Ihr Lieben, heute erzähle ich euch mal einen Schwank aus meiner Jugend, denn bei mir zu Hause gab es etliche Gastgeschwister. Am Wochenende war mein ehemaliger Gastbruder da, der in seiner Jugend sieben Jahre lang bei uns in der Familie gewohnt hat – und später Patenonkel einer unserer Zwillinge wurde (die beiden heißen sogar gleich 😉). Er kam zu Besuch, weil wir uns länger nicht gesehen hatten und jetzt demnächst für seine Firma ins Ausland zieht.
Wenn er da ist, kommen irgendwann immer alle Familienmitglieder vorbei, wir wohnen ja hier in der Großfamilie und so ist es eh immer ein Kommen und Gehen. Dieses spezielle Bonus-Familienmitglied lockt aber eben alle immer zu Umarmungen an. Er gehört einfach auch Jahre nach seinem Auszug immer noch dazu, für mich ist er ein bisschen wie ein kleiner Bruder (ich wünschte mir immer kleine Geschwister früher!)Wir wohnten ja nicht nur in meiner Kindheit in der Großfamilie mit Oma, Opa, Tanten, Onkels, Cousinen und Cousins zusammen auf einem Hof, sondern auch heute wieder.
Gastgeschwister in der Großfamilie
Und wie wir da so im Garten saßen, kam irgendwann meine Mutter vorbei, erzählte, dass sie Farbe rausgelegt hätte, damit meine Tochter/ihre Enkelin das Gartenhäuschen streichen kann und dass er selbst doch damals immer Gartepflanzen beschneiden sollte. „Nee, nee“, protestierte er da. „Das hab ich immer die anderen machen lassen, ich hab dafür die Treppe gestrichen.“ Die anderen, von denen er erzählt, waren weitere Gastgeschwister, denn bei uns in der Familie herrschte irgendwie immer Haus der offenen Tür.
Das erste Gastkind kam aus Amerika
Meine Eltern nahmen schon immer gern Gastkinder auf, zum ersten Mal einen 19Jährigen aus den USA, der nicht alle Tassen im Schrank hatte (er nahm mit die Fernbedienung weg, wenn ich „Verbotene Liebe“ gucken wollte, beschimpfte unser Essen als „Wooh, what´s that shit?“, sagte zu allem „We have that in Amercia , too, but just bigger“, trank Bier nur auf Ex und schmiss all unsere Geschenke, die wir ihm über das Jahr gemacht hatten zum Abschied in einen Müllsack).
Dann hatten wir noch für vier Wochen zusätzlich eine liebe Dänin bei uns wohnen, auch meine Gastschwester aus Kolumbien brachte ich nach meinem Schuljahr dort für ein Jahr mit zu uns in die Familie. Einiges lief damals noch über die Austauschorganisation, mit der auch mein Bruder in die Staaten gegangen war für ein paar Monate. Später wurden meine Eltern Gastfamilie vom 1. FC Köln und nahmen talentierte Jugendspieler bei sich auf. Immer zwei oder drei gleichzeitig.
Gastfamilie vom 1. FC Köln und von den Kölner Haien
Als der FC irgendwann alle „zugekauften“ Spieler ins Internat packte, wurden sie Gastfamilie von den Kölner Haien und nahmen Eishockeyspieler bei sich auf, die waren immer zwischen 14 und 17 und blieben – ähnlich wie bei den FC-Spielern – eben so lang, bis sie wieder aus dem Kader flogen oder irgendwann in eine eigene Wohnung ziehen konnten. Sie waren Familienmitglieder auf Zeit, aßen mit uns am Tisch und kamen zum Teil auch mit den in den Urlaub.
Wir hatten also immer die unterschiedlichsten Menschen bei uns zu Hause wohnen und als ich nach dem Abi nach Berlin zog, nahmen meine Eltern auch Intensivpflegefälle bei sich auf – solang, bis wir 2012 mit den Kindern aus Berlin zurück auf den Mehrgenerationenhof zogen. Da war es dann schlicht einfach zu schwierig (und ja, leider zum Teil auch zu gefährlich mit der Vorgeschichte einiger), das mit unseren drei eigenen Kindern zu kombinieren.
Gab es Eifersucht bei uns Geschwistern?
Oft werde ich gefragt, ob ich oder mein Bruder nicht Eifersucht empfunden hätten. Das kann ich für uns beide verneinen. Die Gastgeschwister liefen nie in Konkurrenz zu uns und: Sie waren nie auf unseren Schulen, sodass sich auch die Freundeskreise nicht überschnitten. Der Ami brachte mich zwar regelmäßig zur Weißglut, aber seine Skurrilität brachte uns als Familie auch nochmal näher zusammen.
Der erste FC Spieler zog bei uns ein, als ich grad in meinem Austausch in Kolumbien war. Als ich zurückkam war ich eh so selbständig geworden (ich hatte dort auch meinen Führerschein gemacht), dass ich nicht mehr allzuviel zu Hause war, ich zog dann auch schon zur 13. Klasse aus und wohnte im letzten Schuljahr schon in einer WG.
Die Geschichten von zu Hause hörte ich mir aber immer gern an und wenn es ging, fuhren wir auch gern zu Fußball- oder später Eishockeyspielen. Nach dem Abi war ich dann ja in Berlin zum Studium, sodass es auch da nicht mehr so viele Berührungspunkte gab.
Von der Gastkinderbetreuung zur Intensivpflegestelle
Als wir mit den Kindern zurückkamen ins Bergische, wohnte noch ein Intensivpflegekind bei meinen Eltern und zwei Eishockeyspieler. Das Pflegekind zog bald auf, weil es eine andere Maßnahme brauchte und die Sportler waren unseren Kids eher Ansporn und Vorbilder.
Als einer der beiden, mittlerweile 25jährig, im letzten Jahr in einem Profispiel frontal in die Bande krachte, zunächst im Koma lag und schließlich vom Hals abwärts querschnittsgelähmt wurde, rief uns sein leiblicher Vater an, damit wir es nicht aus der Presse erfahren müssten. Vor allem für unsere Kids war das natürlich erstmal ein Schock, auch sie hatten ja mit ihm zusammengelebt. Bei so vielen Menschen, mit denen wir hier in Kontakt waren und sind, bleiben tragischerweise solche Nachrichten eben auch manchmal nicht aus…
Wie viel Kontakt haben wir noch mit den Gastgeschwistern?
Mit einigen der damaligen Gastgeschwister haben wir keinen Kontakt mehr, mit anderen hingegen regelmäßig. Eine Gastschwester kommt jedes Jahr zu Karneval wieder und quartiert sich nochmal bei uns ein, andere wollen ihren Partnern und/oder Kindern zeigen, wo sie damals gewohnt haben. Einer spielt immer noch so hochklassig Fußball, dass wir manchmal ins Stadion fahren, um ihn zu sehen. Wieder anderen folge ich bei Instagram.
Als meine Mutter in Pandemiezeiten 65 wurde, konnte ich etliche von ihnen für ein Gratulationsvideo gewinnen, das war schon sehr rührend und emotional, weil solche prägenden Zeiten natürlich unvergessen bleiben und da so viel Dankbarkeit war. Wow, was haben meine Eltern in den Zeiten Essen rangeschleppt, ich kann es ja jetzt mit mehreren eigenen Heranwachsenden im Haus mittlerweile erahnen, was viel Sport in Kombi mit Wachstum für Mengen verlangt…. 😉
Tja, und einer der Spieler ist dann halt sogar Patenonkel geworden. Weil er zur Familie gehört und immer gehören wird. Vielleicht ist es für uns deswegen so normal, wenn hier auch immer so viele Freunde unserer Kinder rumhüpfen. Wir kennen es nicht anders. Und ich bin total dankbar für die Erfahrungen, die wir dadurch sammeln konnten und für die Weltoffenheit, die so viele verschiedene Charaktere dir dann auch bescheren.
Wie ist es bei euch? Hättet ihr euch das auch vorstellen können in eurer Familie? Oder war es vielleicht sogar ähnlich? Oder nehmt ihr selbst gern Kinder auf? Erzählt doch mal
3 comments
Was für ein toller Einblick. Mach doch mal ein Interview mit deinen Eltern. Mich würde ihre Sicht und Einstellung interessieren soo offen und toll zu leben.
Wir hatten früher ebenfalls viele Austauschschüler zu Gast, wenn auch nicht für so lange Zeiträume, sondern nur jeweils für ein paar Wochen. Ich fand das großartig und habe zu einigen davon auch noch Kontakt. Sie kamen entweder über meine Schule oder über die Rheinisch-Westfälische Auslandsgesellschaft. Oft auch buchstäblich von jetzt auf gleich, wenn die eigentliche Gastfamilie aus irgendeinem Grund verhindert war. Bis auf ein einziges Mädel aus England, welches selbst auf mich damals Sechzehnjährige einen körperlich und psychisch völlig verwahrlosten Eindruck machte, waren diese jugen Leute auch allesamt sehr aufgeschlossen und umgänglich. Es hat wirklich Spaß gemacht.
Leider wäre für meine Kinder ausgerechnet der Corona-Zeitraum der passende für so etwas gewesen. Wir hatten also leider keine Austauschschüler bei uns, erst recht nicht langfristig. Dazu hätte hier der Platz gefehlt. Und Pflegekinder würde ich mir alleinerziehend ohnehin nicht zutrauen.
Ein Interview mit Deinen Eltern oder auch ehemaligen Gastgeschwistern oder Pflegekindern würde ich auch sehr gerne einmal lesen. Was für ein schönes und weltoffenes Familienmodell!