Sexuelle Übergriffe: Der Onkel meines Mannes betatschte mich

sexuelle Übergriffe

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, wenn man sich die Statistiken anschaut, finden sexuelle Übergriffe meist im nahen, familiären Umfeld statt. Nur selten ist es der böse, fremde Mann – oft sind es Väter, Großväter, Onkel, Lehrer oder Trainer, die zum Täter werden. Vermeintliche Vertrauenspersonen. So war es auch bei Silke. Sie hat Erfahrungen gemacht, für die wir hier gern eine Triggerwarnung aussprechen möchten. Es wird in diesem Text um sexuelle Übergriffe gehen, wenn du dich grad nicht danach fühlst, klick am besten einfach weiter.

Bei Silke begannen die sexuellen Übergriffe im Alter von 17 und sie dauerten Jahre an. Der Täter war der Onkel ihres Freundes und späteren Mannes. Silke hat noch nie darüber gesprochen, bei uns hat sie sich nun alles von der Seele geschrieben. „Es tat gut, dass einmal niederzuschreiben und es nicht nur im Kopf mit sich herumzutragen…“, schrieb sie uns in der Mail. Wir danken dir für dein Vertrauen, liebe Silke.

Liebe Silke, du hast sexuelle Übergriffe durch ein angeheiratetes Familienmitglied erlebt. Wie alt warst du, als es begann und wer war der Täter?

Als ich 17 Jahre alt war, habe ich meinen heutigen Ehemann kennengelernt. Der Bruder seiner Mutter, also der Onkel meines Mannes, ist der Täter. Ihn habe ich etwa ein Jahr später kennengelernt, weil die Familie meines Mannes am anderen Ende von Deutschland wohnt. Ich war also knapp 18 Jahre alt, als die Übergriffe begannen.

Was genau ist passiert?

Wie schon gesagt, wohnt die Familie meines Mannes nicht um die Ecke. Für meinen Mann war ich die erste Freundin überhaupt, lange dachte die Familie, er sei schwul, weil er keine Freundin hatte. Ich war also eine kleine Sensation und die ganze Familie wollte mich kennenlernen. Als wir die Großeltern mütterlicherseits besuchten, war auch dieser Onkel anwesend.

Er war zu diesem Zeitpunkt Mitte oder Ende 30. Er begrüßte mich mit einer langen Umarmung, drückte sich sehr fest an sich und strich seine freie, den anderen Leuten abgewandte Hand, über meinen Rücken bis runter zu meinem Po. Als ich mich rauswinden wollte, packte er mich fester und raunte „Na, na…“ in mein Ohr. Ich fühle heute noch seinen Dreitagebart und den Atem an meinem Ohr. Mir war das super unangenehm, aber ich habe mich nicht getraut, was zu sagen.

Puh. Hat sich dieses Verhalten wiederholt?

Ja, so ging es jedes Mal, wenn wir zu Besuch waren. Dieses Ranziehen beim Begrüßen und Verabschieden, er wollte immer neben mir sitzen beim Essen. Manchmal wartete er vor der Toilette auf mich, ließ mich nicht durch, sodass ich mich vorbeidrücken müsste. Und immer dieses anzügliche Grinsen. In der Regel waren wir zwei- bis dreimal pro Jahr für zwei, drei Wochen dort zu Besuch.

Dann gab es einen besonders heftigen Vorfall…

Ja, es war der 70. Geburtstag des Opas, der groß in einer Wirtschaft gefeiert wurde. Ich war feierlich gekleidet, trug ein hübsches Kleid mit Ausschnitt. Der Onkel begrüßte mich auf die übliche Art, dieses Mal leckte er mich mit der Zunge hinter dem Ohr. Da wusste ich, dass es ein schlimmer Abend würde. Ich habe mich nicht mal alleine aufs Klo getraut, hing an meinem Mann und seinen Schwestern. Der Onkel hat mir ständig harten Alkohol hingestellt, den ich aber nicht getrunken habe.

Dann wurde getanzt. Ich wollte nicht, aber die Schwestern meines Mannes zogen mich auf die Tanzfläche. Natürlich kam der Onkel dazu. Erst tanzte er mit uns allen, dann irgendwann griff er mich und drückte mich in eine enge Tanzhaltung zum Discofox. Ich konnte alles spüren, seinen Schweiß, seinen heißen Atem, seinen steifen Penis. Es war widerlich.

Irgendwann konnte ich mich losreißen und bin auf die Toilette verschwunden. Er kam hinterher. Wartete, bis ich rauskam und griff mich dann von hinten, wollte mich auf die Herrentoilette ziehen. Zum ersten und leider auch einzigen Mal habe ich mich gewehrt, um mich getreten, ihm eine Kopfnuss verpasst und bin wieder in den Saal gerannt. Meinem Mann habe ich gesagt, dass mir nicht gut ist und ich nach Hause will. Von ihm kamen keine Fragen, warum es mir nicht gut gehe.

Wie ging es weiter?

Tatsächlich versuchte der Onkel über die Jahre immer weiter, mich alleine zu erwischen. Immer wieder bin ich gerade so davongekommen. Was für ein Glück im Nachhinein. 

Weniger wurden die Übergriffe erst, als ich meinen Mann geheiratet habe. Der Onkel war eingeladen zur Hochzeit, mein Mann wollte das gerne. Der Onkel forderte mich zum Tanz auf und da flüsterte er mir ins Ohr, wie schade es wäre, dass ich jetzt nicht mehr verfügbar sei. Dass er sich aber trotzdem immer vorstellen werde, wie er mich hart und wie ein echter Kerl nehme. Und wenn es mir mit meinem Mann, dem verkappten Homo, zu langweilig würde, stünde er jederzeit bereit. 

Die Hochzeit fand zehn Jahre nach seinem ersten Anfassen statt. Bei nachfolgenden Treffen „beließ“ er es bei langen Umarmungen und leisem Stöhnen in mein Ohr, manchmal rieb er auch kurz seinen Penis an mir. Ich habe es weiter stumm ertragen.

Das ist alles sehr heftig. War dir von Beginn an bewusst, dass das sexueller Missbrauch ist, was dir passiert?

Wirklich bewusst war mir das irgendwie nicht, es fühlte sich einfach unglaublich schlecht an. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich irgendwie schuld bin, weil ich halt große Brüste habe und die auch nicht versteckte. Und schließlich „gehört“ es sich ja auch so, dass sich Familienmitglieder umarmen zur Begrüßung. Der Täter musste auch gar nichts machen, um mich einzuschüchtern. Er hat vermutlich direkt bei der ersten Begegnung gemerkt, dass ich das perfekte Opfer bin, weil mir das alles unfassbar peinlich und unangenehm war und ich auch lange dachte, ich sei mit schuld.

Du hast dich aber dann deiner Schwiegermutter anvertraut…

Nach dem Vorfall beim 70. Geburtstag habe ich meiner Schwiegermutter, also der Schwester des Onkels, davon erzählt. Nicht alles, nur dass es mir unangenehm war, wie er mit mir tanzte und dass er sich dabei an mir gerieben hat. 

Wie hat sie reagiert?

Sie hat darüber gelacht und gemeint, das könne bei so einer Feier und mit etwas Alkohol schon passieren und ich solle doch froh sein, dass ich mit meinen jungen Jahren so einen alten Kerl noch beeindrucken könne. Und das Tanzen hätte mir doch auch Spaß gebracht, das hätte sie doch selbst gesehen. 

Wieso hast du deinem Mann nichts gesagt?

Nach der ersten Begegnung mit dem Onkel dachte ich noch, das wäre eine einmalige Sache gewesen und ich würde besser kein großes Ding draus machen. Schließlich hat der Onkel auch Frau und Kinder. Es war mir peinlich und unangenehm und ich wollte auch nicht „auffallen“ mit so einer Geschichte. 

Irgendwann kann das Gespräch aber mal auf sexuelle Belästigung im Alltag von Frauen. Das wollte ich zum Anlass nehmen und sagte ihm, dass wohl jede Frau schon mal mal sexuell belästigt wurde, ich auch. Da zog er die Augenbrauen hoch und sagte „Aha“ – das war´s. Danach hab ich ihm gegenüber nie wieder etwas gesagt.

Belastet diese Nicht-Reaktion eure Beziehung?

Interessante Frage tatsächlich. Lange Zeit hat es unsere Beziehung nicht beeinflusst, meine ich zumindest. Aber seit wir Kinder haben und mir die Widerlichkeit und alles, was da falschgelaufen ist, klar wird, desto schwieriger ist unsere Beziehung geworden, gerade in körperlicher Hinsicht. Es fällt mir schwer, seine Nähe anzunehmen. Wenn er mich mal an sich zieht und festhält, kann ich das nur schwer ertragen. 

Gerade meine Tochter brauchte und braucht noch viel Körperkontakt, oft fühle ich mich „overtouched“ und wenn er dann auch noch dazukommt, dann kann ich einfach nicht. Ich denke, ich werde das mit meinem Mann noch sehr offen besprechen müssen, gerade jetzt, wo unsere Liebesbeziehung quasi nicht mehr existiert. Er schiebt es aktuell immer noch auf den Stress und die Dauerbelastung durch den Spagat zwischen Arbeit und Familie/ Kinder. Das ist sicherlich auch ein Faktor, aber eben nur einer. Dass es da noch einen weiteren wesentlichen Faktor gibt, muss ich erst noch zur Sprache bringen. Wenn ich den Mut dazu gefasst habe. Überhaupt darüber zu sprechen, hat jetzt 20 Jahre gedauert. 

Der Onkel hatte dann einen Schlaganfall bekommen. Hat das was an deiner Situation geändert?

Der Schlaganfall ist erst wenige Jahre her und alle waren unglaublich bestürzt. Er war ja noch jung und dann sowas. Ich konnte tatsächlich nur denken: „Zum Glück ist es vorbei! Kein Betatschen, Stöhnen, Aushalten mehr.“ Ich war erleichtert. und dachte, dass das Karma nun endlich ordentlich zurückgeschlagen hat.

Siehst du den Täter heute noch und kannst du beschreiben, was in dir vorgeht?

Ja, ich sehe ihn heute auch noch, wenn auch deutlich weniger und auch „dank Corona“ nimmt man es mir nicht mehr übel, wenn ich zur Begrüßung und zum Abschied nur noch die Hand hebe.

Aber – erneut bei einer Familienfeier – kam er zu mir und drückte mich mit seinem noch funktionierenden Arm (er ist nach dem Schlaganfall noch teilweise gelähmt und beeinträchtigt beim Sprechen) an sich und raunte mir ins Ohr: „So schade“. Zuerst war ich erstarrt, konnte mich dann aber aus der Umarmung winden und gehen. Innen drinnen ist er also noch derselbe widerliche Kerl, nur bin ich mittlerweile körperlich überlegen. 

Wie fühlst du dich, wenn du auf diesen jahrelangen Missbrauch zurückschaust?

Schlecht, hilflos und ja, auch verständnislos. Meinem damaligen Ich würde ich am liebsten sagen, dass sie ihn anschreien soll, laut vor allen anderen. Ihn erniedrigen, so wie er mich erniedrigt hat. Aber dann kommt eine fiese kleine Stimme, die sagt „Du hast es aber auch zugelassen, sei einfach froh, dass du so dadurch gekommen bist, ohne Vergewaltigung“. 

Hast du dir externe Hilfe wie Therapie geholt?

Nein. Ich habe versucht, alles möglichst weit aus meinen Gedanken und meinem Leben zu schieben.

Nun hast du selbst Kinder…

Ja, und es ist für mich hart, wenn er da ist und meine Tochter auch. Ich wurde schon mehrfach komisch angeschaut, wenn ich sie von ihm weggenommen habe, wenn sie z.B. nebeneinander am Tisch sitzen oder ich sie mitnehme, wenn ich den Raum verlasse.

Ich konnte mich nicht schützen, aber meine Tochter werde ich beschützen, auch wenn der Preis das Zerwürfnis mit der Familie sein sollte. Ihm ist es natürlich auch aufgefallen und die Blicke, die ich dann bekomme, sprechen Bände. Aber ich habe den Eindruck, er weiß, dass ich mittlerweile handeln und sein Verhalten ans Licht bringen würde, sollte er sich ihr gegenüber auch nur annährend übergriffig verhalten. Und auch mir gegenüber ist er vorsichtiger und belässt es bei Blicken. Unwohl fühle ich mich aber immer noch in seiner Gegenwart. 

Wie geht es dir heute? 

Tatsächlich wird mir das Ausmaß und die Tragweite erst jetzt richtig bewusst, wo ich selbst Mutter einer Tochter bin. Ich habe auch noch einen Sohn, natürlich fühle ich mich ihm gegenüber genauso verantwortlich, aber mit meiner Tochter ist es einfach anders. Wahrscheinlich weil wir beide weiblich sind und es nun mal leider eher Frauen und Mädchen wie mir ergeht. 

Erst jetzt wird mir erst jetzt mit 39 Jahren bewusst, wie entsetzlich falsch das alles war, also sein Verhalten, aber auch das meiner Schwiegermutter, der ich mich anvertrauen wollte. Insgesamt ist das Verhältnis zur Familie meines Mannes angespannter geworden in den letzten Jahren, weil ich mich viel aus allem raushalte, nicht so oft zu den Feierlichkeiten gehe, meine Kinder davon fernhalte. Es hat also schon auch immer noch Einfluss auf mein jetziges Leben. Wird es wohl immer haben. 

Es geht mir soweit gut, ich verdränge viel und bislang mehr oder weniger erfolgreich. Ich schaue bei meinen Kindern sehr auf die sexuelle Erziehung, wie z.B. das richtige Benennen der Geschlechtsteile, was sind gute und was schlechte Geheimnisse, mein Körper gehört mir.  

Alles Dinge, die mir meine Eltern so nicht vermittelt haben. Und so hoffe ich, sie bestmöglich zu wappnen, damit sie sich sicher und selbstbewusst fühlen, laut und frühzeitig für sich einstehen und sich nicht alles gefallen lassen. Und dass sie sich an mich oder eine andere Vertrauensperson wenden können, die ihnen zur Seite steht. So wie ich es gebraucht hätte. 

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3 comments

  1. Du hast sehr mein Mitgefühl! Sei stolz auf Dich, dass Du dafür sorgst, dass die Geschichte sich nicht wiederholen wird. Man darf sehr stolz auf sich sein, im Hier und Heute sich wehren zu können, auch wenn man es früher vielleicht nicht so konnte. Das ist somit überwunden. Deine Schwiegermutter ist eine Versagerin. Der Onkel Deines Mannes ein Täter. Er hatte sicher noch andere Opfer. Er und Du sind zwei getrennte Welten. Vergiss das nie! Alles Gute für Deinen weiteren Weg!

  2. Ekelhaft, wie sich dieser Onkel verhalten hat und auch unmöglich, wie sich der Rest der Familie dazu verhält! Ich habe Ähnliches tatsächlich mit dem Onkel meines Mannes erlebt, habe ihm von Anfang an gesagt, dass er es lassen soll. Er hat es anfangs aber nicht aufhören wollen. Nachdem ich ihn mal alleine nach einer Feier heim fuhr und er mit bei Versagen meines Mannes seine Dienste anbot, sagte ich ihm, dass ich sein Verhalten auch seiner Frau gegenüber unmöglich finde! Auch meiner Schwiegermutter habe ich davon erzählt, ihre Schwester ist die Frau des Onkels, sie sprang mir bei weiteren Situationen zur Seite. Daher habe ich nun in der Verwandtschaft dort den Ruf Haare auf den Zähnen zu haben. Das ist mir egal!

  3. Ich finde es wie immer erschreckend, wie viele Menschen anwesend sind und doch „nichts merken“. Alles Verdrängung. Beim eigenen Mann und seiner Familie in dem Fall.
    Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht reicht, Geschlechtsteile zu benennen und zu reden mit Kindern.
    Viel wichtiger ist das eigene Verhalten. Kinder haben ein ganz feines Gespür und wenn sie merken, dass Mama (oder Papa) sich nicht wehren, übernehmen sie das, ohne genau zu wissen, worum es überhaupt geht.
    Wir Frauen (und Männer) müssen endlich für unsere Grenzen einstehen, sonst werden unsere Kinder in die gleichen Situationenkommen wie wir.
    Ich wünsche der Autorin des Interviews viel Kraft für die Zukunft

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