Wie reagiere ich, wenn ich mein Kind beim Klauen erwische?

Klauen

Ihr Lieben, habt ihr eure Kinder schon mal beim Klauen erwischt? Wart ihr entsetzt oder bestürzt? Habt ihr geschimpft oder euch selbst Vorwürfe gemacht? Saskia Jakisch ist freie Autorin und hat sich mit dem Thema „Klauen bei Kindern“ auseinandergesetzt. Danke für diesen tollen Gastbeitrag!

Was tun, wenn Eltern feststellen, dass das eigene Kind klaut? Wo man doch davon überzeugt ist, dass es alles hat, was es braucht. Hat man in der Erziehung etwas falsch gemacht? Oder ist es einfach dem „Forscherdrang“ geschuldet? Machen das fast alle Kinder? Wie sollen Eltern reagieren? Eine Frage, der ich näher auf den Grund gehen möchte. 

Wenn der Diebstahl entdeckt wird

Eine Freundin von mir erzählte kürzlich, dass sie beim Entleeren der Jackentasche ihrer 6-jährigen Tochter einen Ring gefunden hat. Einen Ring, den sie noch nie gesehen hatte und der recht hochwertig aussah. Sofort stürme sie zu dem Kinderzimmer, um ihre Tochter zur Rede zu stellen. Es wurde dann auch recht schnell zugegeben, dass dieser Ring aus einem Juweliergeschäft stammt, wo sie eine Woche zuvor gewesen waren.

Meine Freundin brodelte innerlich, ihre Tochter klaut bei einem Juwelier? Die Tatsache, dass ihre Tochter stiehlt, war ihr schon peinlich genug. Aber dann noch bei einem Juwelier. Wer weiß, was dieser Ring wert ist. Ihr wurde siedend heiß und vor ihrem geistigen Auge sah sie den Juwelier, wie er seit einer Woche hektisch nach diesem Ring sucht. Eine Untersuchung im Ring beruhigte sie etwas, es gab keine eingravierte Nummer. Ein Anruf im Geschäft ebenfalls, der Juwelier war entspannt und vermisste nichts. 

Diebesbande oder besser Detektive

Meine Freundin hat dann ganz ruhig (!) mit ihrer Tochter gesprochen „Warum, wieso, das macht man doch nicht“ und beispielhaft gefragt, „stell dir vor, jemand kommt in dein Zimmer und nimmt dein Lieblingsspielzeug weg, wie findest du das?“. Das fand diese natürlich blöd. Sie erklärte den Diebstahl damit, dass sie und ihre Freunde eine Diebesbande seien. Es wurde sich dann drauf verständigt, dass sie und ihre Freunde zukünftig lieber eine Detektivbande sind.

Und dann ist sie mit ihrer Tochter zum Juweliergeschäft gefahren. Der Juwelier lächelte schon, als die beiden das Geschäft betraten. Falscher Einstieg, er hätte doch lieber streng schauen sollen, dachte meine Freundin. Tatsächlich hatte er den Ring nicht vermisst und nein, er war auch nicht wertvoll, sondern nur ein „Ausstellungsring“. Als seine Mitarbeiterin dann noch den Satz sagte: „Das haben wir doch alle einmal gemacht“, war meine Freundin nicht sicher, ob dieser Ausflug einen nachhaltigen Eindruck bei ihrer Tochter hinterlassen hat. Seitdem wurde jedoch nichts mehr geklaut. 

Gehen wir der Sache auf den Grund

Trotzdem interessiert es mich brennend, warum machen Kinder das und machen es wirklich „alle“ einmal? Läuft dann wirklich in der Erziehung etwas schief? Und wie gehen Eltern am besten mit der Situation um? Um Antworten zu bekommen, sprach ich mit der bekannten Familientherapeutin Eva Kessler

Was sagt Eva Kessler zum Thema Klauen?

Das, was die Erwachsenen „Klauen“ nennen, würde in der Kinderwelt bedeuten: Ausprobieren und dann hochintelligente Schlüsse ziehen. Wenn Erwachsene das Handeln der Kinder verstehen würden, würde dies an der Universität „Forschen“ heißen und im täglichen Leben „Lernen“. Man könnte Kindheit definieren als Zeit des Forschens. Erwachsene nennen dies manchmal „Fehler“.

Kinder handeln bedürfnisorientiert

Erwachsene verbinden mit Klauen und Lügen, was meist im Doppelpack auftaucht, Moral. Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter handeln bedürfnisorientiert und unbewusst, aber sehr intelligent. Moral ist noch kein Kriterium für sie. Wenn Kinder in diesem Alter moralisch handeln, dann nicht aus eigener Motivation, sondern sie ahmen ihre Bezugspersonen nach oder handeln, um die Erwartungen der Erwachsenen zu erfüllen. Erst in der Vorpubertät beginnt das bewusste Nachdenken über moralische Werte.

Warum stehlen Kinder?

Jedes Kind, welches klaut, hat einen anderen Grund, warum es sein ureigenes „Forschungsprojekt“ unternimmt. Manchmal taucht das „Erforschen der Welt“ in Form von Klauen dann auf, wenn in der Familie des Kindes an irgendeiner Stelle das Gleichgewicht ins Wanken geraten ist. Beispielsweise bekommt ein Kind mehr Aufmerksamkeit als ein anderes oder Eltern sind stark mit anderen Themen beschäftigt, und können gerade auf der Beziehungsebene wenig geben. 

Oder das Gleichgewicht zwischen beruflicher (materieller) und familiärer (persönlicher) Orientierung ist gestört. Dies passiert in heutigen Familien häufig, weil beide Eltern nicht selten beruflich gefordert sind und extrem viele Aufgaben parallel erledigen müssen. Unbewusst wünschen sie sich in solchen Zeiten, dass ihre Kinder „funktionieren“. Eltern erwischen sich selbst dann dabei, dass sie häufiger „meckern“ oder viel Recht haben wollen. Kinder wünschen sich in diesen Phasen, dass die Eltern mehr Zeit für sie hätten, in der sie es sehr gemütlich, entspannt und fröhlich miteinander hätten. 

„Jedes Kind, welches klaut, hat einen anderen Grund, warum es sein ureigenes „Forschungsprojekt“ unternimmt.“ (Eva Kessler)

Klauen

Kinder möchten geliebt werden

Dabei steht im Vordergrund das Bedürfnis des Kindes, von den Eltern als einzigartige, liebenswerte Person wahrgenommen zu werden. Dies ist für Ihre gesunde Identitätsbildung von zentraler Bedeutung. Es gibt aber auch ganz andere Gründe, warum Kinder klauen. Allen gemeinsam ist in diesem Alter, dass sie unbewusst oder halb bewusst klauen. Die Gründe, die sie nennen, sind oft nur der Anlass, selten auch tatsächlich die Gründe. Dies ist bei jugendlichen „Forschern“ oft anders.

Müssen Eltern sich Sorgen machen?

Wenn Kinder klauen und/oder lügen, hat das zur Folge, dass die Eltern sich Sorgen machen und sich den Kindern zuwenden, leider meist ärgerlich. Sie kümmern sich dann um die Regulierung des Schadens und reden mit dem Kind. Hier wird das Kind zwar als einzigartig wahrgenommen, aber zumeist negativ. Wenn Eltern von ihrem Kind enttäuscht sind, ist das „Forschungsergebnis“ des Kindes womöglich: Meinen Eltern ist das Materielle (das Geklaute) wichtiger als ihr Glauben an mich.

Wie reagiere ich als Eltern richtig?

Erzieherisch lassen sich aus diesen grundsätzlichen Überlegungen folgende Schlüsse ableiten. Der Elternteil, der das Kind „erwischt“, erklärt dem Kind in altersgerechter Sprache und gutmütig, ganz ohne „Drama“, (sondern wie „großer Bär – kleiner Bär“), wie die Regeln der Erwachsenen in Bezug auf die Besitzverhältnisse sind. Dann bringen sie gemeinsam das Geklaute zurück. Dabei führt der Elternteil die Kommunikation mit dem Bestohlenen. Der Elternteil fühlt sich als Beschützer des Kindes. Keinesfalls zwingt der Elternteil sein Kind dazu, sich zu entschuldigen. Der Erwachsene entschuldigt sich stellvertretend für sein Kind und ist damit ein gutes Vorbild.

Wie reagiert der Bestohlene am besten?

Es wird oft fälschlicherweise angenommen, dass der durch das Klauen Geschädigte beleidigt, böse oder strafend reagieren solle. Dieser veraltete Standpunkt folgt noch der Logik von Schuld und Strafe, den wir heute nicht mehr vertreten. Der Geschädigte reagiert sehr natürlich und menschlich, wenn er sich freut, dass er das Gestohlene zurückbekommt. Er freut sich auch über die Ehrlichkeit und die redliche Bitte um Verzeihung, die ihm durch die Eltern des Kindes entgegengebracht werden. Und er freut sich, Zeuge sein zu dürfen, wie ein Kind etwas Wichtiges lernt, um ein kundiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden. Er zeigt Verständnis, und das sollten alle Erwachsenen tun.

Ist Klauen eine Fehlentwicklung?

Zum Schluss meine Antwort auf die Frage vieler Eltern, ob das Klauen ihres Kindes eine Fehlentwicklung anzeige: Nein, Klauen und Lügen sind ein normales, kindliches Forschungsverhalten und zeigen Intelligenz und Neugier, Wissbegier und Mut! Unendlich viele gesunde Kinder probieren es aus und werden später ehrliche, faire Erwachsene.

Kein Weltuntergang

Die Antwort von Eva Kessler gab ich an meine Freundin weiter. Diese war erleichtert, dass es mehr dem Forscherverhalten ihrer Tochter geschuldet war und, dass sie „aus dem Bauch“ heraus ganz richtig mit der Situation umgegangen ist. Im Stillen hat sie sich dann auch bei dem netten Juwelier und seiner Mitarbeiterin bedankt für das menschliche und freundliche Verhalten, statt wie „gelernt“ böse oder strafend zu reagieren. 

Es ist also kein Weltuntergang, wenn das eigene Kind stiehlt. Wichtig ist, wie wir als Erwachsene mit der Situation umgehen und unser Kind begleiten. Wir dürfen als Erwachsene nie vergessen, auch wenn die Themen manchmal herausfordernd sind, dass wir einzigartige, neugierige, mutige und intelligente Kinder haben, die ihr eigenes Selbst entwickeln sollen und dürfen.


Wer mehr über die Autorin erfahren möchte: www.saskiajakisch.de

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4 comments

  1. Also ich als Vater wäre da erstmal recht entspannt. Ich war zwar als Kind brav und habe nicht geklaut, habe aber später als Jugendlicher so einige Sachen angestellt, die weitaus schlimmer waren, als mal einen Ausstellungsring beim Juwelier mitzunehmen. Bin dann trotzdem als Erwachsener ein gesetzestreuer Bürger geworden.

    Von daher fiele es mir da auch schwer allzu streng zu sein. Ich hätte mich einfach zu sehr selbst vor Augen. Ich weiß nun einmal, dass eine gewisse Delinquenz auch mal phasenweise auftreten kann, ohne dass das Kind dann später zum Berufsverbrecher wird.

    Klar: Deutliche Ermahnung und Rückgabe des gestohlenen Gegenstandes sind natürlich obligatorisch.

    1. Hm, wir waren zunächst entspannt. Mein Sohn hat im Kleinkindalter, also ganz normal, angefangen, Sachen zu nehmen, die ihm nicht gehören. Wir haben dann erklärt, zurück gegeben und Taschengeld eingeführt, um sein Autonomiebedürfnis zu erfüllen.
      Es hat aber leider nie aufgehört. Inzwischen ist er 7.
      Dieser Tage hat er mir zum wiederholten Male meine Spitze-Radierer-kombi entwendet. Dabei hat er zum Start ins neue Schuljahr gerade erst genau so einen von mir geschenkt bekommen.
      Meist frage ich, wenn ich so einen Verdacht habe extra, ob er das gerade in seinem Zimmer hat, um einen Vorwurf zu vermeiden. eben würde dann aber trotzdem wieder geleugnet, statt die Möglichkeit zum zurückgeben zu nutzen.
      Ich bin echt sauer geworden und ziemlich mit meinem Latein am Ende.

  2. Pädagogisch gesehen ist die moralische Entwicklung des Kindes im Grundschulalter abgeschlossen, so argumentiert Jean Piaget. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Kinder den Unterschied zwischen mein und dein nicht kennen. Hier nur ein Forschungsexperiment zu sehen, wage ich zu bezweifeln, dann würden ja alle Kinder in einer Altersphase stehlen. Beim Juwelier zu stehlen, ist sicher schon eine grössere Sache, die mit dem Kind gründlich aufgearbeitet werden muss, schliesslich handelt es sich um einen Einbruch. Ansonsten geschieht das, was wir ja in der letzten Zeit erlebt haben, dass das Kind bald weiss, dass es nicht strafmündig ist und munter weiter macht mit dem Stehlen.

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