Ihr Lieben, manchmal fühlt es sich wie Liebeskummer an, wenn sich unser Kind, das Gerade-Noch-Speckbäckchen, plötzlich im Zimmer verbarrikadiert. Saß es nicht grad noch kuschelnd auf meinem Schoß? Hab ich ihm nicht grad noch Mut gegen seine Gewitter-Angst zugeredet, hatte es nicht zuletzt noch diesen niedlichen Babyspeck im Gesicht?
Und dachte ich selbst nicht auch gerade noch, dass ich nie mehr rauskomme aus diesem Hamsterrad aus Fürsorge, daraus, sich wie das ausgelagerte Gehirn unserer Schutzbefohlenen zu fühlen, das auf dem Schirm hat, wann das Schwimmtraining beginnt, wann Sportzeug mit zur Schule muss, was in die Frühstückdose gehört, wann der nächste Kinderarzttermin ansteht?
Von der Ruhe nach dem Sturm
Wenn dann nach diesem Alltags-Tsunami plötzlich Ruhe einkehrt, könnte man denken, dass die Eltern endlich glücklich sind. Geschafft! Kinder groß, sie kommen klar, sie brauchen uns im Grunde nur noch für Geld, Essen und Fahrdienste. Übertrieben gesprochen: Aus der Fürsorge wird eine Dienstleistung mit Aussicht auf bald gar keine Einsätze mehr, weil die Kinder mobiler werden…
Aber AUA AUA AUA, das kann auch extremst wehtun und Gefühle des Aussortiertwerdens hervorrufen, wenn die Kinder ihre Sorgen, Ängste und Freuden nur noch mit den BFF (best friends forever) oder vielleicht ne Zeit lang auch mit gar niemandem mehr teilen. Wie ein nasser Lappen, der nach viel zu viel Gebrauch einfach dreckig und schlaff in die Ecke gepfeffert wird. Danke, dass ihr mein Sprungbrett war, Eltern, jetzt komm ich alleine klar.
Im Zimmer verbarrikadiert: „I miss you“
Und dann sitzen sie da hinter ihrer Zimmertür und du weißt absolut gar nicht, was sie da machen, unsere Teenager, unsere Pubertierenden. Du versuchst, den Kontakt zu bewahren, das gestaltet sich aber schwierig, weil außer einem Grummeln nicht viel rauszubekommen ist aus deinem Gerade-noch-so-Süßen, den du doch noch vor nicht allzu langer Zeit Abend für Abend einschlafbegleitetest.
Irgendwo las ich zu dieser Altersphase, in der die Kinder gefühlt 90 Prozent ihres Tages nur rumliegen, mal den Satz: Guter Käse braucht auch Zeit zum Reifen. Und ich fand und finde ihn SO tröstlich. Auch, weil ich euch aus eigener Erfahrung berichten kann, dass auch diese Epoche irgendwann endet.
„Wir müssen lernen, loszulassen, so schwer es auch ist“
Nachdem unser ältestes Kind mehrere Monate, wenn nicht gar ein Jahr vor allem in der Waagerechten verbrachte und Netflix leerschaute, stand es irgendwann wieder auf und war ab da kaum noch zu sehen. Als sei das die letzte Ruhepause vor dem großen Sturm des Erwachsenwerdens und Ausprobierens gewesen.
Hätte ich das doch nur vorher gewusst! Denn es geht so vielen so. Eine Leserin schrieb uns neulich: „Mein Sohn 13 und Tochter 12 reden plötzlich nicht mehr so gern mit mir. Mach mir Sorgen, Themen und Probleme zu übersehen.“ Was können wir da tun?
Wir müssen lernen, loszulassen, so schwer es auch ist. Dabei aber den Draht nicht verlieren, was für ein Spagat. Nicht nerven, aber doch signalisieren, dass wir da sind, wenn etwas ist. Ansprechbar bleiben, auch wenn sie grad selbst nicht ansprechbar sind.
Zaghafte Annäherungsversuche: „Ich bin für dich da“
Wir dürfen offen bleiben und auch über uns selbst und unsere eigenen Gefühle sprechen, wenn man sich doch mal zu einer gemeinsamen Mahlzeit begegnet. „Hey, für mich ist das grad total ungewohnt, ich vermiss dich ein bisschen.“ Und „Du, ich akzeptiere, dass du grad viel Zeit für dich brauchst, nimm dir die, ich muss mich zwar erstmal dran gewöhnen, möchte aber, dass du weißt, dass du mit allem zu mir kommen kannst.“
Und wenn das nicht reicht, dürfen wir auch mal weiter gehen. Ans Zimmer klopfen, eintreten und voll in die Offensive gehen mit unseren Sorgen: „Du schließt dich aber jetzt nicht grad heimlich ner Terrororganisation an und ziehst bald in den Krieg, oder?! Ich hab da grad ne heftige Doku gesehen…“ Mit nem Lächeln.
Das mag vielleicht nicht jedermanns Art sein auf diese Tour, aber mein Kind kennt mich und weiß sowas grinsend zu nehmen. Mit derlei Abstrusitäten dürfen wir sie auch mal überraschen, sie kitzeln, eine Reaktion hervorrufen, die über ein „Wie geht´s dir grad?“ „Gut“ hinausgehen.
Geduld, Vertrauen, Anpassung der Familienregeln
Aber Himmel, braucht man als Eltern da Geduld. Und Vertrauen darauf, dass schon alles gut werden wird. Dass auch wieder neue Phasen kommen. Dass das reifende Kind sich vielleicht doch irgendwann nochmal aus dem Bett aufrafft und mitkommt auf einen Familienausflug. Uh, hier müssen auch Familienregeln neu austariert werden – wie viel Kampf geb ich da rein, wie viel lasse ich nach, wenn Liegen grad das Grundbedürfnis ist…
Und dazu kommt ja eine weitere Aufgabe für uns, wenn nach dem prall gefüllten Alltag plötzlich wieder Lücken entstehen – gerade, wenn alle Kinder in ähnlichem Alter sind, kann aus so einer Lücke auch mal ein tiefes Loch werden. Wo finde ich denn noch Sinn, wenn die Kinder jetzt alleine zurechtkommen, was würde MIR denn guttun, jetzt, da ich mir darum vielleicht jahrelang keine Gedanken machen konnte. Da tanzt dann nicht nur der Teeniekopf Mambo – sondern auch der der Eltern…
Die Wurzeln sind da, nun beginnt das Kind zu fliegen
Die Wurzeln sind da, nun beginnt unser Kind zu fliegen und sein eigenes Ding durchzuziehen. Vielleicht im Liegen, vielleicht im Schweigen, vielleicht im Zocken, später vielleicht im Feiern und Freunde treffen. Sie erreichen nicht nur körperlich immer mehr Augenhöhe, sondern auch seelisch.
Das Familienmobilé wackelt und muss neu ausbalanciert werden, damit es nicht schräg hängt. Und sobald alle ihren neuen Platz gefunden haben, kommt schon wieder die nächste Phase. Vielleicht kommt das Kind zurück und ihr könnt euch endlich wieder unterhalten. Vielleicht zieht es auch aus und ihr werdet trotzdem enger, weil ihr plötzlich bewusst telefoniert oder eure Treffen genießt. Vielleicht wird es auch ganz anders, weil keine Familie wie die andere tickt.
Aber auf jeden Fall geht es weiter, Phase für Phase und Schritt für Schritt. Mal mag es sich anfühlen wie Liebeskummer, aber dann auch wieder wie die Freiheit in Reinform. Weil nicht nur die Kinder ihre Flügel ausbreiten dürfen – sondern auch wir vielleicht einfach nochmal. Und wenn DAS aus dem anfänglichen Liebeskummer entsteht, dann habt ihr alles erreicht: Die Kinder groß und euch selbst nicht verloren! Ich wünsch euch das und wünsche euch dabei den größten Spaß auf Erden (mit immer viel Geduld auch für euch selbst!)
Ihr mögt weiterlesen? Hier kommen die bisherigen Kolumnen:
Jugendkolumne „Teen-Time“ zu Privatsphäre: Mal kurz im Handy mitlesen?
„Teen-Time“ Jugendkolumne zur 1. Liebe: I love you!
4 comments
Wow, dieser Artikel beruhigt mich mich gerade ein bisschen und ich bewundere aber auch deine Gelassenheit. Dieses nur am Handy im Bett liegen fällt mir so schwer zu akzeptieren und ich bin so hin und hergerissen: wo darf ich loslassen , wo muss ich noch was einfordern? Ich hatte manchmal Angst dass es doch schon depressiv sein könnte dieses nur im Bett liegen am besten noch mit Rolladen unten, sich für nichts mehr aufraffen und begeistern können, Hobbys hinschmeißen, nur zocken und am Handy sein. Dein Artikel vermittelt soviel Vertrauen dass es schon gut werden wird. Das fehlt mir manchmal.
Hallo Lisa!
Vielen Dank für den Artikel. Er hat mich sehr berührt, vermutlich weil ich mich so darin wiedergefunden habe und noch auf der Suche nach dem gesunden Mittelweg zwischen Loslassen und in kontakt bleiben bin;-)
Liebe Lisa,
dieser Artikel und der Umgang in Eurer Familie mit der Situation sind wunderbar. Deine Haltung ist sehr bereichernd und Deine Art zu Schreiben sehr wertschätzend. Vielen Dank hierfür.
Danke für den tollen Artikel, den hast Du toll geschrieben!