Unser Pflegekind dreht in der Pubertät grad ziemlich durch – doch wir geben es nicht auf

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Liebe Stefanie, bei euch im Haushalt leben vier Kinder, drei Pflegekinder und dazu noch eure leibliche siebenjährige Tochter. Wie kam es zu dieser Familienkonstellation?

Wir haben uns als Paar eigene Kinder gewünscht, aber das hat leider nicht geklappt. Nach vielen Gesprächen haben wir uns zunächst eigentlich für eine Adoption entschieden. Dann bekamen wir mit, dass für einen damals fünfjährigen, geistig behinderten und herzkranken Jungen eine Pflegefamilie gesucht wird. Wir wollten diesem Kind ein zu Hause geben und nahmen den Jungen auf. 

Weil wir merkten, dass noch viel mehr Kinder ein schönes Zuhause brauchen, kam dann später noch unsere damals fünf Monate alte Pflegetochter und unser acht Monate alter Pflegesohn hinzu. 2011 wurden wir dann alle überrascht – im Dezember kam unsere leibliche Tochter zur Welt.

Ist eure leibliche Tochter manchmal eifersüchtig auf die nicht-leiblichen Kinder oder gibt es da gar keine Unterschiede?

Sie ist in diese Konstellation hineingeboren worden und die anderen Kinder sind einfach ihre Geschwister – auch, wenn sie weiß, dass die anderen Kinder andere „Bauchmamas“ haben. Eiferüchteleien gibt es – aber die gibt es wohl in jeder anderen Familie auch. 

Was wisst Ihr über die Vorgeschichten der Pflegekinder?

Es sind traurige Geschichten…Die Eltern des Größten sind beide geistig eingeschränkt. Sie konnten das Kind nicht richtig versorgen, wurden gewalttätig. Der Junge landere erst in der Bereitschaftspflege, dann im Kinderheim. 

Die Mutter unserer großen Tochter ist psychisch krank, wollte aber unbedingt Mutter sein. Während der Schwangerschaft nahm sie starke Mediamente und rauchte sehr stark, so dass unsere Tochter erstmal neun Wochen zum Entzug im Krankenhaus bleiben musste. Der Vater des Mädchens ist verstorben.

Die Mutter unseres jüngsten Pflegesohnes hat ein sehr trauriges Schicksal. Sie wurde mir 16 aus Rumänien nach Deutschland gelockt, zur Prostitution gezwungen. Der Vater des Kindes ist ein Freier. Sie wollte das Kind behalten, hat auch um ihn gekämpft, aber die Lebensumstände zwangen sie dazu, das Kind in Plege zu geben. 

Eine Freundin, die auch Pflegemutter ist, wurde vorab gewarnt: Überleg dir das gut, Pflegekinder sind tickende Zeitbomben, sie könnten jederzeit explodieren, weil man nie weiß, was sie frühkidblich schon alle mitbekommen haben. War das bei dir auch so?

Wir wurden nicht gewarnt und dachten am Anfang, dass wir mit Liebe und Geduld alles ausgleichen können. Heute sage ich: Ja, sie sind tickende Zeitbomben. Jedes Pflegekind trägt einen Rucksack aus Verlust, Trauma und Ängsten. Pflegekinder großzuziehen ist keine leichte Aufgabe, wir kommen oft an unsere Grenzen. Wir lassen und daher immer wieder schulen. 

Gerade ist es etwas schwieriger mit eurer pubiertierender ältesten Pflegetochter. Seit wann ist das so und wie äußert sich das?

Unsere Pflegetochter hat eine Lernbehinderung, Bindungsstörung und psychische Auffälligkeiten. Dies stellte sich erst nach und nach heraus. Die Pubertät ist für „normale“ Teenager ja schon eine turbulente Zeit, unsere Tochter legt gerade nochmal drei Schüppen oben auf.- 

Sie hat eine große innere Wut, mit der sie nicht umgehen kann. Sie hat angefangen, sich zu ritzen. Sie ist verbal aggressiv, schwänzt die Schule, klaut, probiert Drogen aus  – das ganze Programm. Es ist wirklich nicht leicht. A da wir ihre Geschichte kennen und sie sehr lieben, versuchen wir unser Bestes. Wir möchten ihr vermitteln: Egal, was du auch tust, wir sind da und geben dich nicht auf. 

Habt Ihr in dieser schweren Phase Unterstützung vom Jugendamt?

Ja, wir haben uns Hilfe geholt. In dieser akut schwierigen Situation, in der wir immer wieder an unsere Grenzen gebracht werden, unterstützen uns nun die ambulanten Hilfen. Zwei Pädagogen kommen dazu 2 mal die Woche zu uns und durch Gespräche, Familenaufstellungen etc begleiten, stärken sie uns –  aber auch unserer Tochter. Dazu unterstützen uns unsere Familie, enge Freunde und andere Pflegeeltern.

Wie geht es den anderen Geschwistern mit der neuen Situation?

Eine gute Frage. Ich denke, sie kennen es wieder nicht anders. So verhält sich halt ihre große Schwester. Natürlich sprechen wir mit ihnen und versuchen altersentsprechend zu erklären, warum sich ihre große Schwester so verhält. Leicht ist es sicher nicht. Aber: Wir sind eine Familie und halten zusammen, das spüren und vermitteln wir.

Hast du schon mal ernsthaft überlegt, aufzugeben?

Ganz ehrlich? Nein. Natürlich habe ich auch schon geweint, war kraftlos und wollte in diesen Momenten am liebsten auf eine einsame Insel. Aber aufgeben und alles hinschmeißen wollte ich nie. Es sind meine Kinder und ich liebe sie. Letztendlich wurden sie mir anvertraut, auch meine eigene Tochter. Ich trage die Verantwortung für sie.

Welche wäre deine größte Hoffnung in Bezug auf eure Zukunft als Familie?

Aktuell dass es wieder etwas ruhiger wird. Allgemein wünsche ich mir für jedes meine Kinder, dass sie glückliche und zufriedene Menschen werden, die immer wissen sie sind geliebt.
Mich würde es freuen, wenn der Pflegestatus einmal endet, denn das wird er ja rein rechtlich, wir immer ihre Familie bleiben und ich ihre Mutter.

 

 

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3 comments

  1. Danke
    Liebe Rebecca,
    Danke dir.
    Pflegeeltern werden dringend gesucht, es gibt einfach zu wenige. Von daher, JA, ich würde es toll finden, wenn ihr Pflegeeltern werden würdet. Natürlich ist es eine verantwortungsvolle, zeitintensive Aufgabe, aber sie ist auch sinnstiftend, erfüllend und wunderbar.
    Man sollte sich ganz sicher und gut geschult sein, dann kann man es angehen. Ich wünsche euch eine klare Entscheidung und alles, alles Liebe.

  2. Nachdenklich
    Hallo, zunächst einmal vielen Dank für deinen tollen, ehrlichen Bericht.
    Mein Mann und ich überlegen zur Zeit selbst ein Pflegekind aufzunehmen, haben aber natürlich auch auf Grund solcher Biographien Angst vor der Herausforderung.
    Würdest du denn anderen auch dazu raten Pflegeeltern zu werden? Und wie geht es deinem Pflegesohn heute?

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