Nie mehr und für immer: Teen-Time Jugendkolumne zum Loslassen

Nie mehr und für immer

Ihr Lieben, als ich in der letzte Woche auf einer längeren Autofahrt etwas ins Reflektieren kam darüber, wo ich mich im Leben gerade befinde, dachte ich, dass ich mich in einer Phase des Loslassens befinde. Im Abschied von einer Lebensphase, im Zwiespalt zwischen: Nie mehr und für immer.

Mein Mann nannte es neulich mal so: Wenn er an unsere Große denkt, die plötzlich kein Schulkind mehr und volljährig ist und sich nun im Auto ganz allein und zu jederzeit fortbewegen kann, dann fühlt sich das schon so an, als würde ein kleiner Mosaikstein in seinem Herzen fehlen. Denn sie sei zwar noch nicht ganz aus dem Haus, aber irgendwie schon raus aus den meisten Routinen. Schön gesagt, oder?

Elternsein: Festhalten und Loslassen

Lisa

Und ja, Elternsein besteht aus vielen, vielen Abschieden und Neuanfängen. Ich werde nie mehr Sandburgen bauen mit eigenen Kindern. Nie mehr eins von ihnen auf dem Schoß sitzen haben. Es wird niemanden mehr geben, der sich ängstlich zwischen meinen Beinen versteckt, weil eine fremde Person ihn anspricht. Ich werde nie mehr Tritte im Bauch spüren, nie mehr neugierig darauf warten, wer da noch in die Familie kommt, nie mehr Baby-Arschbomben im Planschbecken bejauchzen.

Wenn ich all die Sommerferienbilder aus dem Freundeskreis oder bei Instagram sehe gerade (überhaupt: wow, wie viele grad im Urlaub sind, so krass hab ich das noch nie wahrgenommen!), dann denk ich: wie schön. Aber auch: hachz. Familien, die mit den Kindern zusammen ausreiten. Oder ins Freibad gehen. All das gibt es bei uns nicht mehr. All das ist vorbei.

Und wenn wir nächste Woche nochmal sechs Tage wegfahren, dann kommen auch wieder nicht alle Kinder mit. Es ist die große Zeit des Loslassens, gerade wenn – wie bei uns – die Kinder so dicht beieinander gekommen sind und sie ganz plötzlich alle gleichzeitig selbstständig und groß werden und sich nicht mehr allzu oft mit den Eltern in der Öffentlichkeit blicken lassen.

Jeder Abschied ist auch ein Neuanfang

Aber: Jeder Abschied ist ja auch ein Neuanfang: Wir brauchen heute keinen Babysitter mehr, wenn wir ausgehen wollen. Können Termine einfach legen ohne uns mit dem anderen Elternteil abzusprechen, können wieder Hobbys ausüben und unsere Zeiten freier einteilen. Ich kann diesen Text ohne Unterbrechungen schreiben, obwohl die Kinder gerade zu Hause sind…

Neulich war mein dreijähriges Patenkind mit seiner Mama bei uns zu Besuch und die Kleine spielte so schön mit meiner Nichte: Die beiden schwangen sich in die Hängematte und spielten, sie wäre ein Schiff, da war so viel Spiel und Fantasie und Im-Moment-Sein. Gleichzeitig für uns aber auch so viel Aufsichtspflicht.

Meine Freundin fragte mich irgendwann, ob alles okay mit mir sei. Ich wäre so ruhig und ich dachte: Ja, es ist alles in Ordnung, aber bin grad so tiefenentspannt. Ich kann mir das alles anschauen und von außen beobachten ohne selbst die Verantwortung zu tragen.

Und während ich wahrnahm, wie sehr die Eltern dieser kleineren Kinder noch drin stecken in der Interpretation der Psyche der Kleinen genauso wie im Sichern des alltäglichen Überlebens, stellte ich fest, dass ich mich am ganz anderen Ende der Fahnenstange befinde derzeit – eben bereits im Abschied von der täglichen Verantwortlichkeit.

Komplett neue Phase der Mutterschaft

Teen-Time

Ich komme nach all dem Wahnsinn aus Geschwister-Streitigkeiten, den Sorgen um Kieferorthopädinnen oder Logopäden, um Gewissensbisse, Vereinbarkeits-Probleme oder Wut-Meltdowns in eine komplett neue Phase meiner Mutterschaft. Ich muss und darf die Flügel meiner Kinder nun flattern lassen, weil da die Gewissheit ist, dass die Wurzeln da sind.

Und ja, das bedeutet auch: Nie mehr Kinderschminken oder Martinszug, nie mehr Biobauernhof mit Häschen streicheln oder nächtliche Gäste im Bett zum Alpträume wegkuscheln. Dafür aber: Mal einen Gedanken bis zu Ende denken, nicht mehr dauernd Breimatsch auf dem Tisch, Gespräche auf Augenhöhe, gemeinsame Wahlomat-Abende, bestandene Führerscheine feiern und Beziehungsgespräche führen.

„Verrückt, dass deine Kinder schon so groß sind“

Verrückt, dass deine Kinder schon so groß sind, schrieb mir neulich eine alte Klassenkameradin, mit der ich seit Jahrzehnten keinen Kontakt hatte. Freust du dich darüber? Oder bist du eher wehmütig? Und da musste ich kurz über die Antwort nachdenken und schrieb schließlich: Es freut mich UND macht mich schrecklich wehmütig. Mit dem Zusatz ein bisschen später: Ich fühl mich eigentlich noch zu jung für Kinder ausm Haus.

Ich bin 42, die Große ist 18, die Zwillinge werden jetzt 16. Ich erfinde mich seit zwei Jahren Stück für Stück neu bzw. erweitere mein Portfolio immer weiter, seit Lücken entstanden sind. Ich mache viel Sport wieder und viel Ehrenamt, ich hab mir nochmal ein paar Ausbildungen draufgeschafft.

Meine Wünsche für die neue Lebensphase

Ich wünschte mir etwas, mit dem ich gesellschaftlich was verändern kann, ich wünschte mir etwas Sinnstiftendes, etwas auch beruflich nochmal neu Herausforderndes, etwas außerhalb der Familienbubble Existierendes, ich wünschte mir etwas, das Spaß und Leichtigkeit bringt und all das hab ich mir nach und nach aufgebaut, damit sich die Lücke nicht wie Schmerz, sondern wie Erfüllung anfühlt. Wie eine Chance. Denn Mama bleibst du ja, aber gleichzeitig kannst du jetzt im Grunde fast machen, was du willst…   

Als Elternpaar haben wir uns jetzt, als die Zwillinge auf Jugendreise waren, auch mal fünf Tage Urlaub ohne Kinder gegönnt. Ich hatte etwas Respekt davor, wie das wohl werden würde. Wochenenden allein hatten wir versucht, jedes Jahr durchzuziehen, aber so fünf Tage mal weiter weg? Ich kann euch sagen: Es war super. Essen, wann und was wir wollten, spontane Planänderungen mit Sightseeing ohne Motzen trotz Hitze, Mittagsschläfchen zwischendurch… wir können das offenbar noch.

Wir haben aber auch nie aufgehört, auch unsere eigenen Leben noch weiterzuführen, jedes Elternteil für sich allein, auch eigene Hobbys und eigene Freundschaften und eigene Freizeitbeschäftigungen beizubehalten auch unabhängig voneinander. Da wird es in unseren Gesprächen dann auch einfach nicht langweilig, weil wir einander genug zu erzählen haben.

Trotzdem kommen wir in Gesprächen natürlich auch viel auf unsere Kinder zu sprechen. Sie sind jetzt eigene Menschen, die ohne uns überleben können. Und ja, ich werde vielleicht als Oma noch mal Sandburgen bauen irgendwann, aber das wird nicht vergleichbar mit der Nähe zwischen Mutter und Kind, vermute ich. Es ist eine andere Verantwortlichkeit.

Vom Wagnis und Mut

Ironie des Schicksals, dass selbst ich, deren Kinder zu alt sind, als dass sie den Eisprinzessinnen-Hype mitbekommen hätten, bei dem Wort Loslassen direkt einen Ohrwurm mitgeliefert bekomme und der Text bei näherer Betrachtung dann doch auch echt zum derzeitigen Lebensthema passt: „Ich bin frei, endlich frei; Und ich fühl‘ mich wie neu geboren; Ich bin frei, endlich frei; Was war, ist jetzt vorbei“ 😉

Als Katharina und ich damals unser erstes Wow Mom-Buch als Mutmacher für Mütter im ersten Jahr mit Kind schrieben, zeigte ich darin auch ein Foto von mir, auf dem ich mein schreiendes kleines Töchterchen als Baby auf dem Arm habe. Ich schreibe dazu, dass mich dieses Bild mit Freude erfüllt, weil es so authentisch ist und weil es mir zeigt, was aus diesem Kind und was aus dieser Mama geworden ist.

Nie mehr und für immer

Und das würde ich gern heute nochmal wiederholen, denn wisst ihr, was aus uns geworden ist: Zwei Frauen, die zwar an ganz unterschiedlichen Stellen ihres Lebens stehen, die sich aber in die Augen schauen und auf Augenhöhe begegnen können. Und die zeigen und beweisen: Die alltägliche Präsenz endet zwar irgendwann vielleicht… die Liebe aber, die bleibt.

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14 comments

  1. Hallo, vielen Dank für den Text. Genau diese Freiheiten sehe ich gerade bei meiner älteren Schwester. Die großen Kinder sind aus dem Haus, die jüngste Tochter ist gerade ins 2. Ausbildungsjahr gestartet. Meine Schwester und ihr Mann genießen es sehr und gehen wieder mehr ihren Hobbys nach bzw entdecken neue Dinge. Ich fand es total schön, das zu sehen. Und gleichzeitig hat es mich sehr traurig und nachdenklich gestimmt. Unsere Tochter genießt mit 12 Jahren auch mehr Freiheiten mittlerweile. Aber unser 10 jähriger Sohn ist behindert und ich frage mich, ob wir jemals diese Phase haben werden, in der wir als Ehepaar auch wieder mehr auf uns schauen können?
    Nachdenkliche Grüße.

  2. Danke Lisa dass du immer so ehrlich und aufrichtig über diese Dinge schreibst…meine Kinder sind noch sehr klein, dennoch beschäftigt mich manchmal schon jetzt der Gedanke, wie es sein wird, wenn sie mich nicht mehr so sehr brauchen. Denn trotz all der Anstrengung und des Wahnsinns manchmal fühle ich mich doch so sinnvoll und so fest verankert im Leben. Wird sich danach nicht alles schal anfühlen? Deine Texte vom anderen Ende des Kinder großziehens machen mir Mut und helfen mir auch, mich darauf einzustellen. Und vor allem fühle ich mich nicht alleine, weil du so offen, ehrlich und sensibel schreibst.

  3. Meine Tochter ist im Mai aus- und mit ihrem Freund zusammengezogen. Mein Sohn macht 2026 Abitur und wird dann wohl fürs Studium auch bald in eine eigene Bleibe ausziehen. Es mag daran liegen, dass ich seit 2009 alleinerziehend bin, aber bei mir hat sich bisher wenig Wehmut breit gemacht.

    In dem Ausmaß, in dem die Selbständigkeit meiner Kinder und damit meine eigene Freiheit wuchs, habe ich meine alten Hobbies wieder aufgenommen (vornehmlich Astronomie und Raumfahrt), habe mich auf der Arbeit endlich in den Betriebsrat wählen lassen (wollte ich schon lange, aber da gibt’s halt oft mehrtägige Abwesenheiten für Schulungen und Sitzungen), habe angefangen die Fremdsprache zu lernen, die mich schon lange fasziniert (Koreanisch) und genieße es insgesamt, einfach wieder mehr Zeit für mich zu haben. Ach ja, als Wahlhelferin bin ich neuerdings auch registriert und im Einsatz.

    Vielleicht kommt der dicke Emotionshammer noch, wenn ich im Haus irgendwann ganz alleine bin und die Ausbildung beider Kinder abgeschlossen ist. Aber dann steht das nächste Projekt an: Das Haus verkaufen und mir ein Minihaus (kein Tinyhouse, sondern eines < 100m²) zulegen. Und auf jeden Fall viel reisen. Wenn sie Lust haben, gerne auch wieder mit den "Kindern". Wie es sich gerade ergibt. 🙂

  4. Ich glaube dieses Thema ist sehr vom Charakter bzw. Lebensinhalt abhängig. Ich bin unfassbar gern Mama und bin jetzt schon wehmütig, meine Kids sind 9 und 12.
    Andere freuen sich vielleicht über die nächste Lebensphase.

    Übrigens habe ich mir eine Liste gemacht, mit Dingen, die ich noch unbedingt mit den Kids erleben will bevor sie ausziehen – diese hilft super bewusste Pläne zu machen uudann wirklich umzusetzen.

  5. Hallo,
    Für mich ist das noch relativ weit weg, wobei ich jetzt auch keine Kleinkinder mehr habe und insofern das Thema auch zumindest näher rückt .
    Was ich mich dabei frage, warum kommt denn niemand auf die Idee , dann wieder mehr Erwerbsarbeit zu machen , wenn weniger care Arbeit zu tun ist ?!
    Ist das nicht partnerschaftlich fairer , als sich nach einem (zusätzlichen) Hobby, Ehrenamt etc. umzugucken ?
    Für größere Kinder sind doch auch größere Anschaffungen nötig. Führerschein, ggf. Auslandsaufenthalt , Ausbildung oder Studium, eigene Wohnung etc. ,
    das muss doch alles finanziert werden.

    1. Ja, ich arbeite tatsächlich viel mehr als vorher mittlerweile. Trotzdem finde ich es schön, wichtig und gut, nicht nur nach mehr Arbeit, sondern auch nach etwas Erfüllendem im Privaten nochmal zu schauen, wenn die Fürsorge für die eigenen Kinder wegfällt.

    2. Hallo,
      meine 4 Kinder sind zwischen 11 und 7 Jahre alt und mehr zu arbeiten ist tatsächlich etwas, worauf ich mich sehr freue, wenn sie wieder größer sind. Im Moment arbeite ich Teilzeit (50%) und da wir keine Unterstützung durch Großeltern etc. haben, ist es echt teilweise eine organisatorische Herausforderung, da sowohl bei mir als auch bei meinem Mann kein Homeoffice möglich ist. Ich merke an meiner großen Tochter wie sie selbstständiger wird und ich mir keine Gedanken mehr machen muss, wenn sie alleine nach Hause kommt und sich selbst versorgen muss. Das entlastet und gibt ganz neue Freiheiten. Wenn alle 4 (endlich) soweit sind, werde ich auf jeden Fall meine Stundenzahl wieder erhöhen, da ich meinen Beruf als absolut sinnstifftend und erfüllend empfinde und wir das Geld natürlich auch gut gebrauchen können. Ein, zwei Hobbys habe ich auch noch im Blick, die ich gerne intensivieren möchte und dann denke ich, dass sich auch bei 4 großen Kindern immer noch genug Gelegenheiten zur Unterstützung ergeben werden, auch wenn sie schon groß sind.
      Und obwohl ich mir natürlich auch manchmal wehmütig Babyfotos anschaue oder ein Tränchen verdrückt habe als jetzt der letzte Kindergartenabschied anstand, freue ich mich sehr auf das was vor mir/uns liegt und hoffe, dass ich gesundheitlich fit bleibe, um das alles so umzusetzen wie geplant.

  6. Hallo,

    danke für diesen Text!
    Mich beschäftigt das Thema loslassen und neufinden sehr.

    Mein Kind wird 12 und ich merke nun schon deutlich wie sich einiges verändert. Er braucht mich nicht mehr so viel und ich frage mich mehr und mehr, was ich mit meiner Zeit mache. Ich würde sie gern mit noch einem Hobby (neben dem Sport, den ich mache) und einem Ehrenamt füllen, aber habe noch nicht das Richtige gefunden.

    Und ich bin schon sehr wehmütig, auch wenn ich gleichzeitig die wiedergewonnene Freiheit genieße. Ich hätte gern noch ein Kind gehabt, aber es sollte nicht sein und das galt es erstmal zu verarbeiten. Jetzt mache ich mir fast etwas Druck, dass ich einen neuen „Plan“, eine neue Aufgabe aus
    dem Hut zaubere…

  7. Liebe Lisa,
    danke für den Artikel, er hat mir gut gefallen. Meine Kinder sind jetzt 11 und 14 und ich merke, wie sie groß werden. Wichtig finde ich, sich schon rechtzeitig damit auseinanderzusetzen, wie man die neuen Freiräume füllen möchte. Sicher spielt auch Genügsamkeit eine Rolle. Denn: Das Aufziehen und Begleiten der eigenen Kinder ist so wunderbar und lässt sich für viele nicht durch Hobbies, Ehrenämter etc. ersetzen. Dennoch ist es für mich ein ideales Erziehungsziel, den Kindern wenn sie groß sind Flügel zu geben.

    1. Da kann ich dir nur zustimmen. Zumal es zu diesen Flügeln meiner Meinung nach auch gehört, dass man die Kinder nicht mit der Sorge belastet, man würde ohne sie emotional zusammenbrechen und seinen Lebensinhalt verlieren. Sie sollen flügge werden in der Gewissheit, dass sie zwar immer ihren festen Platz in der Familie haben, sich aber nicht um die Eltern kümmern müssen. Weil die ihr Leben selber gut gestalten.

      1. Das finde ich einen ganz ganz wichtigen Aspekt, liebe Ute! Sie sind nicht verantwortlich für unser Glück, das Gefühl sollten wir ihnen niemals vermitteln. Wir dürfen sie freudig ziehen lassen und dabei zwar wehmütig sein, aber kein schlechtes Gewissen mitliefern… das haben meine eigenen Eltern supertoll hingekriegt. Ging mir auch beim Auslandsaufenthalt der Großen so: Mach, mach, mach das, wie unfassbar toll, das gönne ich dir. Und natürlich schluckt man dann selbst auch mal, wenn sie in den Flieger steigt, aber da ist das Ziehenlassen dann einfach wichtiger als die eigene Wehmut.

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