Hey Teeniekind, wie geht’s dir grad so – mitten in der Pandemie und Pubertät? Klar, wenn ich dich frage, antwortest du „Gut“, aber ich meine eigentlich: Wie geht es dir wirklich? Du ziehst dich viel zurück, lebst in deinem Zimmer oder außer Haus. Das ist alterstypisch und voll okay, ich wünsch mir nur, dass es dir gut geht, da hinter der Tür. In deinem Leben.
Manchmal höre ich dich mit FreundInnen giggeln und lachen, ich weiß nicht mit welchen, aber lachen ist doch immer gut! Zu den Mahlzeiten kommst du noch runter, also falls du da bist und nicht unterwegs.
So richtig viel kannst du ja zurzeit nicht unternehmen, aber mit einer Freundin oder einem Freund durchs Städtchen laufen – das geht ja immerhin noch. Und das machst du grad viel. Nicht alle dieser BegleiterInnen kenne ich. Dein Kosmos, dein Leben. Wenn ich nachfrage, ob sie nicht auch mal zu uns kommen wollen, heißt nur: Nee. Die Geschwister nerven. Oder: Nee, wir wohnen zu weit weg vom Schuss, hier fahren ja keine Busse.
Pubertät ist, wenn die Anderen schwierig werden, oder?
Früher, als ich dich Stunde um Stunde und Abend für Abend einschlafbegleitete, da war das alles unvorstellbar. Dass du Nächte lieber woanders als zu Hause verbringst, dass du mehr Zeit mit deinen FreundInnen willst als mit uns. Und jetzt ist das so. Und das kam ziemlich schnell.
Früher nahmst du noch teil an Familienausflügen, heute müssen wir nicht einmal mehr fragen. Ausgeschlossen. Du weißt, was du willst. Du weißt, was du brauchst. Und du brauchst grad definitiv nicht noch mehr Zeit mit der Kernfamilie. So langsam reicht´s. Es geht uns doch eigentlich allen so!
Es gab eine Phase des Liegens. Da kamst du kaum raus aus deinem Zimmer, warst träge, wolltest vor allem netflixen und chillen. Diese Phase wurde abgelöst. Ich höre es heute oft poltern im Zimmer, wenn du Workouts machst, ich sehe, dass dein Licht am Wochenende bis tief in die Nacht an ist oder du gleich in der Nachbarschaft übernachtest.
Alles wird wieder lebendiger, das Leben, dein Leben zieht dich magisch an. Und wir stehen als Eltern staunend daneben. Plötzlich groß. Der eigene Weg ist bereits eingeschlagen. Wow, ist das neu. Wir tasten uns alle ran. Lass mich dich ein ganz kleines bisschen vermissen, ja? Auch für mich ist das ja noch ungewohnt.
Pandemie & Pubertät: Wie soll man sich da abgrenzen von den Eltern?
Wenn ich dich ärgern will, frage ich, ob ich mir Sorgen machen soll. Ob du bald heimlich nach Syrien in den Krieg gehst. Weil wir gemeinsam mal eine Doku über junge Deutsche geschaut haben, die – ohne dass die Eltern es mitkriegten – irgendwann einfach weg waren. Wir lächeln uns dann an. Keine Sorge, Mama, alles gut.
Oder ich frage, ob du dich wirklich mit xy getroffen hast, weil ich dich ja nur zur Bushaltestelle gebracht habe und nicht weiß, mit wem du dich dann wirklich getroffen hast. Du verdrehst dann lächelnd die Augen. Wir wollen als Eltern ja auch nicht nerven.
Es ist ein Abwägen, ein Loslassen, ein Vertrauen… ja, ein Vertrauen. Viel Vorschussvertrauen. Du sollst dein Leben leben. Wir legen es in deine Hand. Pass gut drauf auf, ja?
Du bist schon so selbständig. Stehst morgens auf nach dem Weckerklingeln, kommst kurz runter, isst was, und gehst zurück ins Zimmer. Dort sitzt du dann vor Abertausenden von Zoom- und Teamsmeetings. Machst deine Aufgaben. Chattest. Organisierst dich für Vorträge in virtuellen Gruppen.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich deine Disziplin bewundere, dein Durchhalten. Du backst Kuchen mit Streuseln für den digitalen Kaffeeklatsch, weil es ja keine gemeinsamen Schulhofpausen mehr gibt. Das Beste draus machen, das hast du offenbar verinnerlicht.
„Die Wurzeln sind da. Nun beginnst du zu fliegen“
Wir groß du bist, so groß wie ich. Wie angekommen du schon wirkst nach so kurzen Jahren. Wie sehr dich dein Freundeskreis trägt und schätzt. Und mit wie viel Liebe es zu tun hat, dich ziehen zu lassen. Weil wir dir dein Leben von Herzen gönnen.
Und trotzdem in Kontakt zu bleiben. In einem Kontakt, der immer mehr auf Augenhöhe rutscht. Nicht nur körpergrößenmäßig, sondern auch gedanklich.
Du machst deinen Weg und wir stehen staunend und stolz am Rand und feuern dich an. All die Zeit, die wir zusammen hatten und haben nimmst du einfach mit in dein Leben. Du trägst sie als Schatz für immer in dir. So wie wir die Zeit mit dir genauso für immer als Schatz in uns tragen. Was hätte uns allen Besseres passieren können?
Die Wurzeln sind da. Nun beginnst du zu fliegen.
P.S. Dieser Text wurde selbstverständlich zuallererst dem Kind vorgelegt. Es hat gegrinst und sein Okay zur Veröffentlichung gegeben.
P.P.S. Auch hier hat Lisa schon mal einen Brief an ihr Kind mitten in der Pubertät verfasst.
P.P.P.S. Wer Hilfen sucht, das Familienministerium stellt welche bereit
8 comments
Lisa, bei den Briefen an deine Kinder denke ich immer, ich würde auch gerne so treffende Worte finden an meine Kinder. Weil ich glaube, es reicht nicht, es selbst zu empfinden, es ist auch wichtig, dass es so ankommt, wie man es meint.
Ich habe Tränen in den Augen….mein großes Kind ist 12 und so langsam geht es los und mir fällt es gerade so schwer. Der Text wird st wunderschön geschrieben…. danke dafür.
Oh wow, da sind Tränen geflossen beim Lesen! So aus dem Herzen gesprochen! Vielen Dank,das diese Gefühle in Worte und Sätze gepackt wurden!
Oh man, ich musste direkt weinen beim Lesen. Meine Tochter ist noch ein Stück entfernt von der Pubertät. Im Moment fordert sie noch so viel von mir ein, spielen, kuscheln, lesen, dass es mir oft zu viel ist.
Aber wenn ich das lese- dann werde ich mit Sicherheit auch wehmütig zurück blicken.
So schöne Worte. So voller Liebe und Vertrauen, ich hoffe ich kann das später auch.
Ein wunderschöner Text, der so viel Liebe versprüht! Ich habe gerade noch zwei Kleinkinder im Haus und frage mich verwundert, warum die Zeit eigentlich auf einmal so rennt. Über jedes Stück mehr Selbstständigkeit der beiden freue ich mich und gleichzeitig hoffe ich, dass die Teenizeit sich noch lange Zeit lässt … 😀
Verrückt, ihr habt original meine Tochter beschrieben! Ich musste erst lächeln, aber dann flossen doch die Tränen, weil es auf den Punkt die Veränderung beschreibt und was sie mit mit sich bringt.Aber in erster Linie bin ich sehr stolz, wie sie alles wuppt und was für ein toller Mensch sie ist!!!!
Danke für diese tollen Worte das beschreibt genau mein Innenleben zur Zeit…… Großartig geschrieben.
Ja, auch ich finde mich darin wieder…mein Größter von drei Buben ist jetzt fast 17 und seit einem Jahr nahezu totale Wandlung….ich wusste immer dass es kommt- und trotzdem, hach, erwische mich oft dann beim Gassigehen heimlich mit Tränen in den Augen und da wird mir erst der Schmerz bewusst….wir wohnen alle in einem Haus, unter einem Dach und ich weiß immer weniger…Zeugnis super, wie seit langem nicht mehr- 8h online BigBlueButton- ist er- ohne Kontrolle- Joggen auch ohne Fussball- macht er- Körperpflege- klaro, läuft….alles was ich fürchte wird nicht bestätigt.
Mein Mann- natürlich- cooler als ich…“ ich vertraue ihm halt“ , ja, tu ich auch- hm, oder doch nicht? Ertappe meine eigene Unsicherheit, Ambivalenz…einerseits bombenstolz auf ihn, ein großer hübscher feiner Kerl, höflich und charmant nach außen, nirgendwo Kritik, nur Lob- mit mir genau das Gegenteil…“ lass mich einfach in Frieden!“- ja, Abschied, eindeutig. Und ich muss mitwachsen, da hilft nichts…nicht einfach….vielleicht eine Übung für die beiden anderen, die dann folgen…