Ihr Lieben, ich gebe es zu, ich bin nicht besonders gut im Streiten, ich mag´s einfach nicht. Gerade deswegwen finde ich das neue Buch von Kiran Deuretzbacher Konflikte nutzen statt vermeiden vom Thema her so ansprechend, denn ich bin ja durchaus gewillt, dazulernen. Und das könnt ihr im Interview hier auch. Denn ja, auch in Sachen Konfliktlösung sind wir als Eltern Vorbilder für unsere Kids…
Liebe Kiran, das Thema STREIT für ein ganzes Buch zu wählen und sich über Monate mit dem Thema zu beschäftigen, wie ging es dir dabei?
Darf ich ehrlich sein? Es hat mir wirklich Freude gemacht! Konflikte sind so spannend und ich liebe es, Dinge genauer zu erforschen und zu verstehen. Ich konnte auch viele berufliche Erfahrungen sortieren und einbringen, das hat auch viel Spaß gemacht.
Wie kam es dazu, dass du gerade zu diesem Thema ein Werk rausgeben wolltest, gab es da einen ganz speziellen Auslöser in deinem Privatleben oder war das ein längerer Prozess, der in dir reifte?
Ich begleite seit vielen Jahren Familien in schwierigen Situationen, in Konflikten, zuerst als Ergotherapeutin, dann als Beraterin und Coach und habe gerade in den letzten Jahren festgestellt, dass es sehr viele falsche Vorstellungen über Konflikte gibt. Und dass Konflikte meistens gar nicht so eskalieren und destruktiv werden würden, wenn sie früher angenommen würden.
Und privat, ja wir hatten und haben da ne gute Portion Wachstumsmöglichkeiten. Wir sind ne temperamentvolle Familie und wir Eltern bringen ganz unterschiedliche Konfliktstrategien mit und da gibt es ganz viele Möglichkeiten zu lernen.
Du sagst, Konfliktfähigkeit lernen Kinder vor allem über Vorbilder…provokant gefragt: Ist es also schlecht, wenn wir Eltern uns so gut wie gar nicht vor ihnen streiten?
In meinem Buch gehe ich weniger darauf ein, wie Eltern untereinander Konflikte lösen oder nicht lösen. In meinem Buch gehe ich darauf ein, wie Eltern mit Konflikten mit ihren Kindern umgehen und da geht es vor allem auch darum, Vorbild zu sein. Eltern haben Konflikte mit ihren Kindern und das ist gut so und wie man damit umgeht, das prägt unsere Kinder für ihr Leben. Eine gute Konfliktfähigkeit ist sehr wichtig für ein erfolgreiches und glückliches Leben, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext.
Ich kenne viele Menschen, die sagen: Wenn ihre Eltern früher stritten, hatten sie sofort Angst vor einer Trennung und überlegten, zu welchem Elternteil sie ziehen würden, wenn es schiefginge… wie kann das gut begleitet werden?
Ich würde mal die These aufstellen, dass die Eltern damals keinen guten Umgang mit Konflikten in der Familie gelebt haben. Entweder gab es sehr eskalierende Auseinandersetzungen und/oder die Kinder durften nicht die Erfahrung machen, wir können uns streiten und trotzdem ist unsere Bindung sicher.
Ein Konflikt ist eine Herausforderung, aber keine Gefahr für deine Sicherheit, für unser Zusammensein, für unsere Liebe. Und gleichzeitig, klar, jetzt haben die Eltern, die damals Kinder waren, jetzt Angst vor Konflikten, wenn sie als Kinder die Konflikte der Eltern als so bedrohlich empfunden haben, und genau da setzt mein Buch an. Sicherheit, Zuversicht, Strategien, Handwerkszeug und Selbstvertrauen in und mit Konflikten gewinnt man mit ihm.
Du sagst, Konflikte entwickelten sich spiralfömig, was genau meinst du damit?
Viele Eltern kennen bestimmt diese Situation, wir sind mit unserem Kind im Schwimmbad. Wir merken, wie wir hungrig werden und auch der Abend naht und wir wissen, dass wir als Eltern und auch das Kind noch Energie brauchen, um gut nach Hause und dann ins Bett zu kommen. Also fragen wir vorsichtig, ob wir nicht nach Hause gehen können.
Das Kind will natürlich nicht (das ist schon in Ordnung, das Kind braucht noch nicht den Weitblick, den wir als Eltern haben sollten). Wir vermeiden den Konflikt, bleiben und hoffen, dass das Kind irgendwann freiwillig gehen will. Wir warten und da unsere Anliegen wächst, wächst auch der innerer Druck und während unser innerer Druck wächst, ändern sich auch unsere Gedanken. Opfergedanken“ tauchen auf, wir fühlen uns hilflos.
„Wenn das Kind nur einmal könnte“, immer muss ich warten, ich muss jetzt durch und so weiter„ und dann, ganz plötzlich, explodieren wir als Eltern und werden verbal, vielleicht sogar körperlich aggressiv. „Kannst du nicht einmal kommen“, „jetzt reicht’s aber“, „du musst immer übertreiben“. Danach fühlen wir uns wieder schuldig, diese Explosion wollen wir doch gar nicht! Und unsere Annahme bestätigt sich, Konflikte sind gefährlich und beim nächsten Mal unterdrücken wir unsere Bedenken noch länger und vielleicht ist der Ausbruch dann noch größer. Also nein, nicht der Konflikt ist gefährlich für unser Zusammenleben, sondern dass wir ihn nicht rechtzeitig angehen.
Konflikte wertschätzen ist wie „Aus Scheiße Gold machen“. Geht sowas? Wenn ja, wie?
O ja, der Ausdruck „aus Scheiße Gold machen“ ist in meinem Elternprogramm „Expedition ins Vertrauen“ entstanden, in dem ich Eltern über 6 Monate in ihrer Elternschaft begleite. Und ja, ich verwende ihn auch in meinem Buch. Meistens ist es so, wenn ein Konflikt auftaucht, dann denken Eltern – Scheiße, da habe ich keine Lust drauf, das passt jetzt nicht, da hat jemand einen Fehler gemacht und das ist blöd gelaufen.
Aber wenn man sich dem Konflikt öffnet und nicht mehr dagegen ankämpft und bereit ist, konstruktiv damit umzugehen, dann passiert die wertvollste Beziehungsarbeit. Was ist dein Anliegen, was sind deine Gefühle und ich sage dir, worum es mir wirklich geht und gemeinsam finden wir eine Lösung. Und dieser Prozess und das Gefühl danach ist wunderbar, das sind Wachstumsmomente und Gold wert.
Ein Beispiel: Thomas will gerade mit seinen beiden Kindern Anna und Jonas zur Oma. Sie sind ein bisschen spät dran und dann fängt Anna beim Schuhe anziehen an zu verweigern, will nicht mit ärgert ihren Bruder. Ja, Thomas erste Reaktion mag sein – o nein, das auch noch, das kann doch nicht sein, dass Anna jetzt alles kaputt macht. Bleibt er aber bei diesem Gedanken, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Konflikt eskaliert.
Nimmt Thomas den Konflikt an und geht offen und ehrlich in den Austausch mit Anna und erforscht mit ihr, warum sie jetzt plötzlich ablehnt und was ihr eigentlich wichtig ist. Vielleicht erfährt er, dass Anna heute im Kindergarten Streit mit ihrem besten Freund hatte und jetzt unbedingt mit ihrer Puppe spielen möchte, weil sie das so gerne macht, wenn sie traurig ist. Nachdem Thomas mit Anna mitfühlen und sie verstehen kann, finden sie die Lösung, dass Anna ihre Puppe mit zur Oma nehmen kann.
Das Gold an der Geschichte ist, dass Thomas von Anna erfahren hat, was sie belastet und Anna es mit jemandem teilen konnte und sie finden eine gemeinsame Lösung und Anna macht die Erfahrung „Papa nimmt mich ernst und wir finden eine Lösung, ich bin wichtig und richtig mit all meinen Gefühlen“ und das ist etwas sehr wertvolles und ein großer Schatz, wenn unsere Kinder das in sich tragen dürfen.
Jetzt, da du eine solche Streitexpertin bist: Passiert dir im Privaten nun nichts mehr?
Also wenn es jetzt keine Konflikte mehr gäbe und ich keine Herausforderungen mehr hätte, dann wäre das schon traurig, weil dann kein Wachstum mehr möglich wäre und wir keine echten lebendigen Beziehungen führen würden.
Und gleichzeitig, ja, die tiefe Beschäftigung mit dem Thema hat dazu geführt, dass ich noch entspannter mit Konflikten umgehen kann und es hat sich noch mal eine Schicht von Schuld und Scham bei mir gelöst.
Ok, dann mal Butter bei die Fische: Wann dachtest du zuletzt: Jetzt raste ich aber gleich aus… und wie hast du es nachträglich gelöst?
Boa, ich bin so ein Pünktlichkeitsfreak. Und naja und 2 meiner 3 Kinder sind gerade in der Pubertät, da kommt es schon mal vor, dass die nicht pünktlich sind 😉. Und ja, da gibt es zwei Seiten, die erste und wichtigere ist, dass ich mich reguliere, denn ehrlich gesagt, wenn ich in meiner Explosion den Kindern was beibringen will von wegen Pünktlichkeit, dann geht das in die Hose, in der Explosion ist niemand aufnahmefähig und lernbereit.
Ich positioniere mich klar und ruhig: Mir ist wichtig, dass du pünktlich bist, wie schaffst du das? Und dann beginnt ein Dialog. Wir schauen, warum ist das Kind nicht pünktlich, wo ist der Knackpunkt, wir schauen aber auch auf meine Erwartungen, ist die Zeit nach Hause zu kommen auch angemessen oder braucht das Kind mehr Zeit, die werden ja auch immer älter wollen mehr Zeit selbst gestalten.
In meinem Buch habe ich viele ganz konkrete Beispiele, zu den typischen Themen wie Medien, ich will mein Zimmer nicht aufräumen, ich mache meine Hausaufgaben nicht und ich will ein 5. Eis. In diesen Beispielen gehe ich sogar auf kleinschrittige Dialoge ein, so dass der Leser auch den Praxisbezug hat, wie genau das dann im Alltag funktioniert.
Hier könnt ihr einen unterstützenden Fragebogen zu Konflikten ausfüllen (nur für euch!).