Ihr Lieben, wir wissen alle: Toxische Partnerschaften haben Folgen – nicht nur für die beteiligten Erwachsenen, sondern auch für die Kinder. Turid Müller, Psychologin und Autorin von „Verdeckter Narzissmus in Beziehungen“, kennt die zerstörerische Wirkung von Narzissmus – aus eigener Erfahrung und durch ihre Coaching-Expertise. Sie verrät, was wir tun können, um unsere Kinder maximal zu unterstützen.
„Narzissmus und toxische Beziehungen sind mehr als nur Modewörter, denen wir zunehmend in den Medien begegnen. Narzisstischer Missbrauch ist eine Realität, der sich viele Eltern stellen müssen. Die Konstellationen können unterschiedlich sein: Zum Beispiel, weil sie in narzisstischen Elternhäusern groß geworden sind, und die Wunden nicht weitergeben wollen; weil sie in krankmachenden Beziehungen leben; oder weil sie sich nach einer Trennung mit einem narzisstischen Elternteil das Sorgerecht teilen. – Aber fangen wir vorn an:
Was ist Narzissmus?
Die Forschung streitet noch immer, was sich eigentlich genau hinter dem Begriff Narzissmus verbirgt. Es scheint, dass es gesunden und pathologischen Narzissmus gibt. Letzterer kann verheerende Folgen haben – vor allem für das Umfeld der betroffenen Person. Denn bei Persönlichkeitsstörungen dieser Art leiden vor allem die anderen. Doch bereits starke narzisstische Züge können eine Partnerschaft vergiften und zum Teil lebenslange Folgen für die beteiligten Kinder mit sich bringen.
Dabei ist es wichtig zu wissen, dass Narzissmus nicht unbedingt als solcher zu erkennen ist: Wir stellen uns jemanden vor, der von sich überzeugt ist, offen egoistisch und herablassend gegenüber anderen. Doch es gibt auch andere Ausprägungen: So kann sich beispielsweise hinter Hilfsbereitschaft das narzisstische Motiv verbergen, sich überlegen zu fühlen oder Bewunderung für das Engagement einzuheimsen. In diesem Fall spricht man von verdecktem Narzissmus.
Was sind typische Verhaltensweisen narzisstischer Eltern?
Charakteristische verdeckte narzisstische Verhaltensweisen wäre zum Beispiel auch eine Variante von Gaslighting, die auf den ersten Blick empathisch wirkt: Sätze wie „Bist du sicher, dass du das schaffst?“ können Selbstbild und Selbstwertgefühl eines Kindes nachhaltig beeinträchtigen, so dass es sich nichts mehr zutraut.
Doch der Narzissmus kann auch offen zutage treten – in unverhohlener Abwertung oder Verachtung. Despektierliche Witze oder Kosenamen sind dann schon wieder schwerer als Angriff auf das Selbstbewusstsein zu erkennen.
Helikoptereltern wirken treusorgend – zu hinterfragen wäre allerdings, ob es hier eine zu große Verquickung gibt, ob sie sich etwa in der aufopfernden Märtyrer*innen-Rolle sonnen oder so sehr auf narzisstische Zufuhr durch die Kinder angewiesen sind, dass diese sich nicht abnabeln können. In diesem Kontext kann es auch zum Einsatz von Schuldgefühlen kommen: „Geh ruhig mit deinen Freunden weg, Mama kommt schon klar hier allein…!“
Die fehlende Grenze zwischen sich und den Eltern kann sich auf vielerlei Weise äußern. Hat ein Kind den Auftrag, die Eltern stolz zu machen, wird es ebenfalls zu deren Verlängerung. Hier kommt unter Umständen auch eine Botschaft mit, die das Kind fürs Leben prägen kann: „Ich bekomme nur dann Liebe (oder zumindest Zuwendung), wenn ich dafür etwas tue!“ Das kann emotionale Unterstützung sein oder das Erringen von Erfolgen – stellvertretend für die Eltern.
Typisch sind auch Erpressen, Drohen, Eifersüchtig sein oder Eifersucht unterstellen. Und das Bilden von Dreiecks-Beziehungen – zum Beispiel zwischen den Geschwistern („Wenn du doch mehr wärst wie dein Bruder!“) oder mit dem anderen Elternteil. Auch kann es dazu kommen, dass das andere Elternteil vor den Kindern schlecht gemacht wird, so dass die eigene Verbindung zum Kind intensiviert wird. Das kann gerade in Trennungssituationen zu erheblichen Problemen führen – etwa, wenn das Kind entscheiden soll, bei wem es leben möchte.
Wie verhalten sich Kinder, die narzisstischen Missbrauch erleben?
Ähnlich wie Kids aus Suchtfamilien kann es auch hier zur Übernahme starrer Rollen kommen. Diese werden durch das narzisstische Elternteil unter den Geschwistern vergeben: Das goldene Kind beispielsweise wird gelobt, während der Sündenbock immer die Schuld kriegt. Vielleicht versucht ein Kind auch als Helferlein Liebe zu verdienen – ein Muster, das wohlmöglich fortan die Blaupause für alle Beziehungen dient, und zu Co-Abhängigkeit führen kann.
Über allen schwebt immer das Damoklesschwert, sich nur ja nicht danebenzubenehmen – sonst wird man schnell zum neuen Sündenbock. Denn die Rollen können wechseln. Einzelkinder finden sich gegebenenfalls in mehreren Rollen wieder.
Welche Wirkung hat ein narzisstisches Elternhaus?
Wenn mindestens ein Elternteil narzisstisch ist, bleibt das selten folgenlos. Betroffene haben unter Umständen nicht nur in der Kindheit, sondern bis ins hohe Erwachsenenalter hinein damit zu kämpfen. Es kann zu Problemen mit dem Selbstwertgefühl, Scham, Pleasingsverhalten, Perfektionismus, Ängsten, Depressionen, Essstörungen und anderen Süchten kommen. Aber auch zu Stresserkrankungen oder komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen.
Nicht selten werden Kinder durch das Verhalten der Eltern selbst narzisstisch. Das kann von ausgeprägten Charakterzügen bis zur Persönlichkeitsstörung reichen. Möglich ist aber auch die Übernahme narzisstischer Verhaltensweisen durch Lernen am Modell. Die gute Nachricht: Diese können wieder verlernt werden.
Eine Prädestinierung für toxische Partnerschaften ist ebenfalls gängig. Denn wer lernt, dass sich Liebe so anfühlt, wird sich auch künftig bei solchen Gegenübern wie zuhause fühlen.
Was tun, um die Kinder zu schützen?
Ob im Elternhaus oder in der Partnerschaft – wer selbst Opfer von narzisstischem Missbrauch wurde, kann den eigenen Kindern durch Aufarbeitung der eigenen Erlebnisse helfen. Unsere Baustellen zu klären kann verhindern, dass wir (und sei es unbewusst) weitergeben, was wir erlebt haben. Therapie, Coaching und Wissen über das Thema können dabei sinnvoll sein.
Ein verbreiteter Grundsatz ist das Zusammenbleiben für die Kinder. Das ist allerdings im Falle toxischer Beziehungen nicht unbedingt ratsam – nicht nur im Hinblick auf das eigene Glück. Auch die Kinder sind nach einer Trennung im Zweifel besser dran. Und sei es nur, weil wir ihnen nicht vorleben, dass eine solche Behandlung normal ist.
Je nach Schwere der Störung kann es ratsam sein, die Kinder vor dem Einfluss des narzisstischen Elternteils zu schützen – zum Beispiel, wenn es auch zu körperlichen Übergriffen kommt.
Im Falle von Co-Parenting stellt der nicht-narzisstische Elternteil eine wichtige Ressource dar. Er kann dazu beitragen, dass das Kind seelisch und körperlich unbeschadet bleibt. Aktives Zuhören hilft dem Kind, seine Erfahrungen mit dem narzisstischen Elternteil einzuordnen. Hierdurch werden die Gefühle des Kindes validiert, und es lernt, die sich wiederholenden Muster zu beschreiben. Wenn es älter ist, wird es vielleicht in eine Suchmaschine eingeben, was es durchlitten hat, und ein Wort dafür finden. Bis dahin ist es wichtig, die Beziehung zum anderen Elternteil nicht durch das Benennen einer Diagnose oder Ähnliches zusätzlich zu belasten. Im Zweifel kann zusätzlich eine therapeutische Begleitung des Kindes angezeigt sein.
Was sind green Flags?
Green flags sind das Gegenteil von red flags, den Warnzeichen, die auf narzisstische Muster hindeuten. Grüne Flaggen sind also in diesem Fall nicht narzisstische, beziehungsweise empfohlene Verhaltensweisen, mit denen wir unsere Kinder stärken können. Dazu gehört vor allem eine gute Spiegelung in der frühen Kindheit. Auch wichtig scheint zu sein, nicht unbegründet und maßlos zu loben, sondern angemessen und konkret mit Bezug auf ein spezielles Verhalten. Das eigene Wohlbefinden nicht von den Kindern abhängig zu machen, so dass sie Geborgenheit bei uns finden, aber frei sind, die Welt zu erkunden und eine eigenständige Person mit einem eigenen Leben zu werden, ist ebenfalls zentral. Und auf Platz eins steht: Liebe dein Kind für sein Sosein und wie es ist!
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5 comments
Hallo, ich erlebe/ erlebte mein ganzes Leben (53 Jahre) eine verdeckt toxisch, narzistische Mutter.
Dies wurde durch eine langjährige Psychotherapie erkannt, es zog mir den Boden unter den Füssen weg.
Ich stelle mich und meinen Sinn des Lebens in Frage.
Ich finde es wichtig, dass wir Eltern uns bewusst machen, dass die Auswirkungen toxischer Partnerschaften und narzisstischen Verhaltens auf Kinder weitreichend sein können. Es ist wichtig, dass wir uns bemühen, unsere Kinder vor diesen Einflüssen zu schützen und ihnen eine gesunde und liebevolle Umgebung zu bieten. Ich danke für deine Expertise und die wertvollen Tipps. Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel.
Liebe Susanne, mir geht’s leider genauso wie du es ansprichst!
Ich finde diesen Text auch fragwürdig. Wie kann ich bei einem Narzisten bleiben und soll es dem Kind auch noch schönreden. Das ich meinem Kind damit bewusst schade und es nicht vor dieser Person schütze? Kann ja dann mal Therapie machen wenn es erwachsen ist???
Ich lese hier leider nur: Redet am besten nicht mehr, jeder falsche Satz kann schrecklichsten Folgen für eure Kinder haben!
Ich verstehe immer mehr weshalb die jungen Eltern die ich begleite so verunsichert und verkrampft sind…