Soziale Arbeit im Knast: „Ich arbeite mit Straftätern an ihrem Weg zurück“

Pflegefamilie

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Ihr Lieben, immer wieder melden sich die interessantesten Menschen bei euch. Manuela heißt eigentlich anders, sie möchte gern anonym bleiben, uns aber von ihrer wichtigen Arbeit erzählen. Der mit StraftäterInnen nämlich…

Liebe Manuela, du hast dich auf unseren Beitrag gemeldet, in dem Katy erzählt, wie sie mit dem Mord an ihrer Schwester umgegangen ist. Warum war es dir ein Bedürfnis, dich dazu zu äußern?

Mich hat die Geschichte von Katy und dem Mord an ihrer Schwester sehr berührt, da sie mir nochmals sehr intensiv aufgezeigt hat, dass die Folgen von schlimmen Verbrechen für die Opfer und deren Familie eben nicht irgendwann verblassen, sondern stets präsent sind und man diese Wunde vermutlich ein Leben lang schmerzend in sich trägt. Für mich war es eine wichtige Mahnung und Erinnerung, dieses so wichtige Themen in der Arbeit mit Tätern immer wieder präsent zu halten und es nicht verwässern zu lassen.

Du kümmerst dich also in deinem Beruf um die Täter. Wie kam es dazu, wie war dein persönlicher Werdegang dahin?

Nach meinem Abitur habe ich zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinder- und Jugendheim absolviert. Schon sehr früh war für mich klar, dass ich später beruflich etwas Soziales machen möchte. Im Grunde fing das schon an, als ich als Kind in der Stadt immer am liebsten jedem Obdachlosen ein paar Münzen in den Becher werfen wollte. Also habe ich Soziale Arbeit studiert und ein Praxissemester in der Arbeit mit Straffälligen absolviert. Ab da war für mich klar – das ist mein Traumjob und meine Berufung. Und das inzwischen seit fast 20 Jahren… In mir brennen immer noch die Leidenschaft dafür und die große Motivation, Veränderungen in Leben zu schaffen, wo manchmal kaum noch Veränderung möglich erscheint.

Was spornt dich an in deinem Berufsalltag, was ist deine Motivation?

Wie oben bereits beschrieben ist meine große Motivation der Glaube daran, dass Menschen auch nach großen Fehlern die Chance verdient haben, es zukünftig besser zu machen und dass sie darauf auch ein Anrecht haben. Dazu benötigen sie aber Unterstützung. Ich denke, wir können als Gesellschaft nicht erwarten, dass sich über Jahre hinweg erlernte Negativ-Verhaltensweisen einfach so verändern lassen von einem Tag auf den anderen. Immer wieder, wenn es mir bei meinen Klienten nicht schnell genug geht damit, dass sie unsoziales Verhalten einfach sein lassen, fordere ich mich selbst heraus: Wie gut schaffe ich es, bspw. keine Süßigkeiten zu essen und stattdessen Sport zu treiben (Dazu muss man wissen, dass ich ein absoluter Sportmuffel bin)…?

Und?

Es fällt mir unsagbar schwer. Und das ist eine minikleine Veränderung im Vergleich dazu, dass jemand bspw. von Kind auf mit Gewalt groß gezogen wurde und gelernt hat, dass sich mit Gewalt scheinbar Interessen durchsetzen lassen.

Entsprechend glaube ich an die Faktoren Zeit-Geduld-Respekt und Empowerment. Dies bedeutet für mich:

– den Klienten Zeit geben, überhaupt erst einmal in Reflexionsprozesse einzusteigen, sich bewusst zu machen, was schief läuft und was sie an sich und ihrer Lebensführung verändern müssen.

– geduldig sein, wenn es Rückschläge gibt, Mut machen, es nochmals zu versuchen und nicht aufzugeben.

– Jedem Täter mit Respekt gegenübertreten – auch wenn die Tat noch so schrecklich ist. Wir differenzieren da sehr deutlich in unserer Arbeit. Die Tat darf ganz klar und deutlich verurteilt werden und ich erwarte auch, dass meine Klienten sich da der Verantwortung stellen und sich damit auseinandersetzen. Und zeitgleich verurteile ich nicht die Gesamtperson, sondern lenke meinen Blick auch bewusst auf deren Ressourcen und Lebensgeschichten.

– Empowerment bedeutet, den Menschen dabei zu unterstützen, wieder an sich selbst zu glauben und eine Selbstwirksamkeitserwartung zu entwickeln. Ich kann die Schritte begleiten, aber ich kann sie nicht für meinen Klienten gehen. Er selbst muss mit im Boot sitzen. Dazu gehört auch, als professionelle Begleitung Entscheidungen meines Klienten zu akzeptieren und zu respektieren, selbst wenn ich selbst bspw. ganz anders gehandelt hätte (dies bezieht sich auf die allgemeine Lebensführung des Klienten im Alltag, nicht auf das Deliktgeschehen!).

Nun kochen bei diesem Thema natürlich gesellschaftlich die Emotionen hoch, wie schaffst du es, dich da emotional nicht zu sehr zu verausgaben?

Ich denke, da spielt vor allem die Berufserfahrung eine Rolle. Man lernt einfach, es nicht zu nahe an sich heran zu lassen. Ich vergleiche dies mit Ärzten, die auch nicht jedes Mal mitweinen können, wenn ein Patient verstirbt. Ein Stück weit härtet man innerlich einfach ab, sonst könnte man diese Arbeit vermutlich dauerhaft nicht machen.

Ich entlaste mich viel über Fallbesprechungen mit meinen KollegInnen oder auch Vorgesetzen. Da ich einen langen Arbeitsweg habe, gelingt es mir gut, auf der Fahrt nach Hause den Tag Revue passieren zu lassen und ihn abzuschließen, bis ich zuhause meine Haustür öffne.

Licht am Ende des Tunnels
Licht am Ende des Tunnels? Foto: pixabay

Halt geben mir zudem mein christlicher Glaube und mein großes Hobby, das Singen, beides erdet mich immer wieder und gibt mir die Kraft, diese extrem anspruchsvolle und oftmal schon auch sehr belastende Arbeit fortzusetzen. Ich sehe darin meine Lebensaufgabe. Ich würde dorthin gepflanzt und dort soll ich auch blühen und meine Begabungen einsetzen.

Bleiben wir bei den Emotionen. Wenn etwas Schreckliches geschieht, werden besonders in Social Media direkt Stimmen laut, die Rachegedanken äußern oder den Tätern das Schlimmste wünschen. Aus der Sicht einer Mutter: Wie stehst du zum Thema Rachegedanken?

Ich kann diese Gedanken absolut nachvollziehen. Da bin ich auch sehr ehrlich – ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde, wenn jemand aus meiner Familie Opfer eines Gewaltverbrechens werden würde. Ob ich da immer noch einen professionellen ganzheitlich umfassenden Blick auf den Täter hätte?

Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es. Denn Rache ist für mich eine zu kurz gedachte Reaktion – so sehr sie auch verständlich ist. Um es klar auszudrücken: Auch ich bin sebstverständlich dafür, dass Menschen für ihre Taten bestraft werden müssen und bei schweren Delikten muss das auch eine lange Haftstrafe nach sich ziehen. Aber man muss einfach bedenken, dass die Täter irgendwann entlassen werden, denn unser Strafgesetz ist nicht auf Rache ausgelegt, sondern auf Strafe und Resozialisierung.

So kann nicht Gleiches mit Gleichem vergolten werden – und man muss eben auch überlegen, wie mit den Tätern umgegangen wird, bevor sie wieder in die Gesellschaft entlassen werden. Da genügt es nicht, sie einfach wegzusperren. Man muss mit ihnen arbeiten, man muss das Delikt aufarbeiten, man muss versuchen, sie zu o.g. Reflexionsprozessen zu motivieren. Andernfalls haben wir zwar unsere Rachegelüste vielleicht etwas befriedigt, aber der Täter hat nicht gelernt, wie er weitere Straftaten selbst verhindern kann.

Wie können wir gesamtgesellschaftlich mit dem Thema umgehen? Es gibt immer wieder Diskussionen, dass die Presse nicht die Täter in den Fokus nehmen soll, sondern die Opfer… 

Ich weiß gar nicht, ob es für die Opfer wünschenswert ist, wenn die Presse sie mehr in den Fokus nehmen würde. Dann müsste man ja davon ausgehen, dass die Presse umsichtig mit ihnen umgeht, nicht zu viele Details preisgibt, sie nicht „vorführt“, um die Sensationsgier mancher Menschen zu befriedigen.

Ich halte es für viel wichtiger und zielführender, wenn die fachliche Unterstützung für Opfer weiter ausgebaut wird: mehr ProzessbegleiterInnen, mehr Beratungsstellen für Opfer, schneller Zugang zu psychologischer aber auch finanzieller Hilfe. Damit wäre den Opfern vermutlich weit mehr geholfen, als wenn sie ihre Geschichte in zig Zeitungen nachlesen können oder eben auch müssen.

Welche Geschichte, die du da erlebt hast, wirst du nie vergessen und warum?

Sehr nachhaltig geprägt hat mich die Geschichte eines jungen Mannes, der ohne Führerschein zu schnell unterwegs war und einen sehr schweren Autounfall mit Todesopfern unter seinen Freunden verursacht hat. Er ist an den Geschehnissen zerbrochen.

Noch Jahre später ist es ihm nicht gelungen, überhaupt über die Tat zu sprechen. Ich denke, andernfalls wäre er komplett zusammengebrochen. Ihm ist seitdem kein normales Leben mehr möglich – Angstzustände, Schuldgefühle, Flucht in Konsum prägen seinen Alltag. Ich weiß nicht, ob es ihm jemals gelingen wird, wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. Ich konnte sein Leiden spüren, seine Selbstverachtung und seine Verzweiflung – sie waren so greifbar in jedem Gespräch, dass mich dies doch sehr bewegt hat.

Hattest du schon mal Angst?

Wirkliche Angst vor körperlichen Übergriffen hatte ich in meiner Arbeit noch nie. Wir arbeiten stark mit der Beziehungsebene – wir lernen den Menschen hinter den Taten kennen und zeigen ihm eine vorurteilsfreie Gesprächsebene auf. Daher passiert es auch wirklich äußerst selten, dass Gespräche aus dem Ruder laufen. Als professionelle Helferin muss ich einschätzen können, wie weit ich bspw. konfrontativ im Gespräch vorgehe und wann ich vorsichtiger agieren muss, um eine Eskalation des Gegenübers zu verhindern.

Aber Unwohlsein gab es durchaus schon in schwierigen Gesprächssituationen, etwa mit persönlichkeitsgestörten Klienten. Da schützen wir uns dann, indem noch andere KollegInnen im Büro nebenan präsent sind und wir diese im Bedarfsfall zur Hilfe rufen können.

Was sagt dir deine Erfahrung: Sind Täter auch oft in gewisser Weise Opfer, weil auch sie alle eine Geschichte mitbingen?

Für viele meiner Klienten würde ich dies bejahen, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität. Da gab es zuhause sehr häufig massive Gewalterfahrungen, mit denen die Klienten groß geworden sind. Häufig sind sie auch Opfer von strukturellem Rassismus geworden, hatten wenig Chancen, sich beruflich zu entwickeln, waren frühzeitig abgestempelt. Auch die Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol kann Täter ein Stück weit zu Opfern der Konsummittel werden lassen.

Meiner Ansicht nach gibt es in seltenen Fällen ein Schwarz oder Weiß. Menschen werden nicht kriminell geboren. Manche entscheiden sich bewusst dafür, kriminell zu leben und haben entsprechende verfestigte kriminelle Energien (bspw. im Rauschgifthandel). Aber bei dem Großteil gibt es 1000 und einen Grund, der sie hat straffällig werden lassen und da sehe ich auch uns als Gesellschaft in der Verantwortung, das differenzert und nicht polemisch-abwertend zu betrachten.

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