzsichtig, aber das sind Millionen andere Menschen auch. Und er hat ein kleines Loch in der Herzscheidewand, aber das haben viele Kinder, sagt unser Kardiologe. Körperlich ist Till also im Großen und Ganzen gesund und er kann alles schaffen, wenn er will.
Was war der letzte richtig schöne Moment für Euch als Familie?
Wenn Till Abends vom Sofa klettert und zur Tür läuft, wenn er Papas Schlüssel im Schloss hört. Wenn Till angelaufen kommt und einem die Arme entgegen streckt, weil er auf den Arm will, wenn wir gemeinsam Sonntag morgen im Elternbett kuscheln,… Wir versuchen die vielen kleinen Momente und die gemeinsame Zeit zu genießen. Das letzte Jahr war aufgrund der Krebserkrankung meines Mannes nicht leicht. Und auch Till hat unter der Situation gelitten. Aber als alles überstanden war, sind Till und ich zur Mutter-Kind-Kur gefahren. Mein Mann war im Nachbarort zur Reha. So konnten wir alle Kraft tanken und zur Ruhe kommen und trotzdem an den Wochenenden viel Zeit miteinander verbringen. Zum Beispiel hat Till das Schwimmen für sich entdeckt. Er ist eine richtige Wasserratte und will am liebsten gar nicht mehr aus dem Becken. Diese Schwimmbad-Nachmittage sind für uns alle echte Qualitätszeit.
Und wann bist Du das letzte Mal richtig an Deine Grenzen gekommen?
Leider gibt es da auch viele Situationen. Till kann schreckliche Wutanfälle haben. Er beißt sich und andere. Er schlägt seinen Kopf auf den Tisch oder gegen die Wand. Und es gibt Tage, da lässt er sich über Stunden nicht beruhigen. Weder durch Nähe noch durch Abstand. Durch sein Syndrom ist Till sehr anfällig für Krankheiten. Der Kleine hatte letzten Winter in kurzen Abständen eine Mittelohrentzündung, eine Lungenentzündung und einen Schlimmen Magen-Darm-Virus. Jedes Mal mit mehrtägigem Krankenhausaufenthalt. Und das alles parallel zur Chemo meines Mannes. Auch Tills Krampfanfälle sind jedes Mal wieder schrecklich. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Aber die schönen Momente überwiegen und ich glaube, dass alle Eltern ab und zu an ihre Grenzen kommen. Und tatsächlich ist das für mich etwas sehr tröstliches. Till kann mit seinen 3,5 Jahren genauso trotzig und anstrengend sein wie alle anderen Kinder auch. Und das ist auch gut so.
Wie geht es Euch als Paar nach diesen heftigen Monaten?
Über diese Frage habe ich wahrscheinlich am Längsten nachdenken müssen. Es geht uns gut. Wir haben uns und wir lieben uns sehr. Das letzte Jahr hat uns einmal mehr gezeigt, dass Gesundheit das Wichtigste ist. Wir genießen die gemeinsame Zeit und wir nehmen uns diese Zeit auch ganz bewusst. Als Familie und auch als Paar. Das ist allerdings etwas kompliziert, da wir keine Familie in der Nähe haben und Till nicht einfach von einem Babysitter betreut werden kann. Aber auch gemeinsame Kuschelabende auf dem Sofa tun der Beziehung wahnsinnig gut. Wir genießen einander sehr. Und wir denken über ein Geschwisterchen für Till nach…
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