Ihr Lieben, Nicole Ebrecht-Fuß, 51, ist studierte Familienbegleiterin und Sexualpädagogin und Mutter dreier Kinder. Sie bietet therapeutische Geburtstraumabegleitung an. Einmal im Monat leitet sie die Selbsthilfegruppe Krise rund um Geburt / schwierige Geburt in Köln für Frauen.
Frau Ebrecht-Fuß, die drei eben beschriebenen Fälle zeigen: Es gibt nicht DIE traumatische Situation, die es zu vermeiden gilt, oder?
Das stimmt. Es gibt kein Rezept, das verhindert, dass eine Geburt als traumatisch empfunden wird. Viele Faktoren können eine Rolle spielen, etwa, ob es eine 1:1 Betreuung durch die Hebamme gab, ob es eine echte Indikation gab, wie etwa bei einer Plazentaablösung.
Oder ob Ärzte in einer nicht lebensbedrohlichen Situation durch eine Einleitung in den natürlichen Prozess der Geburt eingreifen wie es in manchen Fällen passiert. Auch wie die Geburtshelfer mit den Frauen umgehen, hat großen Einfluss. Aber natürlich bringt auch jede Frau ihre eigene Geschichte mit in die Geburt.
Nach 13 Jahren Erfahrung in dieser Arbeit muss ich leider
sagen, dass es sich bei – nach meiner Einschätzung – über 90 Prozent der Fälle um systemische Auslöser handelt, die vermeidbar wären!
Was genau ist ein Trauma?
Ein Trauma entsteht in einer Extremsituation, auf die die Person nicht vorbereitet ist und die sie nicht selbst bewältigen kann. Das kann zum Beispiel eine Geburt sein, die nach vielen Stunden Wehen in einem Kaiserschnitt endet. Im OP kann die Frau weder fliehen, noch kämpfen. Das sieht unser archaisches Notfallprogramm für solche Situationen aber vor.
Die Energie, die der Körper dafür bereitstellt, kann also nicht ausgelebt werden, sie wird aufgestaut, die Betroffene erstarrt vor Schreck. Die belastende Situation wird vorerst „weggepackt“ und taucht später wieder auf, in Erinnerungen, Flashbacks oder einem Vermeiden, also einem Gefühllossein. Auch Gereiztsein, Nackenschmerzen, Kopfschmerzen oder Alpträume können Folgen sein. Das ist sehr anstrengend für die Frau und für ihr Umfeld – aber es sind ein Zeichen dafür, dass die Verarbeitung des traumatischen Ereignisses begonnen hat.
Worunter leiden die Frauen nach einem Geburtstrauma?
Viele Frauen fühlen sich, als hätten sie versagt, wenn eine Geburt zum Beispiel im Kaiserschnitt endet. Und das betrifft in Deutschland immerhin jede dritte Frau. Das hinterlässt Wunden, was die Gebärfähigkeit, die Mütterlichkeit und die Weiblichkeit angeht. Die Folgen können vielfältig sein: ein gekränktes Selbstbewusstsein, Scham, Depressionen, Selbstvorwürfe, Bindungsprobleme mit dem Baby oder/und Partner, Stillschwierigkeiten…
Und während der Geburt?
Viele Frauen werden überrascht von dem vermeintlichen Kontrollverlust über ihren Körper und zum Teil auch von der Fremdbestimmung durch die Ärzte. In manchen Kliniken gibt es auch zu viele Störungen – Untersuchungen, CTGs, Einleitungen. Wir gebären sozusagen mit dem Stammhirn, wir geben uns also in den Geburtsvorgang hinein. Manche Frauen beschreiben es wie einen Film, in den sie sich begeben.
Wenn die Frauen dann aus diesem „Film“ gerissen werden, durch helles Licht, eine Störung wie die Frage nach der Krankenkassenkarte (ja, so banal kann es sein), dann wird der Neokortex angeregt und die Frau gerät raus aus dem Hingabemodus. Da lassen dann auch schon mal die Wehen nach. Dann werden aber meist erst recht wehenfördernde Mittel gegeben und die Frau befindet sich in einer Interventionskaskade, die nicht selten in einen Kaiserschnitt mündet.
Hat es auch mit der Betreuung unter der Geburt zu tun?
Natürlich. Das Klinikpersonal ist oft überlastet. Es gibt immer weniger Hebammen für immer mehr Frauen. Ein großes Problem ist auch verbale Gewalt. „Wenn Sie so weiter machen, kommt das Kind nie“, solche Sätze fallen im Kreißsaal, das weiß ich aus meiner Praxis. Oder wenn der Oberarzt im OP-Saal über das letzte Bundesliga Fußballspiel redet. Das mag unbedacht passieren, in einer so intimen und sensiblen Situation wie der Geburt kann das aber sehr verletzen.
Es ist übrigens nachgewiesen, dass Frauen, die während der gesamten Geburt kontinuierlich eine Begleitung hatten (durch eine Beleghebamme, eine Doula, durch den Partner oder die Partnerin, eine Schwesterschülerin, eben ein mitfühlender Zeuge), leichter gebären, bzw. dass sie die Geburt besser verarbeiten können.
Was kann Frauen helfen?
Das lässt sich nicht pauschal sagen. Einige reden viel über die Geburt, andere schreiben es auf oder machen eine Heilreise. Einige lassen sich die Narbe entstören und gehen zur Ostheopathie. Wichtig sind auch Angehörige, die zuhören und die Trauer nicht als Jammerei abtun. Wieder andere kommen in unsere Selbsthilfegruppe. Die meisten weinen und betrauern das, was geschehen ist.
Wir können eben nur Dinge loslassen, wenn wir sie ausreichend betrauert haben. Viel ist geschafft, wenn sie sich sagen können: Ja, ich bin traurig, dass die Geburt so verlaufen ist, aber das ist nun unsere gemeinsame Geschichte, die wir zusammen durchgestanden haben und es reißt mir nun nicht mehr den Boden unter den Füßen weg.
Für alle noch nicht Mamas oder Schwangere, die nun verunsichert sind: Geburten können eine kraftvolle und wunderbare Erfahrung sein! Damit eine Frau eine Geburt haben kann, wie sie es sich wünscht, braucht es eine gute Vorbereitung, sensible und ununterbrochene Begleitung (Doulas!), das Wissen, dass Frauen als Schwangere und Gebärende Rechte haben (sie sind die Königinnen!), das SIE entscheiden können, was wann getan wird, achtsame Geburtsbegleiter an allen Geburtsorten und – sehr wichtig – eine menschenfreundliche Geburtshilfe!
„Wenn eine Frau während der Geburt nicht aussieht, wie eine Götting, dann wird sie nicht richtig behandelt.“ (Ina May Gaskin)
6 comments
Zum Einleitungssatz des Artikels. Welche „drei eben beschriebenen Fälle“? Habe ich einen ersten Teil des Artikels verpasst?
Eine Geburt ist etwas sehr intimes und auch persönliches. Ich zb. habe mich an der permanenten Begleitung gestört….wäre lieber manchmal mehr alleine gewesen, weil ich mir so noch Gedanken über die Anderen gemacht habe….also diesen Punkt im Text, kann ich so nicht bestätigen. Aber das heisst nicht, dass es für viele Anderen sehr wichtig ist.
Und es gibt einfach auch Dinge die passieren ohne, dass man sie beeinflussen kann und es einen besonderen Grund oder einen Auslöser dafür gibt. Anerkennen, Akzeptieren und Demut dem Leben gegenüber, sind die Lösungsworte. Alles Andere zieht nur unnötig an Energie.
Bei uns war der Fall, dass bei meiner 2. Geburt mein Mann die meiste Zeit alleine mit mir war. Das wiederum hat in ihm Panik hervorgerufen, da er schon dachte, dass er das Kind alleine zur Welt bringen muss. Also es kann auch gerade für den Begleiter, also Nichtmedizinier, ebenfalls eine krasse Erfahrung werden. Ich war da wie in einem Film und habe davon (zum Glück) nur wenig mitbekommen.
Allerdings muss ich sagen, dass ich bei meiner 1. Geburt auch so einen Satz entgegen geworfen bekommen habe, bei dem ich erstmal panische Angst bekommen habe. Bei manchen Hebammen merkt man dann halt leider die Routine im Job. Die Aussage war vermutlich richtig, mich hat es aber erstmal völlig aus der Bahn geworfen.
Allerdings hatte ich 2 ganz normale Geburten, die beide auch recht bzw. super schnell gingen.
Vielleicht hätten auch weniger Frauen ein Geburtstrauma wenn wir nicht erzählt bekommen würden wie traumhaft die Geburt sein wird und dass Kaiserschnittgebärende unzulänglich sind.
Mit ihren Äußerungen schafft sich die Dame ihre Traumatisierten selbst.
Geburt kann halt auch krass sein und schlecht laufen, und ich bin froh, dass es für den Fall der Fälle echte Medizin gibt.
Genau mein Gedanke.
Danke.