Durch ihre Kleinwüchsigkeit begegnen Ninia Menschen schon von Grund auf anders als anderen Leuten. Das fängt damit an, dass sie überlegen, ob sie wirklich die Mutter ihres Kindes ist. In dem Buch „Bis eine* weint“ reden Nicole Noller und Natalie Stanczak von der Initiative „Faces of Moms*“ (das Buch ist auch direkt bei Palomaa Publishing erhältlich) mit ihr darüber, wie sie mit den Jahren Strategien entwickelt hat, damit umzugehen und ihr eigenes Ding durchzieht.
Wir dürfen das Interview aus dem Buch hier in Teilen abdrucken. Wer es ganz lesen mag und vor allem auch noch weitere ehrliche Interviews mit Müttern zu Gleichberechtigung, Care-Arbeit und Rollenbildern, dem legen wir den Kauf des Buchs besonders ans Herz. Ihr könnt die Mütter auch im Podcast zum Buch anhören: es gibt aktuell 17 wundervolle Folgen mit den Moms* aus dem Buch und auch mit Aileen Puhlmann und Kasia Mol-Wolf, die die Vorworte geschrieben haben.
Nun aber erstmal zu Ninia, die 1983 geboren wurde und 2017 Mutter wurde und die ihr aus diesem Artikel hier bei uns über ihr erstes Babyjahr vielleicht schon kennt. Im Gespräch mit ihr geht es um ältere Ladies, das „Weg-vom-Fenster“-Gefühl und über die Wut, dass unser politisches System immer noch das klassische Rollenmodell der heterosexuellen Kleinfamilie stützt. Das müssen wir dringend ändern.
Welche Rollenbilder haben dich geprägt?
Ganz unterschiedlich. Meine Eltern klassisch: Mein Vater hat Vollzeit gearbeitet, meine Mama war zuhause. Ich bin sehr feministisch erzogen worden – meinen Eltern war es immer wichtig, dass meine Schwester und ich unser eigenes Ding machen und später auf eigenen Beinen stehen und unabhängig sind. Ansonsten medial: Popstars (Pink, Christina Aguilera), Serien (Buffy), Bücher (Momo, Pippi Langstrumpf, Lotta).
Erzähle uns doch von einem typischen Tag aus eurer Woche. Wie sieht ein ganz normaler Dienstag aus?
Es gibt bei uns keinen ganz normalen Dienstag. Als selbstständige Moderatorin, Autorin und Podcasterin (Anm. d. Red.: u. a. Ninias Podcast „All Inclusive“) sieht jeder Tag anders aus. In der Regel bringe ich unser Kind morgens in die Kita, weil mein Mann schon unterwegs in die Schule ist (er ist Lehrer). Dann sitze ich am Schreibtisch, bereite Termine, Auftritte, Aufträge vor, schreibe Texte oder mache die Buchhaltung. Ich telefoniere oder treffe mich mit Auftraggeber*innen und Kund*innen.
Nachmittags sitze ich dann oft im Zug zu einem Auftritt und komme erst am späten Abend zurück nach Hause. Oder ich verbringe den Nachmittag mit Kind und Freund*innen auf dem Spielplatz und sitze abends nochmal am Schreibtisch, um Podcasts aufzunehmen oder den nächsten Tag vorzubereiten.
Wie teilen sich du und dein Partner die Kinderbetreuung und den Haushalt auf? Und warum habt ihr diese Form gewählt?
Wir machen grundsätzlich alles sehr gleichberechtigt. Um das Kind kümmern wir uns, wie es sich ergibt. Das bedeutet: Wer zuhause ist, ist dran. Da ich beruflich vor allem nachmittags/abends und am Wochenende unterwegs bin, ist dann mein Mann an der Reihe. Im Haushalt machen wir das, was wir lieber machen – er kocht, ich halte Ordnung und putze das Bad. Den Einkauf machen wir oft zusammen. Kindergeburtstage zum Beispiel sind sein Gebiet. Ich organisiere gern die Geschenke, aber ich gehe nicht hin. Es wäre ja auch albern, es so zu verteilen, dass der*die andere sich gequält fühlt.
Natürlich gibt es bei uns aber auch Diskussionen darüber, wer wie viel gemacht hat und ob der*die andere jetzt weniger oder mehr getan hat, wer übernimmt wie viele Nachmittage und so weiter. Klar, das gibt es bei uns auch, aber das finde ich auch ganz normal. Uns ist es wichtig, uns gegenseitig Auszeiten zu geben und viel miteinander darüber zu sprechen, was wir für Bedürfnisse haben. Wir waren schon neun Jahre ein Paar, als wir das Kind bekommen haben, vieles war also vorher schon so eingerichtet, dass wir darüber nicht diskutieren mussten. Und wir arbeiten beide Vollzeit – da sind wir darauf angewiesen, gegenseitig Rücksicht zu nehmen und uns gut zu organisieren. Spontanität ist natürlich immer schwieriger.
Wie hast du vor der Schwangerschaft gelebt?
Fast genauso wie danach. Der einzige Unterschied: Ich bin unter der Woche nicht mehr so viel unterwegs und über Nacht weg.
Welche Vorstellungen von Mutterschaft hattest du, bevor dein Kind zur Welt kam? Was ist genauso, wie du es dir vorgestellt hast, und was ist anders?
Ich habe mir vieles schon genau so vorgestellt, wie es jetzt ist. Ich bin mit 33 Mutter geworden. Einige meiner Freundinnen waren schon Mütter und ich wusste, was auf mich zukommt. Tatsächlich habe ich es mir einfacher vorgestellt, mit dem Kind gemeinsam zu arbeiten. Mein Kind hat nie friedlich auf einer Decke gespielt oder still in der Trage gehockt. Ich habe schnell gelernt, dass es für alle Beteiligten angenehmer ist, wenn ich meine Jobs allein durchziehe.
Wie hat dich dein Muttersein verändert?
Ich bin organisierter geworden. Ich nutze Zeitfenster besser und verliere mich nicht stundenlang auf irgendwelchen Websites oder in Serien. Ich achte mehr auf mich und weiß, Zeiten für mich allein zu schätzen.
Wenn du dich in die ersten Wochen mit Neugeborenem zurückversetzt: Was würdest du wieder genauso machen, was würdest du nie wieder so machen?
Mein Kind war die ersten zwei Wochen auf der Intensivstation. Das würde ich, wenn ich könnte, nicht noch einmal machen. Unser Kind hat die ersten Wochen pünktlich ab 16:30 Uhr zwei, drei Stunden durchgeschrien. Wir konnten uns nicht richtig aussuchen, „was“ wir machen. Deshalb denke ich auch, sich irgendwas vorzunehmen oder zu planen, etwas nie wieder so zu machen, ist Bullshit. Das ist so individuell. Grundsätzlich würde ich mir viel Zeit nehmen und auch mal wieder andere Dinge machen als mich 24/7 um das Kind zu kümmern und so haben wir es – so gut es ging – auch gemacht.
Fallen dir Situationen ein, in denen dein Verhalten als Mutter kritisiert wurde?
Mein Verhalten als Mutter wird im Grunde ja ständig kritisiert. Ob im persönlichen Zusammenhang – von fremden Leuten (meist ältere Ladies*) oder im familiären Umfeld – oder gesellschaftlich, weil ich „schon wieder“ arbeiten gehe, dieses und jenes nicht mache oder auf andere Sachen besonderen Wert lege. Wie man es macht, macht man’s verkehrt und dann kann man auch einfach sein eigenes Ding durchziehen.
Dazu kommt, dass mir durch meine Kleinwüchsigkeit Menschen sowieso schon einmal anders begegnen als anderen Leuten. Das fängt damit an, dass sie überlegen, ob ich wirklich die Mutter bin. Insgesamt ist die Diskriminierung mir gegenüber extremer und deutlicher geworden, seitdem ich Mutter bin.
Wenn man nur klein ist, sind es vor allem die alltäglichen Dinge wie Bankautomat zu hoch, Straßenbahn einsteigen, öffentliche Toiletten benutzen et cetera. Und gerade der Punkt mit den Blicken und den komischen Nachfragen ist viel mehr geworden als früher, gerade als der Bauch da war und dann das Kind zur Welt kam, weil sich die Leute einfach fragten: „Wie konnte das passieren? Warum hat sie eine Beziehung? Wie alt ist sie? Ist sie wirklich die Mutter?“
Da kommt jetzt nicht jeder auf mich zu, vieles ist auch meine Interpretation von Blicken, aber es gibt durchaus auch Menschen, die auf mich zukommen und fragen, warum ich „so jung“ ein Kind bekommen habe oder wie das mit der Geburt funktioniert hat. Das ist eine gesellschaftliche Anteilnahme, die man sich nicht immer wünscht.
Wie gehst du mit diesen Blicken und Kommentaren um? Hast du dir ein dickes Fell angeeignet?
Ich bin schon immer klein und ich kenne die Reaktionen schon immer. Mir fällt es auch nicht mehr so auf wie früher, aber ich kann auch nicht sagen, dass ich da ein dickes Fell habe. Es kommt so ein bisschen auf meine Tageslaune an. Ich bin es einfach gewohnt, ich erzähle es gern und verarbeite es in Texten.
Ich setze mich gerne dafür ein, dass unsere Gesellschaft immer respektvoller wird, aber es kommt für mich nicht überraschend. Was ich interessant finde, ist, wie mein Kind damit umgeht. Ihm ist bewusst, dass ich klein bin. Er erklärt das auch, Papa ist groß und Mama ist klein und er ist eben auch aktuell klein mit dreieinhalb (also normal klein) und es geht dann im Kindergarten jetzt so langsam los, dass die anderen Kinder anfangen darüber nachzudenken, dass seine Mama kleiner ist als andere Mamas und ich erkläre ihnen das auch. In dem Zusammenhang finde ich es auch super wichtig, einfühlsam mit dem Thema umzugehen und ihm eine ganz normale Erklärung dafür zu geben.
Gab es auch Momente, in denen du als Mutter empowert wurdest?
Im Zusammentreffen mit anderen kleinwüchsigen Müttern. Durch den konstanten Austausch auf Instagram. Und durch das Lesen toller Bücher wie Hollie McNish „Das sagt einem ja keiner“.
Was wären deiner Meinung nach optimale Rahmenbedingungen für eine gelungene Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
Wenn alle Beteiligten mit ihren Positionen und ihren Möglichkeiten zufrieden sind – und wenn alle finanziell gleichgestellt sind (dazu zähle ich auch die Vorsorge und Rente).
Wie war dein Wiedereinstieg in den Beruf?
Ich stand acht Wochen nach der Geburt wieder auf der Bühne und habe ein kleines Festival moderiert. Eine wirklich große Pause gab es also nicht – ich hatte die Angst, dass ich es mir nicht leisten kann, lange „weg vom Fenster“ zu sein. Für mich war das aber genau der richtige Weg.
Was lösen die Schlagwörter „Teilzeitfalle“ und „Altersarmut“ in dir aus?
Wut. Wir dürfen diese Sachen nicht zu sehr individualisieren. Wenn ich höre, dass Frauen* daran selbst schuld sind oder jede vorsorgen kann, wenn sie nur möchte, dann muss ich leider immer ein bisschen kotzen. Unser politisches System stützt das klassische Rollenmodell der heterosexuellen Kleinfamilie – und das müssen wir dringend verändern.
Wie gehst du mit deinen Grenzen als Mutter um? Was machst du, um dir etwas Gutes zu tun?
Ich spreche drüber – auch mit meinem Kind. Um mir etwas Gutes zu tun, mache ich ganz viele unterschiedliche Dinge: Lesen, alleine, ins Kino oder Café, ein paar Tage wegfahren, Yoga, Serien gucken. Ich achte auch extrem darauf, dass ich einen regelmäßigen Schlaf habe. Ich muss, wenn ich Pech habe, spätestens um 5:30 Uhr aufstehen, da ist jede Sekunde Schlaf wichtig. Ich habe auch gelernt, mich nicht so stressen zu lassen, vor allem beruflich. Und wenn ich unterwegs bin, auch mehr auf meine Ernährung zu achten und nicht mehr jede Party mitnehmen zu müssen.
Ist dir Gleichberechtigung wichtig? Und wenn ja, warum?
Ja, absolut. Weil ich glaube, dass man nur gleichberechtigt eine Beziehung auf Augenhöhe und mit Respekt führen kann. Und weil das genau die Werte sind, die ich meinem Kind vorleben möchte.
Was wünschst du dir als Mutter in der Zukunft von unserer Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass wir alle Familienmodelle akzeptieren und nicht von einer Norm ausgehen, von der die meisten sowieso in irgendeiner Form abweichen. Ich wünsche mir, dass alle Kinder – unabhängig von Behinderung, Geschlecht und Herkunft – gleich an Rechten aufwachsen dürfen. Ich wünsche mir, dass über familienpolitische Themen zukünftig nicht nur Mütter* diskutieren, sondern auch Väter* und Politiker*innen ihre Verantwortung ernst nehmen. Ich wünsche mir mehr finanzielle Anerkennung für alle, die in erzieherischen Berufen tätig sind. Und ich wünsche mir eine Arbeitswelt, die Kinder und Familien nicht als Problem, sondern als Joker sieht.
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Ein toller und wichtiger Beitrag, vielen Dank dafür!