Ihr Lieben, was würdet ihr eurem jüngeren Mutter-Ich sagen? Also der jungen Frau, die gerade ihr erstes Baby in den Arm gelegt bekommen hat und ganz am Anfang der Mutterschafts-Reise steht? Ein spannendes Thema, oder?
Unternehmensberaterin und Autorin Alexandra Götze lebt mit Mann und zwei erwachsenen Kindern in Wiesbaden. Ihr 50. Geburtstag ist für Alexandra eine Zäsur und diese nutzt sie zur Selbstreflexion und Neuausrichtung, ihr aktuelles Buch „Rückblickend schaue ich entspannt nach vorn! Die sieben Rollen als Frau – Plädoyer für Gelassenheit und Verrücktheit als Mutter“ ist in dieser Zeit entstanden. Wir dürfen einen Auszug aus dem Buch bei uns veröffentlichen, in dem sie an ihr früheres Ich schreibt.
An mein früheres Mutter-Ich
Für: Alexandra, 30 Jahre im Jahr 2002
Von: Alexandra, 52 Jahre im Jahr 2024
05. August 2002, 00:44 Uhr
Liebe Alex, herzlichen Glückwunsch zur Geburt deines ersten Kindes!
Natürlich weiß ich, dass jetzt ein ganz unpassender Zeitpunkt ist, dass ich mich mal kurz bei dir aus der Zukunft melde, aber da du ab heute sowieso sehr schnell lernen musst, mit unpassenden Zeitpunkten umzugehen, fängt dieser Brief gleich mal damit an. Hast du Lust, zu deiner neuen Mutterrolle ein paar Gedanken und Ratschläge von deinem zukünftigen Ich zu erhalten?
So wie ich dich kenne, lautet deine Antwort „nein“, denn dein Bedarf an Tipps und intimen „So-ist-es-mir-ergangen-Geschichten“ ist bereits mit Beginn deiner Schwangerschaft mehr als gedeckt worden. Aber da das alles nichts ist im Vergleich zu dem, was an Weisheiten und Empfehlungen ab jetzt noch auf dich einbricht, bin ich einfach mal so frei und lege los:
Wenn man dich heute fragt, welche Erwartungen du an dich als Mutter hast, fällt dir nur das eine ein: Du möchtest eine Mutter sein, die Selbstvertrauen hat und cool ist mit dem, wie sich deine Tochter entwickelt. Dir ist wichtig, dass sie so sein darf, wie es in ihr steckt und nicht, wie es die Gesellschaft von ihr erwartet. Und der Gedanke ehrt dich sehr!
Aber bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich dir sage, dass du deine Rechnung leider ohne den berühmten Wirt machst. Und dieser heißt: Kindergarten und Schule! Es wird die Zeit, die dich emotional so belastet und herausfordert, wie bisher nichts in deinem Leben. Und oftmals gelingt dir sehr wenig von dem, was du dir in Bezug auf dein Selbstvertrauen und der persönlichen Entwicklung deiner Tochter vorgenommen hast.
Aber der Reihe nach:
Die ersten Jahre in der Krippe werden äußerst zufriedenstellend verlaufen. Also, für dich und womöglich auch für deine Tochter, aber vor allem für die Erzieherinnen. Immer wieder hörst du von ihnen ein Lob, wie gut sich dein Kind integriert, wie viel Freude sie allen macht, und jedes Mal geht dir diese Rückmeldung runter wie Öl. Es sind die Momente, in denen du das gute Gefühl hast, alles richtig zu machen. Du rufst deine Mutter an, die dir bestätigt, wie recht die Erzieherinnen doch haben, denn ihr wäre ja auch schon aufgefallen, wie fit die Kleine ist. Und du erzählst es deinem Mann und ohne, dass ihr beide es aussprechen müsst, denkt ihr, dass ihr da was ganz Besonderes hinbekommen habt.
Das ist der Zeitpunkt, an dem du unterbewusst anfangen wirst, dein Selbstwertgefühl an die Leistungen und Beurteilungen deines Kindes zu koppeln. Es ist eine sehr unfaire und verhängnisvolle Verbindung. Verhängnisvoll, weil du dich von den Leistungen deines Kindes abhängig machst. Unfair, weil du dein Kind vor einen Karren spannst, vor dem es nichts zu suchen hat. Denn bitte bedenke, Alex: Dein Kind ist heute nicht auf die Welt gekommen, damit du dich besser leiden kannst oder wertvoller fühlst.
Mal ganz abgesehen davon, hält dieses Hochgefühl auch nicht wirklich lange an. Denn es kommt der Tag, an dem man dich im Kindergarten noch mal kurz zum Gespräch bittet, weil man der Meinung ist, dass deine Tochter in letzter Zeit Auffälligkeiten an den Tag legt. Dein Kind hält sich nicht an die Regeln, schikaniert die anderen Kinder der „Sonnenblumengruppe“ und ist insgesamt aufmüpfig. Dazu kam der aktuelle Vorfall mit Vincent, dem deine Kleine so stark in den Arm gebissen hat, dass Vincents Mutter ihren Sohn abholen musste, weil der sich nicht mehr beruhigte.
In diesem Moment werden dich Gefühle überkommen, die du in dieser Intensität lange nicht mehr erlebt hast. Du möchtest dein Kind verteidigen und schämst dich gleichermaßen. Du findest, die Erzieherinnen sind unfair zu dir, und weißt zugleich, dass sie nur ihren Job machen. Der kleine Vincent tut dir leid, aber seine Mutter soll dich jetzt ja nicht blöd angucken. Du fragst dich, ob diese Einrichtung überhaupt noch die richtige ist, weil dein Kind sich zu Hause ganz anders verhält. Du überlegst, ob deine Tochter Hilfe braucht und was von ihrem Verhalten deine Schuld sein könnte.
Lass es sein, Alexandra!
Fang gar nicht erst damit an, dich diesem mentalen Shitstorm auszusetzen! Je früher du verstehst, dass dies Momentaufnahmen vom Verhalten deiner Tochter sind und weder die Festschreibung ihrer Persönlichkeit noch ein Versagen deiner Erziehungskompetenz, umso weniger wirst du dich an solchen Rückmeldungen in Zukunft festbeißen und schlaflose Nächte haben.
Gewöhne dich daher am besten schon heute daran, dass es Menschen geben wird, die sich aufgefordert fühlen (oder beruflich dazu aufgefordert werden) dein Kind zu beurteilen. Aber bitte mache dir unbedingt bewusst, dass dieses „Urteil“ schlussendlich nur die Beschreibung der Beobachtung eines Menschen ist. Es liegt allein an Dir, ob und wie du dich zu dieser Beobachtung verhältst, ob und wie sie dein Selbstwert oder deinen Blick auf dein Kind beeinflussen darf!
Starte jetzt gleich, liebe Alex! Denn auch die Kinderkrankenschwester, die in ein paar Minuten dein Zimmer betreten wird, fühlt sich aufgefordert, eine Bewertung abzugeben und wird etwas über das schlechte Trinkverhalten deiner Tochter anmerken. Antworte ihr einfach mit einem ruhigen „Das ist ja interessant!“ und versprich mir, dass du diesen Satz fortan nie wieder aus deinem Vokabular streichst. Er wird für deine zukünftige Gelassenheit als Mutter Gold wert sein!
Herzliche Grüße aus der Zukunft!
Deine Alex
3 comments
Vielen Dank für den Artikel. Die letzten Buchvorstellungen hier auf dem Blog haben mich persönlich nicht sonderlich angesprochen (ausgenommen die Empfehlungen von Katharinas Sohn), aber dieses Buch hier klingt vielversprechend.
Danke für den Artikel, das ist super! Ich finde das mit der Ankopplung des eigenen Selbstwertgefühls an die Leistung der Kinder in den Augen anderer verliert sich zwar meist mit dem 2. Kind, vor allem wenn dann die Geschwister in Kita und Schule so unterschiedlich wahrgenommen werden. Mir hat doch glatt mal die Horterzieherin meiner Tochter nach ihrem ersten halben Jahr gesagt, dass sie so ganz anders aufmüpfiger und vorlauter als ihr 2 Jahre älterer Bruder sei, der immer so diplomatisch und charmant sei. Ich konnte da echt nur antworten, dass das sicher daran liegt, dass es 2 unterschiedliche Menschen seien und mir als Mutter schon lange aufgefallen ist, dass sie sich unterschiedlich verhalten und ob wir uns jetzt im Gespräch einfach wieder auf meine Tochter konzentrieren können, deren Horterzieherin sie ja sei… Also ja, ganz wichtig, die Kinder wachsen lassen ohne, dass sie Erwartungen erfüllen müssen bzw. zur Erfüllung der Erwartungen anderer dienen.
Hallo Kathrin, deine Antwort an die Erzieherinnen ist super…“es mag daran liegen, dass es zwei unterschiedliche Menschen sind 🙃😄“
Ja, du hast recht, beim zweiten Kind kann sich einiges an Beobachtungen des ersten Kindes noch mal relativieren.
Es freut mich sehr, dass dir der Artikel gefällt.