Ihr Lieben, wer heute ein Kind adoptiert, wird eng begleitet. Zahlreiche Filme, Bücher und Broschüren beraten, wie man am besten mit dem Thema umgeht, wie man das Kind altersgerecht aufklärt. Unsere Leserin Nikki wurde 1979 adoptiert, damals sah das noch anders aus. Ihre Adoptiv-Eltern haben ihr verschwiegen, dass sie nicht ihre leiblichen Eltern sind. Eine Tatsache, die ihr ganzes Leben beeinflusst hat. Vielen Dank, liebe Nikki, für deine Geschichte.
Liebe Nikki, dein Leben war recht beschaulich, bis irgendwann deine eigentliche Geschichte über dir einzustürzen begann. Erzähl mal ein bisschen was vom Davor. Wie bist du aufgewachsen?
Ich bin 1978 geboren und in einer Kleinstadt aufgewachsen. Ich hatte ein harmonisches Elternhaus und meine Eltern waren immer für mich da. Das innigste und tiefste Verhältnis mit großer Verbundenheit hatten wir jedoch nicht – aber es war alles gut wie es war. Meine Mutter hat Teilzeit gearbeitet, war also viel zu Hause, ich war nie einsam. Ja, alles in allem hatte ich eine behütete und schöne Kindheit.
Ich habe mich schon allerdings recht früh gefragt, warum es keine Babyfotos von mir gibt. Mein Vater hat nämlich immer gerne fotografiert und wir hatten sehr viele Fotoalben, aber es gab keine Babyfotos von mir. Darüber habe ich mich zwar gewundert, aber ich habe wohl nie danach gefragt, warum das so ist.
Wie ging es weiter?
Irgendwann in der Pubertät, ich war etwa 15 Jahre alt, habe ich in Mamas Schminksachen gestöbert und zufällig im Schrank eine Mappe entdeckt. In dieser Mappe waren Adoptionsunterlagen. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich da andere Namen las und meine bis dahin heile Welt in sich zusammenfiel. Ich konnte es wirklich nicht glauben und habe auch nichts zu meinen Eltern gesagt, weil ich Angst hatte, Ärger zu kriegen, weil ich in Mamas Sachen rumgeschnüffelt hatte….Immer, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, habe ich mir die Unterlagen angesehen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume.
Du hast deine Eltern auch weiterhin nicht darauf angesprochen, richtig?
Ja, ich habe nie etwas gesagt. Zu groß war meine Angst. Mit Anfang 20 bin ich von zu Hause ausgezogen, auch da hatte ich noch nichts gesagt. 2006 gab es dann mal einen Zwischenfall bezüglich Briefwahlunterlagen – ich konnte die Unterlagen nicht online anfordern. Im Bürgerbüro sagten sie, ich solle das Gespräch mit meinen Eltern suchen. Da war mir klar, dass das Thema Adoption irgendwas damit zu tun haben musste und plötzlich wurde mein Wunsch nach Offenheit und Klarheit groß.
Und dann baten dich deine Eltern kurz darauf tatsächlich zum Gespräch…
Genau, mein Vater schrieb mir, dass wir uns abends unbedingt treffen sollten – und dass mein damaliger Partner unbedingt dabei sein sollte. Abends kamen dann meine Eltern zu uns in die Wohnung. Das Gespräch verlief ganz schön holprig, weil niemand die richtigen Worte fand.
Meine Eltern sagten, dass das Jugendamt eine Kontaktanfrage von meinem leiblichen Vater habe und dass ich – weil ich volljährig sei – selbst entscheiden könne, ob ich Kontakt möchte oder nicht. Meine Mama weinte die ganze Zeit, weil sie Angst hatte, dass ich jetzt „weggenommen“ würde. Ich kann mich tatsächlich wenig an dieses Gespräch erinnern, nur daran, dass ich irgendwie dachte, ich müsste meine Adoptiv-Eltern schützen.
Wie hast du dich entschieden? Wolltest du Kontakt zu deinem leiblichen Vater?
Ich teilte dem Jugendamt mit, dass mein leiblicher Vater mir ja einen Brief schreiben könne. Das aber konnte oder wollte mein Erzeuger da noch nicht, weil er gar nicht wusste, was er schreiben soll. Er sagte dem Jugendamts-Mitarbeiter, dass er mir Babyfotos geben wolle und dass es sein größter Wunsch sei, mich zu sehen. Der Jugendamts-Mitarbeiter sagte zu mir, dass mein Erzeuger einen sehr netten Eindruck mache und sehr unter der Adoption gelitten habe.
Da ich wirklich Bammel vor einem persönlichen Gespräch hatte, schrieb er dann doch Briefe. So erfuhr ich, dass er keinen Kontakt zu meiner leiblichen Mutter habe, dass er aber wieder verheiratet sei und es auch noch zwei Halb-Geschwister gäbe.
Nach einigen Briefwechseln habe ich dann einem Treffen zugestimmt. Ich kam mit meinem damaligen Partner und er mit seiner neuen Frau. Das war schon alles ziemlich krass, denn es gab so viele neue Informationen, die nur so auf mich einprasselten. Ich erfuhr auch, dass er noch versucht hatte, die Adoption abzuwenden, aber das Jugendamt sich gegen ihn entschieden hatte.
Mein Vater war damals Mitte 20, meine Mutter zehn Jahre älter und hatte schon zwei Kinder. Meine Eltern trennten sich schnell. Im ersten Lebensjahr kümmerte sich meine leibliche Mutter noch gut um mich, dann lernte sie einen anderen Mann kennen, der keine Kinder wollte. Ihre beiden großen Töchter sind dann zu ihrem Vater und ich wurde zur Adoption frei gegeben.
Und dann gab es tatsächlich auch noch Kontakt zu deiner leiblichen Mutter…
Ja, ich habe sie nicht persönlich kennen gelernt, aber wir haben uns Mails geschrieben. In diesen Mails habe ich sie als sehr ehrlich wahrgenommen und nicht als „böse Frau“. Ich glaube, sie hatte es auch nicht leicht im Leben. Leider ist sie mittlerweile gestorben.
Damals war dieser Mailkontakt aber sehr sehr anstrengend für mich, es überforderte mich. Ich hatte das Gefühl, dass alle was von mir wollen. Alle Emotionen überrollten mich. Ich wollte eigentlich nur noch zurück in mein altes, normales Leben…
Welche Gefühle hattest du deinen Adoptiveltern gegenüber?
Ich hab mich belogen gefühlt, auch wenn ich meine Eltern verstehen konnte. Sie hatten immer Angst, dass meine leibliche Mutter mich zurückholen könnte. Meine Eltern hatten sich so sehr ein Kind gewünscht, es hatte Jahre gedauert, bis eine Adoption klappte. Sie wollten sich und mich einfach beschützen.
Aber alles In Frage gestellt habe ich nicht. Meine Eltern haben mir eine gute Kindheit ermöglicht.
Hast du Verständnis dafür, dass nicht wirklich offen mit dir umgegangen wurde?
Ja, das ist in Ordnung. Heute würde man sicher damit anders umgehen. Heute bekommt man sehr viel mehr Hilfestellung, es gibt Beratungsstellen, Therapeuten, Kinderbücher… das gab es alles damals noch nicht so.
Wenn du an früher denkst, hattest du da mal das Gefühl, fremd zu sein?
Ja, ich würde sagen, dass mir das Gefühl des Urvertrauens fehlt – bis heute. Äußerliche Ähnlichkeiten habe ich nie vermisst oder gesucht. Aber als ich meinen leiblichen Vater das erste Mal sah, war das ganz schön erschreckend diese Ähnlichkeiten festzustellen. Das war richtig unheimlich.
Wie geht es dir heute mir der ganzen Geschichte?
Es ist immer noch nicht real alles, manchmal denke ich, es ist die Geschichte von jemand anderem. Aber ich finde langsam meinen Frieden damit…
3 comments
Meine Tochter habe ich adoptiert als sie 1Jahr und 10 Monate alt war. Ich finde es sehr wichtig daß offen mit einer Adoption umgegangen wird. Vor allem sollte man nicht schlecht über die Herkunftseltern sprechen, egal was war. Ich bin ihre Mama und sie mein Kind, auch wenn ich sie nicht geboren habe.
Liebe Nikki,
vielen Dank für deinen offenen und ehrlichen Beitrag. Dieses Gefühl, dass die Welt aus den Fugen gerät kenne ich leider sehr gut.
Zwar ist meine Mutter meine leibliche, teilte mir jedoch im Rahmen eines Telefonats vor einigen Jahren unvermittelt mit, dass mein Vater mich adoptiert habe. Schwierig war für mich (damals Anfang 20), dass sie mich darum bat, ihm nicht zu erzählen, dass ich nunmehr darum Bescheid wisse, da sie ihm bei der Adoption versprochen habe, dass ich die Wahrheit niemals erfahren werde.
Ich trug dies einige Jahre mit mir herum, bevor ich meinem Adoptivvater in einem 4-Augen-Gespräch sagte, dass ich Bescheid wisse. Seitdem ist es einfacher für mich, mit dem Wissen zu leben. Ich hadere jedoch immer wieder damit, ob ich mich auf die Suche nach meinem leiblichen Vater begeben sollte…
Liebe Nikki,
deinen letzten Satz „manchmal denke ich, es ist die Geschichte von jemand anderem“ kenne ich nur zu gut. Dabei bin ich gar nicht in erster Generation betroffen. Ich habe mit 22 Jahren auch durch Zufall herausgefunden, dass meine sehr geliebten Großeltern, die Adoptiveltern meiner Mutter und somit auch nicht meine leiblichen Großeltern sind. Das alles hat mich auch sehr aus der Bahn geworfen und mind. ein zusätzliches Semester gekostet. Sie wohnten zum Glück sehr nahe bei uns und mein Opa hat immerhin noch ein Jahr gelebt. Meine Oma noch ein weiteres, in dem ich ganz viel intensive Zeit mit ihr verbracht habe. Das Schicksal meiner Mutter ist leider zu umfangreich, als dass ich es hier erläutern könnte/wollte, aber sie war meinen Großeltern sehr dankbar und wollte uns Kindern einfach eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen und uns nicht mit dieser Thematik belasten. Trotz des anfänglichen Schocks und der langen Zeit der Verarbeitung dieser zahlreichen neuen Infos, bin ich sehr froh, dass ich nicht schon in früheren Jahren damit konfrontiert wurde.