Ihr Lieben, wie schaffen wir es, in Stresssituationen nicht die gleichen Fehler zu begehen wie die eigenen Eltern? Wie schaffen wir es, toxische Muster in der Familie zu durchbrechen und es anders zu machen als die Generation davor? In ihrem Buch Cycle Breaker: Für mein Kind mach ich es anders benennt die studierte Kindheitspädagogin und Resilienztrainerin Leandra Vogt die 20 häufigsten schädlichen Muster und zeigt Eltern, wie sie diese durchbrechen können.
Dabei ist es besonders wichtig, dass Eltern nachsichtig mit sich selbst bleiben, denn auch sie werden unbewusst Muster weitergeben. Und das ist okay, solange sie ihren Kindern das richtige Werkzeug mitgeben, um später selbst Cycle Breaker werden zu können. So schaffen wir die besten Voraussetzungen für unsere Kinder, da ist sich die Elternbegleiterin, Dozentin und Podcasterin sicher. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt sie in der Nähe von Zürich.
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Liebe Leandra, du bringst Eltern bei, wie sie es schaffen, für ihre Kinder toxische Muster zu durchbrechen. Warum ist dir das ein solches Anliegen?
Als Kindheitspädagogin (M.A.) mit Schwerpunkt in der Resilienzförderung beschäftige ich mich beruflich und leidenschaftlich mit der Frage, was unsere Kinder mental und emotional gesund erhalten kann. Ein Blick in die aktuelle Resilienz-, Hirn- und Bindungsforschung zeigt deutlich, dass der autoritäre Erziehungsstil, den viele von uns selbst erlebt haben, mittlerweile als überholt gilt. Härte macht unsere Kinder nicht widerstandsfähiger – ganz im Gegenteil.
In meinen Beratungen erlebe ich immer wieder Eltern, die sich dieses Wissen angeeignet haben, aber im Alltag mit Kind, besonders unter Stress, doch wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Hinzu kommt, dass ihr familiäres und gesellschaftliches Umfeld es ihnen oft erschwert, eigene, neue Wege zu gehen. Mit meinem Buch möchte ich diesen Eltern einen kleinen Seelenbalsam bieten, sie mit fundiertem Fachwissen ausstatten und ihnen durch unterstützende Übungen helfen, Stress und Druck aus der Erziehungssituation zu nehmen und ihr Handeln zu bestärken.
Welche eigenen Erfahrungen und Erlebnisse haben dich dazu gebracht, Resilienztrainerin zu werden?
Ich erinnere mich genau an den Moment im Jahr 2012, als ich während meines Bachelorstudiums zum ersten Mal wissenschaftliche Literatur zur Resilienz und zum Konzept der Salutogenese las. Die Kernaussage dieser Theorien faszinierte mich: In jedem von uns steckt eine besondere Kraft, die es uns ermöglicht, selbst schwierigste Herausforderungen positiv zu bewältigen. Und diese Kraft lässt sich wissenschaftlich erforschen, ihre Einflussfaktoren sind empirisch belegbar.
Als jemand, der in einem hochstrittigen Elternhaus aufgewachsen ist und bereits früh schwierigen Bedingungen im Kindergarten ausgesetzt war, verstand ich erst rückwärtsblickend, dass ich diese innere Kraft bereits genutzt hatte. Heute ist es mein Herzenswunsch, dass jedes Kind die Möglichkeit erhält, Resilienz gezielt zu stärken und so mit Herausforderungen gesund umzugehen.
Viele kennen es: Wenn wir in einer Geschwisterstreit-Schlichte-Situation in Stress geraten, agieren wir plötzlich doch wie damals die eigene Mutter oder der eigene Vater. Woher kommt das?
Muster sind tief verankerte, sich wiederholende Verhaltensweisen, die durch frühere Erfahrungen geprägt wurden. In Stresssituationen greifen wir unbewusst auf die Reaktionsmuster zurück, die wir in unserer Kindheit erlebt haben. Diese Muster entstehen durch Erziehung, familiäre Dynamiken und traumatische Erfahrungen.
Neurobiologisch betrachtet spielt dabei unser autonomes Nervensystem eine entscheidende Rolle. Besonders unter Stress wird unser limbisches System aktiv, das für Emotionen und schnelle Reaktionen verantwortlich ist. Anstatt rational und reflektiert zu agieren, greifen wir dann instinktiv auf die in der Kindheit erlernten Verhaltensweisen zurück. Diese unbewussten Reaktionen lassen sich aber mit gezielter Bewusstwerdung und neuem Training nachhaltig verändern.
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Wie können wir ein solches Verhaltensmuster durchbrechen, wenn uns die Reaktion der eigenen Eltern doch schon damals so geärgert hat?
Der erste und wichtigste Schritt ist das Bewusstwerden der eigenen Muster. Dafür dürfen wir uns Zeit nehmen und uns selbst mit Empathie begegnen. Es kann sehr aufwühlend sein, zu realisieren, dass uns beigebrachte Verhaltensweisen heute hinderlich für uns oder unsere Kinder sind. Diese Bewusstwerdung erfordert Zeit. Viele Eltern setzen sich hier unnötig unter Druck, denn wir leben in einer Zeit, in der neue Erziehungserkenntnisse nahezu im Sekundentakt auf uns einprasseln. Das kann schnell überfordern und selbst zu Stress führen.
Im Buch unterscheide ich dann zwischen Glaubenssatz, Muster und Trauma. Dieser Unterschied ist wichtig: Ein Muster, das aus einem Trauma heraus entstanden ist, lässt sich nicht einfach mit positiven Affirmationen auflösen. Ein gesellschaftlich übernommener Glaubenssatz hingegen lässt sich oft einfacher umformulieren.
Nachdem wir unsere alten Muster reflektiert haben, können wir uns bewusst mit der Frage beschäftigen: Welche Werte sind mir heute wichtig? Wie möchte ich meine Beziehung zu meinem Kind gestalten? Nach diesem neuen, inneren Kompass zu leben und neue Verhaltensweisen dann zu etablieren, ist ein Prozess – und das ist vollkommen in Ordnung. Dafür gibt es viel Unterstützung im Buch.
Welche toxischen Muster in Familien werden denn am häufigsten übernommen?
Das kann pauschal nicht beantwortet werden, denn jede Familiengeschichte ist individuell. Geschichtlich betrachtet war das Bild vom „Haustyrannen-Kind“ lange gesellschaftlich akzeptiert, weshalb der autoritäre Erziehungsstil in vielen Familien dominant war. Dies ist vermutlich eines der am weitesten verbreiteten Muster.
Im Buch beschreibe ich 20 toxische Erziehungsmuster, die häufig weitergegeben werden – von emotionaler Vernachlässigung bis hin zu übermäßiger Kontrolle. Dennoch erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr möchte ich Eltern ermutigen, ihre eigene Geschichte zu reflektieren und herauszufinden, welche Muster für sie persönlich relevant sind.
Und welche Muster sind am schwierigsten zu durchbrechen?
Am herausforderndsten sind Muster, die mit Trauma oder starken Überzeugungen verknüpft sind. Diese sind oft tief in unserem Unterbewusstsein verankert und erfordern viel Reflexion und gegebenenfalls professionelle Begleitung. Im Downloadbereich vom Buch gibt es eine Liste von Anlaufstellen im DACH-Raum sowie Hinweise, woran man eine wirklich professionelle Elternbegleitung erkennt.
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Ist unsere Psyche trainierbar bzw. neu programmierbar?
Ja, insbesondere unsere Fähigkeit zur Resilienz ist trainierbar – und zwar in jedem Lebensalter. Resilienzförderung ermöglicht es uns, aus schwierigen Situationen gestärkt hervorzugehen. Durch bewusste Reflexion, Selbstregulation und gezielte Übungen können alte Muster durch neue ersetzt werden. Das erfordert Zeit und manchmal professionelle Unterstützung, aber es ist möglich und vor allem lohnenswert.
Was braucht es, damit unsere Kinder psychisch gesund aufwachsen können?
Es braucht eine optimierende anstatt eine perfektionistische Grundhaltung – eine positive Fehlerkultur und die Annahme, dass der bestmögliche Ausgang aus jeder herausfordernden Situation für uns und unsere Kinder möglich ist. Wir werden unseren Kindern immer Muster mitgeben, die irgendwann für sie nicht mehr hilfreich sein werden. Das gehört zum Leben dazu.
Unsere Kinder vor all unseren Fehlern bewahren zu wollen ist also der falsche Ansatz. Sie mit dem nötigen Rüstzeug auszustatten, dass ihnen dann später dabei hilft, bewusst IHRE eigenen Wege zu gehen ist viel sinnvoller. Besonders hilfreich hierbei ist, dass Kinder ein sicheres, stabiles Umfeld haben, in dem sie sich grundsätzlich emotional verstanden und akzeptiert fühlen. Offene Kommunikation, eine positive Fehlerkultur und emotionale Unterstützung helfen ihnen, Resilienz zu entwickeln und psychisch stabil aufzuwachsen.