Ihr Lieben, unsere Leserin Nadja hat vor sechs Jahren Zwillingsjungs geboren. Ein Junge ist ein Transkind und lebt nun seit 1,5 Jahren als Mädchen. Wir alle wissen, wie traumatisch es für Kinder ist, wenn man sexuelle Identitätsstörungen einfach ignoriert – daher sind wir sehr berührt von Nadjas Erzählungen und freuen uns, dass es Isabell heute so gut geht.
Liebe Nadja, heute geht es um dein sechsjähriges Transkind, das als Junge geboren ist, aber als Mädchen lebt. Erzähl mal, wie dein Kind als Kleinkind war…
Zuerst einmal kurz zu unserer Familienkonstellation: Wir sind eine Regenbogenfamilie aus Berlin, bestehend aus den Zwillingen David und Isabell (geboren als Sebastian), meiner Frau Martina und mir Nadja. Ich habe die Kinder geboren, sie sind durch einen Samenspender per Bechermethode entstanden. Es sind zweieiige Zwillinge.
Als Baby und Kleinkind war Isabell sehr fröhlich und aufgeweckt, viele Kinder in der Krippe wollten und haben mit ihr gespielt. Schon damals hat sie überwiegend mit Mädchen gespielt und in der Kita gab es eine Kostümkiste, aus der sie sich IMMER das Prinzessinnenkleid ausgesucht hat.
Schwer wurde es ab dem ca. 3 Lebensjahr, damals kam sie von der Krippe in den Elementarbereich der Kita. Plötzlich fingen die Mädchen an, nur mit Mädchen und die Jungs nur mit Jungs zu spielen. Sie passte nirgends richtig rein, optisch war sie eben immer ein Junge. Da die Zwillinge in zwei unterschiedlichen Gruppen waren, konnte sie auch nicht mehr wirklich mit ihrem Bruder spielen und wurde eher unfreiwillig zur Einzelgängerin.
Wann habt ihr das erste Mal gedacht, dass euer Kind „anders“ ist als andere Kinder?
Das muss etwa um diese Zeit gewesen sein. Vor allem haben wir gemerkt, dass sie unglücklich ist. Das äußerte sich zuhause auch in extremen Wutausbrüchen.
Wann hat Isabell das erste Mal geäußert, dass sie ein Mädchen ist und wie habt ihr darauf reagiert?
Ich glaube, sie selbst sah sich schon immer als Mädchen, als sie anfing zu sprechen, bezeichnete sie sich selbst auch immer als Mädchen. Damals haben wir das allerdings noch nicht richtig ernst genommen und eher belächelt.
Mit 4 fing sie an, sich für Kleidung zu interessieren und wollte Kleider tragen, alles sollte rosa und mit Glitzer sein, sie wollte sich die Haare wachsen lassen. Also haben wir als Familie vermehrt darüber gesprochen, dass auch Jungs Kleider anziehen dürfen, Farben für alle da sind. Und wir haben ihr ihr erstes Kleid gekauft. Bei diesem Kauf äußerte sie ganz konkret, dass sie ein Mädchen ist und eben kein Junge, der gerne Kleider trägt.
Für meine Frau und mich war das von Beginn kein Problem, wir haben uns eher Vorwürfe gemacht, dass wir die Anzeichen früher nicht so ernst genommen haben.
Wie hat euer Umfeld darauf reagiert? Sicher hört man doch oft: „Das ist doch bloß eine Phase!“ Wie geht ihr mit solchen Kommentaren um?
Unser Umfeld hat super reagiert, sicherlich waren einige skeptisch, haben es aber nie offen uns oder unserer Tochter gegenüber geäußert.
Ihr Bruder meinte sogar, dass ihm das schon klar war. Außerdem hätte er sowieso lieber eine Schwester gehabt. Er stand und steht immer schützend vor ihr, obwohl er der Kleinere von beiden ist.
Wie sind Erzieher und Lehrer damit umgegangen?
Die Erzieher in der Kita sind sehr gut und offen damit umgegangen. Wir hatten diesbezüglich extra ein Gespräch mit den Bezugserziehern und der Kitaleitung. Durch das Transkindernetzwerk hatten wir Infomaterial für die Kita. Für die Kinder in den Gruppen habe ich kindgerechte Bücher zu dem Thema besorgt. Auch die anderen Eltern habe ich offen angesprochen.
Nun geht Isabell seit September in die Schule und auch hier sind wir auf viel Verständnis und offene Ohren gestoßen. Zum Beispiel darf sie die Mädchentoilette/Umkleide benutzen.
Wie geht es Isabell nun heute?
Seit sie 4,5 Jahre ist, lebt sie nun als Mädchen. Auf behördlichen Papieren wird sie noch als Sebastian geführt, das war uns bisher zu früh für eine Änderung. Als es um einen weiblichen Namen ging, wollte sie zunächst Elsa heißen (nach der Eiskönigin), aber dann fragte sie uns, welche Mädchennamen wir ausgesucht hätten in der Schwangerschaft. Isabell war einer davon und dieser gefiel ihr.
Sie selbst hätte sich zu Anfang auch eher Elsa (nach der Eiskönigin) genannt, fragte uns dann nach den Mädchennamen die wir rausgesucht hätten. Isabell war einer davon und dieser gefiel ihr.
Wie hat sie sich verändert, seitdem sie als Mädchen lebt?
Sie lebt nun wesentlich freier und ist mehr bei sich selbst angekommen. Freunde findet sie immer noch eher schwer und ist lieber für sich. Mit einem Mädchen aus der Schule hat sie sich etwas angefreundet. Sie hat oft Angst vor den Reaktionen der anderen Kinder, deshalb möchte sie nicht, dass andere Kinder wissen, dass sie biologisch ein Junge ist.
Was habt ihr Eltern durch all das gelernt?
Wir haben vor allem gelernt auf unser Gefühl zu Vertrauen.
Habt ihr schon einen Plan, wie es mit eurer Tochter weiter geht?
Zu Beginn unserer Reise hatten wir ein sehr herzliches Beratungsgespräch beim Transkindernetzwerk, die Menschen dort haben uns sehr weiter geholfen und gut informiert. Leider gibt es in Deutschland noch sehr wenig Kliniken/Ärzte, die sich auf sexuelle Identitätsstörungen bei Kindern spezialisiert haben. Überall gibt es nur Wartelisten.
Letztes Jahr im Sommer wurde sie im UKE Hamburg im Transgenderprogramm aufgenommen und nächste Woche haben wir dort den ersten großen Termin. im UKE werden die Kinder auf ihrem Weg begleitet. Ob es zu einer Hormontherapie oder Operationen kommen werden, werden wir mit der Pubertät sehen. Egal, was sie irgendwann möchte – wir werden hinter ihr stehen und die Wege mit ihr gemeinsam gehen.
Was wünscht du dir für deine Tochter?
Ich wünsche ihr, dass sie noch mehr zu sich selbst stehen kann. Und ich wünsche ihr, dass die Gesellschaft noch offener und toleranter wird, so dass sie ohne Angst erwachsen werden kann.
6 comments
Ich finde es toll wie ihr eure Tochter unterstützt. Ich habe den Artikel gelesen und dachte er handelt von meinem Kind. Mit männlichen Merkmalen geboren lebt sie jetzt seit 2 Jahren als Elsa (es gab eine kurze Isabella-phase, die das Kind am Ende leider nicht überzeugen fand). Mein Kind ist jetzt 4…. Transidentität ist keine Erziehung, Transidentität ist angeboren und äußerte sich bei uns zu Beginn des zweiten Lebensjahres.
Ich habe mit Entsetzen gelesen, welche abfälligen, homophoben Kommentare auf Facebook bei diesem Artikel eingingen. Leider lief das da ziemlich aus dem Ruder,,weshalb ihr den Artikel dort entfernen musstet. Ich wollte der Familie nur sagen, dass ich den Umgang mit Isabell großartig finde und ihr es genau richtig macht, euer Kind immer zu unterstützen und hinter ihr zu stehen!
Möchte mich Saskia anschließen.
Ich wünsche Euch weiterhin viel Kraft, Verständnis und Selbstverständlichkeit mit Eurer Tochter.
Interessant finde ich, dass die beiden transsexuellen Menschen, die ich gut kenne, das gleiche berichten. Für beide war schon im Alter von 3 sonnenklar, dass sie kein Mädchen sind. Beide sind den Weg konsequent gegangen, mit großer Authentizität, Humor und „Selbstverständlichkeit“. Diese Klarheit hat mich sehr beeindruckt. Das ist nun mehrere Jahrzehnte her (soviel zum Thema Modeerscheinung)und ich bin dankbar, dass ich die beiden kennenlernen und ein Stück weit freundschaftlich begleiten darf/durfte, es hat meinen Horizont sehr bereichert. Leider fehlt vielen das grundlegende Verständnis für Geschlechtsidentität, bzw. die Kenntnis, wie wenig man wissenschaftlich über diese sehr komplexen biologischen Prozesse weiß.
Ich hatte auch das Glück, mit einem hervorragenden Entwicklungsbiologen befreundet zu sein, der viele Hintergrundinfos gegeben hat und auch gute Argumente für voreingenommene, schlecht aufgeklärte Menschen hatte.
seit wann, spielen Mädchen und Knaben schon im Alter von drei Jahren nicht mehr zusammen ? Das hab ich noch nie so erlebt.
Das Kind ist sechs. Das wird sich kaum an den genannten Bezeichnungen in diesem Text stören. Davon mal ab, finde ich es großartig, wie empathisch dieses Kind von eurer Familie und auch darüber hinaus begleitet wird! Dennoch als kleine Anmerkung: in diesem Alter ist nichts in Stein gemeißelt. Haben einen ganz ähnlichen Fall in der Familie, wurde auch in allem unterstützt und hat sich dann doch als Phase erwiesen. Deshalb toll, dass ihr in alle Richtungen offen seid und das Kind annimmt, wie es ist. Finde es schwierig, wenn es in diesem Alter schon so engstirnig- ideologisch wird ( eher auf den Kommentar von Lorella bezogen, nicht auf diesen konkreten Fall) . Es ist prima, die Kinder sich ausprobieren zu lassen, aber gleich die großen Geschütze aufzufahren halte ich für zu früh.
Ich habe kein Transkind, aber einen Freund, der trans ist und weiß daher, dass viele Transmenschen es nicht gut finden, wenn sie nicht konsequent bei ihrem wahren Geschlecht genannt werden. Also nicht das biologische. Daher finde ich die Überschrift nicht gelungen, in der noch vom Sohn gesprochen wird, und bitte euch, das zu ändern.
Vielleicht „es stellte sich heraus, dass unser Kind doch ein Mädchen ist“ oder „unsere Tochter hat ihr Geschlecht engepasst“.
Sie leidet übrigens auch nicht an einer sexuellen Identitätsstörubg, sondern an einer geschlechtlichen. Wenn man es überhaupt als Störung bezeichnen kann.
Und Deadnaming, also den Geburtsnamen nennen, sehen auch viele Transpersonen kritisch.
Ich hoffe, ihr nehmt euch meine Anregungen zu Herzen.
Gruß, Lorella