Mein Mann beging Suizid, er bleibt die große Liebe meines Lebens

Suizid

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Ihr Lieben, weil es hier heute um das Thema Suizid geht, sprechen wir gleich eine Triggerwarnung aus. Bitte lest diesen Text nur, wenn ihr psychisch stabil seid. Außerdem ist es uns wichtig, nochmal auf das kostenlose Hilfetelefon (0800 1110111 ) aufmerksam machen, dort erhalten Menschen anonym und rund um die Uhr Hilfe.

Heute erzählt uns unsere Leserin Annette ihre Geschichte. Ihr Mann hat sich vor sieben Jahren das Leben genommen. Annette zieht seitdem die beiden Kinder alleine auf, hat mehrere Jobs, um das finanziell alleine zu stemmen und weiß heute, wie wichtig es ist, über Depressionen und Suizidgedanken informiert zu sein.

Mein Mann, unsere Familie und der Suizid

Mein Mann und ich lernten uns bereits als Kinder kenne, seine Cousine und ich waren beste Freundinnen. Schon bei unserer ersten Begegnung sagte er, dass er mich später heiraten wird. Wir sahen uns damals nicht so oft, denn er wohnte etwas weiter weg und besuchte die Verwandtschaft nur ab und zu.

Als er endlich den Führerschein hatte, kam er jedes Wochenende und zeigte immer mehr Interesse an mir. Ich aber war drei Jahre jünger als er und hatte mit Jungs noch nicht viel im Sinn. Doch er gab sich viel Mühe und mit den Jahren merkte ich, dass ich mich auch verliebt hatte.

Wir heirateten schon recht jung und wollten für immer zusammenbleiben. Wir reisten viel, bauten dann ein Haus, verstanden uns gut. Eigentlich haben wir uns nie gestritten, heute denke ich, er hat auch einfach viel mir zuliebe gemacht und nachgegeben.

Nach dem Hausbau und einer beruflichen Umschulung veränderte er sich. Er war plötzlich oft und schnell gestresst, so dass ich die Planung für unser Leben übernahm. Oft versuchte er sich, vor Veranstaltungen, Verabredungen oder sonstigen Aktivitäten zu drücken und wollte lieber zu Hause bleiben. Menschengruppen wurden für ihn zur Belastung und auf dem Weg zu einer großen Geburtstagsfeier bekam er mit Mitte 20 seine erste Panikattacke.

Wir wussten nicht über Depressionen

Wir wussten nicht, was was los war, kannten die Symptome nicht und ließen ihn im Krankenhaus auf alles untersuchen. Körperlich war er gesund. Ich bemerkte, dass er ab dann immer öfter zu Alkohol griff, weil er dachte, das würde Panikattacken vorbeugen. Ich sah das mit großer Sorge, denn mein Vater war Alkoholiker. Als die Panikattacken häufiger und schließlich auch diagnostiziert wurden, bekam mein Mann Medikamente, die er aber nie richtig einnahm, weil sie sehr starke Nebenwirkungen hatten.

Ich war damals nicht für Panikattacken und Depressionen sensibilisiert und aufgeklärt, heute würde ich sagen, ich war naiv und dumm. Für mich gab es Depressionen nicht, ich dachte, dass die Leute sich das nur einbilden und einfach mal positiver denken sollen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie sich Depressionen anfühlen, denn ich selbst bin ein total lebensfreudiger Mensch und so habe ich – aus heutiger Sicht – meinem Mann sicher nicht so viel Mitgefühl und Unterstützung gegeben, wie ich hätte sollen.

Kurz vor seinem 30. Geburtstag entschieden wir uns für Kinder, in der Hoffnung, dass er durch die Kinder wieder mehr Lebensfreude bekommt. Doch das Gegenteil trat ein. Die Depressionen wurden stärker und er trank auch immer mehr Alkohol. Er verbrachte die Sonntage auf der Couch und wollte nur schlafen. Ich war meist alleine mit den Kindern unterwegs.

In dieser Zeit gab es viele Diskussionen, dass er doch die Tabletten bitte regelmäßiger nehmen muss, dass sich professionell helfen lassen soll. Die psychologische Beratung brach er nach nur 4 Sitzungen ab, ich suchte Hilfe bei seinem Bruder und seinem Onkel, zu denen er ein enges Verhältnis hatte, doch keiner konnte ihm ins Gewissen reden. Seine Eltern glaubten mir nicht und suchten die Schuld bei mir. 

Er log immer häufiger, ging nicht mehr zur Arbeit und eines Tages sagte er, dass es uns besser gehen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Ich versuchte, ihn davon zu überzeugen wie wichtig er uns ist und so konnte ich ihn auch endlich zu einer kontrollierten Alkoholtherapie überreden. Diese machte er dann in der Elternzeit, damit keiner auf der Arbeit etwas mitbekam.

Immer wieder Hoffnung, immer wieder Enttäuschung

Wir versuchten einen Neustart und ich war wie immer positiv gestimmt. Am 1. Geburtstag unserer zweiten Tochter hatte er wieder heimlich getrunken. Ich konfrontierte ihn damit, er stritt es ab, dann gab er es zu und aus dem Glas Wein wurde wieder die Flasche Wein. Wieder begannen die Streitereien, wieder verbachte ich die Wochenenden mit den Kids alle und er lag im Bett.

An einem Tag hatte ich die Schnauze voll, schnappte die Kids und fuhr mit ihnen in den Tierpark. Ich brauchte Ablenkung und die Kinder auch. Abends kamen wir nach Hause, die Große beschwerte sich bei Papa, dass sie nur einmal mit dem Karussell im Tierpark fahren konnte und kuschelte sich zu ihm auf die Couch. Ich hörte, wie er ihr versprach, dass er das nächste Mal mitkommt und dass sie dann ganz oft Karussell fahren darf. Ich ging in den ersten Stock, ließ die Badewanne ein und badete die Kinder. Als ich runterkam, war er weg.

Ich rief ihn auf seinem Handy an und bat ihn nach Hause zu kommen, um den Kids Gute Nacht zu sagen. An seiner Stimme hörte ich, dass er betrunken war. Ich war sehr wütend und sagte, er sollte sofort nach Hause zu kommen und legte auf, ohne ihn ausreden zu lassen. Er kam aber nicht, also brachte ich Kinder ins Bet. Als die Kinder schliefen rief, ich noch einige Male bei ihm an, aber er ging nicht mehr ans Handy. 

Ich fing an, mir Sorgen zu machen, also rief ich seine Freunde an und fragte, ob sie mal auf die Suche gehen könnten. Sie fanden ihn, aber leider zu spät. Er hatte sich das Leben genommen und ließ mich mit den Kindern, einem Haus, Schulden und dem schlechten Gewissen zurück, dass ich vielleicht doch am Telefon anders mit ihm hätte reden sollen zurück. 

Nach dem Suizid war es sehr schwer

Die Zeit nach dem Suizid war die schwerste Zeit meines Lebens. Klar kamen Familie und Freunde vorbei und versuchten zu helfen, aber ich hatte nie die Zeit, richtig zu trauern. Tagsüber musste ich ja funktionieren für die Kids, nachts konnte ich auch nicht weinen, weil die Kinder aus Angst, ich könnte auch verschwinden, bei mir schliefen. Ich war völlig überfordert mit dem ganzen Papierkram, den Finanzen, den Entscheidungen.

Heute geht es uns wieder gut. Ich arbeite vormittags, nachmittags bin ich komplett für die Kinder da. Am Wochenende und nachts arbeite ich als Kellnerin, damit das Geld für uns reicht. Tatsächlich habe ich die Entscheidung meines Mannes, sich das Leben zu nehmen, schnell akzeptiert. Das heißt nicht, dass ich es mir nicht anders gewünscht hätte – aber ich weiß mittlerweile, dass er keinen anderen Ausweg gesehen hat. Mein Mann ist und bleibt meine große Liebe. Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich die Krankheit Depressionen so unterschätzt habe. Ich habe mittlerweile ganz viel darüber gelesen und verstehe diese Krankheit nun. Ich hoffe, dass mir mein Mann verzeiht, dass ich so unwissend war und ihm nicht genug helfen konnte. 

Ich gebe jeden Tag mein Bestes und versuche mein Lächeln niemals zu verlieren. Ich bin stolz auf die Kinder und mich, weil wir so gut zusammenhalten und ich versuche ihnen positives Denken beizubringen und ihnen zu sagen, dass sie alles schaffen können, wenn sie es nur wollen. Ich hoffe, ich kann ihnen Sicherheit und ganz viel Liebe fürs Leben geben.

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2 comments

  1. Sehr ergreifend und bewundernswert wie stark du bist. Auch ich habe im Umfeld Personen die an Depressionen erkrankt sind und merke wie schwierig und vielseitig diese Erkrankung ist aber auch der Umgang damit und wie ich mich zum Teil zurückziehe weil mir das Verständnis fehlt für gewisse Handlungender Erkrankten (was gegen meine eigentliche Einstellung ist weil ich schon von mir behaupten kann das ich verständnisvoll und einfühlsam bin).

    Ich schließe mich Inga an, du solltest die Trauer aufarbeiten. Nicht nur der Suizid sondern auch die Zeit davor (und danach) hat dir viel abverlangt. Wenn du
    dir keinen Raum zum aufarbeiten gibst befürchte ich holt es dich irgendwann ein. Alles Gute 🫶

  2. Liebe Annette,
    beim Lesen deines Textes habe ich sehr mit dir mitgefühlt. Die Kinder und du, ihr habt sicher eine sehr schwierige Zeit durchgemacht und es beeindruckt mich, wie stark und pragmatisch du euer Leben organisiert hast.
    Vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt für die (verschobene) Trauerarbeit? Das lässt sich ja auch nachholen und könnte dir, aber indirekt auch euren Kindern guttun.
    Zu deiner Haltung bzgl. der Depression deines Mannes: es ist gut möglich, dass auch mehr Wissen und Einfühlungsvermögen deinerseits den Suizid nicht hätten abwenden können. Eine Depression ist eine unglaublich fiese Krankheit, und wenn dein Mann Hilfe nicht gut annehmen konnte, hättest du auch mit deinem schieren Willen vermutlich nichts ändern können.
    Alles Gute für euch!
    Liebe Grüße, Inga

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