Ihr Lieben, wenn in der eigenen Familie alles anders wird, als man sich das so vorgestellt hat, dann ist es gar nicht so leicht, das zu akzeptieren. Es braucht Zeit, die oft aber einfach nicht da ist, wenn in der Familie jemand gepflegt werden muss. Lea erzählt uns hier von ihrer kleinen Fritzi, die mit einem Gendefekt auf die Welt kam, der ihre Mütter sehr in Atem hält.
Ihr Lieben, erzählt doch mal, wer alles zu eurer Familie gehört.
Wir, das sind Mami Silke, Mama Lea und unsere Tochter Fritzi. Der Kater Pauli darf natürlich auch nicht unerwähnt bleiben.
Euer Kind kam gesund zur Welt, entwickelte sich aber etwas langsamer als andere. Wie, wann und an welchen Stellen habt ihr das gemerkt?
Genau. Fritzi kam 7 Wochen zu früh auf die Welt und entwickelte sich langsamer als andere Kinder. Da sie mitten in der Corona-Pandemie geboren wurde, fanden zunächst Krabbelgruppen und Ähnliches gar nicht statt, so dass wir so gut wie gar keinen Austausch mit anderen Familien mit gleichaltrigen Babys hatten. Als Fritzi etwa ein halbes Jahr alt war, starteten die ersten Kurse draußen im Park. Da merkte man dann schon, dass andere Babys etwas mobiler und neugieriger waren. Aber als Eltern führt man das natürlich auf die Entwicklungsverzögerung im Rahmen der Frühgeburt zurück.
Habt ihr damals schon mal einen Arzt oder eine Ärztin darauf angesprochen?
Wir haben es beim Kinderarzt angesprochen. Mit ca. 6 Monaten begann für Fritzi dann regelmäßige Physiotherapie. Der Therapeutin kam Fritzis motorische Entwicklung zunehmend „nicht richtig“ vor. Bei der U6 speiste uns unser damaliger Kinderarzt ab mit den Worten: „Normal ist das nicht.“ Wir sollten mal den nächsten Termin im Frühchen-SPZ abwarten – der erst zwei Monate später sein sollte. Nun, so eine Aussage ist für Eltern natürlich ein Schlag ins Gesicht und das Sorgenkarussell geht rund. Beim Termin im Frühchen-SPZ wurde dann auch festgehalten, dass Fritzi sich nicht wie erwartet entwickelte. Es sollte eine Diagnostik gestartet werden, um herauszufinden, was bei Fritzi „schiefläuft“. Wir warteten also auf ein freies Bett in der Uniklinik Essen.
Zwei Monate nach dem ersten Geburtstag bekam euer Kind dann einen epileptischen Anfall. Was habt ihr gedacht, was das ist? Wie ging es euch dabei? Wie habt ihr reagiert?
Wir warteten also auf den Anruf der Uniklinik, jedoch kam uns der erste epileptische Anfall von Fritzi mit knapp über 14 Monaten zuvor. Es war beängstigend, das Kind mit Armen und Beinen zucken zu sehen, ganz unkontrollierbar und nicht zu unterbrechen. Das machte uns große Angst. Das war an einem späten Nachmittag Mitte Dezember 2021. Wir sind dann sofort zum Kinderarzt, der die Vermutung eines epileptischen Anfalls in den Raum stellte und uns eine Einweisung in die Uniklinik mitgab. Er sagte, es würde auch am nächsten Tag in der Früh reichen, da heute ohnehin nichts mehr gemacht werden würde. Also sind wir wieder nach Hause und waren voller Sorge und Befürchtungen.
Am nächsten Tag sind wir also über die Notaufnahme in die Uniklinik gekommen. Dort begann dann eine Odyssee von insgesamt sieben mehrtägigen Krankenhausaufenthalten bis zur Diagnose, immer begleitet von täglichen und nächtlichen Anfällen.
Fritzi entwickelte sich dann eher wieder zurück, hattet ihr das Gefühl...
Fritzis Entwicklung stagnierte oder war teilweise rückläufig. Das war furchtbar zu erleben. Sie konnte greifen, lautierte variabel, war drauf und dran in den Vierfüßlerstand zu kommen und und und. Alles weg. Von jetzt auf gleich. Außerdem war Fritzi total apathisch und völlig fertig von den nun täglich auftretenden Anfallsserien. Nicht mal bei einer großen Blutabnahme oder dem Legen eines Zugangs hat sie reagiert. Als Mama wird einem total kalt ums Herz und man gefriert innerlich. Es ist nicht mehr das Kind, das man bis vor ein paar Tagen kannte.
Ihr habt dann etliche Untersuchungen durchführen lassen, was stand in dieser Zeit alles im Raum und welche Diagnose bekamt ihr dann letztlich?
Leider haben uns die Ärzte sämtliche Verdachtsmomente mitgeteilt, so dass wir alles von „Es wächst sich raus“ bis „Unheilbar“, „Todbringend krank“ auf dem Tisch hatten. Es war furchtbar. Ich, Lea, selbst konnte tagelang nichts essen oder schlafen, ich habe kübelweise geweint. Silke schaltete auf Autopilot und hat irgendwie funktioniert. Sie arbeitete, besuchte uns in der Klinik und hat das Leben zu Hause organisiert.
Es wurden bereits verschiedene Epilepsiemedikamente getestet, bevor wir die Diagnose hatten. Eines brachte gar nichts, ein anderes brachte eine enorme allergische Reaktion hervor, ein drittes hat bewirkt, das unsere Tochter gar nichts mehr oral zu sich nehmen wollte. Bei diesem Medikament haben wir wie in einer Hexenküche mit Sirup, Joghurt und Co. versucht, den furchtbar bitteren Geschmack zu übertünchen. Ohne Erfolg.
Zunächst bekam sie dann zur Medikamentengabe eine nasale Magensonde, später im selben Jahr, haben wir ihr eine PEG-Magensonde legen lassen, denn den Genuss, oral zu essen und zu trinken, wollten wir ihr nicht durch täglich mehrfach erforderliche Medikamentengaben nehmen. Die Diagnose haben wir dann zweieinhalb Monate nach dem ersten epileptischen Anfall erhalten. SPATA5, ein seltener Gendefekt. Fritzi war damals angeblich Nummer 48 weltweit.
War nach der Diagnose Gendefekt auch ein Gefühl der Erleichterung da, weil ihr endlich wusstet, was los war oder wart ihr eher am Boden zerstört?
Tatsächlich war es so, dass ich sehr erleichtert bei der Übermittlung der Diagnose war. So wusste ich doch, dass alles, was wir an Förderung hineinstecken, auch fruchten kann. Ich dachte auch, dass Epilepsie „das kleinste Übel“ ist, da es ja Medikamente gibt. Dass es heute unsere größte Baustelle ist, da sie alles andere beeinflusst, wusste ich damals noch nicht. Medikamente gegen Fritzis Anfälle zu finden ist nämlich gar nicht so trivial.
Für meine Frau hingegen, ist mit der Diagnose eine Welt zusammengebrochen und es hat sie in eine schwere depressive Episode hineingezogen. Ohne Hilfe von außen ging bei ihr nichts mehr. Es ist nach wie vor, auch nach fast drei Jahren, für uns ein Prozess zu akzeptieren, dass es jetzt so ist wie es ist und eben nicht so, wie man sich das Leben als Familie vorgestellt hat. Manchmal fällt es leichter, manchmal geht es gar nicht.
Euer Kind ist schwerbehindert, wie sieht euer Alltag derzeit aus, was kann es, was nicht?
Unser Alltag richtet sich komplett nach Fritzi. Sie geht jeden Tag für 5 Stunden in die Kita mit einer Integrationskraft. Meine Frau und ich arbeiten je 2,5 Tage, auch da haben wir uns reduziert und uns Fritzi angepasst, denn nach der Kita finden oft Therapien statt und wir fahren mit Fritzi dorthin.
Fritzi ist 24/7 auf Hilfe angewiesen. Sie kann nicht frei sitzen oder stehen, laufen ebenso nicht. Fritzi ist non-verbal und kann auch nicht zeigen, was sie haben möchte oder wo ihr etwas wehtut. Wir üben fleißig, damit Fritzi grundlegende motorische Fähigkeiten wie Greifen lernt. Demnächst starten wir mit der unterstützten Kommunikation und hoffen, dass wir einen Weg finden mit Fritzi zu kommunizieren.
Essen und Trinken kann Fritzi auch nicht selbständig, sie wird jedes Mal gefüttert. Kauen muss sie auch noch lernen und das zusammen mit ihrer Schluckstörung bewirkt, dass die pürierten Mahlzeiten oft eine Stunde dauern. Da sie nicht ausreichend Nahrung zu sich nimmt, trinkt sie außerdem Sondenmilch mit Wasser gemischt aus der Flasche. In Zeiten, wo sie nicht viel trinken mag, können wir Flüssigkeit über die PEG sondieren, aber diese wird vornehmlich zur Medikamentengabe genutzt.
Was ist mit EUREN Träumen, Zukunftsplänen, Zielen?
Unsere Träume, Wünsche und Ziele haben wir weitestgehend begraben. Weit in die Zukunft planen funktioniert auch derzeit nicht. Fritzis Gesundheitszustand ist noch zu fragil, als dass man Pläne schmiedet, da man nie weiß, wann sie eventuell doch nochmal ins Krankenhaus muss. Wir versuchen, es uns im Kleinen schön zu machen: Abendessen liefern lassen, früh ins Bett gehen, bewusst in der Natur sein. Schön ist, dass wir beide beruflich mittlerweile mit dem Thema Teilhabe und Inklusion zu tun haben, so dass wir in diesem Bereich viel bewegen können.
Was wünscht ihr euch in Sachen Inklusion?
Inklusion muss in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einen festen Bestand haben. Genauso wie mittlerweile Nachhaltigkeit oder Klimafreundlichkeit ein MUSS ist, muss es Inklusion auch sein. Es ist doch ein Leichtes, beispielsweise bei der Planung von Spielplätzen, zumindest teilweise inklusive Spielgeräte, die von allen genutzt werden können, zu berücksichtigen.
Wir wünschen uns unter anderem auch, dass das System der Integrationshilfen und Kita-/Schulassistenzen auf besser Beine gestellt wird. Es ist unheimlich schwierig, Integrationshilfen zu bekommen, denn die Arbeitsbedingungen sind sehr verbesserungswürdig. Es ist ein Unding, dass I-Kräfte kein Gehalt erhalten, sobald das Kind krankheitsbedingt nicht in die Kita oder Schule geht. Dabei sind gerade behinderte Kinder häufiger im Krankenhaus. Wir könnten die Liste unserer Wünsche hier vermutlich unendlich weiterführen, aber das würde den Rahmen sprengen.
Was wünscht ihr anderen betroffenen Familien?
Anderen betroffenen Familien wünschen wir mehr Unterstützung als wir sie gehabt haben, gerade in der Anfangszeit mit behindertem Kind. Zugang zu etablierten Beratungen, Netzwerken und Hilfen, Anlaufstellen für Sorgen und Ängste.
Ebenso wünschen wir anderen Familien einen ebenso aufgeschlossenen und interessierten Kreis von Familie, Freunden, Bekannten, die sich nicht abwenden und erkennen, dass Behinderung jeden jederzeit treffen kann und, dass auch ein behindertes Kind selbstverständlich zur Gesellschaft dazu gehört.
Was wünscht ihr euch?
Wir wünschen uns für Fritzi, dass sie irgendwann sitzen, stehen, laufen und greifen kann. Dass sie einen Weg findet, zu kommunizieren. Auch wäre ein klein wenig Selbständigkeit etwas, was wir uns für sie wünschen.
Wir Mamas wünschen uns zum einen mehr Unterstützung von Seiten der Politik und Gesellschaft, und weniger Hürden, die die Krankenkasse und Pflegeversicherung einem in den Weg stellen. Fritzi hat mit 2 Jahren bereits eine Rechtsanwältin. Zum anderen wünschen wir uns mehr Auszeiten, Kraft und Gesundheit. Denn, wenn eine von uns ausfällt, bricht das ganze System zusammen, daher hoffen wir, dass es noch lange so funktioniert wie jetzt.
3 comments
İch fühle mit euch. Von Herzen wünsche ich euch Kraft, euren Alltag zu bestreiten und für eure Maus da zu sein. Artikel wie diese haben mich dazu bewegt, mich viel mehr mit den von euch genannten Themen auseinander zu setzen und mich zu engagieren, damit sich etwas bewegt. Vielleicht fühlt sich auch die ein oder andere Person angesprochen, zusammen sollte es möglich sein, Lebenswelten von betroffenen Familien zu verbessern.
Von Herzen alles Liebe und Gute für eure Familie, ich schließe euch in meine Gebete ein.
Auch wenn wir uns nicht kennen, drücke ich euch lieb in Gedanken.
immer, wenn ich mit behinderten Menschen oder ihren Angehörigen spreche oder Berichte lese, kommt genau dieser Wunsch, dass die Behörden ihnen das Leben nicht noch schwerer machen sollen.
das ist doch unfassbar! die Bürokratie ist ja für Durchschnitts-Menschen mit Durchschnitts-Problemen schon ein Ärgernis aber Menschen mit Behinderungen haben doch ohnehin schon genug auf den Teller, warum müssen sie dann für jede Kleinigkeit kompliziert Hilfe und Zuschüsse beantragen?
Was kann man gegen diesen Wahnsinn machen??
Bewundernswert, wie ihr euren Alltag stemmt. 👍Euch viel Kraft weiterhin. Ich wünsche euch für die Zukunft, dass alles runder läuft und euch weniger „behördliche Hürden“ im Wege stehen.