Mein Name ist Verena und ich möchte heute unsere Geschichte erzählen. Sie beginnt damit, dass ich im Badezimmer sitze, einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand halte. Ich weine und lache, freue mich und habe Angst. Ich habe bereits zwei Fehlgeburten hinter mir.
Als ich mich etwas gefangen habe, rufe ich bei meinem Frauenarzt an. Da ich erst in der 4. Woche bin, soll ich noch bis zu 7. Woche warten. Eine Ewigkeit für mich. Dann endlich ist es soweit. Der erste Ultraschall, es sieht alles gut aus. Das Herz schlägt, alles ist zeitgerecht entwickelt. Doch mein Arzt entdeckt auch einen kleinen Bluterguss, ich bekomme ein Beschäftigungsverbot und soll mich schonen. Dennoch bin ich glücklich und zuversichtlich, als ich die Praxis verlasse.
In der 9. Schwangerschaftswoche wache ich mit einem komisches Gefühl auf. Als ich auf die Toilette gehe, läuft mir Blut an den Beinen herunter. Ich bekomme Panik. Bitte bitte nicht schon wieder, flehe ich. Meine Mutter bringt mich sofort ins Krankenhaus. Mich untersucht eine nicht besonders empathische Ärztin. Sie sagt: "Wir machen jetzt noch eine Blutgruppem-Bestimmung, dann geht es nachher schneller bei der Ausschabung." Ich bin am Boden zerstört. Die Ärztin macht einen Ultraschall, damit der Abgang offiziell ist – und siehe da – dem Baby geht es gut. Das Blut stammt aus dem Bluterguss. Ich werde stationär aufgenommen und eine Woche lang beobachtet. Dann darf ich nach Hause.
Nach diesem Schock suche ich mir eine Hebamme – und finde die beste, die ich mir hätte wünschen können. Sie hat immer ein offenens Ohr, macht mir Mut. Als wir die 13. Schwangerschaftswoche hinter uns haben, ist das für mich ein Meilenstein. Und doch bleibt die Angst ein ständiger Begleiter und raubt mir nachts den Schlaf.
Die nächsten Termine beim Frauenarzt verlaufen gut. Es gibt keine Auffälligkeiten und meine Hebamme unterstützt mich mit Akupunktur. Mein Mann und ich buchen einen kleinen Urlaub mit Freunden im Allgäu, damit ich auf andere Gedanken komme. In der 19. Schwangerschaftswoche bestellen wir den Kinderwagen. Meine Uroma sagt: "Ihr müsst Euch nicht wundern, wenn dann doch noch was passiert. Wer so früh was fürs Baby kauft, ist selbst schuld." Bäm, das sitzt. Die Angst kommt mit voller Wucht zurück. Wieder ist es meine Hebamme, die mir hilft. Sie sagt: "Ihr dürft Euch auf Euer Baby freuen. Ihr dürft auch Sachen für das Kind kaufen!"
In der 20. Schwangerschaftswoche habe ich wieder einen Arzttermin, alles sieht gut aus. 20+5 bekomme ich eine heftige Erkältung. Es ist Wochenende, wir fahren in eine Notfallpraxis, um uns beraten zu lassen, was ich nehmen kann. Die Ärztin dort macht ein CTG, warum sie das tut, weiß ich nicht. Sie scheint einen siebten Sinn zu haben, denn das CTG zeigt leichte Wehen. Sie untersucht mich, ruft die Oberärztin. Mein Muttermund ist 3 Zentimter geöffnet, die Fruchtblase wölbt sich nach außen.
Wir werden aufgeklärt welche Möglichkeiten wir haben. 1:Die Geburt wird eingeleitet, Kind kommt und wird nicht überleben 2. Ich bekomme sofort Wehenhemmer, man sucht eine Uniklinik ,die mich aufnimmt. Man könne uns nicht sagen, wie lange sich die Geburt noch herauszögern lässt und die Prognosen für das Baby seien schlecht.
Eine Hebamme kommt dazu und sagt: "Sie müssen jetzt kämpfen. Lange zu liegen ist hart, aber sie schaffen das. Ihr Baby kann es schaffen."
Ich bekomme Wehenhemmer und die Ansage, dass man mich nun verlegt. An die Fahrt im Krankenwagen kann ich mich nicht mehr erinnern, nur dass der Regen aufs Dachfenster trommelte. Im Krankenhaus angekommen, gehen die Untersuchungen los. Die Kinderärztin erklärt mir, welche Chancen das Kind hätte, wenn es jetzt kommt, wenn wir es noch eine Woche schaffen, wenn wir es bis zur 24. Woche schaffen, wenn wir es noch länger schaffen. Ich unterschreibe die Einverständniserklärung für eine Not-Sectio und welche Maßnahmen mein Kind dann erhalten soll.
Nach einigen Untersuchungen ist klar, dass ich Fruchtwasser verliere. Alle sind sehr besorgt. Mit einem Blasensprung könten sie die Schwangerschaft nicht lange halten, Bakterien könnten aufsteigen. Uns allen ist klar: Jede Stunde, jeder Tag zählt. Die Ärzte erklären dass nun 3x am Tag Blut abgenommen wird und sobald die Entzündungswerte steigen, muss das Kind geholt werden.
Ih kann das alles nicht glauben, es fühlt sich an, als sei ich in einem schlechten Film. Ich bin in der 21. Schwangerschaftswoche und irgendwie scheint niemand daran zu glauben, dass ich noch lange durchhalte. Doch ich es schaffe es in die 24. Woche, mein erstes großes Ziel ist erreicht. Eine Woche später werden die Blutwerte schlecht, die Ärzte wollen das Kind holen. Ich erbitte einen kleinen Aufschub. Wenn die nächten Werte immer noch schlecht sind, soll es los gehen. Ich habe Glück. Es stabilisiert sich.
In der 26. Woche kommt täglich eine Physiotherapeutin. Sie ist meine Rettung. Sie massiert mich, sie gibt mir Hoffnung und freut sich mit mir über jeden Tag, den wir weiter kommen.
In der 27. Woche habe ich einen Anaphylaktischen Schock, weil ich das Antibiotikum nicht mehr vertrage. Dem Baby geht es zum Glück gut.
Die 29. Woche ist ein Horror, jedes CTG-Schreiben ist aufreibend, da die Herztöne ständig schwanken. In der 30. Woche wache ich nachts auf und habe starke Schmerzen. Die Schwester ruft im Kreißsaal an, dort werde ich untersucht. Es stellt sich heraus, dass ich eine Blasenentzündung habe. Wieder wird das Antibiotikum gewechselt.
In der 32. Woche untersucht mich ein Ultraschall-Spezialist. Ich erfahre, dass wir ein Mädchen bekommen und bin überglücklich. Niemals hätte ich gedacht, dass wir so lange durchhalten. Das Kind liegt noch in Beckenendlage.
Bei 33+2 bin ich irgendwie am Ende meiner Kräfte. Ich rufe meinen Mann an, er komtm sofort. Ich spreche mit der Hebammenschülerin, die mir sagt, ich soll auf mein Bauchgefühl hören, wenn ich noch eine zusätzliche Untersuchung möchte. Wir essen noch etwas, ich habe aber Schmerzen. Das CTG zeigt keine Wehen, die Stationsärztin untersucht mich. Mein Muttermund ist auf 7 Zentiemetern, das Kind muss sofort geholt werden. Ich komme in den OP und höre den Satz: "Hoffentlich sind die Kinderärzte rechtzeitig da." Dann falle ich in Vollnarkose.
Als ich aufwache ist mein Bauch leer. Ich frage die Hebamme, wie es meinem Baby geht. Alles gut, sagt sie. 2410 Gramm, 44 Zentimeter, geboren um 21:41 Uhr.
Wir müssen 3 Wochen auf der Frühchenstation bleiben, da unsere Maus ein bisschen Atem-Probleme hat. Dann dürfen wir endlich nach Hause. Und beginnen all das zu verarbeiten.
Heute ist unsere Tochter 7 Jahre alt, sie geht in die 1. Klasse. Sie liebt klettern, Radfahren, sie ist topfit und man kann nicht mehr erahnen, wie schwer ihr Start ins Leben war. Wir haben noch zwei Kinder bekommen, die Schwangerschaften verliefen wie im Bilderbuch.
Ich weiß, dass wir diese Zeit damals nur überstanden haben, weil wir immer wieder Menschen an unserer Seite hatten, die uns Mut gemacht haben. Wir hatten tolle Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen. Und wir hatten den Rückhalt von Freunden und der Familie. Für all das und unsere Familie bin ich unendlich dankbar.
4 comments
Unser Sohn kam 10 Wochen zu früh , 7 Jahre ist er jetzt . Und ich tu mir so schwer , gerne hätten wir noch ein Kind , wie Überwindet man diese Angst vor einer erneuten Frühgeburt. ?Man sieht ja es kann auch danach noch gut laufen .
Liebe Verena!
Ich bin baff. Das nenn ich Mal ein Erlebnis. Du warst ab 20+5 im Spital bis 33+2… DAS BRAUCHT MENTALE STÄRKE und so viel Vertrauen in eine neue Umgebung.
Von außen betrachtet ist das ein unglaublich starkes Zeichen an deine Tochter…du schützt und wachst über sie egal was passiert.
Fühl dich umarmt
17 Wochen
Eine lange Liegezeit habe ich auch hinter mir. An Tag 23+0 ging ich von der Arbeit direkt zur Frauenärztin, da mir die regelmäßigen Verkrampfungen im Bauch komisch vorkamen. Sie schickte mich ins Krankenhaus, wo ich mehr als einen Monat bleiben musste: vorzeitige Wehen, verkürzter Gebärmutterhals, Frühgeburtsrisiko. Eine Woche lang versuchten die Ärzte mit gefühlt sehr drastischen Medikamenten, die Wehen zu stoppen. Danach hat sich die Situation glücklicherweise stabilisiert, aber die Ansage hieß liegen und warten – erst weiter im Krankenhaus, dann daheim auf dem Sofa. Jeder geschaffte Tag und jede Woche ein kleiner Gewinn! Die strikte Liegerei hat sich gelohnt: Nach vielen ungewissen Wochen beschloss unser Kleiner, sich einfach genau am errechneten Geburtstermin auf den Weg nach draußen zu machen.
So bewegt…
Dieser Artikel ist wirklich sehr bewegend und aufwühlend zugleich. Ich fühle mich derzeit ca. 5,5 Jahre zurück versetzt, als ich in der 26 SSW ins Krankenhaus kam, weil unser Töchterchen viel zu früh auch das Licht der Welt erblicken wollte. Mit 2cm geöffnetem Muttermund wurde ich eingeliefert und dann hieß es auch…erstmal die Nacht überstehen und dann um jeden einzelnen Tag kämpfen, damit sie groß und stark werden konnte. In 32+2 hatte ich dann Wehen, die auf keinem CTG aufgetaucht sind. Vermutung…Blähung. Untersuchung noch unauffällig. Einen Tag später hatte ich dann Wehen, die immernoch nicht auf dem CTG auftauchten, aber auch einen 5cm weit geöffneten Muttermund. Ein Notkaiserschnitt wurde durchgeführt und unsere Motte kam mit 43cm und 1690g auf die Welt. Es standen noch 4 Wochen Frühchenstation an und dann konnten wir endlich nach Hause. Ich war damals ebenso froh über jeden mutmachenden und unterstützenden Menschen, die uns diese Zeit begleitet haben. Heute haben wir eine kerngesunde aktive lebensfrohe 5 jährige Motte und ich bin jeden Tag dankbar, dass sie sich nach ihrem schweren Start so super entwickelt hat. Danke für diesen toll Text. Er spricht mir aus der Seele.