Ihr Lieben, Hendrik von Drachenfels war selbst früher Schulverweigerer und arbeitet heut als Grundschullehrer. Nun bringt er mit seinem Buch „Irgendwas in mir“ den ersten Roman zum Thema Schulangst und Schulabsentismus auf den Markt. Und dabei steckt sehr sehr viel Hendrik in der Hauptfigur namens Hugo… Hier erzählt er vor allem seine eigene Geschichte und was ihm raushalf aus der Angst.
Lieber Hendrik, du bist Grundschullehrer, hast aber selbst früher unter Schulangst gelitten. Wie passt das zusammen?
Ich habe mich mit meinen (Schul-) Ängsten auseinandergesetzt und diese umgemünzt in einen Kampf gegen sie. Ich bin dafür angetreten, dass Kinder möglichst angstfrei lernen können. Ich bin dafür angetreten, dass Schule ein Ort sein kann, an dem man sich gerne aufhält. Die Grundschule legt die Basis für einen langen Weg durch das Bildungssystem. Die doppelte Expertise, einerseits selbst eine schwere Schulzeit gehabt zu haben und andererseits nun Lehrer und Gestalter von Bildung zu sein, hilft mir bei dieser Herausforderung.

Erzählst du deinen Schülerinnen und Schülern über deine eigene Schulangst?
Grundsätzlich gehe ich erst einmal in meinem unmittelbaren Umfeld nicht offensiv damit hausieren, dass ich ein Buch geschrieben habe oder einmal unter Schulangst gelitten habe. Aber klar, ich bin natürlich sensibler für das Thema als andere und kann bei Anzeichen von Schulangst, auch durch meine eigenen Erfahrungen, reagieren und helfen. In solchen Fällen teile ich dann gerne meine Geschichte, da sie ja von Erfolg geprägt war.
Wie war das damals bei dir, wie alt warst du, als es losging und kannst du dich an deine Gefühle erinnern und wie hast du darauf reagiert?
Ich war 13, als mir, von einem Moment auf den anderen, im Klassenraum schlecht wurde. Ich kann nicht sagen, ob es eine physische oder psychische Ursache für diese Übelkeit gab. Ich bat meine Lehrerin jedenfalls, auf Toilette gehen zu dürfen. Das erlaubte sie mir nicht. Diese Situation, mit meiner Übelkeit im Klassenraum eingesperrt zu sein, führte dann dazu, dass ich nach Ende der Stunde aus der Schule weglief und insgesamt fast ein Jahr lang nicht wiederkam. Heute weiß ich, dass dieser Moment nur das Ventil war, für vieles was in mir und um mich herum nicht stimmte.
Du warst lange zu Hause dann, hast du viel Unterrichtsstoff verpasst? Und wie gingen deine Eltern damit um, reagierten sie verständnisvoll? Fragen? Verunsichert? Mit Druck?
Ich lebte bei meiner Mutter. Es war ein Auf und Ab. Sie reagierte einerseits mit Verständnis und Geduld. Sie holte uns alle Hilfe, die wir kriegen konnten. Und natürlich gab es auch Momente tiefster Verzweiflung und Überforderung, die ich dann auch mal abbekam. Für sie war es auch ein langer Lernprozess. Wir fühlten uns damals sehr allein. Ich dachte, ich wäre das einzige Kind auf der ganzen Welt mit Schulangst. Meine Mutter dachte sicherlich so etwas ähnliches. Trotz allem hat sie mich mit Liebe und Rücksicht begleitet. Ohne den sicheren Hafen, den sie mir geboten hat, hätte ich die Schulangst vielleicht nicht besiegt.
Wie hast du dann den Wiedereinstieg geschafft?
Einerseits habe ich eine Psychotherapie gemacht, die sicherlich einiges bewirkt hat. Der endgültige Erfolg kam aber erst mit einem tollen Schulbegleiter, der mich mit einer guten Mischung aus Konfrontation mit der Angst und Verständnis für meine ständigen Rückschläge langsam wieder Richtung Klassenzimmer gebracht hat.
Du sagst, es gibt viel Unsicherheit zum Themas Schulabsentismus und viel Redebedarf. Welchen?
Ich würde mal behaupten, dass immer noch viel zu viele Kinder und Jugendliche sowie Eltern denken, sie seien mit diesem Thema allein auf der Welt. Das ist allerdings mitnichten der Fall. Die Zahlen von Schulangst sind erschreckend hoch. Ich selbst habe in meinem noch nicht lange zurückliegenden Lehramtsstudium wenig bis gar nichts über das Thema gelernt. Dementsprechend wenig Sensibilität herrscht unter den Lehrer*innen. Auch wenn ich mit Schulbegleiter*innen spreche, spüre ich eine große Verunsicherung. Möglichst alle Beteiligten des Bildungssystems sollten über dieses Thema Bescheid wissen, auch um frühzeitig reagieren zu können.
Du hast nun einen Roman zum Thema geschrieben, er heißt „Irgendwas in mir“ – um was geht es darin?

In „Irgendwas in mir“ geht es um Hugo, einen 13-jährigen, der von heute auf morgen nicht mehr zu Schule gehen kann. Ängste bestimmen seinen Alltag. Zwischen den Stühlen seiner geschiedenen sucht er sich und seine Identität und findet Ullrich Lichte, einen Schulbegleiter, der ihn wieder in die Normalität zurückführen soll. Doch Hugos Angst und sein Misstrauen, den meisten Männern gegenüber, bilden eine heikle Ausgangslage für dieses Unterfangen. „Irgendwas in mir“ ist nicht nur ein Roman über die frühe Jugend, sondern auch darüber, wie Erwachsene sie prägen.
Wie viel von dir steckt denn da in diesem Hugo? Welche Parallelen gibt es?
Der wesentliche Kern dieses Romans ist die Erfolgsgeschichte meines Schulbegleiters, meiner Therapeutin, meiner Mutter und mir. Hugo ist somit sehr sehr nah an Hendrik dran.
Möchtest du allen, die grad mit dem Thema Schulangst zu tun haben, noch etwas zurufen?
Ich möchte ihnen zurufen, dass ich am Abgrund war, keinen Ausweg mehr gesehen habe vor lauter Schulangst. Und trotzdem habe ich mein Abitur geschafft und stehe nun selbst als Lehrer im Klassenzimmer. Ich halte mittlerweile Lesungen und Vorträge, in denen ich offen über meine Schulangst spreche. Das Mantra meines Schulbegleiters bleibt unvergessen: Stück für Stück der Angst entgegen.
Je weiter man sich von der Angst entfernt, desto größter wird sie. Alle Kinder und Jugendliche müssen zunächst der Angst entgegen gehen (in Schritten, die zumutbar sind), sich ihr stellen. Das Verpassen von Schulstoff muss dabei zweitrangig sein. Das ist etwas, was nachgeholt werden kann. Dabei wird es immer wieder Rückschläge geben. Doch die kleinen Erfolge sind es, die gesehen werden müssen: Das können 20 Meter weiter auf dem Schulweg sein.
Nebenbei muss die Angst ergründet werden. Woher kommt sie? Liegt die Ursache wirklich in der Schule oder vielleicht in der Familie? Die Ursachen für Schulangst sind vielfältig. Auch wenn es leichter gesagt ist als getan (ich spreche aus Erfahrung): Es gibt einen Ausweg!
3 comments
Vielen Dank für diesen mutmachenden Artikel!
Vielen herzlichen Dank für diesen Artikel! Schulabsentismus und die Folgen mit Bußgeldverfahren und Stigmatisierung sind ein wichtiges Thema, umso besser, das mit diesen Buch und mit der Geschichte aufgeklärt und sensibilisiert wird. Wir haben auch eine zweijährige Schulverweigerung hinter uns, unser älterer Sohn ist hochbegabt und hat in der Grundschule die Diagnose ADHS bekommen. Die Hochbegabung kam jedoch erst mit 16 heraus. Was ich damit sagen möchte: Die Gründe für Schulverweigerung sind sehr unterschiedlich und ganz individuell. Es lohnt sich, genau hinzuschauen und den Ursachen auf den Grund zu gehen, um unsere Kinder im Bildungssystem nicht zu verlieren. Über unsere Geschichte habe ich auch ein Buch geschrieben.
Ein tolles Interview zu einem sehr wichtigen und großen Thema! Ich werde das Buch lesen und hoffentlich in meiner Beratungstätigkeit an meinerSchule einsetzen können… Dieses Thema ist mittlerweile sehr groß an Schulen geworden und ich sehe auch immer wieder Hilflosigkeit bei allen Parteien, sodass ein Wegweiser sehr nützlich sein kann… Auch die persönlichen Erfahrungsberichte sind in diesem Kontext extrem wertvoll, gerade im Gespräch mit Schüler*innen.
Vielleicht ergibt es sich zu einem späteren Zeitpunkt sogar, einen Ratgeber zu den unterschiedlichen Formen von Schulabsentismus zu schreiben. Bedarf wäre auf jeden Fall vorhanden.