„Kind, du machst mich wahnsinnig“: Eigene Trigger erkennen & auflösen

Junge frech

Foto: pixabay

Ihr Lieben, bei euch gibt es doch mit Sicherheit im Alltag auch ab und zu Situationen, bei denen ihr aus der Haut fahren könntet, oder? Bei den einen ist es das Abendessen, bei dem einfach immer alle aufspringen oder schmatzen oder Chaos verbreiten, bei den anderen sind es Geschwisterstreitigkeiten aus vermeintlich nichtigen Gründen oder ein Wutanfall des Kindes in der Öffentlichkeit.

Aber warum rasten wir darüber nur so aus? Niemand stirbt, wenn ein Kind beim Abendessen mal aufsteht, irgendwas muss also tiefer in uns drinsitzen, was die Situation dann oftmals eskalieren lässt.

Dr. Bastian Willenborg, weiß, woran das liegen kann. Er ist als Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie und Experte für Schematherapie, langjähriger ärztlicher Direktor der psychiatrisch-psychosomatischen Oberberg Fachklinik Berlin/Brandenburg und der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm.

Und er hat jetzt ein Buch geschrieben mit dem vielversprechenden Titel: Kind, du machst mich wahnsinnig. Darin beschreibt er ausführlich, wie uns in der Erziehung unsere eigenen Muster in die Quere kommen. Wir durften ihn dazu interviewen.

Lieber Herr Dr. Willenborg, worüber sind Sie selbst bei ihren Kindern denn zuletzt ausgeflippt bzw. haben sich überfordert oder gar ohnmächtig gefühlt und wie lang ist das her?

So richtig ausgeflippt bin ich zum Glück schon länger nicht mehr. Aber das Gefühl der Überforderung und der Ohnmacht ist gar nicht so lange her. Wir sind mit der Familie aus Berlin in die Nähe von Bonn gezogen. Der Umzug, neue Schulen, ein neues privates und berufliches Umfeld und dazu kam dann noch, dass der Umbau unseres Hauses einige Monate hinter dem ursprünglichen Plan hinterherhinkte. All das ist nicht einfach.

Standard-Ausflipp-Situation 1 hier: „Mach mal deine Hausaufgaben.“ „Ja, gleich.“ „Nein, jetzt, sonst schaffen wir es nicht pünktlich zum Training.“ „Dann hol mir halt meine Sachen.“ (hier weitere 100 Minuten hinzudenken bis das Kind am Tisch sitzt) „Ich find keinen Füller/Radierer/Hefter.“, Schulterzucken. Ich krieg schon beim Schreiben Blutdruck, denn in dieser Zeit hätte das Kind längst fertig sein und weiterchillen können… ist das elterntypisch oder bin nur ich so komisch?

Das ist alles andere als untypisch. Aber Sie sehen ja schon hier, dass Sie Ihre Standards, Ihre Muster auf das Kind übertragen. Sich diesem Prozess bewusst werden zu lassen ist ein wichtiger Schritt.

Nächste Ausflipp-Situation hier: Geschwisterstreit wegen nichts. Wegen „Was guckst du auch so?“ Mit tiefgehenden Beleidigungen, ohne Wertschätzung, teils mit Gewalt und Verletzungen. Sagen Sie mir, wie ich es schaffe, dass mich das nicht mehr so triggert?

Es ist wichtig zu verstehen, welche eigenen „Knöpfe“ Ihr Kind triggert. Der Begriff „triggern“ beschreibt ja schon, dass Ihre emotionale Involviertheit nicht ausschließlich mit der aktuellen Situation begründet werden kann, sondern dass alte Wunden, langjährige Muster aktiviert werden. Diese Muster und Wunden zu erkennen und diese Wunden zu versorgen ist aus meiner Sicht der Weg, der dafür sorgt, dass Sie nicht mehr getriggert werden.   

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Autor Bastian Willenborg

Was ist da los, wenn wir als Eltern nicht mehr dauernd vor Glück über unser Kind aufjauchzen, sondern auch einfach mal das Bedürfnis haben, in Ruhe gelassen zu werden und nicht mehr zuständig zu sein?

Das ist erstmal nichts Ungewöhnliches. Das Bedürfnis nach Ruhe und weniger Verantwortung ist vollkommen normal und nachvollziehbar. Es ist auch in Ordnung, diesem Wunsch Raum zu geben, wenn es nicht mit anderen wichtigeren Bedürfnissen kollidiert. Zum Beispiel dem Bedürfnis ihres Kleinkindes nach Sicherheit. Wenn es aber die Möglichkeit, sich eine kurze, für Sie wichtige Auszeit zu nehmen, tun Sie es. 

Sie sagen „Vielen gestressten Eltern fehlt die Reife und Sicherheit, die für den Umgang mit Kindern so wichtig ist. Denn Erwachsene scheitern oftmals an ihren eigenen unerfüllten kindlichen Grundbedürfnissen.“ Wie meinen Sie das genau?

Als Elternteil ist es sehr wichtig, sich seiner eigenen emotionalen „Sollbruchstellen“ bewusst zu sein. Zu wissen in welchen Situationen man stark emotional reagiert und warum. Als reifer Elternteil sollte man wissen, was mich warum triggert. Das gibt uns die Möglichkeit, diese Situationen zu erkennen und erwachsen damit umzugehen. Häufig ist es nämlich so, dass wir uns in Situationen, in denen wir getriggert werden, eben nicht erwachsen verhalten. Wir verhalten uns dann so, als seien wir wieder in der für uns schwierigen Situation, egal ob diese im Alter von 9, 13 oder 17 Jahren gewesen ist. 

Sie weisen eine langjährige Erfahrung mit Eltern in der Krise auf. Haben sich die Probleme mit den Jahren verändert? Haben sich die Eltern verändert? Die Kinder? Welche Hauptschwierigkeiten sehen Sie?

Im Grunde sind die Schwierigkeiten gleichartig. Es geht viel um das Bedürfnis nach Sicherheit und Autonomie. Eltern erleben das Gefühl von Angst und Ohnmacht und suchen darum meine Hilfe auf. Die Ausgestaltung von Autonomie im Vergleich zu realistischen Grenzen hat sich aus meiner Sicht zu Ungunsten der realistischen Grenzen verschoben. Beispiele hierzu finde Sie ja auch in meinem Buch.

Wie können wir als Eltern uns denn unserer eigenen emotionalen Bedürfnisse bewusster werden, uns gezielter mit uns selbst auseinandersetzen, um dann etwas cooler/erwachsener mit gewissen Alltagssituationen umgehen zu können?

Es ist wichtig, seine Biografie mit allen positiven und negativen Aspekten anzunehmen, da wir nur so die Möglichkeit haben, emotionale ungünstige Muster wieder zu verändern. Auch das Annehmen der Tatsache, dass unsere eigenen Eltern womöglich unsere emotionalen Grundbedürfnisse nicht ausreichen erfüllt haben, ist wichtig. Um diese komplexen Zusammenhänge erlebbar zu machen, schlage ich im Buch einige Übungen vor, die in Alltagssituationen helfen, „cooler und erwachsener“ zu sein.   

Was möchten Sie uns Eltern als guten Tipp für eine glückliche Zukunft mit unseren Kindern noch mit auf den Weg geben?

Seien Sie offen für Ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse und stehen Sie zu Ihren eigenen Fehlern. Dadurch lernen unsere Kinder am besten. Sie lernen am Beispiel der Menschen, die sie lieben.

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