Ihr Lieben, eigentlich hatte uns unsere Leserin eine ganz andere Geschichte erzählt und dann aber nebenbei erwähnt, wie emotional ihre Liebe nach langer Zeit wieder geworden ist. Dazu wollten wir natürlich gern mehr wissen. Hier kommt ihr Gastbeitrag über eine Offene Beziehung nach zwei Kindern und 20 Jahren Ehe. Was für eine Gefühls-Achterbahn…
Seit Sommer wagen wir das Experiment „Offene Beziehung“
„Meine Kinder sind inzwischen im Teenie-Alter, ich lese diesen Blog seit vielen Jahren und habe durch ihn vieles gelernt. Vor allem, dass es selbst in Deutschland keine 0815-Familie gibt, wie uns gerne in Politik und Werbung weißgemacht werden soll.
Heute will ich mich öffnen. Das habe ich im Sommer, Ende Juli, schon einmal gemacht. Das war der Tag, an dem mein Mann und ich uns entschlossen, das Experiment „Offene Beziehung“ zu wagen.
Wir sind beide in stabilen Familien aufgewachsen, Scheidungen gab es weder in der Kernfamilie noch bei Verwandten. Wir haben uns vor mehr als 20 Jahren über ein damals neues Onlineportal kennengelernt, innerhalb besagter 11 Sekunden sozusagen. Es war Liebe auf den ersten Blick und keiner hat die Beziehung jemals ernstlich in Frage gestellt.
Klar gab es auch Momente, in denen ich als völlig überforderte working mom daran gedacht habe, ob das Leben ohne Mann nicht einfacher wäre oder wenigstens kurzzeitig gerne den Alltag verlassen hätte.
Ich war als Mensch immer schon sehr selbständig und vor meiner Beziehung mit meinem Mann weltweit unterwegs, privat wie beruflich. Dann waren wir zusammen unterwegs, und als K1 kam, auch mit ihm. Elternzeit im Ausland? Wir gehörten zu den Ersten.
Doch je älter unsere Kinder wurden, desto anstrengender wurde es. Es schien so, als hätte jeder von uns vier AD(H)S, mit sehr unterschiedlichem Temperament. Zwei von uns eher ruhiger, verpeilter und introvertierter und zwei impulsiv, emotional und extrovertiert.
Die Jahre gingen ins Land und wir Eltern waren voll damit beschäftigt, den Alltag zwischen Jobs, Schule, Familie, Haus, Hund und Hof zu bewältigen.
Sex? Puh, hier lieber den Mantel des Schweigens bitte. Nur so kurz: Ich war die Bremse, ich war immer zu müde, zu unzufrieden, zu enttäuscht, irgendwas tat immer weh, irgendeine Befindlichkeit hielt mich ab, mein Kopf kam nie zum Stillstand. Mein Mann litt. Wir blieben zwar im Gespräch, aber eine Lösung hatten wir nicht.
Vor 2,5 Jahren fragte mein Mann dann, ob ich mir eine Offene Beziehung vorstellen könnte. Ich überlegte eine Woche und sagte dann möglichst sachlich, aber innerlich gekränkt, ab. Ich hatte zu viel zu verlieren, allein der Lebensstandard, den ich aufgrund des Gehaltes meines Mannes hatte, könnte ich allein nicht annähernd halten. Hinzu kam, dass wir ein Haus zusammen saniert hatten, so viel gemeinsam aufgebaut hatten (als Projektteam haben wir immer sehr gut funktioniert). Ich war nicht bereit für das Risiko, dass er sich neu verliebt.
Als Konsequenz der Idee schaffte ich es aber, mich so weit zu öffnen und mit meinem Mann in eine Sexualtherapie zu gehen, was megaschwer war für mich, aber sehr viel änderte. Ich schaffte es, mich, meinen Körper und meine Wünsche anzunehmen und zu verbalisieren. Wir hatten tatsächlich plötzlich für uns beide sehr erfüllenden Sex, nicht dauernd, aber schon einmal besser als vorher. Eine Basis sozusagen 😊.
Bei unseren Kindern machte es irgendwann Anfang des Jahres „klick“ und sie wurden beide selbständiger. Wir Eltern hatten damit mehr Zeit. Jeder für sich, füreinander, für alte Freunde, für neue Hobbies. Wir stürzten uns aufeinander, versuchten, aus dem Eltern-Duo wieder eine echte Partnerschaft zu machen, was erstaunlich gut gelang.
Wir waren beide bereit, die vielen Verletzungen und Traumata aus den 20 Jahren Beziehung zu verzeihen oder zumindest gemeinsam aufzuarbeiten. Wir waren verliebt wie nie, und hatten das Gefühl, eine ganz enge Bindung zu haben, und dass nichts uns trennen könne.
Und da war dann wieder diese fixe Idee und diesmal war ich es, die meinen Mann fragte, ob wir es doch mal versuchen sollten mit der Offenen Beziehung.
Der Stand heute, nach 4 Monaten: Mein Mann hat eine Freundin, die er sehr lieb hat, mit der er sexuell sehr aufgeht, und sie verbringen mal mehr, mal weniger viel Zeit miteinander.
Ich habe einen Freund, der auch in einer Offenen Beziehung lebt, allerdings hat er strikte zeitliche Vorgaben von seiner Frau, die uns das Leben ein wenig schwer machen. Daher reise ich ihm bei seinen Dienstreisen auch mal hinterher.
Unsere Kinder wissen von nichts und wir sind uns einig, dass das auch bis zu unserem Tod so bleiben soll.
Regel Nr. 1 bei allen Konstellationen ist: Die Ehen sind sicher, und zumindest bei unseren neuen Freunden ist das so. Sie sind als Sexualpartner super, als Lebenspartner sind sie für uns beide völlig ungeeignet. So ist mein Freund sehr unemotional und beruflich sehr eingespannt, ich würde im Alltag mit ihm genauso verrückt werden, wie ich ihn bei unseren seltenen Treffen lieben kann.
Also alles super, easy und eitel Sonnenschein und ein Aufruf, es uns bitte nachzumachen, denn das ist der einzig wahre Weg, wie man zu leben hat? Offen und polyamorös und konfliktfrei und happy und peace, sex and rock’n’roll?
Nein!
Wir waren nie so nah dran, unsere Beziehung zu beenden wie in den letzten Monaten. Nicht, weil die neuen Partner „besser“ sind, wir uns neu verliebt haben oder uns als Ehepaar nicht mehr lieben. Sondern weil sowas doch nicht so easy ist, wie es klingt. Wir wissen inzwischen, dass es vor allem Zeit braucht und unendlich viel Geduld miteinander. Viele Bekannte mit offenen Beziehungen sagen, es habe auch bei ihnen ein bis eineinhalb Jahre ordentlich gebrodelt.
Mein Mann hat mir immer zu 100% vertraut. Ich durfte machen, was ich wollte, reisen, ausgehen, Menschen, auch Männer treffen. Er hat es nie hinterfragt, und ich habe es nie ausgenutzt. Plötzlich war bei ihm aber diese allumfassende Angst, mich zu verlieren und das Vertrauen in mich war völlig weg. Er rutschte in eine tiefe Krise und agierte nicht mehr rational. Ich habe ihn so noch nie erlebt, Emotionsausbrüche waren bisher eigentlich mir vorenthalten, er schien wie ausgetauscht und plötzlich hatte ich einen für mich fremden Menschen im Haus.
Nun kam uns zweierlei zu Nutze: Erstens haben wir ein gutes Netzwerk und wissen, wann wir Hilfe brauchen und wann nicht; Die Sexualtherapeutin kam wieder ins Spiel, unsere Ärzte wurden informiert und wir vertrauten uns einigen engen Freunden an, die uns nun begleiten. Zweitens redeten wir praktisch durchgehend miteinander. Wir sind immer in Kontakt geblieben und das half uns nun, uns nicht zu verlieren.
Beide zelebrierten wir die volle Bandbreite aller Gefühle durch, teilweise innerhalb 10 Minuten: Liebe, Hass, Wut, Zorn, Verzweiflung, Abneigung, Zuneigung, Verständnis, Verletzbarkeit, manchmal auch bewusste Verletzung. Wir haben uns angeschrien, das erste Mal in unserer Ehe, und mussten einmal sogar mitten auf der Autobahn einen Fahrerwechsel machen, weil ich nicht mehr weiterfahren konnte vor lauter Gefühlen.
Es waren die krassesten Wochen unseres Ehelebens und wir haben einfach Glück gehabt: Wir haben die Ressourcen, eine solche Krise zu überstehen, die neuen Partner haben Verständnis und halten unser Drama geduldig aus und letztendlich war es entscheidend, dass wir beide so schnell und praktisch zeitgleich Partner gefunden haben, so dass die Phasen des Kennenlernens, Verknallt-Seins, Treffens, Erster Sex und auch erste Irritation mehr oder weniger parallel abliefen. So war keiner vor uns in Versuchung, das Veto, dass wir uns anfangs zugesagt hatten, wirklich auszusprechen und unsere Ehe wieder zu schließen.
Wie es weitergeht? Weiß ich nicht. Ich habe große Angst vor einer weiteren Krise, bin aber auch nicht wirklich bereit, meinen Freund aufzugeben. Mein Mann und ich haben die Büchse der Pandora geöffnet, und damit müssen wir jetzt umgehen lernen. Trotz aller Probleme haben wir beide nach wie vor den tiefen Wunsch, dass wir diesen Weg weitergehen wollen. Ob das schlau war, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls gab es eines nicht im letzten halben Jahr: Langeweile.“