Ihr Lieben, als wir neulich das Posting einer junge Mutter bei Instagram teilten, die ehrlich darüber erzählte, wie sehr sie manchmal an sich zweifelt, wenn es um Stillen und Co geht, meldete sich eine Leserin und meinte, diese Sorgen würde sie gern nochmal haben. Nicht aus Abwertung heraus, sie war selbst auch früher oft überfordert, sondern aus dem Gedanken heraus: „Kleine Kinder, kleine Sorgen; große Kinder, große Sorgen“.
Damals hatte sie das Gefühl, noch viel mehr Kontrolle über all die Herasuforderungen zu haben. Heute gehen die Kinder raus in die Welt und sie kann sie nicht mehr überall schützen, kommt nicht immer nah dran an ihre Gedankenwelt und sorgt sich auch um ihre eigenen Sorgen…
Liebe Julia, wenn du an die Überforderung von damals denkst, als deine Kinder noch Babys waren, kommt es dir heute manchmal albern vor. Erzähl mal, was genau du damit konkret meinst.
Ich habe das Gefühl mich damals oft unnötig verrückt gemacht zu haben. Ich wollte alles richtig machen, das Stillen, das Schlafen, die Beikost, das Trockenwerden. Und wenn was nicht so recht geklappt hat hab ich irgendwie gedacht „oh nein, das geht nicht, dass wird ja vielleicht nie was“. Obwohl es keinen wirklichen Grund gab, warum mein Sohn nicht trocken werden sollte oder irgendwann Lust auf andere Lebensmittel bekommen sollte.
Ich wusste das damals eigentlich schon, dass das sicher irgendwann klappen wird, aber ich konnte nicht realistisch auf dieses „Problem“ gucken. Ich will die Belastung dieser Babyzeit gar nicht schmälern, aber ich glaube viel war quasi hausgemacht, weil ich das Ganze zu verbissen gesehen habe. Mit jedem Kind wurde dieses Gefühl weniger, je mehr Erfahrung ich hatte desto entspannter war ich.
Du sagst, die Sorgen von damals hättest du gern wieder, auch wenn sie dir damals wichtig und groß erschienen. An welche Sorgen erinnerst du dich da vor allem?
Ich habe zum Glück drei gesunde Kinder zur Welt gebracht, von daher waren es ganz normale Sorgen, die viele kennen. Schlafen war ein großes Thema, einschlafen und durchschlafen… Beikost und zufüttern haben mich auch viel beschäftigt.
Und dann all die kleinen alltäglichen Gedanken: Was ist das für eine komische Stelle auf seiner Haut? Neurodermitis? Warum überstreckt er sich im Kinderwagen? Osteopathietermin machen! Was ist das für eine Matratze im Babygästebett? Wir brauchen eine Extramatratze, die ist viel zu dünn! Der Sonnenhut ist verrutscht, die Babyzahnpasta bei Oma ist mit Fluorid, die Windelcreme ist mit Duftstoffen… waaaahhh…
Oh nein, der Schnuller ist auf dem Parkplatz in den Dreck gefallen, kein Ersatz dabei, kein Wasser… Schnuller ablecken? Tabu… Damals waren die Kinder und unsere kleine Welt mein Kosmos, Einflüsse von außen gab es natürlich auch, aber ich hatte viel mehr Entscheidungsfreiheit, welches Thema ich reinlasse und wurde nicht mit unangenehmen Anrufen von der Schule oder ähnlichem überrascht.
Heute sind deine Kinder 16, 14 und 8 und du hast oft das Gefühl, zu versagen und den Hürden nicht gerecht zu werden. Wann genau, in welchen Situationen?
Wenn ich das Gefühl habe nichts machen zu können, hilflos zu sein. Wenn meine Tochter sich selbst verletzt hat. Wenn mein Sohn Ärger mit der Polizei kriegt, wegen blödsinniger Aktionen. Wenn mein Jüngster traurig ist über die Trennung seiner Eltern. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich meine Kinder nicht beschützen kann. Das lässt mich manchmal verzweifeln. Ich weiß, dass ich nicht für alles verantwortlich bin was ihnen im Leben widerfährt. Aber es ist schwer auszuhalten, wenn man denkt sie irgendwann nicht mehr retten zu können.
Große Kinder, große Sorgen: Wie ist es in deinem Umfeld, sprechen andere Mütter oder Väter da offener drüber oder hast du das Gefühl, nach außen hin ist bei den meisten alles super?
Das ist unterschiedlich. Eltern, die man beim Sport oder in der Schule trifft kehren oft erstmal die Sonnenseite heraus. Alles super, alle happy. Unterhält man sich dann etwas eingehender erzählen viele schon von eigenen Sorgen, meist besonders dann, wenn ich durchblicken lasse, dass bei uns auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Mit meinen Freundinnen und Familie kann ich offen über meine Sorgen reden und mit meinem Mann auch. Das ist tröstlich finde ich.
Manchmal treibt dich die Verantwortungslosigkeit deines 16Jährigen in den Wahnsinn, weil du dich fragst, wie das später werden soll…
Wenn er sich gedankenlos und rücksichtslos verhält, wenn er davon ausgeht, dass ich es schon für ihn richten werde. Ich habe Angst, dass ihm zu spät bewusst wird, dass seine Handlungen mehr und mehr Konsequenzen nach sich ziehen, je älter er wird. Wenn er die Schule und die berufliche Orientierung auf die leichte Schulter nimmt oder Wichtiges so lange vor sich herschiebt, bis der Karren schon fast im Dreck versinkt und ich dann zum rausziehen eilen muss. Oder wenn er versucht sich durchzumogeln und sich Sonderrechte einräumt.
Deine 14jährige Tochter leidet an Depressionen. Wann habt ihr Wind davon gekriegt, wie habt ihr das gemerkt, gab es da einen Auslöser?
Das ist sehr komplex. Es hat ein knappes Jahr nach der Trennung von ihrem Vater und mir angefangen, da war sie 10. Damals hat sie viel geweint und hatte Probleme in der Schule. Ich habe recht schnell gemerkt, dass sie sich verändert hat. Dann war sie in guter psychotherapeutischer Behandlung und es ging ihr deutlich besser. Wobei diese erste Episode auch rückblickend nicht so schlimm war, es war klar, dass sie die Trennung verarbeiten musste und das konnte sie mit Hilfe der Therapeutin gut besprechen.
Letztes Jahr im Sommer begann es wieder schlechter zu werden, einen konkreten Auslöser gab es nicht, sie kann auch keinen nennen. Die Pubertät hat mittlerweile voll zugeschlagen, da kommt vieles zusammen.
Wie geht´s ihr heute, wie geht ihr damit um, ist sie in Behandlung?
Sie ist in therapeutischer Behandlung und bekommt Medikamente, die sind inzwischen gut eingestellt. Es geht ihr ganz gut im Moment. Aber es ging ihr Anfang des Jahres sehr schlecht, das sitzt sehr tief bei mir. Ich bin für sie da, wenn sie mich braucht rede viel mit ihr und versuche Rücksicht zu nehmen und dennoch ist es ein Balanceakt auf vielen Ebenen. Alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen ist bei drei Kindern sowieso schon eine Herausforderung, die Depression ist mal mehr mal weniger präsent, aber im Hinterkopf ist sie immer da, wie eine schwarze Wolke.
Was macht dir in dem Kontext am meisten Sorge?
Ich habe Angst, dass sie diese Krankheit für immer begleitet und natürlich habe ich die größte Angst davor, dass sie sich etwas antun könnte.
Du sagst, die Überforderung sei mit Babys und Kleinkindern irgendwie unmittelbarer gewesen. Wie meinst du das?
Es war damals nicht so weitreichend. Schlecht schlafen konnte man ab und an ausgleichen und der nächste Tag war wieder gut. Die Kinder haben im Moment gelebt und haben so viel neues entdeckt und gelernt in so kurzer Zeit. Sie haben einen angestrahlt und die Sorgen waren vergessen. Es waren kurze, heftige Momente der Überforderung, aber die gingen immer wieder vorbei. Ich hab pragmatische Ideen gehabt, konnte die Wunden wegpusten und dann war es wieder gut. Ich konnte Lösungen finden, ich hatte mehr Einfluss und mehr Handlungsmöglichkeiten.
Was tut dir selbst gut, wenn du mal wieder der Verzweiflung nah bist oder dich allzu große Sorgen überkommen? Kannst du dich dazu mit jemandem austauschen?
Mir tut es immer gut über meine Sorgen zu reden. Ich habe einen tollen Partner, der für mich da ist und auch den Kindern guttut. Außerdem hab ich gute Freundinnen, die ebenfalls immer ein offenes Ohr für mich haben. Zudem treffe ich mich in einer Selbsthilfegruppe mit anderen betroffenen Eltern, diese verstehen meine Ängste wegen der eigenen Erfahrungen noch mal anders und schauen trotzdem von außen drauf. Mir tut es auch immer gut, allein im Wald spazieren zu gehen und meine Gedanken zu ordnen. Oder laut zu heulen ist auch immer wieder gut, es einfach rauszulassen.
Hättest du dir damals, als die Kinder noch klein waren, gewünscht, dir hätte jemand erzählt, wie es später wird?
Nein, ich glaube nicht. Aber dass es ein Happy End gibt, wenn sie groß sind, das hätte ich gern gehört.
Um zuversichtlich abzuschließen: Was ist schön aktuell in eurem Familienleben und worauf freust du dich in der Zukunft?
Schön finde ich, wie eng unsere Bande sind, dass nach jedem Streit oder bei Problemen wir miteinander sprechen und versuchen zusammen eine Lösung zu finden und die Kinder auch mitziehen. Ich bin sehr glücklich darüber, wie gut sich meine Kinder mit meinem neuen Mann verstehen und wie gut auch die Patchwork-Familie mit seinen Kindern funktioniert. Ich finde es toll wie selbstständig meine Kinder schon sind und es macht Spaß mit ihnen über „erwachsenere“ Themen zu reden und mit ihnen etwas zu unternehmen ob mit einem allein oder mit allen zusammen.
Ich freu mich darauf, wenn die Kinder ihren Weg ins Erwachsenenleben gefunden haben und es gut für sich meistern und ich ihre Meilensteine noch lange begleiten darf. Und ich auf die heutige Zeit zurückblicke und feststelle: es war nur eine Phase und es ist alles gut geworden. Und ich freu mich auf Urlaub zu zweit 🙂
2 comments
Hallo,
vielen Dank für den Beitrag und deine Offenheit. Mir geht es genauso. Wenn die Kinder klein sind, gibt es an jeder Ecke Hilfe… Still-, Schlaf- und Erziehungsberatung, Krabbelgruppe u.ä. und wenn Sie Teenager sind fühlt man sich in vielen Situationen (Freundeskreis, Schule, Autonomie, Gesetzeskonflikte o.ä.) alleine und hat oft das Gefühl versagt zu haben oder aktuell das Falsche zu tun.
Halten wir gemeinsam durch, fokussieren uns auf das Positive und treffen uns später im Pärchenurlaub am Strand und stoßen gemeinsam auf die Phasen an und dass hoffentlich alles gut geworden ist.
Herzlichst Tanja (Teenie-Jungs-Mama, 13 & 15 J.)
Hallo, mich hat der Beitrag sehr berührt. Mich würde interessieren was für eine Selbsthilfegruppe das ist, zu der Julia geht. Viele Grüße