Ihr Lieben, bestimmt wurdet ihr – wenn ihr bereits sprechende Kinder habt – auch schon einmal eiskalt erwischt mit einer Frage, die wie aus dem Nichts zu kommen schien. „Mama, was heißt eigentlich bumsen?“ oder Ähnliches. Äääähm, denken wir dann – und unser Gehirn rattert. Wie kann ich das jetzt kindgerecht erklären? Welche Details nenn ich da? Oder überspiele ich es? Was kann ich wie, wann und überhaupt sagen? Gar nicht so leicht! Deswegen ist es gut, dass es Menschen wie Christiane Kolb gibt, die uns Eltern dabei helfen, einen natürlichen Umgang mit der Aufklärung unserer Kinder hinzubekommen. Mit „Lieben lernen“ hat die Mutter zweier Kinder einen Kosmos dafür geschaffen. Hier kommt ihr Gastbeitrag.
„Wenn mein Kind mit Fragen zur Sexualität kommt, reagiere ich entspannt.“ Das denken wir, bis das Kind sagt: „Was, ihr sext auch? Ihhh!“ Oder es fragt: „Wie siehst du da unten aus?“ Und schon spüren wir ein Gefühlschaos aus Sorge und Scham. Was soll man da sagen? Ist das nicht zu früh? Wie kommt das Kind bloß darauf? Oft reagieren wir nur halb so aufgeklärt, wie wir möchten.
Gemischte Gefühle also. Weil ich mehr darüber herausfinden wollte, habe ich, Mutter von zwei Mädchen, Angewandte Sexualwissenschaften studiert und nun ein Buch für Eltern geschrieben, „Aufklärung von Anfang an. Mit Kindern über Körper, Gefühle und Sexualität sprechen“. An einigen Erkenntnissen daraus möchte ich euch hier teilhaben lassen. Zum Beispiel der Wahrheit, dass Unsicherheit beim Aufklären normal ist – und sogar gut. Aber zuerst erkläre ich:
Warum tun wir uns so schwer, mit Kindern über Sexualität zu reden?
Na klar, sagen viele, weil die erwachsene Sexualität nicht in die kindliche Welt gehört. Ich finde, das stimmt nur halb. Klar, das plastische Tun, unverständliche Fakten und Grenzverletzungen gehören nicht vor Kinderaugen und -ohren. Aber andere Dinge schon. Zum Beispiel, den eigenen Körper kennenzulernen.
Unsere Reaktionen und der Umgang damit – auch mit den Genitalien – prägen von Anfang an. Und sobald das Kind bewusster guckt, sieht es Menschen beim Knutschen, offensive Model-Posen, schwangere Bäuche und Neugeborene. Also vergesst Gedanken wie „Woher hat das Kind die Frage?“ und die Angst vor angeblicher Frühreife lieber. Kinder brauchen in kitzligen Situationen altersgerechte Antworten, um Zusammenhänge in der Welt einordnen zu lernen, keine verschreckten Erwachsenen.
Grund Nummer eins: Wir müssen uns „nackig“ machen
Wir waren bei der Ladehemmung. Grund Nummer eins dafür ist: Sexualität bleibt ein kompliziertes Thema, weil uns eine arglose Kinderfrage schnell mal im übertragenen Sinn nackig macht. Vulva erklären? Liebemachen? Es geht ans Eingemachte, an Gefühle, nicht nur Fakten. Wir müssen Haltung zeigen. Haben wir die so klar?
Grund Nummer zwei: Wir haben nicht gelernt, darüber zu reden
Grund Nummer zwei für die Scheu ist, dass wir selbst kaum gelernt haben, „darüber“ zu reden, mit herzlichen Grüßen von der eigenen, oft verklemmten Aufklärung. Manchmal geben wir (groß)elterliche Hemmungen weiter, ohne es zu wollen. Ich rate, mal hinzuschauen: Wie wurdet Ihr aufgeklärt? Was war gut, was nicht? So könnt Ihr bewusst beschließen, wie Ihr sexuelle Dinge besprechen wollt. Beschützend, ja. Aber nicht beschämend und beschränkt.
Grund Nummer drei: Gefühle der Scham
Gefühle der Scham sind Grund Nummer drei. Ja, es ist schade, wenn man sich für etwas schämt, für das man sich nicht schämen müsste, wie Körper, Genitalien, Gefühle. Aber Scham hat auch eine gute Seite, denn sie zeigt: bis hierhin und nicht weiter. Das ist privat. Erklären wir sie so, dann können wir unseren Kindern einen guten Umgang mit persönlichen Grenzen vermitteln.
Grund Nummer vier und fünf: Unberechenbarkeit und Tabus
Zuletzt noch Grund Nummer vier und fünf für Hemmungen beim Aufklären: vier, Sexualität bleibt auch für uns Große unberechenbar. Und fünf, sie ist im Alltag tabu.
Ungeheuer bleibt, dass sie die Kraft hat, Beziehungen zu sprengen. Darunter leidet die entzwei gerissene Familie von gegenüber. Aber auch wir können nicht sicher sein, ob wir heute Abend frustriert oder erfüllt nebeneinander einschlafen. Erregung, Liebe, Befriedigung und sexuelle Identität – wir haben sie nie ganz in der Hand.
Zuletzt begrenzt uns noch das kulturelle Tabu. Offenherzigen Rap-Sprüchen und Serien wie Bridgerton zum Trotz – im Großen und Ganzen hat die Gesellschaft das Sexuelle aus dem Verkehr gezogen. Es soll uns im Alltag nicht in die Quere kommen, wir haben anderes zu tun. Doch dank des Tabus erscheinen uns inzwischen biologische Normalitäten wie intime Behaarung und Fortpflanzung fremd und kulturlos.
Darum fühlt es sich blöd an, wenn zwei Hunde hechelnd aufeinanderhängen und das Kind fragend schaut. Das sind nicht Bienchen und Blümchen, das sind Säugetiere (oh nein, wie wir?). Beim Erklären von menschlichem Liebemachen hilft es in den Vordergrund zu stellen, dass eine positive Kraft wirkt, aber eine private, mit verletzlichen Anteilen.
Ein komisches Thema? Das darf unser Kind ruhig merken.
Es gibt also viele Gründe dafür, dass uns manchmal die Souveränität abhanden kommt. Und das ist sogar gut. Denn dann verstehen unsere Kinder, dass Körper und Liebe in eine andere Kategorie gehören als Götterspeise und Gesellschaftsspiele. Eine, in der es um etwas ganz Wichtiges geht, um große Gefühle, innerste Gewissheiten, verletzliche Stellen am Körper und in der Seele. Das ist ziemlich wichtig zu lernen.
Genau darum plädiere ich dafür, nicht der Oh-Je-Automatik bezüglich Kind und Sexualität zu folgen. Mit Eurem neuen Wissen könnt Ihr Eure unwillkürliche Verunsicherung besser verstehen und dann nach der Entwicklungsaufgabe fürs Kind suchen. Guckt mal mit seinen Augen: Es ist neugierig. Es hat ziemlich sicher kein „erwachsen-sexuelles“ Interesse. Es probiert etwas aus. Es kennt unsere Sorgen-Matrix nicht. Das macht es leichter, die passende, ruhige Reaktion zu finden. Und das mit dem zu früh? Geschenkt. Manchmal hinken wir in der Vorstellung dem hinterher, was unser Kind gerade beschäftigt und beobachtet.
Diese 5 Punkte solltet ihr Kindern zum Thema Sexualität mitgeben
Hier sammele ich die für aus meiner Sicht momentan wichtigsten Inhalte. Wenn Ihr Euch vorab ein paar Gedanken zur Eurer Haltung und guten Sätzen dazu macht, könnt Ihr sicherer und bewusster aufklären.
1. Namen für die Intimzone: Was wichtig ist, verdient einen Namen, den Eltern aussprechen. Mit Wissen für alle Geschlechter, detailliert, nicht verniedlichend oder verschämt.
2. Positive Haltung zum Körper: Alles daran ist gut und nichts tabu (aber trotzdem privat). Wir spielen als Entwicklungshelfer*innen fürs Körpergefühl eine Hauptrolle.
3. Gute Grenzen: Das geht Hand in Hand: eigene Grenzen setzen dürfen und die anderer nicht überschreiten. Das zu lernen bringt Sicherheit und Schutz.
4. Fähigkeit „darüber“ zu sprechen: Ab und zu Stellung nehmen macht klar: Du kannst intime Themen mit den wichtigsten Menschen im Leben besprechen.
5. Respekt vorm Lieben anderer: Wir wissen: Identitätsgefühle sucht man sich nicht aus, die trägt man in sich, egal ob die der sexuellen Orientierung (Anziehungskraft) oder der Geschlechtsidentität (männlich, weiblich und Alternativen).
1 comment
Ich finde es immer gut offen über solche Dinge zu sprechen mit den Kindern. ( dem Alter entsprechend natürlich) die Kinder sollten nicht denken das es was ist, was falsch ist. Sie sollten wissen, das sie mit allen Fragen zu ihren Eltern kommen dürfen!!! Als Eltern sollte es einem nicht peinlich sein, darüber zu sprechen, den nur dann kann man den Kindern vermitteln das es ganz normal ist über Sexualität, Körper usw zu reden!!! Ich finde kindliche neugierde immer toll, egal um welches Thema es geht. Toller artikel