Nena Schink: Unfollow. Wie Instagram unser Leben zerstört. Eden. (Affiliate Link)
Liebe Nena, ein Ausflug ins Influencer-Leben hat dein bisheriges Leben verändert… denn du bist süchtig geworden – nach Instagram. Wie kam es dazu?
Es begann 2017 mit einem Selbstversuch für das Jugendportal Orange by handelsblatt. Die Aufgabe: innerhalb kürzester Zeit so viele Likes und Follower wie möglich sammeln. Wir wollten das System Instagram verstehen. Wie bekomme ich innerhalb kürzester Zeit viele Follower? Wie steigere ich meine Likes? Was muss ich tun um auf Instagram erfolgreich zu sein? Wie ergattere ich eine Kooperation? Das Ergebnis war erschreckend: Viel Zeit und Nackigsein helfen.
Du sagst, Instagram zerstöre unser Leben. Wie meinst du das?
Das Gefährliche an unserem Instagram-Ich ist, dass es unüberlegt private Inhalte teilt. Ohne mitzubekommen, wie der Zuschauer darüber denkt. Vor zehn Jahren wären wir alle miteinander fassungslos gewesen, wenn uns jemand erzählt hätte, welche privaten Dinge wir in Zukunft von uns Preis geben werden. Freiwillig. Öffentlich. Der Reiz von Instagram besteht darin, dass jeder sein Leben so präsentieren kann, wie eres gerne möchte. Doch das ist nicht immer zu unseren Vorteil. Teilweise schadet unser Instagram-Ich uns in der Realität massiv. Wie viele Offline-Begegnungen wir wohl verpassen, weil die Menschen uns dank unseres Instagram-Ichs gar nicht erst kennenlernen wollen? Wie viele Vorurteile wir erst einmal beseitigen müssen? Wie viele Witze hinter unserem Rücken wohl über uns gemacht werden? Und Fotos zerstören den Moment des Augenblicks. Auch vor dem Instagram-Zeitalter wurden Fotosgeschossen, aber das Ausmaß ist heute ein völlig anderes.Die App Instagram hat uns süchtig danach gemacht, Bilder zu machen. Wir haben die Bedeutung von Fotos verlernt. Und fotografieren einfach einmal alles: unser Mittagessen, unsere Socken, das Lebkuchenherz auf dem Oktoberfest, die Wanddekoration, Luftballons, Kaffeebecher, uns selbst. Immer wieder uns selbst.
Nenn gern mal konkrete Beispiele…
Ich war zum Beispiel mit meinem Freund in einem sehr besonderen Hotel, dem Hotel Castell Son Claret auf Mallorca, beim Essen. Statt mich mit ihm zu unterhalten, war ich damit beschäftigt, die Likes unter meinem Bild zu zählen. Und ich hatte schlechte Laune, weil ich nach 30 Minuten noch keine hundert Likes hatte.
Du bist eigentlich Wirtschaftsjournalistin. Wie erklärst du dir, dass es so weit kommen konnte, dass du Herzchen hinter her fiebertest?
Ich glaube, dass wir uns alle von Instagram mitreißen lassen, aber es keiner zugibt. Die meisten Nutzer sagen, sie seien nicht süchtig. Aber dann frage ich mich, warum viele dieser Personen pro Tag zehn Storys hochladen, vor allem, wenn sie im Urlaub sind. Das ist doch kein normales Verhalten, das ist krank. Warum sollten wir unser ganzes Leben dokumentieren, wenn wir nicht süchtig nach einer digitalen Bestätigung sind? Warum postet man sein Mittagessen? Instagram lebt vom Sozialneid.
Schöne Urlaubsbilder hast du produziert. Und dann gemerkt: Das war – durch den Druck, immer das bestmögliche Bild zu machen – überhaupt kein schöner Urlaub. Ist das also eigentlich alles nur Fake, was wir in diesen Plattformen zu sehen bekommen?
Instagram ist gefüllt mit digitalen Lügen. Uns wird eine Fake-Welt präsentiert. Die Nutzer, allen voran die Influencer, zeigen ihr vermeintlich perfektes Leben, das erstaunlich inhaltsleer ist und oft nur aus sozialer Angeberei besteht. Die meisten Posts bereichern die Welt nicht! Sondern geben uns nur eines: ein schlechtes Gefühl. Denn der Anfang der Unzufriedenheit ist der Vergleich. Und auf Instagram kann unser reales Leben nur schlechter abschneiden.
Aber es macht ja nun auch Spaß, sich auf Insta zu tummeln: Hast du rausbekommen, wie man das in Maßen schafft?
Ja, genau deswegen heißt mein Buch auch nicht „DELETE“ sondern „UNFOLLOW“: Instagram kann nützlich sein – und Spaß machen. Aber nur wenn wir Instagram richtig nutzen. In dem dritten Teil meines Buches gibt es für die Leserin einen Fragebogen um das eigene Instagram Verhalten zu hinterfragen und es gibt ein paar Grundregeln:
Erstens: Einen Timer stellen. Wenn ich 20 Minuten am Tag überschritten habe, stelle ich die App aus.
Zweitens: Meine App ist nicht mehr auf meiner Startseite, sondern ich muss dreimal nach rechts wischen. Das hilft tatsächlich.
Drittens: Alle Accounts durchgehen und überlegen: Macht der Account mir Spaß, bringt der mir was?
Der vierte Punkt ist: Weniger posten. Ich finde, man sollte sich fragen: Warum poste ich das jetzt? Was ist der Mehrwert? Vielleicht auch mal ein bisschen empathisch sein und sich fragen: Was ist der Mehrwert für die anderen?
Und zum Schluss: Niemand spielt gerne den Fotografen. Vielleicht sollte man auch mal hinterfragen, ob es einer Person überhaupt Spaß macht, mich zu fotografieren.
Was mir geholfen hat, war, in die Theorie einzutauchen. Ich wusste nicht, dass selbst der ehemalige Präsident von Facebook davor warnt. Und ich wusste auch nicht, dass Facebook Psychologen angestellt hat, die nichts anderes machen, als dafür zu sorgen, dass ich möglichst lange auf der Plattform bleibe. Diese Fakten haben mir dabei geholfen zu verstehen, wie krank Instagram macht und das hält mich von der App ab. Denn ich möchte nicht von anderen Menschen konditioniert werden wie ein Hund.
Zu guter Letzt: Wir sind echt keine Instagram-Profis – was sagst du denn zu unserem Stadt Land Mama-Account, der vor allem authentisch sein will und nicht gefaked?
Ich finde euren Instagram Account gut. Ein positives Beispiel, warum mein Buch nicht „DELETE“ sondern „UNFOLLOW“ heißt. Aber euer Blog gefällt mir noch viel besser, weil ihr hier Inhalte bietet und der Fokus nicht auf der Selbstinszenierung liegt. Obwohl ich selbst keine Kinder habe, habe ich bestimmt eine Stunde mit Lesen verbracht. Besonders gut gefallen hat mir euer Interview mit Kerstin Held. Es hat mich sehr bewegt und zum Nachdenken angeregt. Danke, dass ihr auf eurem Blog zeigt was im Leben wirklich zählt.
1 comment
Super Beitrag Danke! Ich hatte mal mehrere Kurzfolgen bei Arte gesehen die erklären mit welchen Algorithmen und Funktionen die Solzialen Portale unser Gehirn süchtig machen. Das war mega interessant und seit dem ich das weiß fällt es mir leichter mich zu beschränken…. Und ich habe ein Kind bekommen welches mich nicht immer am Handy sehen soll 😀