Liebe Marie, Du bist alleinerziehende Mama eines 7-Jährigen. Erzähl mal, seit wann Du alleinerziehend bist und wie das kam.
Alleinerziehend bin ich seit mein Kleiner ein halbes Jahr alt war. Mein Exmann und ich haben uns, wie man so schön sagt, im Guten getrennt. Das heißt: Es gab und gibt natürlich unterschiedliche Ansichten auf das Leben, aber eben keinen Streit zwischen uns. Von meiner Seite aus kann ich sagen, dass ich mich nach der Geburt meines Sohnes fühlte, als wäre ich bereits Zweifach-Mama. Mein Ex hat sich von mir durchs Leben „führen“ lassen, ich habe ihn umsorgt. Mir hat die Schulter zum Anlehnen gefehlt, die Stütze, die ich für ihn war, fehlte mir. Als Mama übernimmt man gerne Verantwortung für sein Kind, allerdings nur in Teilen für einen Partner.
Wir sind gute Freunde und was unseren Sohn angeht ein eingespieltes Team. Entscheidungen und Erziehungsfragen werden gemeinsam abgewogen und besprochen, Geburtstage und Weihnachten zusammen gefeiert. Ich fühle mich, besonders in meiner jetzigen Situation, von meinem Exmann sehr unterstützt, ich kann mich absolut auf ihn verlassen, weiß, dass er ein toller Papa und mein Sohn immer gut aufgehoben ist.
Du warst gerade in einer psychosomatischen Klinik, um Deine Angst- und Panikstörung behandeln zu lassen. Wann traten diese erstmals auf und wie äußern sie sich genau?
Rückblickend weiß ich, dass ich zu Beginn meines Studiums, mit 18, meine erste Panikattacke hatte. Ich konnte das damals nur nicht so benennen. Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem ich zum ersten Mal dachte, dass ich mein Leben so nicht „schaffe“, mir wurde „alles zu viel“. Diese Sätze gingen mir durch den Kopf und kamen leider ab diesem Zeitpunkt zu jedem Semesterbeginn, Praktikum und neuem Job wieder hoch. „Ich schaffe das nicht!“ – ich kann nicht zählen, wie oft ich das gedacht habe, gemischt mit heftigen Heulattacken, Herzrasen, Beklemmungen in der Brustgegend…
Während des Studiums und dann auch im Referendariat an der Schule konnte ich ganz gut mit meinen Attacken umgehen, sie kamen selten, ungefähr zwei bis dreimal im Jahr und mit Unterstützung meines Exmannes und meinen besten Freundinnen hielten sie auch nicht lange an. Nach wenigen Stunden beruhigte sich mein Körper, ich konnte schlafen und hatte am nächsten Tag scheinbar mehr Energie als zuvor.
Wie hast Du Deinen Alltag mit den Attacken gemeistert und wann ging es einfach nicht mehr?
Nach der Trennung von meinem Exmann zog ich vorübergehend wieder zuhause bei meiner Mutter ein, auch um mein Referendariat nach der Elternzeit mit ihrer Unterstützung zu beenden. Ich glaube mein Körper und meine Seele funktionierten zu dieser Zeit einfach nur, alles war auf Extremsituation eingestellt. Ich hatte ein Baby zu versorgen, nach 10 Monaten ging ich zurück in die Schule und absolvierte mein 2. Staatsexamen. Im Nachhinein kann ich nur sagen – keine Ahnung wie ich das alles gemeistert habe. Anerkennung oder Stolz empfinde ich für mich selbst leider viel zu wenig, denn eigentlich klappt ja alles, ich habe viele Dinge „geschafft“. Soll heißen, die Attacken blieben vorläufig aus, ich glaube es gab keinen Platz dafür, mein Körper und Geist hatten alles erst mal auf die lange Bank geschoben.
Nachdem ich mein Referendariat beendet hatte wurde ich krank, ich war erschöpft, ständig angeschlagen, erkältet, jetzt kam alles raus, was vorher unterdrückt wurde. Und auch die Panikattacken kamen wieder. Einmal dauerte eine den ganzen Tag an. Schon abends ging es los, ich weinte und weinte, fühlte mich unfähig mich zu bewegen…Das passiert mir bis heute, in einer schlimmen Attacke sitze ich nur da, habe das Gefühl, dass meine Beine nicht funktionieren, ich esse nicht, trinke nicht, kann nicht auf die Toilette gehen.
2015 hatte ich ein gutes Jahr, ich bekam einen Job an einer tollen Schule, an welcher ich mich bis heute sehr wohl fühle. Ich suchte meinem Sohn und mir eine eigene Wohnung und hatte Glück. Der neue Job lief gut an, bis ich begann, mir viel zu viel vorzunehmen. Montag wurde zum Horrortag, ich hatte das Gefühl, alle Erledigungen, ob privat oder im Job, an diesem einen Tag abarbeiten zu müssen. Die neue Woche prasselte auf mich ein. Ich sehe mich noch heute gelähmt und in Tränen aufgelöst vor der Waschmaschine sitzen. Nach einigen „schlimmen Montagen“ war klar, ich musste etwas tun. Ich nahm meinen Mut zusammen und rief bei einer Therapeutin an ,„Ich habe das Gefühl, mein Leben geht so nicht weiter, ich brauche Hilfe“, sagte ich am Telefon. Seitdem gehe ich regelmäßig zur ambulanten Therapie. Anfangs jeden Montag, das hat enorm geholfen, mittlerweile zwei bis dreimal im Monat, oder nach Bedarf.
Wann hast Du beschlossen, dass Du in eine Klinik gehst?
Letztes Jahr im Sommer habe ich mich von meinem Freund getrennt. Wir waren zwei Jahre ein Paar, aber ich hatte das Gefühl: Das ist es nicht, es reicht nicht aus. Ich hatte unglaubliche Angst vor dem Allein-Sein und musste die Trennung mit meiner Therapeutin durchsprechen und planen. Ich fühlte mich sicher in dieser Beziehung, wusste aber, dass er nicht „der Richtige“ für mich war. Ich schaffte es mich auch diesmal im Guten zu trennen und bewies mir selbst, es geht, es klappt auch alleine, der Alltag funktioniert.
Und wie das Leben so spielt lernte ich Ende des Jahres meinen jetzigen Partner kennen. Ich wollte eigentlich alleine sein, mir weiterhin zeigen, dass ich gut für mich und meinen Sohn sorgen kann. Aber es kommt nun mal oft anders als man denkt… und ich verliebte mich Hals über Kopf. Es war schnell klar – diese Verbindung fühlt sich absolut richtig und ganz anders als jemals zuvor an.
Während meiner „alten“ Beziehung kamen die Panikattacken unregelmäßig, oft erkannte ich den Anlass nicht, konnte mir nicht erklären, was los war. Hinzu kam die sogenannte „Angst vor der Angst“, also die Angst davor eine Panikttacke zu bekommen. Im Gegensatz zu einer Attacke, die wenige Stunden oder höchstens einen halben Tag anhält, ist die Angst ein ständiger Begleiter und legt sich wie ein Schleier auf das Leben, leider auch auf die guten Gefühle.
Und neben all dem Schönen was ein neuer Partner mit sich bringt, wurden die Attacken mehr und mehr. Ich hatte Angst, er könnte mich verlassen, er würde merken, was bei mir nicht stimmt und ganz schnell das Weite suchen. Viele Menschen denken in akuten Panikattacken, dass die sterben müssen bzw. einen Herzinfarkt bekommen, oder aber, dass sie verrückt werden. So ging es mir auch, ich dachte ich werde wahnsinnig, könnte nicht mehr für meinen Sohn sorgen…Meine Panikattacken häuften sich, kamen immer wieder ohne Grund, ohne bestimmten Anlass…
Eines Mittags, das war im März diesen Jahres, hatte mein Sohn Besuch von einem Freund. Ich stand im Wohnzimmer und sah auf die Uhr, es war 15 Uhr. Ich spürte die Panik in mir aufsteigen, versuchte jede Strategie, um mich zu beruhigen und nicht in eine Attacke zu verfallen. Ich atmete an der frischen Luft, rief eine vertraute Person an, ging eine Runde um den Block. Nichts funktionierte. Um 15.15 sah ich erneut auf die Uhr, es fühlte sich an als wären Stunden vergangen. Mir war klar, das klappt so nicht.
Ich rief meinen Exmann an, damit er meinen Sohn holte, brachte den Freund meines Sohnes zu seiner Mama. Vorher rief ich sie an und stammelte völlig aufgelöst ins Telefon, es war mir unglaublich peinlich, ich dachte sie hält mich für die schlimmste Mutter der Welt. Heute habe ich eine Vertraute mehr und weiß, leider kennt sie meine Gefühle nur zu gut. Ich „verstaute“ meinen Sohn und flüchtete zu einer Freundin. Ich war wieder wie gelähmt, aber zusammen mit ihr schaffte ich es, einen Notfallplan aufzustellen. Falls es mir am nächsten Tag nicht besser geht, was leider der Fall war, würden wir die psychiatrische Ambulanz aufsuchen. Ich bekam eine Beruhigungstablette, damit mein Körper endlich etwas „runterfahren“ konnte, und eingehende Beratung. Ich lies mich zwei Wochen krankschreiben. Zu diesem Zeitpunkt war klar, die Termine bei meiner Therapeutin reichen nicht aus, ich brauche mehr Hilfe.
Ich entschied mich für eine Tagesklinik, bei der ich abends meinen Sohn sehen kann. Ich meldete mich an und kam auf eine Warteliste. Bis dahin kann ich arbeiten, noch bis zu den Ferien, noch diese eine Klassenfahrt – „Durchhalten“ war meine Devise. Aber irgendwann ging das nicht mehr auf. Eine Freundin fragte, was sie für mich tun kann, ich bat sie, mich zu überreden, dass ich mich endlich für eine längere Zeit krankschreiben lasse.
Und das war der erste wichtige Schritt. Ich blieb daheim und erholte mich. Ich wartete 3 Wochen auf einen Platz in der Klinik. Aber von zuhause. Ich musste nicht mehr durchhalten.
Zu Beginn war ich zwei Wochen stationär in der Klinik, in dieser Zeit wurde mein Sohn ausschließlich von seinem Vater betreut. Das war meinem Exmann und mir wichtig, damit er meinen Sohn trösten kann, falls es traurige Momente gibt. Ich habe ihm versucht zu erklären, was mit mir los ist und warum ich eine Weile nicht bei ihm sein kann. Er durfte mich außerdem in der Klinik besuchen, mein Zimmer, die Küche, Aufenthaltsräume usw. anschauen. Ich glaube das war wichtig für ihn, damit er weiß wo ich bin und dass es mir den Umständen entsprechend gut geht.
Während den 6 Wochen in der Tagesklinik wurde mein Sohn von seinem Papa, der Oma oder der Mama eines Freundes vom Hort geholt und abends von mir ins Bett gebracht, ich war ab 19 Uhr zuhause.
Welche Therapien hast Du in der Klinik bekommen und wie geht es Dir momentan?
Ich der Klinik bekam ich gemeinsam mit anderen Patienten in einer kleinen Gruppe Kunst-, Musik-, Bewegungs- und Gesprächstherapien. Zusätzlich Progressive Muskelentspannung und natürlich regelmäßige Gespräche und Einzeltherapien. Auch wenn ich anfangs zweifelte, wie mir malen oder in der Gruppe musizieren aus dieser Krise helfen soll, versuchte ich mich einzulassen und heute weiß ich, jede dieser Therapien hat ihre Berechtigung. Während einer akuten Panikattacke forderte eine Therapeutin mich auf, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und zu malen. Ich weinte, war am Verzweifeln und fing trotz allem an auf einer Leinwand meine Angst zu verbildlichen. Ich beruhigte mich immer mehr und übermalte meine Angst mit einer weiteren Farbe. Es entstand ein rosa-blaues abstraktes Kunstwerk, welches mir heute so viel bedeutet, dass ich es grade gestern in ein Fachgeschäft zu Rahmen gebracht habe.
Gegen Ende meines Klinikaufenthaltes sollte ich ein Selbstporträt anfertigen. Es entstand eine farbenprächtige Superheldin (siehe Foto unten), die voller Mut und Kraft auf das Leben blickt. Ich fand das Bild anfangs lächerlich, dann lustig und später, als ich mich traute es meinem Freund und meinem Sohn zeigen, empfand ich fast so etwas wie Stolz. Mein Sohn überredete mich es aufzuhängen – „Du bist meine Superheldin“ meinte er zu mir und ich bekomme jetzt noch Gänsehaut.
Was wünscht Du Dir für den Alltag nach der Entlassung?
Ich bin vor einer Woche entlassen worden und mir geht es gut. Schön, diesen Satz schreiben zu können. Ich wünsche mir in erster Linie natürlich weniger Angst, dass ich alles etwas gelassener sehen kann, mir weniger Stress mache und besonders auf Zeit für mich alleine achte. Dass ich die Alarmsignale der Angst erkennen und für mich sorgen kann. In der Klinik habe ich mich ausführlich mit mir, meiner Geschichte, meiner Familie und meiner Vergangenheit beschäftigt. Ich konnte viele Erkenntnisse gewinnen, über die ich wohl noch weiter nachdenken muss.
Die Angst wird nie ganz verschwinden, das wusste ich schon bevor ich diesen großen Schritt gewagt habe. Aber ich habe gelernt mich in den richtigen Situationen abzulenken, Strategien gegen die Angst zu entwickeln und anzuwenden. Und in anderen Situationen die Angst zuzulassen, sie auszuhalten, denn sie gehört zum Leben dazu.
Psychische Erkrankungen sind immer noch oft ein Tabu-Thema. Hast Du auch mal schlechte Erfahrungen mit Bekannten gemacht?
Ich hatte wirklich großes Glück und keine schlechten Erfahrungen gemacht. Natürlich gibt es immer Menschen, die meine Ängste nicht verstehen können, denn es ist ja, von außen betrachtet, kein Grund für Angst erkennbar. Ich verstehe diesen Einwand und wünsche diesen Personen, dass sie niemals fühlen was ich fühle. Denn es ist furchtbar. Und ich freue mich für jeden, der diese Angst nicht nachvollziehen kann.
Mir hat es geholfen offen mit meiner Krankheit umzugehen. Ich habe mit Bekannten, meiner Familie, Arbeitskollegen, meinem Chef, den Horterzieherinnen meines Sohnes gesprochen und tolle Rückmeldungen bekommen. Mein Chef hat mir den Rücken freigehalten und mich in jeder Hinsicht unterstützt. Als dann klar war, dass ich länger ausfalle, habe ich meinen Kollegen einen Brief geschrieben und versucht meine Situation zu erklären. Mir war wichtig, dass sie wussten, sie haben mir nicht zu viel zugemutet, ich war nicht beruflich überlastet. Natürlich ist jeder Job, und wenn man ihn noch so gerne macht, eine Belastung und es war gut, dass ich nicht mehr arbeiten war. Aber der Auslöser lag wo anders, oder im Zusammenspiel verschiedener Faktoren.
Was möchtest Du anderen Mamis sagen, die vielleicht in einer ganz ähnlichen Situation sind?
Ich möchte Mut machen. Wir alle, ob Mami oder nicht, sind Superheldinnen und leisten oft Unglaubliches. Aber auch Superheldinnen brauchen manchmal Hilfe. Wenn ihr diese Panik kennt, Ängste oder langanhaltende Traurigkeit habt, dann holt euch Hilfe! Ruft bei einer Therapeutin an, benutzt meinen Satz (siehe Frage 3), geht in akuten Notfällen zur psychiatrischen Notfallambulanz eurer Stadt und besonders wichtig – redet, tauscht euch aus! Denn ihr seid nicht alleine!
Als ich kurz vor meinem Klinikaufenthalt noch einmal in der Schule war, um Unterlagen abzugeben, kam eine liebe Kollegin auf mich zu. Sie sagte, sie wisse wie ich mich fühle, sie kenne genau diese Gefühle. Sie sprach mir aus der Seele, es tat so unglaublich gut. Zu sehen, dass sie ihre Krankheit in den Griff bekommen hat und heute ein gutes Leben führt, hat mir so viel Hoffnung gegeben.
1 comment
Hallo,
wie geht es dir nun 3 Jahre nach deiner Erfahrung?
Ich würde mich sehr freuen, von dir zu lesen!
Viele Grüße
Sarah