Ihr Lieben, meistens kommen hier ja Mütter zu Wort. Wir freuen uns deshalb immer sehr, wenn wir mal einen Beitrag aus männlicher Sicht haben. Heute schreibt bei uns Tobias Wilhelm, er hat sich als Single mit Kinderwunsch für eine Pflegevaterschaft entschieden und den zweijährigen Noah bei sich aufgenommen. In seinem Buch „Sowas wie dein Papa. Leben mit Pflegekind“ erzählt er von seinem Weg, von dem Alltag als plötzlicher (Pflege-)Vater, der sowohl mit dem Jugendamt, mit Noahs leiblicher Mutter und der neuen Rolle umzugehen lernt. Ein Buch, das wir euch gerne ans Herz legen wollen.
Bei uns lest ihr heute die Anfänge der Geschichte, warum es mit leiblichen Kindern nicht geklappt hat und wie Tobias überhaupt auf die Idee kam, ein Pflegekind aufzunehmen:
„Mit dreizehn Jahren hielt ich zum ersten Mal meinen jüngsten Cousin in den Armen, der damals erst ein paar Tage alt war. Ich umschloss seine winzige Hand mit meiner, schaute in schwarze, unruhig umherwandernde Knopfaugen. Ab diesem Zeitpunkt fühlte ich mich innerlich dazu bereit, Vater zu werden. Als eine Klassenkameradin mit fünfzehn – und nicht von mir – schwanger wurde, malte ich mir aus, wie ich das Kind mit ihr zusammen großziehen und wir das alles schon irgendwie schaffen würden. Später spielte das Thema »Kinder kriegen« in all meinen Langzeit-Beziehungen eine Rolle.
So auch bei meiner letzten Freundin Agnieszka. Nach vier Jahren Beziehung hörten wir auf zu verhüten. Wir hatten ausreichend Einkommen, unsere Wohnung war sowieso groß genug und wir trauten uns diesen nächsten Schritt zu – alles passte. Anfangs verspürten wir keinen Druck, achteten deshalb nicht auf Agnieszkas fruchtbare Tage, sondern schliefen so wie bisher miteinander – also immer, wenn wir Lust dazu hatten. Erst als es nach einem knappen Jahr noch nicht »geklappt« hatte, markierte meine damalige Freundin ihre fruchtbaren Tage im Wandkalender.
Sex nach Kalender – erst spannend, dann sehr anstrengend
Anfangs konnte ich diesem »Kalender-Sex« noch etwas abgewinnen. Sobald der Wecker morgens geklingelt hatte, begann die erste Runde. Abends, wenn wir von der Arbeit nach Hause gekommen waren, die zweite. Nachdem wir miteinander geschlafen hatten, lagen wir eng umschlungen da und dachten voller Vorfreude laut über unsere Zukunft als Familie nach. Wenig später bekam Agnieszka ihre Periode und wir wussten: Es hatte wieder nicht geklappt.
Irgendwann kam ich mir beim Sex wie ein Roboter vor. Es ging nicht mehr um Leidenschaft, um Lust, sondern lediglich um die Befruchtung von Eizellen. Ob wir Spaß hatten, war egal, allein das Ergebnis zählte. Und das lautete jeden Monat weiterhin: nicht schwanger.
Wie die meisten Männer ging ich immer davon aus, dass mit mir – beziehungsweise meinen Spermien – schon alles in Ordnung sei. Erst als Agnieszka von ihrer Frauenärztin uneingeschränkte Empfängnisbereitschaft bescheinigt worden war, vereinbarte ich einen Termin beim Urologen. Kalte Hände in Einweghandschuhen tasteten gründlich meine Hoden ab. Auch die kleine Kammer mit Porno-Heften, Fernseher und DVD-Player hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Der Laborbefund fiel niederschmetternd aus. Zu wenige Spermien waren normal geformt und gut beweglich. Streng genommen war es für mich zwar möglich, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, die Wahrscheinlichkeit glich jedoch der eines Lottogewinns. Monatelang bedeutete jede Konfrontation mit dem Thema für mich eine Konfrontation mit meinem Versagen. Warum bekam ich nicht mal so etwas Simples hin, wie eine Frau zu schwängern?
Ich begann an meiner Männlichkeit zu zweifeln
Teenager, Rentner, Männer mit nur einem Hoden – sie und viele andere Personen konnten Kinder zeugen. Warum ich nicht? Seit ich die Pubertät hinter mir gelassen hatte, war ich mit meinem Körper größtenteils im Reinen gewesen. Jetzt empfand ich ihn als mangelhaft und hasste ihn in meinen dunkelsten Stunden sogar. Was war man als Mann überhaupt noch wert, wenn man sich nicht mal fortpflanzen, keine eigene Familie gründen konnte? Und warum identifizierte ich mich überhaupt mit einem so konservativen Männerbild?
Am Ende verkraftete unsere Beziehung die Hiobsbotschaft meiner Zeugungsunfähigkeit nicht. Agnieszka wollte unbedingt leibliche Kinder. Mit meinen Werten waren jedoch selbst die Erfolgsaussichten einer künstlichen Befruchtung gering. Ein Beratungsgespräch und meine Internetrecherchen ergaben zudem, dass viele Frauen durch die Hormonbehandlung in schwere Depressionen stürzen würden. In Foren tauschten sich Betroffene miteinander aus, die ihre gesamten Ersparnisse und ihre psychische Gesundheit geopfert, aber noch immer kein eigenes Kind hatten. Das Ganze wirkte wie ein riesiges Geschäft mit der Hoffnung – Kollateralschäden wurden dabei scheinbar billigend in Kauf genommen.
Nach einem halben Jahr voller gegenseitiger Schuldzuweisungen gingen meine Freundin und ich schließlich getrennte Wege. Auch wenn es keine schöne Zeit war, glich die Trennung einem Befreiungsschlag – endlich musste ich mich aufgrund meiner Zeugungsunfähigkeit nicht mehr wie ein Versager fühlen.
Ich begann mir einzureden, dass ich keine Kinder mehr wollte. »Was ist das nur, dass alle Menschen Mitte dreißig plötzlich Kinder bekommen müssen?«, pflichtete mir Ulrich – überzeugter Single – bei. »Warum kann man nicht andere Ziele haben? Chinesisch lernen zum Beispiel, eine Niere spenden. Oder den Motorradführerschein machen.« Wenn ich in dieser Phase Väter oder Mütter mit ihren Kindern im Supermarkt oder auf der Straße sah, kamen sie mir nicht mehr glücklich, sondern gereizt, übermüdet und abgekämpft vor. Warum sollte man sich diesen ganzen Stress überhaupt antun? Das Leben ohne Kinder hatte schließlich auch seine Vorteile.
Endlich ließ ich die Trauer einfach zu
Aller Selbstüberredungsversuche zum Trotz holten mich meine wahren Gefühle während eines Besuchs bei meinen Eltern ein. Ein altes Fotoalbum war mir zufällig in die Hände gefallen. Auf den Bildern strahlte ich als Baby mit ihnen, meinen Großeltern, Onkeln und Tanten um die Wette. Wenige Seiten später spielte ich schon mit Autos, baute Sandburgen, verkleidete mich als Hexe oder ließ Drachen steigen. In diesem Moment wehrte ich mich nicht länger gegen meinen Schmerz. Mit über den Kopf gezogener Bettdecke heulte ich mir die Seele aus dem Leib. Obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, würde ich niemals leibliche Kinder haben. Zu relativieren gab es da nichts. Es war einfach scheiße.
Wahrscheinlich war ich ab diesem Zeitpunkt für andere Lösungen bereit. Zurück in Berlin saß ich eines Abends nach einem Geschäftsessen in der U-Bahn. Der Akku meines Handys war leer und ich ließ meinen Blick schweifen, statt wie gewohnt auf den Bildschirm zu starren. Über den Haltestangen fiel mir eine Werbung auf: »Pflegeeltern dringend gesucht!« Zu Hause rief ich die angegebene Website auf. Auch gleichgeschlechtliche und queere Paare, Alleinerziehende oder Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft konnten ein Pflegekind bei sich aufnehmen, wenn sie individuell dafür geeignet waren. In meinem Kopf begann ein Plan zu reifen….“
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Für alle, die die ganze Geschichte lesen wollen, HIER könnt ihr das Buch bestellen
2 comments
Ich hab auch einen 2jährigen Noah aufgenommen 🙂 Der jetzt noch einen kleinen Pflegebruder dazu bekommen hat
Ich fand den Bericht super spannend und gut geschrieben und mir das Buch gerade gekauft. Bei 18€ musste ich aber ehrlich gesagt ziemlich schlucken…naja, aber mal schauen, vielleicht lohnt es sich.