Ich war auf Heroin – für meinen Sohn bin ich jetzt clean

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Ihr Lieben, neulich haben wir auf unserer Facebook-Seite gefragt, wer von Armut betroffen ist – daraufhin haben sich sehr sehr viele Frauen gemeldet, einige Geschichten werden wir in den nächsten Wochen hier erzählen. Auch Emilia (23, Name geändert) hat uns angeschrieben, sie ist eine mutige, junge Frau, die schon ganz unten war und sich wieder hochgekämpft hat. Wir durften sie befragen. Vielen Dank und alles Liebe, Emilia!

Liebe Emilia, du hast eine Weile lang auf der Straße gelebt. Wie alt warst du und wie kam es dazu? 

Ich war 15, als ich aus meinem Leben ausgebrochen bin. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon jahrelang mit schweren Depressionen zu kämpfen, war todunglücklich und völlig überfordert mit meinem Leben. Einige Monate zuvor wollte ich mir das Leben nehmen und das war wohl meine verkorkste Art, dem Leben noch eine Chance zu geben.

Wie war dein Verhältnis und der Kontakt zu dieser Zeit zu deinen Eltern?

Zu meinem Vater hatte ich da schon seit ein paar Jahren gar keinen Kontakt mehr. Meine Mutter hat immer alles versucht, um mir zu helfen, aber ich habe sie gar nicht mehr an mich herangelassen. Wir haben relativ regelmäßig telefoniert und uns auch manchmal getroffen; meistens bin ich zu den Verabredungen aber erst gar nicht aufgetaucht. Das tut mir heute noch so unendlich Leid.

Als junge Frau auf der Straße – wie gefährlich war das für dich?

Schon sehr gefährlich. Es gab immer wieder Männer, die meinten, sie könnten meine Situation ausnutzen. Männer, die dachten, für ein bisschen Geld mache ich alles und ein „Nein“ nicht akzeptieren wollten. Ich hab versucht, nach Möglichkeit nie alleine zu sein, was aber natürlich nicht immer funktioniert hat. Obwohl ich einige schlimme Dinge erlebt habe, glaube ich, dass ich noch recht glimpflich davongekommen bin. Man hört ja in den Medien immer wieder davon, dass Obdachlose verprügelt oder sogar im Schlaf angezündet werden; sowas gab es bei mir und meinen damaligen Freunden zum Glück nie.

Wie und wo hast du geschlafen? Wo hast du Essen herbekommen?

Ich habe immer versucht, bei Freunden oder Bekannten auf der Couch schlafen zu können, aber ich wollte mich natürlich nicht dauerhaft bei jemandem einzecken. Die erste Zeit hab ich einfach im Schlafsack an einem trockenen Ort, z.B. eine Unterführung oder unter einer Brücke, geschlafen.

Später hatte ich dann eine kleine Holzhütte an einem festen Platz unter einer Brücke, an der ich mit mehreren Obdachlosen zusammengelebt habe. Die Hütte war ungefähr so groß wie ein kleines Zelt, es hat eine Matratze und ein kleines, niedriges Regal reingepasst. Man konnte sie sogar von innen abschließen. Da drin war es natürlich viel wärmer und man hat sich sicherer gefühlt; zudem hatte man dadurch auch mal etwas Privatsphäre. In den kältesten Nächten im Winter hab ich auch mal im Hauptbahnhof der Stadt, in der ich gelebt habe, geschlafen. Eigentlich war das verboten, aber bei mir – weil ich eben so jung war – wurde da häufiger mal ein Auge zugedrückt.

Tagsüber bin ich betteln („schnorren“) gegangen. Als so junges Ding habe ich damit genug Geld zusammen bekommen, um mir die wichtigsten Dinge zum Leben kaufen zu können. Ich hab auch jeden Tag Essen geschenkt bekommen, oft sogar so viel, dass ich es noch an andere Leute auf der Straße verteilen konnte. Es gibt z.B. einige Bäckereien, die alles, was am Abend noch übrig ist, in eine Tüte packen und verschenken. Ich kannte auch eine Frau, die bei „Nordsee“ gearbeitet hat und mir eine Zeit lang jeden Abend alles Übriggebliebene vorbeigebracht hat. Das war oft echt viel und wirklich leckeres Zeug. Und es gab den ein oder anderen Imbiss bzw Restaurant, da konnte ich jederzeit vorbeikommen und mir wurde kostenlos eine warme Mahlzeit zubereitet. An Essen hat es mir also glücklicherweise nie gemangelt. Auch, wenn es ganz viele schlechte Menschen da draußen gibt; es gibt so viel mehr von den Guten!

Du bist dann auch an Drogen geraten. Wann war das, über wen und was hast du konsumiert?

Das erste Mal gekifft habe ich mit 13. Das war ganz klassisch durch Freundesfreunde, die ein paar Jahre älter waren als ich und mit denen ich dann fast täglich meine Zeit verbracht habe. Als ich 15 war – kurz bevor ich auf die Straße kam – hat mir ein flüchtiger Bekannter Crystal Meth angeboten und ich hab es ohne wirklich darüber nachzudenken genommen. Mein Leben war mir sowieso nichts wert, also was hatte ich schon zu verlieren? Das hat mir dann so gut gefallen, dass ich es ab dem Tag täglich genommen habe. Dadurch habe ich dann ganz automatisch nur noch Leute kennen gelernt, die das auch nehmen, und meine „alten“ Freunde aus den Augen verloren. Die wollten aber auch gar nichts mehr mit mir zu tun haben, weil denen das zu extrem war. Ich hab dann auch noch viele andere Drogen ausprobiert und immer mal wieder genommen: Amphetamine, Ecstasy, LSD, Kokain und schließlich auch Heroin.

Mit 17 warst du schwer heroinabhängig. Beschreib mal, was diese Droge mit Menschen macht. 

Die Drogen geben dir alles und nehmen dir alles. Meine psychischen Probleme waren auf einmal wie weggeblasen, ich konnte endlich wieder glücklich sein. Ich habe mich dadurch wie eine verbesserte Version von mir selbst gefühlt, aber jetzt im Nachhinein weiß ich, dass ich das komplette Gegenteil davon war. Das einzig Wichtige in meinem Leben war diese Droge und für den nächsten Schuss habe ich Dinge getan, die ich bis heute bereue. Ich habe so unglaublich viel gelogen und gestohlen, habe Menschen verletzt, die ich eigentlich liebe.

Zwar hatte ich damals schon den Hauch eines schlechten Gewissens deswegen, aber es hat nicht ausgereicht, um mich davon abzuhalten. Die Droge hat meine gesamte Persönlichkeit verändert bzw eher zerstört. Ich war nur noch meine Sucht, der Rest war mir völlig egal. Dennoch habe ich mich fast immer richtig gut gefühlt und war der Meinung, ich hätte die beste Zeit meines Lebens. Ich denke, so geht es den meisten auf Heroin.

Mit 20 bist du dann zur Entgiftung und warst einige Wochen clean. Dann ist etwas Bedeutendes passiert….

Am Anfang meiner Therapie wurde ich ungeplant schwanger. Mit dem Papa war ich erst ganz kurz zusammen, er war selbst süchtig und noch nicht lange clean. Ich habe mich noch während der Schwangerschaft von ihm getrennt, weil er rückfällig wurde.

Wie hat diese Schwangerschaft dein Leben verändert?

Erst mal hat sie alles aus der Bahn geworfen. Ich hatte riesengroße Ängste, ob ich das überhaupt schaffen könnte. Bis dahin kam ich ja noch nicht einmal mit meinem eigenen Leben zurecht, wie hätte ich mich denn da noch um ein Zweites kümmern sollen? Trotz all der Sorgen und Ängste habe ich mich für das Kind entschieden, auch, weil meine Mutter mich so unterstützt hat.

Ich weiß nicht, ob die Hormone „Schuld“ waren, aber ich hatte dann recht schnell das Bedürfnis, alles zu verändern und diesem Kind ein schönes Leben zu bieten. Vor der Schwangerschaft hatte ich, obwohl ich ja schon eine Therapie begonnen habe, keine Motivation, wirklich für immer ohne Drogen ein normales Leben zu führen. Das hat sich dann schlagartig verändert.

Wie geht es dir heute?

Seit einem Jahr lebe ich mit meinem Sohn in meiner/unserer ersten eigenen Wohnung und bin gerade dabei, mein Abitur nachzuholen. Zu meinen Eltern habe ich wieder viel Kontakt, meine Mutter ist auch meine größte Vertrauensperson und beste Freundin. Ich glaube, diese Zeit hat uns noch viel enger zusammengeschweißt. Aber diese Jahre sind natürlich nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Der Gedanke an die Drogen kommt immer mal wieder und das wird sich vermutlich auch niemals ändern; aber es wird immer leichter, je mehr Zeit vergeht. Ich mache weiterhin eine ambulante Therapie, denn es gibt noch ein paar kleinere Baustellen in meinem Leben, aber insgesamt geht es mir besser als jemals zuvor.

Meinst du, dein Sohn hat dich gerettet?

Ganz intuitiv würde ich jetzt eigentlich mit „Ja“ antworten, aber das ist nicht richtig, finde ich. Das wäre eine riesige Verantwortung, die ich meinem Sohn damit aufbürden würde. Er hat mir die Motivation und den Willen gegeben, mein Leben zu verändern, aber diesen Weg bin ich selbst gegangen. Würde es ihn nicht geben, würde mein Leben heute aber sicherlich ganz anders aussehen. Das sagt zwar bestimmt jede Mutter über ihr Kind, aber er ist das Beste, was mir passieren konnte!

Wovon träumst du?

Ich träume davon, dass mein Leben so weitergeht wie in den letzten 12 Monaten; das ist viel mehr, als ich noch vor ein paar Jahren zu träumen gewagt hätte. Dass ich mein Abitur schaffe und später in der Drogenhilfe arbeiten kann. Ich möchte finanziell unabhängig vom Staat sein und niemandem mehr zur Last fallen, sondern selbst Menschen helfen, die sich in schwierigen Situationen befinden. Ich glaube, durch meine eigenen Erfahrungen könnte ich anderen Obdachlosen und Drogenabhängigen wirklich helfen, wenn sie den Willen haben, etwas zu verändern. 

Und ich wünsche mir ganz fest, dass mein Sohn später nicht denselben Weg geht, den seine Eltern gegangen sind und dass sein Papa irgendwann auch die Kraft findet, aus dem Drogensumpf zu finden, um richtig am Leben seines Kindes teilhaben zu können.

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3 comments

  1. Danke für Deinen Artikel und ich habe sehr großen Respekt vor dir. Wer es geschafft hat auf der Straße zu leben und dort auf sich aufzupassen, der kann alles schaffen.
    Es ist auch ein großer Schatz, dass Du mit Deiner Mutter wieder so verbunden bist. Ich wünsche Dir und deiner Familie alles, alles Gute dieser Welt! Deine Geschichte kann anderen in ähnlichen Situationen sehr viel Mit machen.

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