Sturmfrei für die „Kleinen“, Bildungstrip für die Große – Teen-Time Jugendkolumne

Krakau

Ihr Lieben, ein paar Tage sturmfrei mitten in der Woche, in der Schulzeit, das wäre noch vor wenigen Jahren absolut undenkbar gewesen für unsere Kinder und uns. Unsere Zwillinge haben sich gestritten wie die Kesselflicker, sie waren lange Zeit gleich groß und gleich schwer und gleich stark und so musste über Jahre hinweg jeden Tag aufs Neues ausgefochten werden, wer nun heute der Ranghöhere ist.

Nicht selten führten diese Kämpfe auch zu solch körperlichen Auseinandersetzungen, dass ein Nachbarskind uns gar nicht mehr besuchen wollte, weil es das so irritierend fand. Es war also wirklich heftig mit der Konkurrenz zwischen den beiden und das Thema Geschwisterstreit dominierte unser Leben.

Vor allem in Coronazeiten, wo sich die Kinder einfach gar nicht mehr aus dem Weg gehen konnten. Sie hatten dieselben Schulaufgaben, konnten aber nicht in einem Zimmer damit sitzen, weil das sofort zur Eskalation führte.

Sturmfrei

Einfach mal ein Wochenende als Eltern wegfahren, wie wir es in den ersten Jahren mit den Kindern einmal jährlich gemacht hatten, war dann auch einfach nicht drin, weil wir das Gekämpfe weder einer Babysitterin, noch den Großeltern zumuten konnten.

Mit etwa 14 hörten diese Auseinandersetzungen jedoch auf. Konflikte gibt es natürlich hier und da noch, im Großen und Ganzen haben die beiden aber seither irgendwie ihre Plätze gefunden. Und wenn es mal eine Meinungsverschiedenheit gibt, dann wird diese heute in den meisten Fällen einfach verbal gelöst oder mit einem Türeknallen statt sich gegenseitig wehzutun.

Heute sind die beiden 16 und so waren die letzten zwei Jahre mit ihnen im Grunde die ruhigsten unseres Lebens, die pure Entlastung, „wie so ein Familienleben!“ sagen wir oft. Alle hatten uns vor der Pubertät gewarnt, aber bei uns waren andere Phasen viel, viel, viel anstrengender. Wir hatten ja auch noch die zwei Jahre ältere Schwester die in all dem Getöse nicht untergehen sollte.

Sturmfrei für die Jungs, Bildungsreise für die Große

Nun war es so, dass unsere Große, fast 19Jährige irgendwann äußerte, dass sie die durch Corona ausgefallene Schul-Tour ins Konzentrationslager Auschwitz Birkenau gern privat mit uns nachholen würde. Wir Eltern waren beide schon mal da und konnten ihr vorab erzählen, was sie erwarten würde. Sie war interessiert und so sagten wir irgendwann: Okay, wir machen das mal in deinen Semesterferien. Ihr Freund war auch dabei und so machten wir uns letzten Donnerstagabend auf den Weg nach Polen.

IMG 4807

Wir waren alle sehr entspannt im Vorhinein, ich packte auch erst 20 Minuten vor Abfahrt meine Tasche, das lag daran, dass ich dann doch noch ein Mama-will-nicht-dass-ihr-verhungert-Anfall bekam und lauter Mahlzeiten vorkochte – und dann waren wir durch die Tür.

Am nächsten Morgen riefen wir um halb 7 an, um zu schauen, ob das mit dem Wecker für die Schule zu Hause geklappt hatte und wurden mit einem fröhlichen „Hello, Polen!“ begrüßt. Zu Hause schien also alles zu laufen und so machten wir uns nach einem ausführlichen Frühstück auf den Weg von Krakau in die Gedenkstätte.

IMG 5069

Wichtig für alle, die das auch für sich überlegen: Der Eintritt ist kostenfrei, man braucht aber trotzdem ein Ticket (auch online buchbar) und bekommt Timeslots, um so ein bisschen die Besuchermassen zu sortieren – einfach, damit nicht zu viele auf einmal drin sind. Es gibt zwei Lager, zwischen denen ein Gratisbus hin- und herfährt. Das erste mit dem bekannten Eingangstor ist recht weitläufig, wir starteten dort, die Sonne schien und man konnte in einzelne Bracken schauen und sich vor allem erstmal im Kopf vorstellen, was hier für Gräuel passiert sind.

Wir sahen Leute in Leggings, wir sahen Manschen mit Sonnenbrillen, wir sahen Betroffene, wir sahen Jugendgruppen und große Gruppen jüdischer Menschen, wir hörten Sprachfetzen aus sämtlichen Weltsprachen, es war eine ruhige, fast sanfte Atmosphäre des Gedenkens. Es war gut, dass viel Platz da war, dass es die Möglichkeit gab, in Bewegung zu kommen, wenn es doch zu viel wurde.

IMG 5070

Wir fuhren dann zu Lager zwei, in dem auch das Haus des Nazi-Kommandanten Rudolf Höß steht, das durch den Film „The Zone of Interest“ (mit einer überragenden Sandra Hüller in der Hauptrolle, der Film, räumte etliche Preise ab) berühmt wurde. Auch der berühmt-berüchtigte Schriftzug „Arbeit macht frei“ prangt hier mit seiner perfiden Botschaft über dem Weg. In den verschiedenen Häusern waren Überbleibsel ausgestellt.

Tausende von Schuhen von den ins Lager gebrachten Menschen, Hunderte Koffer, ein riesiger Berg an Brillen, ein Regal lag voller Kinderschuhe.  

Als uns der Bus danach wieder zurück zum ersten Lager brachte, waren wir die Einzigen an Bord, die Sonne sank schon, es waren nicht mehr viele Menschen unterwegs und so gelang uns dieses Foto, vor dem ich Stunden sitzen könnte, weil es das Grauen so anschaulich macht, weil es Licht zeigt, wo so viel Dunkelheit war.

Auschwitz Birkenau

Wir fuhren zurück nach Krakau, wir telefonierten mit unseren Daheimgebliebenen, die nach dem Fußballtraining noch mit FreundInnen unterwegs im nächstgrößeren Städtchen waren, wir fuhren in die Skybar eines Hotels, von dessen Terrasse aus man auf ein blinkendes Riesenrad schaute, dass das Gefühl von „Es dreht sich alles weiter“ gab.

Und dann ging´s sehr früh am Samstagmorgen zurück. So früh, dass die Zwillinge noch schliefen, als wir ankamen. Sie hatten die Tür verriegelt und keine Sturmfreiparty gefeiert, die benutzten Teller auf dem Couchtisch zeigten uns nur, dass die Herren wohl satt geworden waren in der Zeit unseres Wegseins. Ihnen sei kaum aufgefallen, dass wir nicht da gewesen seine, sagten sie nach dem Aufwachen. Wir konnten uns gegenseitig erzählen, was wir alles erlebt hatten… so intensiv, so gut. #neverforget

Und dann ging es auch schon wieder auf den Fußballplatz und zum Pferd und zum Studentinnenjob, als wäre nichts gewesen. Beeindruckend.

c25a709fc22a482e82c2ac5d1222cc4c

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert