Lipödem: Durch die OPs habe ich ein neues Leben

Lipöpdem

Ihr Lieben, wer ein Lipödem hat ist krank und nicht „einfach nur dick“ – leider gibt es immer noch ganz viel Unwissen und Vorurteile zu dieser Krankheit, von der in Deutschland rund 3,8 Millionen Frauen betroffen sind (der Anteil der betroffenen Männer ist schwindend gering). Wie sehr die Betroffenen unter dieser Fettverteilungsstörung leiden, erzählt uns hier Alicia. Danke für deinen Mut!

Liebe Alicia, du hast ein Lipödem. Kannst du uns mal erzählen, wie es dir ging, bevor du die Diagnose hattest?

Seit ich in der Pubertät war, also mit ca. 13 Jahren, habe ich immer dicke Oberschenkel gehabt. Ich bin mit meinen 1,79 m recht groß gewesen und der restliche Körper war schlank. Das kam sicher daher, dass ich seit vielen Jahren Handball gespielt habe. Zweimal die Woche Training und am Wochenende Spiele – ich war ganz sicher nicht faul.

Deshalb war der Rest meines Körpers eben schlank, aber die Oberschenkel nicht. „Du hast halt Reiterhosen“ wurde mir gesagt. Mit 14 haben ich deshalb meine erste Diät gemacht. Ich wollte auch gerne mal einen Minirock wie meine Freundinnen tragen. Das war schließlich cool. Aber egal was ich gegessen oder wie viel Sport ich gemacht habe, nichts änderte sich. Ich war richtig frustriert. Ich hasste es ins Schwimmbad im Sommer zu gehen.

Dann wurden auch meine Hüften größer und ich sah richtig unförmig aus. Mit 13/14 Jahren hatte ich nicht das Selbstbewusstsein zu meinen Oberschenkeln und Hüften zu stehen, ich bedeckte mich also und versuchte alles zu kaschieren.

Kurz darauf kamen Schmerzen in den Beinen und schwere Beine dazu, außerdem hatte ich ständig blaue Flecken, obwohl ich gar nicht wusste, woher die kommen sollten, weil ich mich gar nicht gestoßen hatte. Ich wurde so empfindlich an Armen und Beinen, dass ich das Handball spielen aufgab. Es machte auch keinen Spaß mehr.

Gar kein Sport mit Lipödem zu machen ist allerdings das schlechteste, was man machen kann. Denn dann ging es richtig los und ich nahm wahnsinnig schnell zu. Kurz vor meiner Hochzeit im Jahr 2016 begannen meine Oberarme dicker zu werden. Dass ich meine Beine verstecken musste, war ich gewohnt, aber nun sollte ich dies auch mit meinen Armen tun? Keine T-Shirts mehr im Sommer tragen? Tops waren sowieso ganz ausgeschlossen. Ich trage also schon gefühlt immer lange Hosen (auch im Sommer) und dann bis vor kurzem mindestens Halbarm. Auch meine Hochzeitsbilder schaue ich mir gar nicht gern an, weil ich immer auf meine Oberarme schauen muss.

Was hat das mit dir psychisch gemacht?

Ich dachte die ganze Zeit, dass es mich psychisch gar nicht so belastete. Ja, die gut gemeinten Ratschläge: Mach doch mal mehr Sport! Du isst halt auch zu viel! Die kann man irgendwann nicht mehr hören und die kränken auch. Nach meiner Diagnose hat mir eine Freundin gesagt, dass sie angesprochen wurde, dass ich ja sehr auseinander gegangen bin. Sie hat mich dann bei demjenigen verteidigt und das Lipödem erklärt, aber getroffen hat es mich schon, was die Menschen so hinter meinem Rücken über mich reden.  Das macht definitiv psychisch etwas mit einem. 

Wann und wie hast du die Diagnose Lipödem bekommen?

Die Diagnose habe ich im Sommer 2016 erhalten. Da war ich 26 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich 13 Jahre lang: ich bin zu dumm zum Abnehmen oder mein Körper ist einfach hässlich. 

Meine Mama arbeitet in einem Reisebüro und ihre Kundin erzählte ihr von ihrem Lipödem. Meine Mama berichtete mir gleich und ich ließ mir einen Termin bei meiner Phlebologin geben. Bei dem Termin brauchte meine Ärztin genau 3 Minuten, um mir die Diagnose Lipödem zu stellen. Ein Arzt aus Bad Hersfeld (bei dem war ich zur Venenkontrolle) begrüßte mich mit den Worten: „Das ist aber ein Lipödem wie im Lehrbuch“. Also wer sich damit auskannte (ich hatte es davor noch nie gehört) erkannte wohl schnell das Lipödem. 

War die Diagnose eine Erleichterung oder ein Schock?

Zuerst war ich nach der Diagnose so erleichtert – es lag also doch nicht an mir! Ich hatte eine Krankheit. Dann wurde mir bewusst, dass es eine chronische Krankheit ist. Mein Körper bleibt so. Punkt. Ich habe erstmal am Heimweg im Auto geweint. So eine Gemeinheit. Genau sowas musste natürlich mir passieren. Und was mach ich jetzt? 

Es gibt die konservative Behandlung mit Bestrumpfung und manueller Lymphdrainage. Die Lymphdrainage ist angenehm und tut nicht weh. Ich gehe auch heute noch 1-2 mal hin. Besonders im Sommer ist es eine Wohltat die gestauten Beine zu entstauen. Die Kompression ist für mich der Endgegner. Gerade im Sommer hasste ich das Ding wie die Pest, aber gerade im Sommer läuft man mit Wasser voll. Ohne Handschuhe kann ich die Strümpfe gar nicht anziehen, da sonst meine Finger aufreißen. Ich habe sie mir wenigstens in verschiedenen Farben bestellt. Aber sie gefallen mir trotzdem nicht. Es hat auch nichts an meiner Unförmigkeit geändert. 

2017 war ich sogar für 4 Wochen in einer Reha wegen des Lipödems. Dort habe ich ein Rezept für einen Lymphomaten erhalten. Diesen kann ich zu Hause gut nutzen.

Was ist das größte Vorurteil, das die Gesellschaft hat bezüglich Menschen mit Lipödem?

Das sind diese „gut gemeinten“ Ratschläge. Iss weniger! Mach mehr Sport! Die lässt sich aber gehen! Das ist das, was die Gesellschaft denkt. Auch im näheren Umfeld kommen diese Ratschläge. Mein Opa hat mir vor kurzem erzählt, ich solle doch mal Trampolin springen, das helfe beim Abnehmen. Selbst den Menschen, denen ich die Krankheit Lipödem erkläre, verstehen es nicht. In den Augen der Gesellschaft bin ich einfach dick – und damit selbst schuld. 

Du hast dich operieren lassen. Welche OPs waren das?

Im Dezember 2024 habe ich meine 4. OP machen lassen. Vorneweg: Ich bereue nicht eine OP, aber es ist auch kein Spaziergang. Nach jeder OP war ich mindestens für zwei Wochen außer Gefecht gesetzt und konnte den Alltag nicht alleine bestreiten. Durch Kreislaufprobleme benötigte ich jederzeit Unterstützung. 

Meine erste OP hatte ich im August 2023 – damals an den Armen. 4,6 Liter wurden abgesaugt. Ich habe mich als erstes für meine Arme entschieden, da sie mich wirklich störten. Besonders optisch. Im Dezember 2023 waren dann meine Oberschenkel-Vorderseite an der Reihe. Dieses Mal 8 Liter. Im Februar 2024 dann die Unterschenkel: 5,2 Liter. Und zum Schluss: Dezember 2024 Oberschenkel Rückseite mit Po und Hüften: 7,9 Liter. Also insgesamt wurden mir 25,7 Liter krankhaftes Fett abgesaugt. 

Ich habe alle OPs in Mühlheim an der Ruhr bei der Lipoclinic Dr. Heck durchführen lassen. Ich war bei Frau Dr. Habermalz. Diese Klinik hat sich nur auf Lipödem spezialisiert und hatte mich im Vorfeld super beraten. Ich war auch in einer anderen Klinik, die hatte mich aber nicht überzeugt. 

Wie hat sich dein Körper und deine Psyche durch die OPs verändert?

Ich bin von Kleidergröße 48/50 auf Kleidergröße 40/42 gerutscht. Einkaufen macht wieder Spaß. Überhaupt Hosen kaufen in einem richtigen Laden ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag! Ich kann Kleider und T-Shirts tragen! Und Stiefel!! Durch meine dicken Waden konnte ich bislang keine Stiefel tragen.

Aber nicht nur mein Körper hat sich verändert, auch meine Gefühle, die ich kaum beschreiben kann. Ich muss mich nicht mehr verstecken. Ich habe das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, im richtigen Körper zu sein. Ich habe sogar mal wieder Handball gespielt. Ich dachte, ich spiele es nie wieder. Keine schweren Beine mehr, Spaziergänge machen wieder Spaß.  Ich kann auch wieder am Boden sitzen und mit meinen Kindern spielen. Auch der Schneidersitz geht wieder.

Was würdest du Betroffenen, die über eine OP nachdenken, raten?

Ich kann es nur empfehlen. Natürlich muss sich das jeder gut überlegen. Es ist ja auch eine Kostenfrage und es gibt keine Garantie, dass es für immer wegbleibt. Aber sollte ich die nächsten 15 – 20 Jahre Ruhe haben, bin ich schon überglücklich. Wichtig ist nur, dass die Betroffenen sich gut beraten lassen und in eine Klinik gehen, die sich darauf spezialisiert haben. Es gibt leider einige „schwarze Schafe“. 

Was machst du im Alltag, um gut mit der Krankheit umgehen zu können?

Ich muss weiterhin auf meine Ernährung achten – wie jeder Mensch. Auch sportlich muss ich mich betätigen. Da ist Schwimmen immer noch das Beste. Weiterhin gehe ich zur Lymphdrainage, die tut gut. 

Was würdest du dir vom Gesundheitssystem für euch Betroffene wünschen?

Von unserem Gesundheitssystem bin ich mehr als enttäuscht. Nicht einen Cent habe ich für meine OPs dazu erhalten. Jede einzelne musste ich selbst zahlen. Zum Schluss habe ich fast 28.000 € ausgegeben. Für mich ist es zwar jeden Cent wert gewesen, aber dass ich nichts von den Krankenkassen erhalten habe – nicht mal einen Zuschuss- frustriert mich ungemein.

Jedes Magenband oder ähnliches wird bezahlt und meine Krankheit wird nicht anerkannt. Jede Kompression oder Lymphdrainage muss auch von der Krankenkasse bezahlt werden und das ist nicht wenig. Ich habe Stadium 2, bei Stadium 3 hätten sie (bei einem gewissen BMI) die Op´s bezahlt.

Und was wünscht du dir von der Gesellschaft? 

Es sind so viele Frauen betroffen, dass die Gesellschaft oft genug mit der Krankheit konfrontiert wird. Männer bekommen übrigens diese Krankheit nicht. Wir müssen uns mehr mit der Krankheit auseinandersetzen. Dadurch haben wir für die Betroffenen auch mehr Verständnis.

Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft sensibler mit dem Thema Kleidergrößen oder Körperfiguren umgeht. Denn wie bereits erwähnt, können Betroffene nichts für ihre Figur. Auch lieb gemeinte Ratschläge können sehr verletzend sein. Jede Betroffene ist sich über ihre Problemzonen bewusst. Da benötigt sie nicht noch Hinweise oder fremde Meinungen zu ihrem Aussehen. Bevor man jemanden beurteilt, sollte man sich zunächst fragen, was dahinterstecken könnte. 

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7 comments

  1. Als chronische Erkrankung kann man versuchen einen (niedrigen) Grad der Behinderung zu erwirken, welcher steuerlich eine geringfügige Entlastung bringt und somit evtl. die Zuzahlung zur Lymphdrainage „ausgleicht“. Ebenso sind bei entsprechend bescheinigter Diagnose die OP Kosten zu einem geringen (ca. 25-30% nach Schätzung meiner Ärztin)Prozentsatz bei der Steuererklärung geltend zu machen. Bei diesen Summen nur ein schwacher Trost, aber einen Versuch ist es wert.

  2. Liebe Alicia,

    vielen Dank für deinen tollen und ehrlichen Beitrag. Auch ich habe meine Beine vor drei 2x auf eigene Kosten operieren lassen und bin seitdem ein neuer Mensch. Es ist wirklich schlimm, dass die Operation als Schönheitsoperation gilt, das heißt keine Übernahme durch die Krankenkasse und auch keine Krankheitstage. Ich hoffe sehr, dass sich dies eines Tages ändert und jeder die Chance zur Operation bekommt, denn es handelt sich um eine Krankheit für die niemand etwas kann.

  3. Ich vermute seit 1 Jahr, dass ich ein Lipödem habe. Cellulite habe ich seit meinem 14. Lebensjahr. Anfang April habe ich den Termin beim Gefäßchrirurgen. Meine Arme und Beine sind sehr berührungsempfindlich und unter der Haut überall wie kleine Kügelchen und Knubbel. Die Beine sind am unförmigsten. Da ich jetzt 60 bin, kann sich jeder ausrechnen wie lange mich das schon quält. Ich gehe in kein Schwimmbad, an keinen Strand dieser Welt, ich schäme mich zu sehr. Bin sehr gespannt, was bei dem Arzttermin rauskommt.
    Und so eine OP selbst bezahlen? Für mich definitiv unbezahlbar!!!

  4. Ich finde ehrlich gesagt auch, dass das ein Skandal ist mit der nicht-bezahlten OP. Sollte jemand eine Petition starten o.ä., um das zu ändern, dann bitte Bescheid sagen!

  5. Ein sehr wichtiges Thema! Es ist unsagbar was Frauen mit dieser Erkrankung erdulden müssen. Ich finde dass die Regel-Versorgung chronischer Erkrankungen grundsätzlich schlecht ist und das betrifft Frauenerkrankungen, wie bspw. Ödeme oder Endometriose ganz besonders.
    Freue mich dennoch, dass die Autorin einen Weg für sich gefunden hat und nun eine deutlich bessere Lebensqualität hat.

  6. Ich habe eine Kollegin, die mit Stadium 2 ebenfalls die OPs aus eigener Tasche zahlen musste. Ich finde das skandalös, Krankheit ist Krankheit! Frauen mit Lipödem haben scheinbar keine Lobby.

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