Schulangst besiegt: Mein Kind geht wieder zum Unterricht

Schulangst

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Ihr Lieben, wir freuen uns ja immer, wenn wir euch Updates geben können. Vor zwei Jahren haben wir mit Katja zum Thema Schulangst gesprochen, denn ihr damals elfjähriges Kind weigerte sich nach dem Corona-Lockdown in die Schule zu gehen (HIER könnt ihr alles nachlesen). Wir haben mal nachgefragt, wie es dem Kind und der Familie heute geht.

Liebe Katja, unser letztes Gespräch ist 2 Jahre her. Damals ging dein Kind wegen Schulangst nicht in die Schule und hatte gerade einen Platz bei einer Therapeutin. Wie ist der Stand heute und was hat sich seitdem alles getan?

In den letzten zwei Jahren hat sich tatsächlich sehr viel getan. Es war ein Auf und Ab. Vor zwei Jahren hatten wir eine gute Therapeutin gefunden, die sich auch der Schule gegenüber sehr für unser Kind eingesetzt hat. So wurde es zum Beispiel in die nächste Klasse mitgenommen, obwohl es gar nicht versetzt werden konnte – so hoch waren die Fehltage, dass keine schulische Bewertung möglich war.

Im nächsten Schuljahr hat es eine neue beste Freundschaft gefunden, die gut getan hat. Die neue beste Freundschaft hat mein Kind wieder in die Schule und auch mit auf Klassenfahrt bekommen. Leider entwickelte sich dann langsam eine Art Abhängigkeit, wenn die Freundschaft aufgrund Krankheit nicht in der Schule war, konnte mein Kind auch nicht gehen.

Die zweite Fremdsprache wurde eingeführt und da diese meinem Kind nicht gleich zuflog, entwickelte mein Kind Ängste vor der Sprache, vielleicht waren es Versagensängste, so genau haben wir es nicht herausgefunden. Es verweigerte also den Unterricht der zweiten Fremdsprache, was gemeinsam mit einem anderen Nebenfach zu zwei Fünfen auf dem Zeugnis führte – mein Kind blieb sitzen. Auch ein Ausgleich von mindestens einer Fünf wurde von der Schule nicht akzeptiert – zu groß war die Wissenslücke in der Fremdsprache.

Mein Kind musste also die Klasse wiederholen und ist nun zwei Jahre älter als die Klassenkamerad*innen. Dies führte ganz schnell zu einer erneuten Verweigerungshaltung und dieses Mal war es ernster als zuvor.

Puh, das hört sich sehr herausfordernd an…

In der Zwischenzeit hatten wir uns weitere Hilfe geholt: wir haben beim Jugendamt Hilfe zur Erziehung beantragt und auch bewilligt bekommen. Zwei Hilfeerbringer*innen sind seitdem bei uns in der Familie – eine Person für das Kind, die andere Person für uns Eltern. Hilfeerbringer sind keine Therapeuten, sondern z.B. Sozialpädagog*innen, die noch einmal anders auf die Familie schauen. Gemeinsam mit der zuständigen Bearbeiterin vom Jugendamt, den Hilfeerbringern sowie einer neuen Therapeutin konnten wir das Kind überzeugen, es erneut in einer Klinik anzumelden.

Nach Platzzusage und einem kurzzeitigen Einzug in die Klinik hat unser Kind allerdings die Mitarbeit verweigert und ist wieder nach Hause gezogen. Daraufhin wurde der Druck weiter erhöht, diesmal zusätzlich von schulischer Seite: wir Eltern dürfen unser Kind nicht mehr in der Schule entschuldigen. Wenn es also krank ist, müssen wir zum Kinderarzt, der das Kind krankschreibt. Dies mussten wir dann auch ein paar Mal machen – mit Kopf- oder Bauchschmerzen in einer vollen Kinderarztpraxis warten, ist unangenehm. Vor allem sind dies Sachen, die zunächst auch mit einem Schmerzmittel oder Iberogast o.ä. gemindert werden können.

Tatsächlich haben die paar Kinderarztbesuche für diese „Kleinigkeiten“ unser Kind so abgeschreckt, dass es wohl den Nutzfaktor abgewogen hat und zum Schluss gekommen ist, dass es sich nicht lohnt, mit „lapidaren Krankheiten“ zu Hause zu bleiben. Somit geht unser Kind seit vier Monaten wieder regelmäßig zur Schule. Es hat den Unterrichtsstoff so gut aufgeholt, dass es sehr gute Leistungen nach Hause bringt. Wir hoffen alle, dass die Situation nun so bleibt.

Um unserem Kind noch ein wenig entgegenzukommen und den schulischen Druck etwas zu mindern, haben wir Eltern in der Schule einen Nachteilsausgleich aufgrund „seelischer Behinderung“ gestellt und auch bewilligt bekommen. So muss sich unser Kind z.B. nicht so viel melden und schriftliche Leistungen werden stärker gewichtet als mündliche. Noch kann sich unser Kind auf diesem Nachteilsausgleich etwas ausruhen, aber vielleicht im nächsten Schuljahr versuchen wir, dass es auch ohne Nachteilsausgleich im Unterricht mitmachen kann – wie die anderen „normalen“ Schüler auch.

Vor zwei Jahren ging es dir auch als Mutter nicht gut. Wie geht es dir heute?

Jetzt geht es mir sehr gut – eine ganz große Last ist von meinen Schultern gefallen. Ich musste aber auch lernen, dass ich nicht so mitschwingen darf. Dass ich nicht in Euphorie fallen darf, wenn mein Kind mal in die Schule geht, und wenn es am nächsten Tag den Besuch verweigert, in ein tiefes Loch falle. Dies ist mir dann auch die meiste Zeit gut gelungen. Es ist das Leben meines Kindes, das ich nicht führe.

Ich kann meinem Kind nur den Rücken stärken, aber ich kann nicht für mein Kind in die Schule gehen. Das muss es selbst machen. Als ich das akzeptieren konnte, ging es mir besser. 

Was haben diese Herausforderungen mit euch als Paar gemacht? 

Als Paar haben wir die Herausforderungen gut gemeistert. Das Wichtigste ist, über alles zu sprechen, die Strategien gemeinsam zu überlegen und auszuführen. Wenn nur ein Elternteil sich um alles kümmert, geht es kaputt. Dann kann auch eine Beziehung daran kaputt gehen. 

Rückblickend: Was oder welche Strategie hat euch am besten im Umgang mit dem Kind geholfen? 

Tatsächlich hat der Druck, den wir von allen Seiten bekommen haben, am besten geholfen. Die Arztbesuche wurden uns auferlegt, dies mussten wir unserem Kind so weitergeben. Unentschuldigtes Fehlen führt irgendwann zu einer Ordnungswidrigkeitsanzeige und folglich zu einer Strafe. Bei Kindern unter 14 Jahren werden die Eltern finanziell belangt, ab 14 Jahren müssen die Jugendlichen selbst die Strafe bezahlen – meist in Form von Arbeits- oder Sozialstunden.

Dies wurde unserem Kind sehr deutlich gemacht – und wahrscheinlich war es dieser große Druck, der unser Kind hat abwägen lassen, was besser ist: Schulverweigerung mit den beschriebenen Konsequenzen oder die Zähne zusammenbeißen und es „einfach durchziehen“. Zum Glück hat es sich für die zweite Variante entschieden. 

Und welche Ratschläge oder Maßnahmen waren nicht gut für euch?

Ratschläge aus dem persönlichen Umfeld: „Ich würde mein Kind ja mit Gewalt in die Schule schleifen.“ „Es muss doch einfach hingehen – wo ist das Problem?“ Das Unverständnis für die Situation. Dass wir uns immer rechtfertigen mussten. Dass nicht akzeptiert werden konnte, dass unser Kind ein psychisches Problem hat. 

Was du manchmal Angst davor, wie euer Kind in der Erwachsenen- und Arbeitswelt bestehen wird? Was wünscht du dir am meisten?

Mittlerweile bin ich guter Dinge, dass mein Kind das Leben bewältigen kann. Das Gute ist, dass die Schüler nach der neunten bzw. zehnten Klasse so viel machen können. Sie müssen nicht auf dem Gymnasium bleiben, das Abitur machen und studieren. Sie können auf verschiedene Berufsschulen gehen, sie können eine Ausbildung in einem Bereich machen, der sie interessiert. Sie können ihr Fachabi auf einem Fachgymnasium machen. Sie können nach der zehnten Klasse auch erst einmal ein Jahr Bundesfreiwilligendienst absolvieren oder verschiedene Praktika ausprobieren. 

Mein Kind wird schon etwas das Richtige finden und auch machen, davon bin ich überzeugt. Und bis dahin werde ich mein Kind unterstützen, wo ich nur kann. Und solange wie mein Kind es zulässt.

Welche Tipps hast du für andere Eltern?

Vernetzt euch. Sucht euch andere Familien, die vielleicht ähnliche Probleme haben. Ihr seid nicht alleine, euer Kind ist nicht das einzige Kind auf der Welt, das Angst vor der Schule oder andere psychische Probleme hat. Sucht euch andere Eltern, um euch auch mal auszusprechen, ohne Lösungsvorschläge zu erwarten.

Fragt die Schulen an, ob sie Kontakte von anderen Eltern herausgeben dürfen. Holt euch Hilfe beim Jugendamt – es ist kein Zeichen von Schwäche oder zeugt von Erziehungsfehlern, sich Hilfe von Externen zu holen. Sprecht offen mit anderen über die Probleme und versteckt euch nicht. Nur wer offen über die Probleme spricht, kann Verständnis für die Situation bekommen. Das Buch von Hendrik von Drachenfels hat mir gut geholfen und ich empfehle es auch allen weiter. Hier wird diese Situation aus Schülersicht beschrieben – total gut. 

Seid geduldig mit euch selbst. Es wird keine Lösung von heute auf morgen geben. Das Kind ist langsam in diese Spirale reingerutscht und genau so langsam wird es auch wieder rauskommen. Aber irgendwann wird es das auch geschafft haben.

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6 comments

  1. Ich kann Vieles aus dem Bericht so gut nachvollziehen und freu mich, dass ihr es geschafft habt aus dieser Spirale herauszukommen. Wir stecken momentan zum zweiten Mal darin fest, aber bei meinen Jungs hat Druck die Spirale eher noch angeheizt. Mein älterer Sohn entwickelte im 6. Schuljahr auf dem Gymnasium eine Schulangst, die nicht greifbar war. Ihm war einfach alles zu viel. Wir haben ihn dann nach der 6. Klasse auf die Realschule wechseln lassen um Druck rauszunehmen. Da lief es bis Ende der 7. Klasse auch gut, bis der totale Breakdown kam. Wir haben daraufhin eine Schulpsychologin kontaktiert, die wirklich hilfreich war. Sie hat mit uns, unserem Sohn und der Schule mehrmals gesprochen. Die Schule hat daraufhin die Fehlzeiten nie bemängelt und von einer Attestpflicht abgesehen, so lange unser Sohn in einer Art Therapie war. Das Ganze zog sich tatsächlich durch die 8. und 9. Klasse und seit dem 10. Schuljahr hat sich bei unserem Sohn ein Hebel umgelegt und er geht nun regelmäßig und ohne Angst in die Schule.
    Dafür zieht momentan unser jüngerer Sohn nach. Er hat im letzten Halbjahr eine Schulangst entwickelt, aber u.a. auch wegen leichtem Mobbing. Da sein Gymnasium nur wenig entgegenkommend ist, wird er im Sommer auch auf die Realschule wechseln, von der wir ja bereits wissen, dass sie eher die Füße stillhält was die Fehlzeiten angeht. Und auch die Schulpsychologin haben wir wieder mit ins Boot geholt und hoffen, dass sich unser jüngerer Sohn schneller aus der Spirale befreien kann.

  2. Für diesen Bericht wäre die Angabe einer Diagnose bzw. Verdachtsdiagnose sicher von Vorteil gewesen. Als Mutter eines autistischen Kindes finde ich diese Zeilen eher etwas befremdlich. Es wurde von einer seelischen Behinderung gesprochen, diese umfasst ja ein sehr weites Feld- Ängste, Phobien, Depression, ADHS, Autismus usw. und nicht alle dieser Felder können über Druck auf das Kind gelöst werden.
    Unsere Geschichte ist relativ ähnlich und mein Kind wurde auch über Jahre wegen der Ängste therapiert, es zeigte sich aber keine nachhaltige Besserung. Erst als wir vor Kurzem die Asperger Diagnose bekamen, konnten wir die Dinge besser zuordnen. Die Kinder können im Alltag wahnsinnig gut maskieren, sie wollen in der Schule nicht auffallen, möchten „normal“ wirken. Irgendwann werden die Anforderungen aber so groß, dass sie damit überfordert sind. Mit Anforderungen meine ich nicht nur den rein schulischen Bereich, sondern auch die andere Wahrnehmung von Autisten, sei es Lautstärke, Licht oder auch soziale Interaktionen. Die Verweigerungshaltung und auch die somatischen Beschwerden sind hier ein Ausdruck von Überforderung und somit wäre ein Druck von außen komplett kontraproduktiv.
    Leider wird das Problem auch in den Schulen und Ämtern noch zu wenig gesehen, man wird gezwungen, diese Kinder in die Norm zu pressen und viele landen spätestens in der Pubertät im Burnout und es geht gar nichts mehr.
    Deswegen finde ich es enorm wichtig, eine qualifizierte Diagnose anzustreben- nicht alles kann mit Druck gelöst werden.
    Alles Gute für die Familie!

  3. Hallo, ich habe beim lesen förmlich mitgelitten. Wenn man es sich mal ganz abstrakt ansieht, ist es ja so, dass wir als Eltern verpflichtet sind unsere Kinder täglich in die Schule zu bringen bzw. auf den Weg dorthin zu schicken. Was aber, wenn die Kinder in der Schule angeschrien werden, ihnen Lüge unterstellt wird, obwohl sie die Wahrheit sagen, Lehrer am Limit sind und das an den Kindern auslassen, da fiel es mir als Mutter schon schwer bestärkende Worte zu finden das Kind auf den Weg zu bringen. Und seien wir ehrlich, oft hilft auch nicht das Gespräch mit den Lehrkräften zu suchen, da diese selber heillos überfordert oder überlastet sind. Sie sind ja nur ein Symptom dessen, was da schief läuft im System Schule, sie bekommen selber viel zu wenig Unterstützung müssen Klassen mit 28 oder mehr Kindern, wovon etliche individuelle Förderung brauch, im Zaum halten und ja den Kindern eigentlich etwas beibringen. Es fehlt an ausreichend Lehrkräften und Sozialarbeitern um wirklich allen Kindern zu werden. Denn machen wir uns nichts vor, wenn in einer Klasse ein paar Kinder sind, die den Unterricht fast unmöglich machen, leiden alle mit! Und da muss man dann sein Kind täglich ermutigen hin zu gehen! Das ist schon eine harte Schule fürs Leben! Ich bin froh, dass diese Zeit hinter uns liegt!

  4. Hallo zusammen, die Lösung dieses Fall zeigt mir aber auch deutlich, dass man mit konsequenter Haltung auch oft viel erreichen kann. Man muss das Kind nicht mit Gewalt in die Schule schleppen, aber von Anfang an!!, bevor sich noch die Spirale ausweitet, wenn klar ist , dass es sich um reine Ängste handelt , doch deutlich machen, dass es nicht einfach wegen jedem Ziehen im Bauch und Kopfschmerz daheim bleiben kann , sondern das Leben erfordert , sich auch mal unangenehmen Situationen zu stellen und durchzuziehen. Dann erhält man irgendwann Resilienz. Merkt jeden Tag dass es leichter geht. Kein leichter Weg, ist mir klar und als Mama leidet man so unglaublich mit. Aber ich bin sehr froh, dass wir unserer 10 jährigen, die in der bayrischen Übertrittsphase der 4ten Klasse auch sehr zu kämpfen hatte es nur eine!! Woche erlaubt haben mit Bauchschmerzen und leichter Panik daheim zu bleiben. Danach musste sie gehen. Proben nachschreiben. Mit viel Unterstützung jeden Morgen – wir haben lustige Videos angeschaut, ein bisschen Sport gemacht, viel umarmt, mit der Lehrerin gesprochen, ein paarmal auf Abruf daheim gewartet, einmal in der Schule aufgetaucht und dort bestärkt zu bleiben… Aber sie hat es sehr schnell gemerkt, dass es besser wird. Nun taucht es auch noch hin und wieder vor Proben auf aber es lässt sich jedes Mal in Griff kriegen.
    Ich war oft davor sie oder auch mich bei einer Therapie anzumelden, bin aber nun doch sehr froh es einfach mit Konsequenz abgefangen zu haben. Mal sehen wie es in der richtigen Pubertät wird…ich hoffe sie bleibt stabil!

    1. Eine Phobie ist eine Krankheit, eine Depression ist eine Krankheit und die Bauch- oder Kopfschmerzen sind real, auch wenn der Grund psychisch ist. Es geht dann eben nicht unbedingt leichter, wenn man es probiert.
      „Durchgreifen“, „Konsequenz“, also auf gut Deutsch Zwang, hilft da nicht unbedingt. Lieber darf mein Kind zuhause bleiben als dass es heimlich schwänzt.
      Schön, dass es bei euch schnell besser wurde. Aber wenn es nicht klappt, sind NICHT die Eltern schuld, weil sie nicht „konsequent“ genug waren.

  5. Toller Bericht und eine tolle Entwicklung für euch alle.
    Wir waren vor zwei Jahren in einer ähnlichen Situation, aber nicht so krass und auch wesentlich kürzer. Eine schreckliche Zeit für alle Familienmitglieder.
    Alles Gute für euch

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