Liebe Saskia, erzähl doch erstmal, wer alles zu deiner Familie gehört.
Zu unserer Familien gehören mein Mann und ich (33 und 35) und unsere drei Kinder. Unsere große Tochter ist sechs Jahre alt und kommt im Sommer in die Schule, unser Mittlerer ist jetzt drei Jahre alt und unser jüngster Sohn ist jetzt sieben Monate alt.
Zu welchem Zeitpunkt wusstet ihr, dass mit eurem jüngsten Sohn etwas anders war?
Das Adrenogenitale Syndrom gehört zu den Stoffwechselerkrankungen, nach denen im Neugeborenen-Screening gesucht wird. Somit wussten wir recht früh, dass etwas nicht in Ordnung ist. Unser Sohn war sechs Tage alt, als die Klinik anrief und uns wieder einbestellte. Für uns alle ein Schock, vor allem für die großen Geschwister. Die Schwangerschaft war völlig unauffällig verlaufen, jedoch hatte ich oft das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Das hatte ich auch meiner Frauenärztin gesagt, die mich sehr ernst nahm und mich immer wieder untersucht hat – aber nie etwas fand. Dass sie nichts fand ist nicht verwunderlich – man hätte das Syndrom durch eine Fruchtwasseruntersuchung feststellen können…
Wie lautet seine genaue Diagnose? Und was bedeutet sie generell, aber auch speziell für eure Familie?
Unser Sohn hat ein Adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust. Er hat einen Gendefekt, der dazu führt, dass seine Nebenniere kein Cortisol herstellen kann. Cortisol ist das wichtigste Stresshormon im Körper und man braucht es bei sehr vielen Vorgängen im Körper. Unter anderem, um den Blutdruck und den Blutzucker zu halten. Außerdem braucht der Körper Cortisol bei Fieber oder generell bei Infekten. Bekommt der Körper nicht genug Cortisol oder überhaupt keins, kann es zu einer Nebennierenrindenkrise (Addison Krise) kommen, die im schlimmsten Fall zum Tod führt.
Die Hirnanhangsdrüse im Kopf versucht außerdem krampfhaft, die Bildung von Cortisol anzuregen, was aber bei unserem Sohn aufgrund des Enzymdefekts nicht funktioniert. Die anderen Hormone der Nebenniere werden durch die ausgeprägte Stimulation zu viel gebildet, u.a. Testosteron, sodass es (wenn man nicht behandelt) zu einer verfrühten Pubertät und einem Kleinwuchs kommen kann. Bei Mädchen mit der Diagnose kann es aufgrund der hohen Testosteronwerte zu Auffälligkeiten der äußeren Geschlechtsmerkmale kommen. Aber da uns das nicht betrifft, kenne ich mich da nicht so gut mit aus.
Für uns persönlich bedeutet es jetzt vor allem, dass wir unserem Sohn alle acht Stunden Hydrocortison als Pulver geben und für den Salzverlust noch ein zusätzliches Medikament. Fieber oder Infekte sind jetzt ein wenig aufregender, weil mein Sohn eben kein Cortisol bilden kann und wir dann die Medikation stark erhöhen müssen. Am Anfang waren wir sehr unsicher und haben sehr oft Fieber gemessen, aber mittlerweile schaffen wir es doch, uns wieder ein wenig auf unser Bauchgefühl zu verlassen, denn meistens merkt man ja doch recht schnell, wenn ein Kind fiebert.
Zur Kontrolle der Werte und um immer wieder die Medikamente an sein Gewicht und seine Größe anzupassen, wird ihm im Moment alle acht Wochen in der Kinder-Endokrinologie Blut abgenommen. Da leide ich schon immer ganz schön mit und bin gleichzeitig immer sehr beeindruckt, wie unsere tolle Endokrinologin so gut Blut abnimmt. Aktuell haben wir zum ersten Mal einen Abstand von drei Monaten zwischen den Termin und das fühlt sich ganz schön gut an. Im Laufe der Zeit wird sich der Abstand auf halbjährliche Vorstellungen verlängern, aber dabei wird es dann voraussichtlich bis an sein Lebensende bleiben.
Wie war es für dich als Mama, diese Diagnose zu hören?
Puh, das war ehrlich gesagt ganz schön schlimm. Wir hatten gerade den Milcheinschuss gemeistert, die großen Geschwister waren sehr verliebt und wir haben versucht uns als nun fünfköpfige Familie zu finden und dann kam an seinem sechsten Lebenstag der Anruf, dass das Neugeborenen-Screening auffällig ist. Unser Sohn und ich sind dann nochmal aufgenommen worden, er auf die Neonatologie und ich bin im Elternzimmer untergekommen. Ich habe in der Zeit ehrlich gesagt sehr, sehr viel geweint, mein Wochenbett war von jetzt auf gleich vorbei und mein kleines Baby lag verkabelt an einem Monitor auf der Neonatologie und nicht neben mir im Familienbett.
Mehrmals täglich wurde ihm Blut abgenommen, der Blutdruck gemessen und überhaupt waren immer andere Menschen an meinem kleinen Baby. Neben all der Sorge bin ich damit nicht gut klargekommen. Außerdem war im August 2020 die Pandemie ja schon im vollen Gange und mein Mann und ich durften nie zusammen bei unserem Sohn sein. Als seine Werte stabiler waren durften wir ihn mit auf mein Elternzimmer nehmen, da konnten wir dann zusammen sein, aber davor haben wir uns immer die Klinke in die Hand gegeben. Die großen Geschwister durften verständlicherweise nicht zu Besuch kommen und obwohl wir nur elf Tage im Krankenhaus waren, kommt es mir doch viel länger vor. Man wird aber auch sehr demütig, wenn man die anderen Schicksale mitbekommt… Ich hatte nach unseren elf Tagen Neonatologie schon wirklich genug, aber Eltern von Frühchen können darüber vermutlich nur müde lächeln und verdienen, so wie alle Eltern, wirklich den größten Respekt.
Nun handelt es sich bei dem Syndrom deines Sohnes um eine recht seltene Krankheit – ist das eher ein Vor- oder ein Nachteil?
Na ja, also die Erkrankung ist Gott sei Dank nicht besonders häufig, aber auch nicht so super selten, so dass es gut erforscht ist. Trotzdem werden wir mit Sicherheit so einige Male erklären müssen, was er genau hat. In unserer Kinderarztpraxis ist unser Sohn das erste Kind mit der Erkrankung. Gott sei Dank ist das Medikament, das unser Sohn, bekommt billig und gut verfügbar. Als Ersatz gibt man Hydrocortison, also Cortison. Das kennt wohl jeder. Das ist natürlich ein Vorteil, da es eigentlich immer und überall verfügbar ist. Außerdem wird Cortison für sehr, sehr viele Dinge eingesetzt, sodass auch weiter geforscht wird. z.B. an einer retardierenden Tablette, die das Cortison über einen längeren Zeitraum abgibt, was für unseren Sohn vielleicht irgendwann mal von Vorteil sein kann.
Hast du dich mal gefragt, warum genau euch das passieren musste?
Vermutlich fragt sich das jeder mal, wenn es schwierig wird – das ist ja irgendwie menschlich. Aber ich bin einfach nur froh, dass wir hier so eine gute Versorgung haben und das „unsere“ Erkrankung im Neugeborenen-Screening erfasst wird und man deshalb schnell reagieren kann. Wir hatten dadurch keinen langen Leidensweg mit viel Ungewissheit und unser Sohn ist nie in eine Krise gerutscht und schwebte deshalb nie in unmittelbarer Lebensgefahr.
Was wünschst du anderen Eltern in ähnlicher Lage?
Eine tolle Hebamme und tolle betreuende Ärzte, die alles auch nochmal das hundertste Mal erklären. Am Anfang ist man nämlich doch sehr unsicher und im Verlauf ja auch immer wieder. Aber am allerwichtigsten sind denke ich Familie und Freunde, die einen auffangen und zuhören.
Gibt es hilfreiche Adressen, Vereine, an die sich Eltern wenden können?
Es gibt in Deutschland die AGS- Eltern- und Patienteninitiative sowie zwei Gruppen für Betroffene auf Facebook. Es gib mit Sicherheit noch mehr, aber das sind die drei Sachen mit denen ich bisher in Kontakt gekommen bin. Wir sind der AGS-Eltern- und Patienteninitiative beigetreten und haben an der letzten Jahrestagung teilgenommen. Aufgrund von Corona wurde diese online abgehalten. Ich fand das Programm super, es gab viele Informationen. Einen Vortrag zum aktuellen Stand der Forschung, aber auch Beiträge von Menschen mit AGS. Diese Beiträge haben mir besonders gut gefallen, da sie mir nochmal vor Augen geführt haben, dass man mit der Diagnose so gut wie keine Einschränkungen haben muss und man z.B. Leistungssport betreiben kann oder auch diverse Auslandsaufenthalte planen kann. Einfach ein Leben so führen kann, wie man sich das vorstellt und dass das Syndrom einen Betroffenen von nichts abhalten muss.
2 comments
Klasse
mein sohn musste einen tag nach der geburt auf die neonatologie. es war die hölle, wochenbett hatte ich keins da ich x-mal am tag durchs komplette krankenhaus zu ihm gehen musste und dort gab es auch nur ungemütliche stühle. als es nach ca 10 tagen mit ihm bergauf ging und wir nur gehofft hatten das er noch zwei tage super werte hat und sich super macht damit wir dann nach hause dürfen, kam die nachricht das er wohl mukoviszidose hätte ( wir hatten zugestimmt das ihm für die studie blut abgenommen wird). mir hat es so die füße unter dem boden weg gezogen. er wurde nochmal getestet, und hat es doch nicht. die ärztin die das mit mir besprochen hat war menschlich so eine null, das hat es noch schlimmer gemacht. und ausnahmslos alle!! untersuchungen an ihm wurden ohne mich oder meinen mann gemacht, wir konnten ihm nicht beistehen oder ihn danach trösten! das wurde mir erst monate hinterher bewusst da diese zeit mich sehr schwer belastet hat. es ist kein zuckercshlecken ein baby auf der intensiv station zu haben. heute ist mein sohn fünf und man merkt von digest zeit nichts. zum glück.