Ihr Lieben, wir dürfen den Druck aus der Sexualität nehmen, wenn wir Eltern werden, da steht das Bedürfnis nach Nähe vor dem nach Sex. Wie wir uns trotzdem auch im Bett wieder näherkommen, verrät uns heute Mama und Sexpertin Gianna Bacio.
Sie ist Sexualpädagogin, Podcasterin (Podcast Hot Stuff) und Autorin (Buch Love your sex) und klärt im Netz über Sexualität auf. Bei Instagram hat die nicht mal 40Jährige 134.000 FollowerInnen, bei TikTok knapp 700.000. Mit ihrem Programm Sexfluence füllt sie auf Tour die großen Säle, hat dabei aber nie die Bodenhaftung verloren, das macht sie aus. in jedem ihrer Videos und Auftritte wirkt sie einfach wie eine von uns. Gianna lebt in einer Partnerschaft, ist Mama und sagt: Guter Sex ist lernbar.
Hello 2025, let´s sex up our life! Liebe Gianna, wie können wir es in einer langjährigen Beziehung schaffen, step by step wieder ein bisschen frischen Wind ins Bett zu bringen?
1. Mehr Zärtlichkeiten und intime Momente im Alltag teilen, und zwar absichtslos. Das Ziel ist dabei nicht Sex, sondern es passiert einfach so und danach macht man weiter. Ja, ich betone das so, weil ich von vielen Frauen die Aussage kenne „Wenn er dann so macht oder mich so küsst, dann weiß ich schon, was kommt.“ Das kann Druck ausüben und den wollen wir ja unbedingt rauslassen.
2. Wenn man außerdem in regelmäßigen Abständen neue Dinge miteinander erlebt, stärkt das die Verbindung als Paar und man wird womöglich Seiten an der anderen Person erkennen, die man vorher noch nicht kannte. Womöglich verliebt man sich sogar neu in die andere Person.
3. Indem Paare sich bewusst Zeit füreinander nehmen, sei es wöchentlich für ein Date, alle paar Wochen für einen Kurztrip oder jährlich für eine größere Reise, wird sichergestellt, dass die Beziehung nicht durch den Alltagstrott vernachlässigt wird. Diese gemeinsame Zeit fördert die Bindung und das Verständnis füreinander.
Wie finden wir nach vielen Jahren des Vertrauens, aber vielleicht auch des Eingefahrenseins, Worte dafür, wenn wir uns vielleicht doch nochmal etwas Neues wünschen?
Ich empfehle gerne eine Gesprächsmethode von Michael Lukas Moeller und seiner Frau Celia Fatia. Es ist das sogenannte „Zwiegespräch„, bei dem zwei Personen im Wechsel aufeinander bezogene Gespräche führen. Jede Person berichtet dabei abwechselnd, wie sie sich selbst, die andere Person und die gemeinsame Beziehung erlebt. Ihr vereinbart also einen regelmäßigen Termin von sagen wir erstmal 60 Minuten.
Sucht euch einen ruhigen, ungestörten Ort dafür. Die ersten 10-15 Minuten spricht erst nur und ausschließlich die eine Person, danach wechselt man. Die andere Person hört nur und ausschließlich zu. Keine Reaktion, keine Fragen, keine Ratschläge… Am besten funktioniert das Zwiegespräch, wenn ihr dabei so konkret und detailliert wie möglich seid. Am besten einen Timer stellen, damit man wirklich die jeweiligen Zeiten einhält. Und nach dem Zwiegespräch wird auch weder nachkommentiert noch darüber gesprochen, sondern es wird erstmal ruhen gelassen.
Was passiert auf der sexuellen Ebene, wenn aus Verliebtheit Liebe wird?
Was am Anfang noch so läuft, ohne dass es irgendeiner Arbeit bedarf, regeln Hormone und das Fremdsein der anderen Person in der Verliebtheitsphase. Es heißt nicht umsonst Phase, denn irgendwann ist man nicht mehr auf Drogen, die sich Hormone nennen und irgendwann kennt man die andere Person vermeintlich in und auswendig. Bei den meisten Paaren dauert diese Phase zwischen 3-18 Monaten an. Danach kann die Phase der Liebe folgen.
Es ist zwar ebenfalls ein Gefühl, aber auch eine Entscheidung. In dieser Phase nimmt man die rosarote Brille ab und beginnt die andere Person so zu sehen, wie sie wirklich ist. Bei Vielen nimmt dann auch die sexuelle Anziehung ab und in den meisten Beziehungen nimmt die Häufigkeit von Sex ab. Das ist erstmal normal. Es bedarf jetzt dem aktiven Zutun und Engagement beider Beziehungspersonen, miteinander intim zu werden.
Wie können Paare damit umgehen, wenn einer oder eine öfter Lust hat als die oder der andere?
In den meisten Beziehungen ist das Bedürfnis nach Sex ungleich verteilt. Oft gibt es einen Partner oder eine Partnerin, die mehr Sex möchte als die andere Person. Ganz spannend dabei: Wir denken vielleicht, dass die Person, die mehr möchte auch die Macht darüber hat, wann Sex stattfindet usw. Aber de facto hat die Person, die weniger Lust hat, die Macht darüber, denn sie kann mit einem „Nein“ die Situation lenken, aber auch mit einem „Ja“.
Die Frage ist immer: Ist das ein Problem? Wenn beide damit tutti sind, alles gut. Wenn es jemanden stört, dann sollte man offen über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche sprechen. Und dann geht es letztlich ums Verhandeln. Wie können wir eine Situation schaffen, die für uns beide stimmig ist?
Welchen Einfluss hat das Kinderkriegen auf die Erotik? Wie schaffen wir den Spagat zwischen fürsorgendem Elternteil im Alltag und sexy Vamp in der Beziehung?
Bei fast allen Paaren, die Kinder bekommen, verändert sich das Sexleben und es wird in der Regel weniger Sex. Unterschiedliche Faktoren (Müdigkeit, Stress, Verteilung der Care-Arbeit…) können die Libido senken und es ist schlichtweg weniger Zeit und Raum für Intimität. Es ist erstmal normal, dass Sexualität in den Hintergrund rückt.
Wie wäre es, wenn wir das „weniger Sex“ nicht als „zu wenig“ zu betrachten, sondern als Ist und gucken, was uns jetzt gerade guttut. Ehrlich gesagt: Nicht Sex, sondern körperliche Nähe ist ein Grundbedürfnis. Wir alle wollen uns angenommen fühlen. In einer Beziehung dient das auch als Rückversicherung „Ja, wir gehören zusammen“. Wir sind nicht nur ein Elternteam, sondern auch ein Paar. Also vielleicht lieber Dinge als Paar finden, die guttun und den Fokus weg von „Sex“ hin zu „Verbindung“ lenken.
Welche Ideen hast du denn überhaupt für Eltern in Sachen Zeitfenster für die schönste Nebensache der Welt?
Regelmäßige Paardates vereinbaren. Das bedeutet: Kinderbetreuung organisieren. (Babysitter oder familiäres Netz anzapfen). Auch regelmäßig längere Auszeiten vereinbaren (z.B. Wellness-Wochenende). Aber man muss nicht unbedingt warten, bis die Kinder außer Haus sind. Man kann Paarzeit auch kommunizieren und ausleben (wenn die Kinder alt genug sind, das zu verstehen).
Regeln für Privatsphäre aufstellen: Es ist wichtig deutlich zu machen, dass bestimmte Räume private Bereiche sind und dass man dort klopft, bevor man hereinkommt. Und genauso wichtig ist es, auch klare Signale zu vereinbaren, wenn man nicht gestört werden möchte.
Was sollten Mütter und Väter ihren Töchtern und was ihren Söhnen in Sachen Sexualität mit auf den Weg geben?
Als leuchtendes Vorbild vorausgehen und durch das eigene Verhalten den Respekt vor Privatsphäre vorleben. Kinder lernen schließlich durch Beobachten. Auch die Eltern sollten die Privatsphäre von ihren Kindern respektieren, denn Kinder haben das Recht auf Alleinsein und nicht gestört werden. Selbst auch an Regeln wie „Immer anklopfen und Herein abwarten“ halten. Abschließen sollte – wenn – allen erlaubt sein. Man sollte sich aber auch nicht abschotten oder nur bekleidet zeigen. Ich finde es auch wichtig, Nacktheit als etwas Normales zu zeigen.
Wie offen sollten Eltern gegenüber Teenies schlüpfrige Themen ansprechen – oder sollten sie sich lieber fragen lassen?
Meiner Meinung nach braucht es nicht das „große Aufklärungsgespräch“, sondern man lebt ja ohnehin Beziehung und Sexualität vor und im Idealfall wird man gefragt und kann dann Antworten geben. Sexualität kann man kindgerecht erklären: „Mama und Papa lieben sich und Erwachsene zeigen sich das auch, indem sie sich körperlich nahekommen. Das ist ganz normal und du musst dir keine Sorgen machen.“
Kinder sollten sich mit ihren Fragen und Verunsicherungen ernstgenommen fühlen. Man sollte aufrichtig antworten, auch wenn es einem selbst unangenehm ist. Das ist wichtig für die sexuelle Entwicklung von Kindern. Pro-Tipp: Es gibt so tolle Aufklärungsliteratur für Kinder. Einfach mal ein paar unterschiedliche Bücher zulegen und dann gemeinsam lesen.
Wie findet deine Familie, dass du im Netz als Sexpertin so offen Sextipps gibst?
Haha, ich hab es ihnen die ersten Jahre gar nicht erst erzählt. Dann als sie es wussten, waren die Reaktionen unterschiedlich: Meine Mutter, die da wesentlich offener ist, findet es lustig und gut, was ich beruflich mache. Mein Vater ist konservativer und ich glaube, wenn er die Wahl hätte, würde er sich einen „seriöseren“ Beruf für seine Tochter wünschen. Tja sorry not sorry, Papa!
Was möchtest du allen Eltern noch mit auf den Weg geben, deren Kinder jetzt größer werden und die deswegen nun endlich wieder ein bisschen mehr Zeit für Zweisamkeit haben…?
Sexualität ist wie ein Muskel, der trainiert werden darf. Wenn ihr jetzt das Gefühl habt, einen verkümmerten Muskel zu haben und raus zu sein, möchte ich euch Mut und Lust machen. Alles kann wiederbelebt werden. Orientiert euch dabei immer am roten Faden „Wonach ist mir, worauf habe ich jetzt gerade Lust?“. Es ist total normal, dass sich Sex im Laufe der Zeit verändert, weiterentwickelt. Vielleicht merkt ihr, dass ihr mittlerweile auf eine ganz andere Art erfüllenden Sex zusammen habt, als noch vor einigen Jahren…
13 comments
@Lena: das Thema entspannt anzugehen und im vertrauensvollen Gespräch eine für beide Hälften zufriedenstellende Lösung zu finden, halte ich für genau den richtigen Weg. Ob das allerdings noch möglich und überhaupt gewollt ist, wenn man in den Kategorien „sexuelle Gewalt“ und „nerven“ von seinem Partner denkt und spricht, wage ich zu bezweifeln. Da scheint doch partnerschaftlich mehr im argen zu liegen als „nur“ die Sexualiät.
Das stimmt wohl. Es gibt übrigens auch eine interessante Studie die zeigt dass Partner mit einem “gesunden” Sexleben auch Wertschätzender und liebevoller übereinander denken und sprechen als diejenigen, die sich körperlich voneinander entfremdet haben. Konnte ich phasenweise auch an mir selbst beobachten. Sicherlich ein Teufelskreis, wenn man nicht aktiv gegensteuert. Das nur am Rande 🙂
sehe es anders. Der, der Sex will, hat definitiv die Macht. Ein Nein wird von vielen Männern nämlich nicht akzeptiert….definitiv sexuelle Gewalt, durch ständiges Nachfragen und nerven
@Katrin: meinst du wirklich, was du da schreibst und vorwirfst? Ein nein nicht zu akzeptieren bedeutet Vergewaltigung. Sexuelle Gewalt durch nerven? Dünnes Eis und für mich anmaßend und überzogen
P.S.: wenn man es als „sexuelle Gewalt“ empfindet, wenn ein Partner ein Bedürfnis äußert (das ja wohl mal beide hatten) dann ist zu dem Thema wohl alles gesagt
Aber wenn es so läuft in meiner Beziehung, dann braucht es doch mehr, als ein paar Sextipps. Das ist ein Trennungsgrund oder zumindest Anlass für tiefgreifende Veränderungen in der Beziehung.
@Tamara: Definitiv
Ich glaube es gibt da auch noch einige Schattierungen zwischen “ein Bedürfnis äußern” und sexuelle Gewalt, und das Empfinden darüber ist nun mal auch sehr subjektiv. Finde es legitim, was Katrin hier anspricht, denn viele Frauen fühlen sich nun mal auch in Partnerschaften zum Sex “verpflichtet”, mE auch weil zu wenig Bewusstsein darüber herrscht, dass sich die Wünsche im Bett durch Elternschaft und alles was damit einhergeht verändern, und nicht unbedingt die einzelne Frau mit ihrer veränderten Libido das Problem ist. Als ich das verstanden habe, ist eine Menge Druck und Frust von mir abgefallen und ich konnte das Thema mit meinem Partner wieder ganz neu angehen, ohne Schuldgefühle und “was stimmt nicht mit mir…”-Denke. Liebe Katrin, ich wünsche dir, dass du mit deinem Partner einen Weg findest, der eurer beiden Bedürfnisse berücksichtigt!
Moin,
Als wir noch keine Möglichkeit hatten, außerhalb des Hauses ohne Kinder aktiv zu werden, weil die Kinder zu klein waren für Babysitter, haben wir an einem festen Abend der Woche (meist am Wochenende) ein „Zu Hause Date“ gehabt. Wir haben uns, als die Kinder im Bett waren (wie gesagt, sie waren da im Baby und Kleinkind Alter) ganz gemütlich was Leckeres gekocht und nett zusammen am Tisch gegessen. Ohne Handy und Fernseher.
Das ist natürlich nicht das gleiche, als ob man in ein Restaurant geht. Aber man hat mal Zeit, sich in Ruhe zu unterhalten. Ganz bewusst terminiert und ohne Kinder. Das half ein wenig, wieder mental zusammen zu kommen und nicht nur Alltagsgespräche über „Wer macht wann was“ zu führen.
Viele Grüße
Stiefelkind
Vielen Dank für das entspannte Interview! Mich würde es total freuen, wenn hier noch ein paar konkrete Tipps für tolle Aufklärungsliteratur für Kinder geschrieben werden. Vielleicht hat jemand Buchenpfehlungen!? 🙂 Danke schonmal!
Finde die Tips auch relativ nichtssagend. Aber den Hinweis, dass bei dem Partner, der weniger/gar nicht möchte, die Macht liegt.
P.S.: reiche ein „wichtig“ nach 🙂
Ich finde das ja ein wichtiges Thema, aber solche Tipps wie wöchentliche Dates, alle paar Wochen einen Kurztrip und einmal im Jahr einen Urlaub, schaffen doch wieder Druck. Wir konnten in zehn Jahren Elternschaft zweimal für einen Kurztrip am Wochenende wegfahren, weil die Großeltern die Kinder nicht über mehr als eine Nacht nehmen wollten und auch weil wir auch nicht Geld für mehrere Kurztrips und noch einen Familienurlaub haben. Wir können uns auch nicht jede Woche für zwei, drei Stunden einen Babysitter leisten. In unserem Bekanntenkreis gibt es mehrere Familien, denen es ähnlich geht.
Schön wären ja mal mehr Tipps wie Zweisamkeit funktionieren kann, ohne so viel Geld in Urlaube und Babysitter investieren zu müssen.