Ihr Lieben, mit ihrem Buch Kümmern und Kämpfen legt Autorin Anne Waak ein weiteres wichtiges Werk zum Thema Geschlechtergerechtigkeit vor. Warum das Buch gerade jetzt so wichtig ist, wie uns Gerechtigkeit Freiheit schenken kann und warum sie sich auch um das Kind ihrer Mitbewohnerin kümmert – das erzählt sie uns im Interview.
Liebe Anne, erzähl uns doch erstmal was zu deiner Wohnsituation, die klingt ja superspannend. Du lebst mit deiner engen Freundin und ihrem Sohn zusammen in Berlin? Wie kam es dazu, wie gestaltet ihr den Alltag? Eher als Wahlfamilie oder als WG?
Meine beste Freundin Ava und ich leben schon seit unserem Studium zusammen. Als sie schwanger wurde, zog sie aus unserer Wohngemeinschaft aus und – nach der Trennung vom Vater ihres Kindes – mit Baby wieder ein.
Seit fünf Jahren leben wir also zu dritt zusammen, und August verbringt seine Zeit größtenteils bei uns. Wir sind definitiv keine WG, Familie trifft es schon besser. Ich bin an einem Tag in der Woche für Augusts Betreuung zuständig, ich springe ein, wenn seine Mutter verreisen muss oder ausgehen will, wir verbringen häufig unsere Freizeit und Urlaube miteinander.
Wie kamst du auf die Idee zu deinem aktuellen Buch „Kümmern und Kämpfen“, warum brauchte es gerade dieses gerade jetzt grad noch?
Die Idee zu diesem Buch kam mir bei der Arbeit am Buch davor, es heißt „Wir nennen es Familie“ und erschien 2020. Darin schrieb ich über die Geschichte und Gegenwart der Kleinfamilie und warum sie dermaßen idealisiert, aber so schwer zu leben ist.
Beim Thema Mental Load, Fürsorge- und Hausarbeit wurde mir bei den Interviews vor allem mit Eltern in heterosexuellen Beziehungen immer deutlicher klar, dass nicht die vermeintlich übertriebenen Ansprüche der Frauen oder die Anlagen der Männer Schuld sind an der ungerechten Verteilung dieser Aufgaben.
Es sind die unterschiedlichen Maßstäbe, die Eltern in der Erziehung von Kindern anlegen – je nachdem, ob sie Jungen oder Mädchen erziehen. Das war der Beginn dieses, wie ich finde, wichtigen Buchs. Wer möchte, dass die Welt besser wird, muss bei sich selbst und in der eigenen Familie anfangen.
Nun sagen ja kritische Stimmen: Mei, was wollt ihr Frauen denn NOCH alles? Die Kerle helfen doch nun schon ordentlich mit und schauen, dass sie nicht sexistisch anecken… was entgegnest du ihnen?
Es geht nicht darum, dass Väter ein bisschen mithelfen. Wir sprechen ja von den Menschen, die mit 50 Prozent zum Entstehen der Kinder beigetragen haben, die im Fall eines gegengeschlechtlichen Elternpaars also auch mindestens für 50 Prozent der Versorgung und Erziehung dieser Kinder und allem, was dazu gehört, verantwortlich sein sollten.
Es reicht auch nicht, dass Männer sich brav an die Regeln halten und möglichst nirgends anecken. Damit sich wirklich etwas ändert in Sachen Gendergerechtigkeit, müssen alle den Mund aufmachen, wenn sie sexistisches und misogynes Verhalten und Doppelmoral beobachten. Auch und besonders in Gegenwart von Kindern, die ja vor allem anhand von Vorbildern lernen.
Du schreibst auch viel über toxische Männlichkeits- und Weiblichkeitskulturen, magst du uns nochmal genauer erklären, was du damit ganz konkret und beispielhaft meinst?
Toxische Männlichkeit beruht auf der irrigen Annahme, Männer dürften, mal angesehen von Wut, keine Gefühle zeigen, sondern müssten innerlich wie äußerlich hart sein, sich aggressiv durch die Welt bewegen und andere kontrollieren wollen. Das ist es, was gemeint ist, wenn jemand sagt: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“.
Das Gegenstück dazu ist die stets emotional verfügbare, sich aufopfernd um andere kümmernde Frau, die in einer patriarchalen Gesellschaft immer als ein Mensch zweiter Klasse angesehen wird – weil sie eben kein Mann ist. Diese Rollenbilder beschränken viele Menschen ganz massiv in ihrer Freiheit, sie verursachen enorme Kosten und wirken sogar in vielen Fällen tödlich.
Du schreibst: „Nur wenn wir unsere Kinder zu Feminist*innen erziehen, werden wir Gender Pay Gap, männliche Selbstzerstörung, Gewalt an Frauen überwinden, werden wir unsere Gesellschaft von den hohen Kosten des Patriarchats befreien können.“ Wie kommst du darauf?
Es gibt Berechnungen, nach denen zerstörerisches männliches Verhalten allein in Deutschland jedes Jahr 63 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern verschlingt, ganz zu schweigen von dem individuellen Leid, das männliche Gewalt, Kriminalität, Abhängigkeit und Suizide verursachen.
In diesem Land bringt an jedem dritten Tag ein Mann die Frau, die er vorgibt zu lieben – und ihre Kinder oft gleich dazu. Die Ursache ist eine Kultur, in der schon Jungen zu Fühllosigkeit, Dominanz und Gewalt erzogen werden, während man von Kindern, die als Mädchen sozialisiert werden, Genügsamkeit und Aufopferungswillen erwartet.
Wie sieht deine (nahezu perfekte) Gesellschaft der Zukunft aus?
In einer gerechten Gesellschaft wird keine Person, aufgrund ihres Genders, ihrer Herkunft, ihres Alters oder ihres Glaubens kleingehalten, eingeschränkt und diskriminiert. Das hat dann direkte Auswirkungen auf die Demokratie: Nur Kinder, die in Freiheit aufwachsen – und dazu gehört auch die Freiheit von der Zurichtung auf ein genderrollenkonformes Leben –, werden diese nicht gegen autoritäre Führer*innen und Diktatur eintauschen.
Was hoffst du, mit deinem Buch und deinen Worten zu erreichen?
Der Fortschritt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gestaltet sich eindeutig zu langsam. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Erwachsene, die mit Kindern zu tun haben – egal ob nun Eltern, Großeltern, Verwandte, Freunde, Erziehungs- und Lehrpersonal in Kitas und Schulen – ihre eigenen Vorurteile und Rollenmodelle im Umgang mit Heranwachsenden reflektieren und dabei helfen, die Welt endlich spürbar gerechter zu gestalten.