Lieber Herr Dr. Puchta, Sie arbeiten seit über 20 Jahren als Reproduktionsmediziner in einer Kinderwunschklinik und helfen Menschen, die sich vergeblich Kinder wünschen. Inwieweit haben sich ihre Patienten in den Jahren verändert?
Zu Beginn meiner Tätigkeit kamen vor allem heterosexuelle, verheiratete Paare zu mir, bei denen es einfach nicht klappen wollte. Heute sind etwa die Hälfte meiner Patienten lesbische Paare und Single-Frauen mit Kinderwunsch.
Lassen Sie uns über die Single-Frauen sprechen.
Gerne. Ich stelle immer wieder fest, dass des in der Öffentlichkeit über diese Frauen immer noch viele abwertende Klischees gibt. Es heißt dann oft: „Ach, das sind dann die, die keinen Mann mehr abbekommen haben. Die Hässlichen, die Übriggebliebenen.“
Was natürlich Quatsch ist.
Ja, sicher. Ich durfte durch meinen Beruf viele, viele Frauen treffen und ich kann nur sagen, dass diese Single-Frauen ganz besonders starke, tolle Frauen sind, die genau wissen, was sie wollen. Wenn sie zu mir kommen, ist das: Ein Kind, auch ohne den passenden Partner.
Ich habe selbst vier Töchter und weiß, wie schwer es für die heutige Frauengeneration ist. Ich finde es gut, dass die Frauen nicht auf den Prinzen auf dem weißen Pferd warten, sondern ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen.
Dennoch trauen sich viele Kinderwunsch-Kliniken nicht, Single-Frauen zu behandeln…
Das stimmt. Singe-Frauen werden – außer in Bayern und Berlin – Probleme haben, eine Kinderwunsch-Klinik zu finden.
Woran liegt das?
An dem Embryonenschutzgesetz, das es seit 1991 gibt. Dieses Gesetz muss man aus unserem historischen Kontext betrachten. Das Gesetz wurde beschlossen, um unter allen Umständen den Verdacht der Embryonen-Experimente zu vermeiden, was wir ja aus einer sehr dunklen Zeit der deutschen Historie kennen. Das ist natürlich wichtig – aber dennoch ist dieses Gesetz nun 30 Jahre alt und unsere Gesellschaft hat sich verändert. Also sollten auch diese Gesetze angepasst werden.
Viele Kollegen aus anderen Bundesländern haben schlicht Angst vor einer Strafverfolgung. In Bayern und Berlin erlaubt die Rechtsprechung eine Behandlung von Single-Frauen.
Woher stammen die Samen, mit denen die Befruchtungen durchgeführt werden?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit einer großen dänischen Samenbank zusammen. Ich sage zu den Frauen immer, dass sich das vielleicht ein bisschen krass anhört, aber dass es wie beim Online-Shopping ist. Auf der Internetseite kann man die äußeren Merkmale, also Größe, Augen-und Haarfarbe des Spenders auswählen, außerdem bekommt man ein Babyfoto des Spenders. Wenn man mehr Geld bezahlt, bekommt man auch ein Erwachsenen-Foto des Spenders. Wenn die Frau sich einen Spender ausgewählt hat, kann es wenige Tage später losgehen.
Aber natürlich ist die Frau nicht an diese Samenbank gebunden. Sie kann frei wählen, woher der Samen stammt.
Welche Rechten und Pflichten haben eigentlich die Samenspender?
Sie sind aus jeder Versorgungsverpflichtung oder Erbfolge raus. Sie treten alle Rechte – wie zum Beispiel bei der Erziehung- ab. Allerdings hat jedes Kind das Recht, mit 16 Jahren den Samenspender zu kontaktieren.
Haben Sie auch Fälle, in denen zum Beispiel ein Freund einer Single-Frau Samen spendet?
Ja, das gibt es auch und ist natürlich auch möglich – kommt aber eher selten vor.
Wie hoch ist die Chance, durch eine Behandlung schwanger zu werden?
Das hängt natürlich vom Alter und der Gesundheit der Frau ab. Generell würde ich sagen, pro Versuch liegt die Chance bei 35 Prozent. Wichtig ist hier zu sagen, dass im Normalfall keine künstliche Befruchtung stattfindet (IVF oder ICSI), sondern eine Insemination mit gewaschenen und aufbereiteten Spermien im natürlichen Zyklus. Wir versuchen es so natürlich wie möglich, ohne zusätzliche Hormone.
Und wenn das nicht klappt?
Bleiben drei Versuche erfolglos, kann man es mittels IVF/ICSI versuchen. Dazu muss man aber sagen, dass sich auf diesem Gebiet sehr viel getan hat. Früher waren diese künstlichen Befruchtungen sehr belastend für die Frauen. Heute braucht es dazu nur noch eine einzige Spritze, die die Eierstöcke für die nächsten zehn Tage automatisch steuert.
Gibt es Fälle aus Ihrer Praxis, die Sie besonders berührt haben?
Mich berühren Patientinnen, die durch ein Unglück ihr Leben komplett neu sortieren müssen. Wenn Frauen zum Beispiel durch Krankheit oder einen Unfall ihren Partner verloren haben, mit dem sie eigentlich eine Familie gründen wollte. Und die dann die Kraft und den Mut haben, ihren Kinderwunsch alleine zu verwirklichen.
Und ich hatte mal eine Patientin, die bereits 25 künstliche Befruchtungen in anderen Kliniken hinter sich hatte. Eine Zahl, die für mich kaum zu glauben war. Wir besprachen, dass wir noch einen einzigen Versuch starten werden. Wir hatten unglaubliches Glück, dass es dieses Mal klappte und die Frau endlich schwanger wurde.
Leider gibt es ja immer noch Menschen, die finden, dass Babys nur in eine klassische Vater-Mutter-Konstallation geboren werden sollten und es falsch finden, Single-Frauen oder lesbischen Paaren Familie zu ermöglichen. Was sagen Sie diesen Menschen?
Dass das totaler Quatsch ist. Es gab auch in der Vergangenheit immer wieder Zeiten, in denen Kinder ganz alleine von den Frauen erzogen wurden – zb. weil die Männer im Krieg gefallen sind. Das Einzige, was wirklich zählt: Dass die Kinder wirklich geliebt werden. Und ob sie das von einem heterosexuellen oder homosexuellen Paar, von Mutter oder Mutter und Vater, von einer 18-jährigen Frau oder einer 42-Jährigen, spielt keine Rolle. Kinder brauchen Liebe. Und die Menschen, die sich bewusst für eine Kinderwunsch-Behandlung entscheiden, haben immer eine Menge Liebe zu geben.
—- Dr. Jörg Puchta, Reproduktionsmediziner und Vorreiter des Social Freezings, arbeitet am Kinderwunschzentrum an der Oper in München