Ihr Lieben, Dr. Julia Tanck ist promovierte Psychologin, psychologische Psychotherapeutin und Wissenschaftlerin. Sie untersucht in ihrer Forschung das Körperbild von Frauen mit und ohne Essstörungen sowie Zusammenhänge zwischen Social Media und der Körperwahrnehmung. In ihrem Buch Unfiltered. Social Media und unser Körperbild schreibt sie darüber, wie wir zu mehr Körperakzeptanz und einer gesunden Selbstwahrnehmung finden.
Liebe Frau Dr. Tanck, Sie sagen, dass wir als Eltern eigene körperliche Unzufriedenheiten – bewusst oder auch unbewusst – weitergeben an unsere Kinder. Das rutscht also von Generation zu Generation. Wie lässt sich das stoppen oder abmildern?
Ja, als Eltern geben wir eigene körperliche Unzufriedenheiten, ob bewusst oder unbewusst, häufig an unsere Kinder weiter. Um diesen transgenerationalen Kreislauf zu durchbrechen ist es wichtig, dass Eltern zunächst an ihrem eigenen Körperbild arbeiten. Kinder übernehmen oft die Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer Eltern, Eltern fungieren als Modell. Wenn Eltern ihren Körper akzeptieren und wertschätzen, vermitteln sie diese grundlegende wertschätzende Haltung dem Körper gegenüber auch ihren Kindern.
Darüber hinaus ist es entscheidend, dass Eltern es vermeiden, sich selbst oder andere aufgrund des Aussehens durch negative körperbezogene Kommentare abzuwerten. Stattdessen sollten sie Wertschätzung für die inneren Qualitäten von Menschen entwickeln, verbalisieren und vorleben. Eine offene Gesprächskultur über Körperbildthemen in der Familie ist ebenfalls sehr wichtig. Eltern sollten Kindern vermitteln, dass jeder Körper einzigartig und wertvoll ist und Schönheitsideale kritisch hinterfragen.
Anstatt das Gewicht oder Aussehen zu thematisieren, sollten Eltern versuchen, den Fokus auf einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und Bewegung legen.
Sie haben sogar promoviert zum Thema Verbesserung des Körperbildes und Essstörungen. Wie schaffen wir es, uns selbst lieber zu mögen?
Zunächst ist es wichtig, vorhandene negative Gedankenmuster und Glaubenssätze in Bezug auf das Äußere zu erkennen und zu hinterfragen. Oft sind diese Selbstzweifel tief verwurzelt und unbewusst. Eine gesunde Portion Selbstmitgefühl kann dabei helfen, uns so anzunehmen wie wir sind. Darüber hinaus ist es ratsam, den Fokus weg vom Aussehen hin zu einem ganzheitlichen Konzept von Gesundheit und Wohlbefinden zu verschieben.
Ein ausgewogener Lebensstil mit ausreichend Bewegung, Entspannung, erholsamen Schlaf und sozialen Kontakten stärkt nicht nur den Körper, sondern auch die mentale Gesundheit. Auf diese Weise können wir lernen, unseren Körper wertzuschätzen für das, was er leistet – nicht nur dafür, wie er aussieht. Wenn es besonders schwerfällt, den eigenen Körper anzunehmen, kann professionelle Hilfe sehr hilfreich sein. Durch Psychotherapie wie z.B. kognitive Verhaltenstherapie lassen sich eingefahrene negative Denkmuster auflösen. Selbstmitgefühl und Akzeptanz sind ein lebenslanger Prozess, bei dem wir uns Zeit geben dürfen.
Welchen Einfluss haben Shows wie GNTM und Apps wie Snapchat und TikTok auf die Körperakzeptanz?
Shows wie GNTM sowie Apps wie Snapchat und TikTok können einen erheblich negativen Einfluss auf das Körperbild und die Selbstwahrnehmung haben, insbesondere bei jungen Menschen. Durch Shows wie GNTM wird ein unrealistisches Bild davon vermittelt, wie Menschen auszusehen haben. Der dadurch entstehende ständige Aufwärtsvergleich mit diesen Idealbildern kann zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und einem negativen Körperbild führen.
Ähnliche Gefahren gehen aber auch von Apps wie Instagram oder TikTok aus, die kostenlose Beautifying-Filter und Bildbearbeitungs-Tools anbieten. Durch die ständige Nutzung dieser Bildbearbeitungsfunktionen entsteht eine Diskrepanz zwischen dem realen Aussehen und dem geschönten Abbild auf den bearbeiteten Fotos. Manche Menschen entwickeln den Wunsch, auch im wahren Leben so makellos auszusehen wie auf ihren gefilterten Selfies – ein Phänomen, das als „Selfie-Dysmorphie“ bezeichnet wird.
Im Extremfall kann es zu Schönheits-OPs kommen, um diesem Ideal zu entsprechen. Die eigentliche Ursache, nämlich das negative Körperbild und niedrige Selbstwertgefühl, lassen sich jedoch nicht durch Schönheits-OPs verändern, sodass es immer wichtig ist, die Beweggründe für den Einsatz plastischer Operationen zu bedenken.
Wenn ein objektiv schlankes 13jähriges Mädchen nun sagt: Ich hasse meinen Bauch, ich mag ihn nicht, er ist zu dick. Wie können wir da als Eltern drauf reagieren?
Aussagen wie diese können als ein Warnsignal gewertet werden, dass das Kind möglicherweise ein negatives Körperbild zu entwickeln beginnt. Als Eltern ist es in dieser Situation wichtig, ruhig und verständnisvoll zu reagieren. Dafür sollten wir vermeiden, die Aussage abzuwerten oder zu bagatellisieren. Es ist wichtig, die Gefühle des Kindes ernstzunehmen und zuzuhören, ohne zu verurteilen. Dafür kann es sinnvoll sein, die körperlichen Veränderungen anzusprechen, die in der Pubertät völlig normal sind.
Wir als Eltern können beispielsweise erklären, dass es ganz normal ist, dass Mädchen in dieser Phase etwas mehr Rundungen an Hüften, Oberschenkeln und Bauch bekommen. Eltern können des Weiteren versuchen, den Fokus weg vom Äußeren hin zu den vielen anderen tollen Eigenschaften und Talenten, die das Kind hat, zu lenken. Sollte die Unzufriedenheit mit dem Körper bei dem Kind zu stark ausgeprägt sein, sollten Eltern nicht zögern, professionelle Hilfe in Betracht zu ziehen.
Eine Therapie kann in solchen Fällen dabei helfen, ein gesundes und positives Körperbild aufzubauen. Das Wichtigste ist, dass wir als Eltern Verständnis zeigen, unrealistische Körperideale hinterfragen und den Wert ihres Kindes jenseits des Äußeren betonen.
Wie kommt es dazu, dass das subjektive Empfinden (Ich bin zu fett) da ein ganz anders ist als das objektive (Du bist doch total schlank)?
Zum einen kann die Körperwahrnehmung verzerrt sein. Manche Menschen, insbesondere jene mit einem negativen Körperbild, nehmen ihren eigenen Körper auf eine verzerrte Art und Weise wahr. Bei weiblichen Personen mit einer Körperbildstörung finden wir häufig eine Überschätzung ihrer Körperdimensionen, während männliche Personen ihren Körper tendenziell schmächtiger wahrnehmen. Das subjektive Empfinden wird stark von negativen Gedanken und Ängsten beeinflusst, sodass Frauen oder weibliche Jugendliche mit einem negativen Körperbild sich selbst als mehrgewichtig oder unattraktiv sehen können, obwohl sie objektiv einen normalgewichtigen oder schlanken Körper haben.
Zum anderen prägen sich durch den ausgedehnten Konsum von (sozialen) Medien und oft unrealistische Schönheitsideale ein – sie werden internalisiert. Der eigene Körper und das eigene Aussehen werden dann an diesen überhöhten und unerreichbaren Maßstäben gemessen, was zwangsläufig zu Unzufriedenheit mit dem Äußeren führt, obwohl man objektiv durchaus attraktiv ist.
Müssen wir nicht eventuell sogar viel früher ansetzen und mit uns selbst versuchen, ins Reine zu kommen, BEVOR wir Kinder bekommen? Damit wir die eigene Unzufriedenheit nicht weitergeben?
Die Frage, ob wir nicht schon vor der Geburt unserer Kinder an uns selbst arbeiten und ins Reine kommen sollten mit unserer eigenen Körperunzufriedenheit, ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn ob wir es wollen oder nicht – unsere eigenen negativen Einstellungen zum Körper übertragen sich oft unbewusst auf unsere Kinder. Wenn wir ständig unzufrieden mit unserem Aussehen sind, vor dem Spiegel stehen und die vermeintlichen Makel beklagen oder permanent auf Diät sind, dann kann sich diese Haltung bei unseren Kindern einprägen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir bereits vor der Familiengründung an einem positiven Körperbild und Selbstakzeptanz arbeiten. Wir sollten lernen, unsere Körper so anzunehmen wie sie sind. Hilfreiche Maßnahmen können sein:
- Psychotherapie, um tiefsitzende Unzufriedenheit oder eine Körperbildstörung anzugehen
- Meditation und Selbstreflexion, um negative Gedankenmuster zu erkennen
- Bewegung aus Freude und gesunde, intuitive Ernährung
Unser Ziel sollte es sein, auszustrahlen: „Ich mag mich so wie ich bin“ – und genau diese Haltung möchten wir an die nächste Generation weitergeben.
Egal, wohin man schaut, egal in welcher Altersklasse: Kaum eine Frau würde sagen: Ich liebe einfach alles an meinem Körper. Woher kommt das? Und warum denken Männern viel weniger über ein mögliches Bäuchlein nach?
Die Unzufriedenheit vieler Frauen mit ihrem Körper hat vielschichtige Ursachen. Ein zentraler Faktor ist der enorme aussehenskritische Druck, der in der Gesellschaft herrscht. Diesem sind Frauen signifikant häufiger und früher ausgesetzt als Männer. Er wird durch Medien, Werbung, soziale Netzwerke, das familiäre Umfeld sowie die Peergroup ständig reproduziert. Von Kindesbeinen an werden Mädchen und Frauen mit für die allermeisten unerreichbaren Körpernormen konfrontiert – schlank und makellos zu sein.
Männer hingegen stehen weniger im Fokus dieser Objektifizierung und Bewertung nach rein äußerlichen Kriterien. Ihr Selbstwert wird weniger an das Aussehen geknüpft. Stattdessen zählen für sie oft eher Stärke, Durchsetzungsvermögen und beruflicher Erfolg als zentrale Werte der Männlichkeit.
Hinzu kommt, dass Frauen biologisch bedingt stärkeren Schwankungen in Gewicht und Körperform durch Schwangerschaft, Geburt und Wechseljahre unterliegen. Diese natürlichen Vorgänge werden häufig als „unattraktiv“ abgewertet, anstatt als normale Prozesse des Frau-Seins anerkannt zu werden.
Einerseits heißt es, die sozialen Medien würden mit ihren Filtern äußerliche Perfektheitsansprüche befeuern, andererseits sehe ich aber auch sooo viele Jugendliche, die viel selbstbewusster mit ihrer Figur umgehen als wir damals und auch bauchfrei tragen, wenn sie nicht mit einer 90-60-90-Figur ausgestattet sind. Wie passt das zusammen?
Die scheinbar widersprüchlichen Beobachtungen – einerseits der Druck durch soziale Medien, perfekt auszusehen, andererseits eine größere Körperpositivität und Selbstakzeptanz bei vielen Jugendlichen – lassen sich durchaus miteinander in Einklang bringen. Soziale Medien und Influencer-Kultur präsentieren nach wie vor oft ein einseitiges und überaus geschöntes Schönheitsideal. Filter, Retusche und professionelles Licht- und Posing sorgen für makellose Bilder. Dieser ständige Strom an „Perfektion“ kann durchaus zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und dem Wunsch nach Optimierung führen.
Gleichzeitig hat sich aber auch eine Gegenbewegung der „Body Positivity“ und „Body Neutrality“ formiert, die genau diese toxischen Schönheitsstandards hinterfragen. Darüber hinaus gibt es immer mehr Influencerinnen, die sich für Körpervielfalt und Diversität einsetzen. In sozialen Netzwerken finden Jugendliche zahlreiche Accounts und Communitys, die Körperakzeptanz und Selbstliebe jenseits gesellschaftlicher Normen zelebrieren.
Viele junge Menschen haben die Botschaft verinnerlicht, dass es „normal“ ist, nicht der gängigen Norm zu entsprechen. Sie fühlen sich bestärkt, ihren Körper so zu akzeptieren wie er ist – mit Kurven, Speckröllchen oder einer anderen als der vorherrschenden Idealfigur. Natürlich gibt es auch unter Jugendlichen nach wie vor Unsicherheiten und Ängste in Bezug auf das Äußere. Doch insgesamt zeigt sich bei einigen auch eine erfreuliche Entwicklung hin zu mehr Selbstbewusstsein und Wertschätzung der eigenen Einzigartigkeit. Die sozialen Medien bieten eben nicht nur einseitige Perfektionsansprüche, sondern auch Raum für Gegennarrative und Empowerment.
Was möchten Sie als Profi uns als Eltern in Sachen Körperbild mitgeben? Und was unseren heranwachsenden Kindern?
Als Eltern ist es wichtig, unseren Kindern von Anfang an ein positives und gesundes Körperbild zu vermitteln. Unsere Kinder zu ermutigen, Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen. Ihnen zu vermitteln, dass jeder Körper einzigartig und wertvoll ist – egal ob dünn, dick, groß oder klein, mit oder ohne Behinderung. Diversität ist normal und gesund.
Achten wir auf eine ausgewogene Ernährung und fördern Bewegung aus Freude.
Für unsere heranwachsenden Kinder ist es essenziell, dass wir ihnen Selbstakzeptanz und Wertschätzung der eigenen Einzigartigkeit vermitteln und vorleben. Ein dadurch entstandenes positives Körperbild gilt als Schutzfaktor vor der Entwicklung von Essstörungen, Depressionen und anderen Folgen einer negativen Körperwahrnehmung.