Ihr Lieben, es ist so schön zu wissen, dass wir nicht nur in Deutschland gelesen werden. Sarah lebt schon einige Jahre in den USA, ist uns aber weiterhin treu. Wie anders das Leben in Amerika für Familien ist, erzählt sie uns hier im Interview.
Liebe Sarah, ihr wohnt in den USA. Seit wann lebt ihr dort und warum habt ihr Deutschland verlassen?
Mein Mann Alex war bereits seit zwei Jahren als Post Doc am Universitätsklinikum in Miami beschäftigt, als ich ihn 2014 in Berlin kennenlernte. Was ursprünglich als einmalige Nacht geplant war, endete in einer 1,5 jährigen long distance Beziehung Berlin – Miami. Als wir gemerkt haben, wie ernst die Sache ist, war klar, dass wir einen gemeinsamen Lebensort brauchen. Da Alex eine Stelle als Assistenzprofessor an der renommierten Duke University angeboten wurde, habe ich spontan entschieden, dass ich zu ihm nach Durham North Carolina folge. Dort haben wir auch geheiratet. Inzwischen haben wir beide die Green Card und leben seit 2017 in Durham, NC, eine Stadt mit ungefähr 280.000 Einwohnern.
Wie sieht euer Alltag aus?
Wir haben zwei Kinder, die 3,5 jährige Pheline und den 2 jährigen Lysander. Da unsere Kids beide in den USA geboren worden sind, haben sie die deutsch-amerikanische Staatsbürgerschaft.
Ich war die ersten Jahre als “SAHM” (stay at home mom) mit beiden zu Hause, habe dann aber vor ziemlich genau einem Jahr eine Stelle in einer Wohltätigkeitsorganisation gefunden. Obwohl mir mein Master in Sozialmanagement hier anerkannt wurde, war es nicht leicht, als Nicht-Amerikanerin und Mutter eine passende Stelle zu finden….
Alex und ich arbeiten beide Vollzeit und die Kinder sind dementsprechend jeden Tag acht Stunden in der Daycare. Ich bin früher selbst wahnsinnig gerne in den Kindergarten gegangen und als Pheline zwei Jahre alt war und mitbekommen hat, dass ihre Freunde alle in die Daycare gehen, wollte sie dort auch hin. Ich muss sagen, dass ich niemals in der Lage wäre, den Kindern den gleichen Input zu bieten, den sie in der Kita bekommen.
Kinderbetreuung in den USA sind aber wahnsinnig teuer, oder?
Ja, wir zahlen im Monat etwas über 3.000 US Dollar für beide Plätze. Es gäbe auch Einrichtungen, in denen es ein paar hundert Dollar günstiger wäre, aber die Abweichung an Qualität (was zum Beispiel das Essen dort, der Betreuungsschlüssel oder das Equipment angeht) steht zu keinem Verhältnis zu der gesparten Kohle. Oder anders ausgedrückt: wenn’s eh schon schweine-teuer ist, dann kommt es auf die paar hundert Dollar auch nicht mehr an – wenn die Kids dafür so viel besser betreut werden.
Mein ganzes Gehalt geht 1:1 in die Kinderbetreuung und wer jetzt aufschreit, weshalb ich dann nicht einfach zu Hause bleibe und die Kinder selbst betreue: weil ich das nicht will und weil meine Kids das auf Dauer auch nicht cool fänden.
Alex bringt sie morgens hin, ich hole sie abends ab. An zwei Tagen in der Woche bleibt Alex mit Lysander den ganzen Vormittag zu Hause um dort mit ihm als Begleitung ABA Therapie (Applied Behavioral Analysis) zu machen. Lysander ist autistisch und hat hier die Möglichkeit, 20 Stunden die Woche spielerisch ABA Therapie zu machen – aufgeteilt auf zu Hause und vor Ort in der Daycare.
Was ist in amerikanischen Kindergärten ganz normal, was in Deutschland unvorstellbar wäre?
Ich glaube das fängt schon beim Namen an. Wir nennen es Daycare, generell werden diese Einrichtungen aber “school” genannt, oder “Learning Center”. Selbst bei den ganz Kleinen gibt es schon ein Curriculum. Ich muss gestehen dass ich keine Ahnung habe, wie das inzwischen in Deutschland ist, aber hier können eigentlich alle Kinder schon lesen und schreiben, bevor sie mit 5 in die Schule kommen. Meine Tochter kann jetzt schon bis 80 oder höher zählen, erkennt zahlreiche Buchstaben, sagt das ganze Alphabet, lernt sogar noch Brocken Spanish. Ich fand das am Anfang total bescheuert. Immer wenn uns im Gespräch vom Lehrplan erzählt wurde hab ich unterbrochen und gefragt: „Ja, und wie gehts den beiden den sonst so? Haben sie Freunde? Sind sie schüchtern oder eher die Anführer? Wie essen sie den so? Sind sie gut integriert?“ Mir war und ist immer wichtig dass die beiden Spaß haben und gerne hingehen, sonst würde ich sie da auch raus nehmen.
Ansonsten gibt es eine App, auf der wir täglich über die Körperausscheidungen, was es zu Mittag und als Snack gabs, ob und wie lange geschlafen wurde, und natürlich, was alles in dem berühmten curriculum gelernt wurde, eingetragen wird, dazu gibt es noch ein, zwei Schnappschüsse vom Tag.
Auf der einen Seite ist das natürlich eine super Sache, auf der anderen wissen wir aber, dass Erzieher:innen leider genau wie in Deutschland extrem bescheiden bezahlt werden und oft unterbesetzt eh schon am Limit arbeiten. Da finden wir diese Dokumentation fast schon eine Zumutung und es wäre uns lieber, die Erzieher:innen verbringen die Zeit mit den Kindern statt am Laptop.
Und natürlich wird jedes Kind mit dem Auto gebracht und abgeholt. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum.
Generell: was unterscheidet Eltern in USA total von Eltern in Deutschland?
Der wohl größte Unterschied ist der nicht vorhandene Mutterschutz. Die Arbeitslosenrate in Durham liegt bei 3%, hier sind immer beide Elternteile berufstätig. Die Mütter arbeiten hier sprichwörtlich bis die Fruchtblase platzt, bezahlte Zeit vor der Geburt zu Hause gibt es nicht. Tatsächlich kann einer Frau auch gekündigt werden, wenn sie schwanger nicht zur Arbeit kommt – selbst, wenn sie eine Risikoschwangere ist und nur liegen muss.
Nach der Geburt hat die Mutter das Recht, drei Monate zu Hause zu bleiben, allerdings unbezahlt. Danach muss sie wieder antreten oder kann gefeuert werden.
Ansonsten sind es eher einzelne Kleinigkeiten, die amerikanische Eltern von deutschen unterscheiden. Wir wurden zum Beispiel ganz komisch angeguckt als wir mit unserer 6 Monate alten Tochter “oben ohne” (nur mit Schwimmwindel und Badehöschen) zum Babyschwimmen ankamen. Alle anderen Kinder hatten einen Badeanzug oder ein Schwimmhemd an. Nackige Kinder im Schwimmbad oder am Badesee findet man hier nirgends.
Die Kinder sind auch viel mehr bewacht. Es ist verboten, dass das Kind alleine zur Schule und nach Hause läuft, man muss es bringen und holen.
Die Tatsache, dass in Amerika jeder eine Waffe kaufen kann, ist für Deutsche total befremdlich. Wie ist das bei dir im Freundeskreis. Sind Waffen da auch normal?
Nein. Wir haben einen sehr kleinen Freundeskreis und sind uns bewusst, dass wir da vermutlich auch sehr in einer geschützten Bubble leben. Unsere Freunde sind alle Akademikerinnen (was aber um Gottes Willen kein Kriterium, sondern wirklich Zufall ist), politisch sehr liberal, links und demokratisch, wir haben mehrere queere Freunde und Bekannte, bi-racial Familien Freunde und wir alle würden (oder haben das auch!) uns folgendes Schild in den Garten stellen: “In this house, we believe: Black lives matter, Women’s rights are human rights, no human is illegal, Science is real. Love is love, Kindness is everything.” Das beschreibt uns alle extrem gut und dementsprechend ist auch jeder absolut und ausnahmslos gegen Waffenlobbyismus und für ein viel viel strengeres Waffengesetz.
Wie ist die Stimmung bei euch nach diesem schrecklichen Amoklauf an der Grundschule?
Die Tatsache, dass sowas passiert, überrascht mich nicht mehr. Es ist ein riesiges Problem in den USA.
Ich denke oft an die Familien, wie es ihnen wohl gerade geht. Wenn das eigene Kind stirbt, dann ist das wohl generell das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Wenn es dann aber auch noch so brutal und komplett sinnlos passiert – da fehlen mir die Worte. Das bricht mir das Herz, das so vielen Kindern die gesamte Zukunft geraubt wurde. .
Die Tweets und Postings von Eltern, dass sie ihre Kinder nun nicht mehr ohne Angst in die Schule schicken können, verstehe ich allerdings nicht. Als wäre es das erste Mal, dass sowas passiert. Dass Kinder allerdings nun Angst haben, in die Schule zu gehen, kann ich sehr gut verstehen.
Die Tatsache, dass die Waffenindustrie hier so viel Macht hat, in einer der vielen Gründe, dass wir in ein paar Jahren wieder zurück nach Deutschland gehen werden.
Was magst du an Amerika am meisten?
Es gibt hier schon einen großen Zusammenhalt, eine große Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit. Als eine Frau hier aus der Nachbarschaft ihren Mann bei einem Verkehrsunfall verloren hat, haben Leute organisiert, dass sie Frau über Wochen mit warmen Mittagessen versorgt wurde, damit sie sich darum nicht kümmern muss. Es wurde auch Geld gesammelt.
Amerikaner:innen sind viel weniger wertend, die müssen nicht jedem permanent ungefragt ihre Meinung auf die Nase binden – was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass sie (wie es ihnen ja oft vorgeworfen wird) falsch, verlogen und oberflächlich sind. Hier wird man überall nett behandelt, freundlich gegrüßt, fremde Leute kommen auf dich zu und machen dir ohne Hintergedanken Komplimente ueber deine Schuhe, Haare, deine Kinder, den Hund oder was sonst so positive auffällt. Das hätte ich mal in Berlin bringen sollen! Da hätten alle gedacht, ich sei verrückt.
Und was vermisst du an Deutschland am meisten?
Das Essen, Arbeitnehmerrechte, Urlaubsregelungen, Kindergeld, Krankenkasse von Geburt an, Lebensmittelpreise. Und natürlich meine Freund:innen und Familie.
Was meinst du: Wer wird der/die nächste US-Präsident/in?
Ich fürchte, dass wieder die Republikaner an die Macht kommen und würde nicht mal ausschließen, dass es Donald Trump nochmal macht….
9 comments
Liebe Sarah, ich finde deinen Bericht super spannend. Ich hatte sofort viele Fragen. Vielleicht magst du ja ein paar beantworten. Oder auch jemand anders der nicht in Deutschland lebt.
Wie läuft das bei euch und in eurem Umfeld wenn die Kinder krank sind? Kann man zu Hause bleiben und die Kinder gesund pflegen? Meine Kinder (2 und 4) sind zur Zeit ständig krank und ich finde es super schwierig da immer Arbeitgeber und den Kindern gerecht zu werden.
Wie zufrieden sind die Eltern mit ihrem Leben bei euch? Ich erlebe eine große Unzufriedenheit in meinem Umfeld und das Gefühl es nie richtig machen zu können wenn man Kinder hat und viel arbeitet. Ist das ein deutsches Phänomen oder gibt es das genau so auch bei euch?
In wie fern sind die Väter eingebunden? Wie verteilt sich die Last zwischen Mutter und Vater? Ähnlich wie in Deutschland? Uns hat es sehr gut getan, dass mein Mann auch alleine Elternzeit genommen hat und mal für alles alleine ein paar Monaten zuständig war. Das scheint bei euch ja noch schwieriger umzusetzen zu sein.
Was für eine sympathische Familie 🙂 Das Foto sieht total nett aus und auch den Spruch auf dem Schild im Garten finde ich superklasse – würde ich mir auch in den Garten stellen, wenn ich einen hätte 😉 Ich wundere mich etwas, dass der Zweijährige schon mit Autismus diagnostiziert wurde – ich dachte, die Diagnose kann man frühestens mit 3,5 Jahren stellen? Aber vielleicht läuft das in den USA anders. Ich habe hier auch einen Sechsjährigen mit Asperger. Alles Gute euch!
Liebe Sarah! Danke für Deine Eindrücke und die Beschreibung Eures Familienlebens in the South 😉 Haeufig habe ich mich in ihnen wiedergefunden … wir leben als expats in Greensboro!
Happy Summer y’all!!
Judith
Liebe Sarah,
als Mutter eines autistischen Kindes bitte ich Dich herzlich, mit ABA aufzuhören und Alternativen zu recherchieren. Stichwort Neurodiversity.
Alles Gute
Sophia
Liebe Sophia, wie kommst du darauf dass ich das nicht habe? 🙂 Mein Mann und ich haben Monate lang recherchiert und ich habe mich vor allem mit den sehr sehr kritischen Statements autistischer Erwachsener bezgl. ABA auseinander gesetzt und bin mir deren Haltung (dog tricks, man will das autistische austreiben, etc.) absolut bewusst. Und habe mir extrem lange Gedanken dazu gemacht. Unser Lysander darf und soll so autistisch sein wie er möchte. Wir lieben ihn so sehr weil er so ist wie er ist. Und wie als Familie feiern Neurodiversity. Ich bin aber der Ansicht, auch fachlich als Sozpäd die lange im Kinder- und Jugendhilfe Bereich gearbeitet hat, dass diese Welt weitaus weniger inklusive ist als sie behauptet es zu sein. Und deshalb wollen wir Lysander die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden wie er mal sein möchte. Das kann er aber nur wenn er auch „die andere Seite“ kennt. Er war zum Beispiel Non-verbal und hat jetzt innerhalb von 5 Monaten spielerisch Sprechen gelernt. Und hat da so Bock drauf! Ich mag mich da jetzt auch nicht rechtfertigen und in Diskussionen verstricken. Ich denke dass jede Familie mit einem oder mehreren neurodiversen Mitgliedern zusammen entscheiden kann was für sie am besten funktioniert. Natürlich kann Lysi uns noch nicht selbst sagen dass er ABA nicht will. Würde er das, dann würden wir da dementsprechend handeln. Alles was wir sehen ist ein kleiner Lausbub der total Bock drauf hat im Rampenlicht zu stehen und es genießt jemanden zu haben der so intensiv mit ihm spielt, liest und interagiert (und wer sich wundert dass das gar nicht autistisch klingt der sollte sich von Stereotypen bzgl Autismus befreien).
Mein Partner hat auch zwei Jahre in Duke verbracht und ich bin zwischen England und USA gependelt. Viele Grüße an Euch und die Stadt- ich vermisse manchmal die grilled cheese sandwiches und den tollen Donut LadeN an der 9th Street . Wir haben an der W Knox Street gewohnt.
Awww vielen Dank liebe Ilka! Und ja, grilled cheese ist in der Tat was ganz leckeres und gehen einen raspberry gefüllten Donut kann auch ich mich nicht verwehren aber wenn ich da an ein knuspriges, sauerteigiges frisches Bauernbrot mit Appenzeller denke oder an ein Stück Pflaumen-Streusel…. Da beneide ich euch sehr. Wir haben ne Weile hinter dem Harris Teeter an der 9th Street in dem Apartment Complex gewohnt, sind dann aber als die Kinder kamen in ein gemietetes Häuschen nach South Durham gezogen. Liebe Grüße zurück!
Liebe Sarah, da wir jetzt in London wohnen, ist auch hier die Brotsituation nicht ideal- obwohl vor kurzem eine dt Frau eine Bäckerei in der Nachbarschaft eröffnet hat 😉 Wir kannten Durham nur ohne Kinder, aber es gibt ja sowohl Natur als auch Kultur und eine Lemurenforschungsstation. Alles Gute Euch
Hallo Sarah,
ich danke Dir für Deine Antwort. Mir ging es nur um den Hinweis, da in den USA ABA oft als einzige Option dargestellt wird.
Euch alles Gute
Sophia