Eine Ex-Pflegekraft erzählt: „Ich habe vor jeder Schicht geweint“

Pflegekraft

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Ihr Lieben, gestern hatten wir den Bericht von Pflegekraft Maja, die seit 20 Jahren sehr glücklich in ihrem Job arbeitet. Doch natürlich wissen wir alle, dass es auch ganz ganz viele Pflegekräfte gibt, die seit Jahren über ihre Grenzen gehen, die frustriert und ausgebrannt sind. Es ist so wichtig, ihre Geschichten zu erzählen, weil es uns zeigt, dass es so einfach nicht weiter gehen kann. Unsere Leserin Heike konnte nach vielen Jahren in der Pflege einfach nicht mehr und hat ihren Job gekündigt…

Liebe Heike, du hast fast 20 Jahre als Pflegekraft gearbeitet. Wo genau und was waren deine Aufgaben?

2006 habe ich mein Examen zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin in einer großen Kinderklinik gemacht. Unser Kurs war der letzte Kurs, in dem man 3 Jahre ausschließlich auf Kinderstationen eingesetzt war. Danach wurde die Ausbildungsform generalisiert. Erwachsenenkrankenpflege und Kinderkrankenpflege wurden in einem Jahrgang zusammengelegt und im letzten Ausbildungsjahr gab es die Spezialisierung auf Kinder. So als Info nebenbei, weil ich finde, dass sich diese Änderung jetzt fast 20 Jahre später bemerkbar macht. Aber dazu später noch mehr…

Ich habe in verschiedenen Städten meist eher in etwas kleineren Kliniken gearbeitet, immer mit dem Schwerpunkt Neonatologie. Ich war auf verschiedenen Wochenbettstationen, die auch teilweise Frühgeborene ab der 34. SSW versorgt haben. Zwischendurch mal wieder in einer Kinderklinik, mit dem Schwerpunkt auf Kinderchirurgie und Kinderurologie. Ebenso war ich mal in einem ambulanten Pflegedienst und auch einmal in einer Kinderarztpraxis. Zuletzt war ich dann auf einer kleinen Kinderstation mit einer kleinen Ambulanz und einer Frühgeborenen-Intensivstation ab der 32.SSW. 

Meine Hauptaufgabe in allen Bereichen war immer die Versorgung von kranken Kindern, frisch operierten Kindern, zu frühgeborenen Kindern und neugeborenen Kindern. Dazu die Elternarbeit und das Managen einer kompletten Pflegestation zusammen in einem Team, wobei es auch etliche Dienste gab, in denen ich alleine gearbeitet habe.

Wie sah es mit dem Team aus wie viele Mitarbeiter wart ihr und wie viele Menschen hab ihr betreut?

In den Teams waren wir meistens etwa 30 Kolleginnen. Das klingt jetzt erstmal viel, aber die allerwenigsten haben eine volle Stelle besetzt. Meist gab es nur drei oder vier Personen, die Vollzeit gearbeitet haben, die anderen eben Teilzeit.

Wie viele Patienten betreut wurden, war natürlich sehr unterschiedlich je nachdem wie voll die Stationen waren und wie viele Kollegen Dienst hatten. Manchmal hatte ich drei, manchmal 10, manchmal 20 Patienten zu betreuen.

Warum hast du dich überhaupt für den Pflegeberuf entschieden?

Als Teenager habe ich gemerkt, dass ich mich für Medizin interessiere. Da ich auf dem Gymnasium aber so meine Schwierigkeiten hatte und ich zu dem Zeitpunkt geglaubt habe, dass ich nicht klug genug für ein Medizinstudium sei, kam mir die Idee, Krankenschwester zu werden. Nach einem Schulpraktikum in der 9. Klasse auf einer Kinderstation und durch eine Jugendfreizeit in Kenia, wo wir Kinderheime und Kinderstationen besucht haben, beschloss ich, dass ich nach der 10. Klasse das Gymnasium verlassen werde, um den Beruf der Kinderkrankenpflege zu erlernen. Mein Traum war, irgendwann mal in Afrika tätig zu werden. 

In der Ausbildung habe ich gemerkt, wie hochgradig anspruchsvoll und verantwortungsvoll dieser Job ist und dass Kinder eben absolut keine kleinen Erwachsenen sind. In der Ausbildung wurden wir richtig geschult, Kinder oder Babys zu beobachten und die Lage einzuschätzen. Eine genaue und ausgeprägte Krankenbeobachtung und die dazugehörige höchst individuelle Pflege ist in diesem Bereich das A&O. Besonders wichtig ist auch die Einbindung der Eltern, die besorgt und voller Angst sind. Das alles erfordert Expertise, Zeit und Erfahrung und ein hohes Maß an emotionaler Kompetenz und Stärke.

Hattest du immer das Gefühl, deine Patienten bestmöglich zu umsorgen zu können?

Vor 15 Jahren, würde ich sagen, ging es noch einigermaßen gut. Nach einer Schicht bin ich zufrieden und erfüllt nach Hause gegangen. Weil ich die Patienten eben mit dem hohen Standard, den ich gelernt habe, umsorgen konnte.

Aber das hat sich mit den Jahren geändert, richtig?

Ja, das hat sich total verändert. Warum? Ich denke, es kamen mehrere Dinge zusammen.  Zum einem wurde die sogenannte Fallpauschale in den Kliniken eingeführt. Zu jeder Erkrankung gibt es eine bestimmte Abrechnungsnummer mit einem bestimmten Betrag, den die Krankenkassen für diesen einen Fall zahlen. Ein komplexes System, was die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit einer Klinik stärken sollte.

Vorher wurde ein Patient z.B. mit einer Blinddarmerkrankung so lange in der Klinik gehalten, bis er vollständig genesen war. Das war dann bei einem unkomplizierten Fall ca. 10-14Tage. Der Patient ging gesund nach Hause. Nach der Einführung der Fallpauschale musste der Patient dann am 3./4. Tage entlassen werden. Die akute Behandlung war beendet und gesund werden muss der Patient zu Hause.  Das spart Geld, man kann schneller die Betten neu belegen und neues Geld erwirtschaften.  

Das ist zum Beispiel auch bei Kaiserschnitten so. Früher hat eine Frau mit Sectio etwa 2 Wochen auf der Wochenbettstation gelegen, heute werden die Frauen am 3./4 Tag entlassen.

Was hat das für Auswirkungen auf die Pflegekräfte?

Durch diese Umstellung gib es natürlich ein hohes Patientenaufkommen mit kürzerer Liegedauer. Somit sind fast alle Patienten intensivere Fälle, weil die anderen ja schon nach Hause geschickt wurden. Für die Pflegekräfte ist es ein deutlicher Unterschied, ob die zu versorgenden Patienten alle frisch operiert sind oder ob auch ein paar etwas fittere Patienten dabei sind, die kurz vor der Entlassung stehen.

Für die Pflegekraft bedeutet es also: mehr Patienten mit deutlich weniger Zeit, für den eigentlichen Pflegestandard und mehr anspruchsvollere Fälle.

Das kann eigentlich nicht gutgehen..

Genau, in der Theorie sollte dieser Plan funktionieren, es wurden aber nicht mehr Pflegekräfte angestellt. Nach meinem Examen gab es zunächst nur befristete Verträge, es war generell schwer, eine Stelle zu finden. Da haben sich die ersten top ausgebildeten Kolleginnen schon in anderen Bereichen umgesehen oder haben doch noch studiert. In meinem Kurs waren 22 top ausgebildete Kräfte von denen nur fünf richtig in die Kinderkrankenpflege gegangen sind.

Wenige Jahre später wurde dann händeringend nach Fachkräften gesucht. Hochqualifiziertes Fachpersonal ging in Rente, andere haben den Job geschmissen, weil sie ausgebrannt waren und kaum junge, frisch examinierte Kräfte sind eingestiegen. Durch die generalisierte Ausbildung, die ich anfangs schon mal angesprochen habe, sind dann nämlich nur noch ein Bruchteil der Fachkräfte in die Kinderkrankenpflege gegangen. Vielen ist der Bereich zu sensibel, zu speziell. In der Ausbildung verbringen die Pfleger nur noch wenige Wochen auf dem Kinderstationen und merken dann schnell, dass sie doch lieber in die Erwachsenenpflege wollen. Und so war das Dilemma war geboren.

Und wie hast du dich persönlich verändert? 

Mir ist die Freude für diesen Beruf völlig verloren gegangen. Überall Frust durch nicht zufriedenstellende Arbeit, Krankheitsausfall, dadurch miese Stimmung im Team, Druck von den Pflegedienstleitungen, frustrierte Eltern.

Was für mich am Schlimmsten war, vor allem als Teilzeitkraft mit 3 kleinen Kindern, dass jeden Tag das Telefon geklingelt hat, manchmal sogar mehrfach, ob man nicht spontan arbeiten kommen kann, weil es wieder Personalausfall gab. Das war für mich Psychoterror, denn ich war immer in dem Zwiespalt helfen zu wollen und sich selbst treu zu bleiben mit seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen. 

Ich habe großen Druck empfunden und mich schlecht gefühlt, wenn ich „Nein“ gesagt habe. Weil ich wusste, dass entweder eine andere Kollegin dann mal wieder über ihre Grenzen gehen musste, weil ich so „egoistisch“ war und für mich selbst eingestanden hab. Oder die Kollegin im Dienst alleine weiter arbeiten musste, was oft vorkam.

Ich wurde über die Jahre immer frustrierter, habe mich viel darüber beschwert und aufgeregt, gejammert, meinen Stellenanteil reduziert, mir den Kopf zerbrochen, was ich stattdessen machen kann. Da ich aber irgendwie keine Alternative hatte, habe ich irgendwann nur noch das Minimum an Einsatz gebracht. Ich habe vor jedem Dienstbeginn geheult, weil ich so verzweifelt war. Und dann kam auch noch Corona, was echt die Krönung des Ganzen war…

Hast du da dann beschlossen, dass du aussteigst?

Ja, mit und durch Corona hatten wir 2022 eine Ehekrise, die mir dann den Rest gegeben hat. Ich würde jetzt rückblickend sagen, dass diese Krise meine Rettung war. Nach intensiven 5 Monaten hatten wir uns neu zusammengerafft und ich hatte durch die Unterstützung meines Mannes die Möglichkeit, einfach zu kündigen. Ich habe gemerkt, dass der Job die größte negative Last in meinem Leben war. Und so entschieden wir gemeinsam, dass ich aussteige.

Wie hat sich dein Leben seit dem Ausstieg verändert?

Mit der Abgabe meines Kündigungsschreibens habe ich vor Erleichterung geweint. Ich hatte das Gefühl, dass ich plötzlich wieder atmen konnte. Und als der letzte Dienst vorbei war, war ich unendlich happy. Ich wollte mit etwas Neuem, am liebsten mit einer Selbstständigkeit, durchstarten. Hatte noch keine Ahnung was genau. Aber ich wusste, es wird gut. 

Doch ich bin kurz darauf in eine totale Erschöpfungs- und Lebenssinnkrise gerutscht. Weil ich nämlich gemerkt habe, dass ich die Verbindung zu mir selbst total verloren hatte. Also habe ich mir die Zeit genommen, die ich brauchte. Ich habe mir Ruhe gegönnt, habe viel für mich gemacht, um herauszufinden, wo meine Leidenschaften sind und was ich sonst noch kann, außer mich um alle zu kümmern.

Ich bin wieder zum Singen und Tanzen gekommen und wir haben uns als Familie unseren Lebenstraum erfüllt und haben ein paar Monate mit den Kindern in Südafrika gelebt.

Ich baue mir im Moment eine kleine, selbstständige Tätigkeit im Bereich der Gesundheitsprävention auf und jobbe für ein bisschen Geld in einer Arztpraxis nebenbei. Am liebsten möchte ich aber auf der Bühne stehen und singen, deswegen mache ich in dem Bereich auch ganz viel, um mir diesen Traum zu verwirklichen. 

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Wenn du drei Sachen ändern könntest im Pflegebereich welche wären das?

  1. Die Ausbildung, Schüler und junge Leute im Fokus haben, um neues Personal auszubilden. Dabei auch die Ausbildung attraktiver machen. Und wieder mehr Fokus auf reine Kinderkrankenpflege. Ja, es gibt den demographischen Wandel, aber trotzdem haben wir auch Neugeborene und kranke Kinder, die nur mit qualifiziertem Fachpersonal versorgt werden können. Das ist irgendwie vergessen worden
  2. Mehr Zeit für die Patienten und Angehörigen für gute, anspruchsvolle Pflege
  3. Mehr Flexibilität im Schichtsystem und mehr Vergütung. Denn in dem Bereich gibt es kaum Aufstiegschancen. Man hat über die Jahre für die Mehrarbeit, die man geleistet hat, immer weniger bekommen also mehr Arbeitsaufwand und aber keine wirkliche Gehaltsanpassung. Das darf nicht sein.

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5 comments

  1. Vielen Dank für die beiden Artikel zum Thema Pflege!
    Ich denke durch bessere Vergütung könnte man den Beruf attraktiver machen! Warum kann man eigentlich nicht das Gehalt bei den Ärzten kürzen und das Geld bei den Pflwgekräften drauflegen? Ich war schockiert, als ich mal das Gehalt von Oberärzten gegoogelt habe. Ja. Sie haben viel Verantwortung und harte Dienste. Aber das haben Pflegekräfte auch!

    1. Weil Ärzte/innen 6 Jahre studiert und 6 Jahre Facharzt Ausbildung durchlaufen, sowie zumindest in größeren Häusern promoviert haben müssen, bis sie Oberärzt/innen werden können .
      Und nein, Pflegekräfte haben nicht die gleiche Verantwortung und auch nicht nachts oder am Wochenende Bereitschaft und tags drauf wieder ganz normal Dienst.
      Was nicht heißt, dass Pflegekräfte nicht mehr Gehalt verdient hätten .

      1. Sehr richtig. Ich möchte hinzufügen, dass eine Stationsleitung in einer Fachabteilung brutto 5000 € im Monat verdient. Das ist meines Erachtens ein angemessenes und keinesfalls geringes Gehalt. Hier hat sich in den letzten Jahren (zu Recht) sehr viel getan! Leider ist durch alleinige kurzfristige Gehaltserhöhungen der langjährig in Kauf genommene Pflegenotstand nicht auf die Schnelle zu kompensieren.

        1. Es gibt auch viele andere Menschen, die lange studiert haben, womöglich 2 Studienabschlüsse und Promotion haben und trotzdem noch nicht mal die Hälfte des Gehalts eines Oberarztes haben. Also die Ausbildungsdauer alleine kann das hohe Gehalt nicht rechtfertigen.
          Und ja, mag sein, dass die hauptverantwortung bei den Ärzten liegt, aber trotzdem auch verdammt viel Verantwortung bei den Pflegekräften. Und den Pay Gap zwischen Ärzten und pflegekräften halte ich nicht für angemessen.
          Mag aber auch sein, dass die Patientensicht (bzw. Elternsicht auf der Kinder-Intensiv) verfälscht ist, weil man den ganzen Tag einfach sieht, was die Pflegekräfte leisten und von den Ärzten logischerweise weniger mitbekommt.

  2. Danke für den tollen Einblick!
    Ich freue mich, dass du für dich gute Entscheidungen getroffen hast und die große Last von dir geworfen hast.
    Alles Gute weiterhin für dich und deine Familie

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