Ihr Lieben, wohl alle Eltern wünschen sich für ihre Kinder ein glückliches, gesundes und sicheres Leben. Was aber, wenn ein Kind auf die schiefe Bahn gerät, keinen Halt mehr findet und total abrutscht? Genau das ist dem Sohn von Heike passiert, Heike leidet sehr darunter und ist zufällig auf den Artikel von Clara gestoßen (HIER nachzulesen), deren Sohn auf der Straße lebt. „Ich bin froh, dass ich den Text gelesen habe, denn jetzt weiß ich, dass ich nicht alleine bin“, sagte Heike und wollte uns auch ihre Geschichte erzählen.
Liebe Heike, du hast einen 35-jährigen Sohn, der auf der Straße lebt. Mit etwa 18 Jahren fing es an, dass er abrutschte. Wie war dein Sohn denn vorher als Kind?
Mein Sohn war ein ganz normales Kind und definitiv nicht irgendwie sozial auffällig. Er war fröhlich und interessiert, hatte viele Freunde und ein stabiles Umfeld. Aber ich glaube, dass er immer dachte, er sei nicht gut genug für seinen Vater. Die beiden hatten öfter mal Zoff und irgendwie hat meinem Sohn auch die Anerkennung des Vaters gefehlt.
Was genau ist dann passiert, als er 18 wurde?
Ich weiss es nicht. Mein Sohn hatte einen sehr guten Realschulabschluss und ist dann aufs Gymnasium. Die Schule hat er aber nach einem Jahr abgebrochen, ist dann zur kaufmännischen Hochschule, die er ebenfalls abgebrochen hat. Dann hat er eine Ausbildung begonnen und ebenfalls abgebrochen.
Dann kamen Drogen und Alkohol dazu, der Vater meines Sohnes reagierte nicht gerade sensibel und sagte immer: Aus dir wird nichts, wenn du so weiter machst. 2011 habe ich mich von meinem Mann getrennt und bin mit meinem Sohn in eine Wohnung gezogen.
Wie ist er in dieser Zeit mit dir umgegangen?
Als wir alleine waren, ging es noch ganz gut. Er hat natürlich nichts im Haushalt gemacht oder mich unterstützt und wenn ich mit ihm reden wollte, ist er immer einfach abgehauen. Einmal hat er mir entgegen geschleudert: Du hättest viel strenger mit mir sein müssen.
Dann mussten wir wegen Eigenbedarf aus unserer Wohnung raus, ich war wieder in einer Beziehung und dieser Mann, mit dem ich heute verheiratet bin, hat uns angeboten, dass wir zu ihm ziehen könnten. Mein Sohn wollte das nicht. Er verkaufte all seine Sachen und wollte nach Australien „Work and Travel“ machen. Er war von heute auf morgen weg. Und dann muss etwas passiert sein, was ihn total aus der Bahn geworfen hat.
2020 gab es dann einen Hilferuf deines Sohnes. Kannst du uns davon erzählen?
Ja, in diesem Jahr meldete er sich aus Wilhelmshaven. Da hatte er aber schon eine Tortur hinter sich: Er hatte auf der Straße gelebt, war mehrmals im Krankenhaus, wo man ihm Paranoide Schizophrenie diagnostizierte. Irgendwie hatte er aber über das Jobcenter eine Wohnung bekommen und nahm auch Medikamente, aber sein Leben war ein Trümmerhaufen und deshalb meldet er sich bei uns.
Wir haben ihn natürlich zu uns geholt, ihm eine Wohnung besorgt, alle Schulden bezahlt, alle Behördengänge mit ihm gemacht. Wir waren wieder mit ihm im Krankenhaus, dort wurde ganz klar gesagt, dass er eine Drogenbedingte Schizophrenie habe. Mein Sohn hörte teilweise Stimmen und dachte, alle Menschen würden ihn beobachten.
Trotz dieser schweren Diagnose schien es, als hätte dein Sohn die Kurve gekriegt, aber dann gab es 2024 einen Rückfall. Was hat er da gemacht?
Ja, er war. medikamentös gut eingestellt, ging in Therapie, hatte einen Job, eine Lebensbegleitung und viel externe Hilfe. Er lachte wieder, kam zu Familienfeiern und ich dachte: Wow, ich hab meinen Sohn zurück.
Aber Anfang 2024 merkte ich schon, dass etwas nicht stimmt. Er redete nicht mehr viel, wenn ich fragte, was los sei, wich er aus. Er ging nicht mehr arbeiten, tauchte immer wieder ab. Als ich einige Zeit später in seine Wohnung kam, war alles vollgemüllt. Es war schrecklich aus.
Überall stand auch Zeug rum, das er im Internet bestellt hatte. Als ich fragte, woher er das ganze Geld habe, sagte er nichts. Später stellte sich heraus, dass er sich bei irgendwelchen Kredithaien Geld geliehen hatte. Und einiges Tages war er wieder weg, hatte die Wohnung gekündigt und wollte in Österreich Saisonarbeiter sein.
Wie ist die Situation seitdem?
Sehr schwer. Immer wieder taucht er ab, dann meldet er sich, beschimpft uns. Dann will er wieder Geld, fleht uns an. Das macht er übrigens auch bei seinem leiblichen Vater, mit dem ich dazu immer im Austausch bin. Ich bekam viele, böse Nachrichten aufs Handy und per Mail, habe so oft seine Schulden bezahlt, immer wieder gesagt, dass wir helfen. Vor vier Wochen konnte ich einfach nicht mehr, da habe ich seine Nummer blockiert. Kurz danach ist er wieder hier im Ort aufgetaucht. Er hatte nichts mehr, nur noch das, was er am Leibe trug. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm helfen will, aber er will nur Geld, Essen und Alkohol.
Mittlerweile lebt er hier im Ort auf der Strasse. Manchmal taucht er bei uns zu Hause auf und fragt nach Essen, was ich ihm dann auch gebe. Aber er will nicht mehr reinkommen in unser Haus, will auch nicht mehr großartig mit uns reden.
Was hat das alles mit dir gemacht?
Inzwischen bin ich so fertig, dass ich selbst in psychologischer Behandlung gehen musste. Ich schlafe nachts nicht mehr, kann nicht mehr lange still sitzen, habe ständig Unruhe und einen Druck auf der Brust. Kurz: Mir – und auch meinem Ex-Mann – geht es richtig schlecht. Mein Kind lebt auf der Straße, das kann ich einfach nicht fassen.
Was meinst du, müsste passieren, damit sein Sohn sein Leben in den Griff bekommt?
Das weiß ich nicht. Er hat schon so viel Entzüge und Rehas gemacht, alles hat er abgebrochen. Er sagt nie, wie es in ihm aussieht. Aber irgendwas muss ihn ja belasten. Mein Sohn bräuchte jemanden, dem vertraut und dem er sich anvertrauen kann. Ich wünschte, ich wäre das, aber wir alle sind bei ihm unten durch, weil er glaubt, wir wollen ihn nur wieder in den Entzug schicken.
Was wünschst du dir?
Ruhe, Ruhe, Ruhe. Und das er ein Leben leben, in dem er glücklich ist.