Stille Geburt in der 39. Woche: Gebrochen und gewachsen

Stille Geburt

Ihr Lieben, manchmal erreichen uns quasi aus dem Nichts Texte von Leserinnen, die uns so berühren, weil sie mitten aus dem Herzen kommen. Einfach rausgeschrieben, runtergeschrieben, aufgeschrieben, weil die Gefühle rausmussten. So ein Text ist das hier. Es geht um die stille Geburt der kleinen Klara, die in der 39. Woche still zur Welt kam.

Stille Geburt: Klara hatte in der 39. Woche keinen Herzschlag mehr

Loslassen. Ich musste und wollte und habe losgelassen. Vor fast genau vier Jahren. Meine Tochter Klara hatte in der 39. Woche keinen Herzschlag mehr. Sie kam still zur Welt. Wortwörtlich S-T-I-L-L.

Ich glaube, ich habe mich von meinem Körper ein Stück gelöst, als ich es erfahren habe. Was ich ja schon wusste. Es war mir innerlich klar. Und ich war in dem Moment ganz ruhig. Ich bin rausgetreten. Und aus heutiger Sicht nie wieder ganz eingezogen.

Nach vorherigen Tagen großer Unruhe und Tränen und dem unbestimmten Gefühl, dass sie gerade geht. Da war noch alles „in Ordnung“. Trotzdem stand ich im Geburtsraum des Geburtshauses im Vorbereitungskurs und hatte so eine Ahnung, dass es mich nicht betrifft, das ganze Räumliche. Dass ich diesen Raum nicht noch mal betreten würde. Ganz, ganz subtil.

Unbestimmte Verzweiflung, Tränen, Trennungsschmerz

Ich hätte es nie benennen können in dem Moment. Nur eine unbestimmte Verzweiflung, Tränen, Trennungsschmerz. Am folgenden Tag bei der Vorsorgeuntersuchung schien alles ok, ihr Herzschlag hörbar. Aber war das wirklich ihrer?

Ich hatte mich bewusst entschieden, im Geburtshaus so wenig wie möglich in «ihre Welt» einzugreifen, sie nicht zu stören. Auch nicht mit mehr Ultraschall als notwendig. Ich habe seitdem täglich daran gezweifelt, aber es nie bereut.

Die Schwangerschaft war von Anfang an speziell

Die Schwangerschaft war von Anfang an speziell. Es war, als wäre sie der Leitstern, die Weisere von uns beiden. Als wüsste sie genau Bescheid und ich würde ihr folgen – nicht sie mir. Ich habe angefangen, Literatur zu suchen zur Seele Ungeborener, ohne wirklich zu suchen und wirklich zu finden.

Ich war nach unendlichem Stress und Mobbing im Job und Auseinandersetzungen mit ihrem Vater – er war vollkommen überfordert mit einem ungeplanten Kind – bis zur Hälfte der Schwangerschaft unter riesigem Druck, aber seelisch dennoch „sicher“ mit ihr.

Ab Neujahr 2018, da war ich im 5. Monat, war klar, ich gehe den Weg mit ihr. Es war einfach klar. Wir beide. Ich habe den Job gekündigt, habe mich blitzerholt vom jahrelangen Stress der Unternehmensberatung und war die vitalste, stärkste – bei allen vorhandenen Sorgen – glücklichste schwangere Mutter. Ich war göttlich und Buddha.

Sorgen und Traurigkeit und gleichzeitig habe ich geschwebt

Sechs Wochen Kanaren bis zur letzten möglichen Reisewoche, hochschwanger die Vulkane abgeradelt, mit meiner Tochter im Atlantik gebadet. Jeden Tag geweint vor Sorgen und Traurigkeit und gleichzeitig habe ich geschwebt. Ich war in „ihrer“ Welt, hinter dem Vorhang, nicht mehr nur «hier unten». Anders kann ich es nicht beschreiben.

Stille Geburt

Als sie ging, bin ich in einer anderen Welt erwacht und auf dieser Welt hier zum Teil gestorben. Im Wechsel mit der größten Verzweiflung, die ein Mensch fühlen kann. So sehr, dass ich keine Vorstellung hatte – und ich meine das wörtlich – wie ich weiterleben könnte ohne sie. Kein Bild. Null.

Ich dachte: Nach ihrer Geburt, dann nach ihrer Beisetzung ist mein irdisches Leben zu Ende. Nicht aus Trauer, sondern einfach ganz klar und „logisch“. In diesen Wechseln ging es ein paar Monate. Schwebend, abwesend, von außen schauend in tiefste Verzweiflung bis zur Atemlosigkeit.

Als Mensch war ich zerbrochen

Stille Geburt

Ich konnte einfach keine Luft mehr holen, die Trauer war größer als alles, alles, alles. Als Mensch war ich zerbrochen. Auch jetzt laufen mir die Tränen. Woran ich aber immer festgehalten habe, war, ihr ihren Weg zu lassen. Zu sagen und zu meinen, es ist ihre Freiheit so zu sein, wie sie sein will. Ich habe ihre Souveränität, immer, immer, immer anerkannt. Hätte ich sie holen wollen zwei Tage vor ihrem Gehen? Dann wäre sie jetzt hier. Aber: Ihr Weg, ihr Weg, ihr Weg.

Zum Teil waren diese Gedanken auch eine Stütze für den Verstand, der das niemals begreifen kann. Habe ich es aus Trauer nicht gefühlt, hat der Verstand es vorgebetet, drehte der Verstand durch und drohte am Warum zu verglühen, hat es das Gefühl gefühlt.

In der Zeit wurde ich wirklich spirituell, wenn man so will. Spirituell ohne spirituellen Weg. Ich war die meiste Zeit allein. Ihr Vater konnte es nicht aushalten, floh in die Arbeit. Wir schaffen es trotzdem immer wieder, uns in dem Gefühl um unser Kind zu finden. Für mich ein wundervolles Geschenk, tatsächlich.

Ich bin eine Überlebende. Gebrochen und gewachsen

Stille Geburt

Und andere Freunde, Familie? Was sollten sie sagen? Sprachlosigkeit. Und Scham, so viel Scham. Es nicht geschafft zu haben, sie zur Welt zu bringen. Ich hatte genug zu tun, um zu überleben. Ich habe es überlebt. Ich bin eine Überlebende. Gebrochen und gewachsen. So fühle ich mich. Und ich bin im Überleben erwacht. Vielleicht hätte ich das Überleben sonst nicht überlebt. 

Heute ist ein Gedenktag für verwaiste Mütter, habe ich irgendwo gelesen. Ich bin natürlich nicht verwaist. Nicht mehr. Ich bin ein Knotenpunkt für zwei wundervollste Seelen. Sie sind Seelen an meinen Händen für einen Teil des Weges. Meinen Sohn Jonah und meine Tochter Klara. Beide gäbe es so nicht in meinem Leben ohne einander. 

Klara wurde am 20.05.2018 still geboren. Jonah kam am 14.10.2019 zur Welt.

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4 comments

  1. Meine Kinder sind frei, von dieser Welt, gegangen 2010 und 2020, nicht freiwillig, Unfall und Krankheit, 16 und 31 Jahre alt, ich kann nicht dankbar sein, dass ich sie hatte, ich wollte sie immer behalten und ihnen die Freiheit auf Erden ermöglichen, sie wollten sich selbst die Freiheiten nehmen und durften es, jetzt habe ich keine Chance mehr, ihnen dabei zu helfen und ich selbst habe keine Kinder mehr.

  2. Viel Kraft für Dich und Deinen Sohn! Aber warum“ hätte ich sie holen lassen sollen…“? Gab es Anzeichen dafür, dass sofortige Geburt nötig wäre? Auch wenn es nichts ( mehr) ändert, bitte bei aller Selbstbestimmung nicht die klassische Schulmedizin verteufeln. Wir sollten sie nutzen wo es nötig ist, gerade zum Wohle von Kindern.

  3. Keine Frage, das ist traurig und tut mir auch sehr leid, aber die Art wie der Text verfasst ist, ist nicht meins. Habe mir ein paar Zeilen zur Geburt erwartet, wie die zweite Ss verlief, ob es der selbe Partner ist o die Beziehung zu Bruch ging… und jetzt sagt nicht wieder „man gibt nur das Preis was man möchte“. Wenn man seine Geschichte öffentlich teilt kommen halt auch solche Fragen auf und damit muss jeder Verfasser rechnen!

    1. Zwei meiner Kinder liegen auf dem selben Friedhof und ich finde mich in diesen Zeilen so gar nicht wieder. Für mich waren die stillen Geburten kein Erweckungserlebnis, aber jeder muss seinen Frieden finden, wie er kann.

      Ich glaube nicht, dass dieser Artikel anderen Menschen hilft, die vor einer stillen Geburt stehen oder diese gerade akut erlebt haben, da sich dieser spirituelle Bezug in meiner Wahrnehmung nur den Wenigsten erschließen wird.

      Den Familien, die gerade eine stille Geburt erlebt haben, sei gesagt: Es wird einfacher, es braucht Zeit, Liebe und Heilung, aber ihr werdet wieder lachen können. Eine weitere Schwangerschaft wird voller Ängste seien, aber es ist zu überstehen. Ein weiteres Kind wird die verstorbenen nie ersetzen, aber es wird euch helfen, die Wonnen des Lebens noch mehr zu erkennen.

      Und für diejenigen, deren Freunde eine stille Geburt erlebt haben: Fragt nach, fragt nach den Kindern, sagt ihren Namen laut – ihr werdet vielleicht in tränenverschleierte Augen blicken, aber das Herz eures Gegenübers wird ein wenig höher schlagen, denn die Namen der Kinder werden viel zu selten gesagt. Und wenn ihr es schafft, schickt den Eltern an den Jahrestagen Nachrichten.

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