„Digger, du bist so lost, Junge“ bölkt es aus dem Zimmer meines 15-Jährigen. Ich atme tief durch und schließe die Tür zum Wohnzimmer. Das war schließlich nur einer der harmloseren Wutanfälle, die meinen ältesten Sohn in regelmäßigen Abständen beim Fortnite spielen übermannen.
Du kennst Fortnite nicht? Sorry, aber dann bist Du noch 'loster' als der Duopartner meines Sohnes beim Zocken. Fortnite, ist das "Heroin unter den Online -Games" – wie ich vor kurzem in einem Spiegel-Online Artikel erfahren habe. Schade, zu spät, meine Jungs sind längst voll drauf…
Allerdings hat der Große damit auch schon 600 Dollar erspielt und meine Argumente, die ich gegen Fortnite gesammelt habe, minimiert. Eigentlich macht er das ja auch alles nur für mich,
seine alleinerziehende Mutter Tanja, die mit vier Kindern und 30-Stunden Teilzeit Job oft darüber klagt, dass das Geld mehr sein könnte. Seine Motive sind also die eines „Ehrenmannes“ – blöd nur, dass Mama das ewige Zocken ganz schön auf die Nerven geht.
Nicht zuletzt wegen der Wutanfälle, die dieses Online-Game in meinen Söhnen auslöst. Zwei Monitore, mehrere Controller und ein Schreibtisch wurden in dieser scheinbar unkontrollierbaren Wut demoliert, die ein plötzlicher und vor allem 'unnötiger' Tod mit sich bringt. Jetzt fragst Du Dich: Warum bekommt er denn dann immer wieder neue Monitore und Controller?
Tja, das war der Papa. Der macht das nicht, um Mama zu verärgern und die Erziehung zu unterwandern, sondern weil er selber gerne zockt. Weil er die Kinder ja eh nicht so oft sieht und dann schneller beide Augen zudrückt und die Ausrüstung kauft. Und wenn Papa mal streikt, dann wird eben das angesparte Taschengeld eingesetzt. Für einen neuen Controller reicht das in der Regel.
Manchmal geht mir das Zocken so auf die Nerven, dass ich das W-Lan abschalte. Das zeigt immer unmittelbare Wirkung. War ich bis dahin allein mit meiner Falt- und Bügelwäsche im Wohnzimmer, stehen innerhalb von einer Minute alle drei Schulkinder im gleichen Raum und blicken mich wütend an.
Am liebsten würden sie dann "Ist das dein Ernst, Mama?' sagen, sie verkneifen es sich aber, wohlwissend, dass das W-Lan sonst noch länger aus bleiben würde. Dafür kommt immer die gleiche Frage: „Wieso? Ich hab doch gar nichts gemacht!“ Und dann fällt mir auf: „Stimmt! Keiner von Euch hat heute schon irgendetwas anderes gemacht, als in seinem Zimmer vorm PC oder vorm Handy zu sitzen. Keiner hat mich gefragt, ob er mir irgendwie helfen könnte.“
In den Augen meiner Kinder sehe ich dann, dass sie denken: "Digger, schlimmster Tag meines Lebens. Warum hat er oder sie das nur gefragt….jetzt ist nicht nur das W-Lan aus, jetzt sollen wir auch bei der Hausarbeit helfen." Obwoh ich mich manchmal frage, ob die Kinder überhaupt in ganzen Sätzen denken – beim Reden scheint das ja out zu sein.
Aber wenn wir schon einmal so schön versammelt sind, dann kann ich auch gleich ein paar Aufgaben verteilen, die schon wieder seit Tagen auf Erledigung warten. Mein Zweitgeborener hat neben Fortnite und Fußball nämlich vor seinem 12. Geburtstag plötzlich seine Liebe zu Fischen entdeckt. So ziert seit über einem Jahr ein Aquarium sein Kinderzimmer. Zu Beginn beherbergte dieses Aquarium vier kleine Fische, ein bißchen Deko und Wasserpflanzen. Leider wurden wir schlecht beraten und diese vier Fische erwiesen sich leidenschaftlicher als jedes Karnickel. Zwischenzeitlich schwammen 40! bunte Fische in diesem dafür viel zu kleinen Glashaus.
Immer wieder durften wir einige von ihnen ins Schulaquarium umsiedeln, die Population hat sich dadurch aber nicht wirklich verringert. Deshalb ist es immer wieder nötig, eine Fischvolkszählung durchzuführen und eine Lösung für die Überbevölkerung zu finden. Zeitgleich wird das Aquarium gereinigt, das Wasser gewechselt und die ein oder andere Pflanze erneuert. Zeitaufwand ungefähr eine Stunde, wenn Mama mitmacht. Helfe ich nicht mit, wird’s nicht gereinigt. Mit 13 Jahren hat man schließlich andere, wichtigere Sachen zu tun.
Welche? Schlechte Laune haben zum Beispiel oder seine jüngere Schwester mobben. Warum atmete die auch im selben Raum wie er? Überhaupt könnte die doch einfach mal unsichtbar sein und nicht ständig mit TikTok-Proben und Gesangseinlagen nerven.
Aber das W-Lan ist aus und Mama anscheinend sauer, Widerstand also zwecklos. In Zeitlupe und Flüche vor sich hin nuschelnd, geht er die Treppe hoch zurück in sein sein Zimmer. Leider muss er diesen Weg aber noch einmal zurücklaufen, schließlich muss das Wasser aus dem Aquarium ja irgendwo hinein..
Sein älterer Bruder kann sich das Grinsen nicht verkneifen und ich sehe, wie sich ein dummer Spruch auf seinen Lippen formen will. Noch bevor er ihn aussprechen kann, erfährt er seine Aufgabe: Die Hundehaufen unserer Hündin im Garten müssten beseitigt werden, damit unsere Kleinste wieder unbeschwert über die vertrocknete Wiese flitzen kann. Mit ihren 3 Jahren ist sie selbst dafür noch zu klein.
Da kommt er, der Satz: „Mama, dein Ernst? Kann das nicht meine Schwester machen? Der wird dabei wenigstens nicht schlecht!“ Da hat er Recht, seine 10-jährige Schwester stellt sich nicht so an, wenn sie die braunen Haufen von der Wiese entfernt.
Allerdings wartet auf sie eine andere Aufgabe. Das Chaos im Kinderzimmer. Überall liegen Wäsche, Süßigkeitenreste, Schminke, Schulsachen, Sportsachen und was es sonst noch so gibt herum. Zum Aufräumen fehlt ihr die Lust und die Zeit.Tatsächlich sind die Kinder alle mit Schule und Hobby zeitlich ziemlich ausgelastet und ich drücke immer wieder beide Augen zu, wenn es um die Nicht-Erledigung ihrer sowieso schon wenigen Aufgaben geht, aber jetzt sind Ferien. Keine Schule, wenig Termine mit den verschiedenen Sportvereinen, also Zeit genug. Die verbringt meine kleine Diva aber lieber damit TikToks zu erstellen, auch wenn sie kaum welche hochladen darf.
Was TikToks weißt Duauch nicht? Mensch, das ist aber echt 'ne Bildungslücke. TikTok ist eine Handy App mit der man kurze (Tanz-) Choreos mit unterlegter Musik erstellen, hochladen und mit Likes bewerten kann. Ganz böse ausgedrückt: das Youtube für Anfänger. Außerdem übt sich meine Teenie-Dame im Schminken, damit sie das später genauso gut beherrscht wie all die Insta-Influencer.
Freundinnen dürfen sie aber nicht geschminkt sehen, das ist peinlich, sie ist ja schließlich keine Tussi. Ach so.
Außerdem macht sie etwas wirklich Ungewöhnliches. Sie nutzt ihr teures Smartphone zum telefonieren, wenn auch per Whatsapp mit Videocall. Sie ist nämlich jetzt vergeben und ordentlich verknallt. Im Teenie-Neudeutsch nennt man seinen Freund (auch denjenigen, in den man verliebt ist ohne mit ihm zusammen zu sein) jetzt "Crush". Meine Söhne erleiden regelmäßige Würgereize, wenn meine Tochter ihren Freund "meinen Crush" nennt, aber das stört sie nicht.
Dafür nervt sie das ständige Genöhle darum, dass er dumm und häßlich sei und sie sowieso zu jung für einen Freund. Meine These ist ja, dass ihr großer Bruder in seiner Pubertätsendphase einfach nur ein bißchen neidisch ist, weil er keine Freundin hat.
Nachdem die drei Großen murrend ihre Aufgaben erledigen, fällt mir plötzlich auf, dass unsere Kleinste verdächtig still in ihrem Zimmer ist. Durchatmen und nachgucken. Vorsichtig öffne ich die Türe und die leise Ahnung, dass ich nach dem Aquarium auch noch ihr Zimmer aufräumen muss, bestätigt sich in sofort. Sie sitzt inmitten eines Spiel-Koch-Schleim und Schminkchaos. Sowohl ihr Schreibtisch, als auch ihr Gesicht sind in ein tiefes Wasserfarbenblau getaucht und ihre Fingernägel sind mit pinkem Nagellack der älteren Schwester lackiert. Stolz lächelt sie mich an: „Guck mal Mama, ich bin angeschminkt.“ „Wunderschön mein Schatz.“ erwidere ich und bringe es nicht übers Herz, jetzt vom Aufräumen zu reden.
Was soll's. Die Wäsche im Wohnzimmer kann warten und mein Feierabend sowieso.
7 comments
Alter ich hör dich steppen
… damit meinte mein aktuell explosionsartig zum Hulk mutierender Anfangsteenie nicht den schön klappernden Tanz, sondern seinen Spielpartner. Ich bin jetzt sehr beruhigt, dass bei uns bisher nur eine Tastatur das Zeitliche gesegnet hat. Aber Bruder, du bist ja Eeeehrenmann, hast dir ne neue Tastatur vom Taschengeld gegönnt. Und schon geht es weiter mit dem shoooooooten!
So real – Du Ehrenfrau
Liebe Tanja,
vielen Dank dafür, dass ich so herrlich lachen konnte und mich freuen konnte, dass wir nicht die einzige bekloppte Familie mit Teenagern sind. Hast Du denn auch schon an TikToks mit wirken dürfen 🙂 🙂
Ich würde gerne Deine Artikel abonnieren – geht das irgendwie irgendwo?
Alles Gute!
Alexandra
Herrlich und so wahr!
Ein wunderbarer Artikel! Er gibt genau das wieder, was bei uns daheim abläuft. Meine Jungs sind auch auf Fortnite-Droge und ganze Sätze zu formulieren, fällt ihnen häufig schwer. Dazu dieser bellende Tonfall… was mich auch extrem annervt, sind die Wutanfälle. Wieso spiele ich ein Spiel, dass mich so wütend macht. OK, dass dabei auch immer irgendjemand getötet wird, finde ich auch grausam. Ich verstehe es nicht, habe schon oft versucht, die Faszination des Spiels nachzuempfinden. Gelingt mir nicht. Von daher gibt’s bei uns immer wieder Kompromisse: Spiel- und Wutzeiten für die Jungs und Familyzeit für Mama. Und abgesehen davon, finde ich das Teenageralter auch wunderbar! Ich würde mich freuen, mehr über dich und deinen Alltag mit deinen Teenies zu lesen. Alles Gute weiterhin! Andrea
Oh ja bitte ein buch
Ich fand es auch echt super lustig und unterhaltsam. Bitte mehr davon. Gibt es einen Blog?
DANKE
Lieben Dank für die lieben Kommentare. Ich hab schon oft darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben. Vielleicht sind Eure Kommentare endlich die Motivation, die es mich probieren lässt, mir die Zeit dafür freizuschaufeln.
Auf Blogger.de hab ich mal gebloggt. Aber zu vielen unterschiedlichen Themen und es am Ende nicht wirklich verfolgt. (Mamis.blogger.de)
Freu mich aber über all den Zuspruch auch auf Facebook.
PS: Mama sein ist toll und ich liebe es! Mit dem entsprechenden Humor sogar jeden Tag… 😉
Magst du nicht ein Buch
Magst du nicht ein Buch schreiben?! Dein Schreibstil ist einsame Spitze! Ich will mehr davon! 😀
Habe sehr gelacht und drücke dir gleichzeitig die Daumen, dass die Teenie-Zeit schneeell vorbeizieht…
Oh ja ich kaufe es
Wirklich witzig geschrieben! Muss ja zugeben daß ich Teenager sagen wir Mal auch als Menschen akzeptiere, weil das ja nunmal jedem zusteht. Nein, Quatsch bei Seite mir graußt es ehrlich vor der Zeit. Die meisten Teenager die ich kenne sind echt okay, aber wie Sie sprechen und worüber sie reden das macht mich ein bisschen fertig. Ja ich weiß bin wahrscheinlich kein Stück besser gewesen. Aber der Text gibt mir Hoffnung daß ein gelassener Umgang so einiges bewirken kann. Hut ab bei vier Kindern!