Kinderwunsch-Achterbahn: Happy End mit Einschränkungen

Kinderwunsch-Achterbahn

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Ihr Lieben, kennt ihr das Sprichwort „Man schaut den Menschen nur vor den Kopf“? Welche Geschichten manche von uns mit sich herumtragen, ist schon wirklich wahnsinnig und genau diese Geschichten machen unseren Blog hier aus. Friederike von Bredow, systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, hat uns hier mal ihre Kinderwunsch-Achterbahn aufgeschrieben… und wie dann alles ausging. Es hätte auch ein ganzes Buch werden können, also nehmt euch einen Moment Zeit.

Dass ich eine Mama sein wollte, wusste ich schon lange bevor ich das Wort ´Mama´ schreiben konnte. Viele kleine Kinder spielen Mutter-Vater-Kind mit ihren Puppen oder Nachbarskindern, auch ich tat das unheimlich gern und der Wunsch nach einer Familie ruhte zwar bis nach dem Studium, danach war er nicht mehr aufzuhalten. Mein damaliger Mann und ich waren ready.

Puppenwagen
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Ich war zu dem Zeitpunkt studierte Pädagogin und angehende Therapeutin und fühlte mich so bereit wie nur irgendwas, Mama zu werden und zu sein. Aber nichts und niemand hatte mich und uns darauf vorbereitet, welche Lawine da schon auf uns zurollte. Eine Lawine aus Diagnosen, Trauer, Schmerz, Tränen, Frust, Angst, Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Aber der Reihe nach. Als wir uns ins der Vergnügen der Fortpflanzung stürzten, war nach vielen Monaten vergebener Liebesmüh klar: Irgendwas stimmt nicht.

Die Kinderwunsch-Achterbahn beginnt

Mein Frauenarzt bot hormonelle Unterstützung mit Zyklusüberwachung an. Hormontabletten-Auslösespritze-Sex auf Kommando. Warten. Nichts. Monat für Monat. Dann wechselten wir in ein Kinderwunsch-Zentrum. Dort fanden viele Untersuchungen statt. Im Wochenrhythmus hörte ich Verdachtsdiagnosen wie: Wir vermuten bei Ihnen ein Syndrom, bei denen jeder männliche Fötus schwerstbehindert oder tot zur Welt kommt.

Am Ende einer sehr langen Untersuchungsreihe wurde eine Hormonstörung diagnostiziert, die in abgeschwächter Form viele Frauen haben, das PCO-Syndrom. Bei mir nur schon sehr weit fortgeschritten, weil vorher unentdeckt und unbehandelt. Die Eierstöcke stark beschädigt. Medikamentenversuche. Wieder Zyklusüberwachung und hormonelle Unterstützung. Sex auf Kommando. Warten. Nichts. Monat für Monat für Monat.

Als wir nicht mehr konnten und jeden Spaß am Sex verloren hatten, wechselten wir das Kinderwunsch-Zentrum. Dort wurden Offlabel-Medikamente probiert, dann die erste IVF. Nach langer hormoneller Stimulation werden dir deine Eierstöcke, die danach die Größe von zwei Volleybällen in deiner Unterhose haben, unter Vollnarkose punktiert. Die Eibläschen werden angepiekst und die Eizellen samt Flüssigkeit daraus gesaugt, um sie im Reagenzglas zu befruchten.

Krasse Reaktionen auf die Behandlung

Nach der Punktion blutete ich wie eine abgestochene Sau, keiner wusste zu dem Zeitpunkt, warum das bei mir so stark war. Als ich wieder halbwegs klar im Kopf war, wurden wir zum Doc rein gerufen. Er saß mit betretener Miene hinter seinem Schreibtisch, zusammengezogene Augenbrauen. Das machte keinen Sinn, der Schwangerschaftstest war ja erst 14 Tage später. Da bekommt man eventuell ´bad news´, aber doch bitte jetzt nicht. Ich hatte doch alles ganz brav mitgemacht!?

Er erklärte uns, dass keine Eizellen in den Eibläschen gefunden wurden. Das gibt es nur ganz selten. Quasi nie. Er wüsste auch nicht, warum das passiert sei. Wir verließen die Praxis wie geprügelte Hunde. Wo nichts ist, kann auch nichts befruchtet werden. Der Zyklus war vorbei. Das Geld war weg, die Hoffnung und die Kraft auch. Ich brach zusammen. Konnte nicht mehr. Wir versuchten es noch ein paar Mal, aber es blieb ein eizellfreies Unterfangen.

Ich versuchte, mir Hilfe zu holen. Als angehende Therapeutin wusste ich, jeder Arzt braucht einen Arzt, jeder Therapeut braucht einen Therapeuten. Aber es gab keine für Therapeuten mit dem Schwerpunkt unerfüllter Kinderwunsch. Ich schwor mir, wenn ich das mal hinter mir habe, spezialisiere ich mich darauf. SPOILER: Hab ich später tatsächlich auch.

Wie sollte meine Seele das verkraften?

Man bot mir in verschiedenen Praxen Rückführungen, Karma-Arbeit, Wunderheilung und Eigenurintherapie an. Aber wie meine Seele das verkraften sollte, konnte mir keiner sagen. Wir brauchten einen Plan B: Adoption. Plan C, wenn auch das nicht klappten würde: Dann studiere ich noch mal was ganz Anderes oder mache eine Weltreise, helfe Waisenkindern auf der ganzen Welt.

Wir stellten einen Adoptionsantrag. Als wir die Hosen runtergelassen und das Gütesiegel „adoptionswürdig“ erhalten hatten, begann die Wartezeit. Zu diesem Zeitpunkt bat mein damaliger Mann, den ich zu diesem Zeitpunkt vor lauter Schmerz in mir ein wenig aus den Augen verloren hatte, mich um einen letzten IVF Versuch. Sein Abschied. Sein Abschluss. Wie konnte ich ihm das verweigern? Jeder trauert anders.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich längst aufgehört zu hoffen, geschweige denn, an Wunder zu glauben. Bisher war der tragische Verlauf unseres Kinderwunsches eher die Fortsetzung von all dem, was seit meiner Geburt schon alles Unschönes passiert war. Aber dann… aber dann…. Der Augenbrauen-Doc fand unglaublicherweise wie im Oster-Rausch 5 Eizellen. Von denen mochten 3 das Sperma des Papas, und am Ende wurde ein kleines süßes Zellhäufchen in meine Gebärmutter transferiert, das unglaublicherweise heute fast 15 Jahre alt ist.

Happy End mit Einschränkungen

Unverhofft schwanger
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Nach einer angespannten und schweren Schwangerschaft kam unser Wunder, unsere Tochter auf die Welt. Ihr kleiner Bruder wiederholte knapp vier Jahre und viele weitere IVFs später den Paradelauf seiner Schwester und wurde unser Wunder Nummer 2.

Meine Ehe hat diese knapp 8 Jahre nicht überstanden. Denn obwohl wir vorher eine genetische Untersuchung durchlaufen hatten, die vollkommen unauffällig war, sind meine Kids beide mit vielen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Welt gekommen, die damals niemand zusammenbringen und erklären konnte.

Beide gewünschtesten Wunschkinder der Welt haben bis zu 11 Stunden am Tag geschrien, konnten nichts sehen, erbrachen viel. Ich will euch nichts vormachen. So viele Jahre Kinderwunsch-Behandlung belasten eine Beziehung sehr. Das Ich des Mannes, das Ich der Frau, das Wir des Paares, jedes ICH und das WIR wird defragmentiert. In seine Einzelteile zerlegt. Und dann hängt es von deinen eigenen biographisch angehäuften oder dir bereits angeborenen Zauberkräften ab, ob du deine Einzelteile wieder zusammenkleben und die Risse vielleicht sogar noch golden anmalen und stolz drauf sein kannst.

Ein zweites Wunder, der gleiche Gendefekt

Ich zähle mittlerweile zu denen, die stolz auf die Risse ist, auf die Narben all meiner Kämpfe, meiner 2 Sectios und darauf, was meine Kinder und ich in den letzten Jahren geschafft haben. Weil wir mussten und weil wir wollten. Denn die Kids haben meinen Kampfgeist geerbt. Achtung, jetzt wird es kurz tragisch. Meine Kinder sind mit einem sehr seltenen Gendefekt auf die Welt gekommen, der von der Genuntersuchung nicht erfasst wurde. Okulokutaner Albinismus Typ 1.

Dadurch waren sie von Anfang an fast blind, erst später entwickelten sich ca. 30% Sehkraft. Warum sie so viel schrien, können wir heute nur vermuten, sie werden viele Symptome schon gehabt haben, aber eben noch keine Worte dafür. Als wir Kind 2 planten, versicherten mir alle Ärzte, die Behinderung meiner Tochter sei eine Spontanmutation. Das könne nicht noch einmal vorkommen. Als mich dann mein Sohn mit 6 Wochen auch nicht anschauen konnte, wusste ich, es ist doch wieder passiert.

Vor ca. 3 Jahren, unendlich viele qualvolle Jahre und Fehldiagnosen später, war die Sehkraft der Kinder wieder unter 5% gesunken, erfuhren wir nach und nach, dass meine beiden Kinder und ich unter einer seltenen Hirndruck-Erkrankung leiden. Wir lebten alle unerkannt mit viel zu hohem Hirndruck, was die Sehnerven besonders der Kinder beschädigt hat und auch bei mir im Kopf viel zerquetscht hat.

Endlich (seltene) eine Diagnose, die alles erklärt

Und vor ca. einem Jahr konnte das Rätsel dann endlich final gelöst werden. Ohne es zu wissen und es zu wollen, habe ich ihnen das sehr seltene Ehlers-Danlos-Syndrom, eine Kollagenstoffwechselstörung vererbt. Alle anderen Erkrankungen, auch meine Hormonstörung sind Komorbiditäten. Nun ergibt alles Sinn. Die komischen Blutungen, das Reißen von Organen, die unerklärlichen Schmerzen, die Sehstörungen, Hernien, Sehnenanrisse, Missempfindungen, Taubheitsgefühle und so vieles mehr, alles ein Teil der Krankheiten.

2021 erfuhren wir außerdem, dass meine Tochter eine Zyste mitten im Kopf an einer schwer operablen Stelle hat, die mittlerweile tumoröses Untergewebe gebildet hat, aber größenkonstant ist. Die Neurochirurgen lassen das Ding drin, weil nicht alle Patienten bei der OP wieder aufwachen. Beide Kinder haben viel Zeit im Krankenhaus verbracht, leben mit einer Restsehkraft, um die wir sehr kämpfen.

Ihr Hirndruck ist mittlerweile durch Shunt-Anlagen im Kopf ausgeglichen, die den überschüssigen Liquor in den Bauchraum ableiten, die mussten zwar schon ein paar mal neu gemacht werden, meine Kinder können aber trotzdem viel machen und sind fröhliche, abenteuerlustige, kontaktfreudige Kids. Das ist auch wichtig, um im Kopf nicht die Schmerzen und die Angst überhand gewinnen zu lassen.

Wir machen das Allerbeste draus

Frau am Meer
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Wir sind viel an schönen Orten, umgeben uns mit lieben Menschen und unseren Tieren, machen viel Sport, um die Gelenke und Muskeln zu stärken. Wir genießen jede Minute, weil wir nie wissen, wann die nächste Krise ansteht. Wir werden von einem Zentrum für seltene Erkrankungen betreut, aber unsere Seelen betreuen wir selbst. Zwischen jeder OP und jedem Arzttermin platzieren wir viele Glücksmomente, die wir wie Perlen auf einer Kette auffädeln.

Und vor ein paar Monaten ist mein 3., zugegebenermaßen sehr ungewöhnliches Baby, auf die Welt gekommen. Die App „Kinderwunsch-Beratung to go“, eine psychologische Begleitung für Kiwu-PatientInnen. Die Inhalte habe ich auf den langen Fahrten zu den FachärztInnen und bei Kranken-hausaufenthalten geschrieben. Ich musste einfach aus all der Scheiße irgendwas Gutes machen. Wollte den Kiwu-PatientInnen, die nun heute in der Achterbahn sitzen, eine Hilfe geben, die ich damals nicht hatte. Denn das ist heute einer der Schwerpunkte in meiner Arbeit.

Ob ich es bereue, meine Kinder bekommen zu haben, jetzt wo ich weiß, welch schwere Krankheit ich ihnen vererbt habe, wurde ich mehrfach gefragt. Ich schwanke in meinen Antworten. Ich möchte meine zwei Goldstücke nicht missen, also muss ich sagen: NEIN! Aber ich wünschte, ihnen gesunde Körper geschenkt zu haben, deshalb antworte ich mit: Wenn ich über meine Erbkrankheit informiert gewesen wäre, hätte ich mich für eine Eizellspende oder Adoption entschieden. Aus Liebe zu ihren zauberhaften Seelen. Ein Happy End also? Ja. Eindeutig.

So dankbar, ihre Mama zu sein

Ich bin zutiefst dankbar, eine Mama sein zu dürfen. Und obwohl ich wirklich viel gelernt habe, mich weiterentwickelt habe, aus allem immer irgendwie noch was Gutes gemacht habe, gebe ich unumwunden zu, dass ich mir und den zwei Eizellwundern doch auch einen leichteren Weg gewünscht hätte. Wenn meine zwei Zaubermäuse mit mir an den Beginn meiner Kinderwunsch-Karriere zurückschauen und wir darüber sprechen, wie alles begann, und das ist jetzt immerhin schon 23 Jahre her, sagen sie mir, es ist alles gut so, wie es ist.

Sie möchten ihr Leben und ihre Körper nicht eintauschen gegen ein Leben ohne mich. Wir haben eine krisenfeste starke Bindung, diese haben sie auch zu ihrem Bonuspapa, denn ich bin mittlerweile wieder glücklich verheiratet. Unsere Bindung wird durch jede Krise, jeden Krankenhaus-Aufenthalt nur noch stärker. Das hier ist noch nicht das Ende unserer Geschichte, diese Krankheit spielt leider Scharade mit uns. Aber happy sind wir. Das kann ich aus ganzem Herzen sagen.

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4 comments

  1. Unser Sohn, jetzt 15, hat auch Albinismus auf der Netzhaut. Mit drei Monaten war mir klar, dass was mit den Augen nicht stimmt. Wir brauchten 10 Jahre und einen neuen Arzt in unserer Augenarztpraxis bis zur Diagnose. Die genetische Untersuchung hat es dann bestätigt. Da es genetisch ist, verschlechtert sich scheinbar der Visus nicht, er verbessert sich aber auch nicht. Danke für den Beitrag und den neuen Input….

  2. Danke für deine Offenheit. Mich hat eure Geschichte auch sehr berührt. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute und weiterhin so viel Kraft. Toll, wie du das mit so einer positiven Energie meisterst.

  3. Ich wünsche Euch weiterhin viele wunderschöne Momente! Aus Deinen Ausführungen hört man so viel Liebe und Energie, dass klar ist: Diese Kinder sind genau bei der richtigen Mutter ‚gelandet’… toll auch, dass Du andere Frauen berätst!

    Danke für das Teilen!

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