Fünf Kinder von vier Männern – Scarlett wuchs im Chaos auf

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Liebe Scarlett, als dein Bruder 16 war, hat er erfahren, dass er nur dein Halbbruder ist, dass also der Mann, der ihn großzog, nicht sein leiblicher Vater ist. Wie hat er das erfahren und wie hat er reagiert?

Zunächst muss man sagen, dass wir eine ziemlich große Familie sind. Meine Mutter lebt mittlerweile in der 6. Ehe. Dass das im Laufe der Jahre kein Spaß war, wenn man bedenkt, dass sie auch noch etliche Affären nebenbei hatte, könnt ihr euch sicherlich vorstellen.

An dem Tag, an dem mein Bruder das erfahren hat, ging es mal wieder im finanzielle Unterstützung. Der „Vater“ zahlte unregelmäßig und hat auch sonst oft Ärger gemacht. Er hat meine Mama und uns Kinder mehrfach körperlich attackiert. Diesmal ging es um seinen Zuschuss zu einer Klassenfahrt und der „Vater“ hat es im Zuge dessen am Telefon einfach rausgeknallt.

Was für ein Mensch muss man sein, um so etwas Wichtiges einfach in seinem Zorn loszuwerden? Er war ja jahrelang wirklich wie ein Vater – da müsste er doch eigentlich das Bedürfnis haben, sein Kind zu schützen – auch wenn es nur auf dem Papier sein Kind ist.

Du sagst, du als Schwester hättest schon länger von dem Familiengeheimnis gewusst. Wie kam es denn dazu und wie hattest du zuvor auf die Info reagiert?

Wie schon gesagt: unsere Familie ist groß und nicht ganz konventionell…Ich wusste es tatsächlich schon eine ganze Weile, weil ich meine Mutter mal am Telefon belauscht hatte. Und als ich 13 Jahre alt war, hat meine Mutter mir es auch direkt ins Gesicht gesagt. Ich frage mich, warum sie das getan an. Warum sie mich als Kind da reingezogen hat….

Was es mit mir gemacht hat? Es war halt einfach so. Wir sind fünf Geschwister von vier verschiedenen Männern. Ganz platt gesagt, ob es jetzt der Vater oder der Vater war, war mir damals echt egal. Meine Geschwister waren meine Geschwister. Es war mir auch immer ziemlich egal, dass sie ja „nur Halbgeschwister“ sind. Das macht für mich bis heute keinen Unterschied. Sie sind meine Familie und ich liebe sie bis heute. Wenn man seine Geschwister füttert, badet, wickelt, sie ins Bett bringt, dann ist es egal, ob man den gleichen Vater hat.

Wie bist du mit deinem Bruder seit diesem Telefonat umgegangen?

Er tat mir sehr leid. Tut er noch heute. Er hatte das nicht verdient, es auf diese Weise zu erfahren und ich glaube, dass er sich ziemlich verlassen und betrogen gefühlt haben muss. Er hat über all die Jahre viel Ablehnung von seinem „Vater“ gespürt und wusste nie warum. Nun kannte er den Grund. Er muss viele schreckliche Gedanken in seinem Kopf gehabt haben. Er war wütend, traurig, enttäuscht.

Das heißt, dass der Vater es von Anfang wusste?

Das glaube ich nicht. Damals haben wir noch viel gefilmt. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen – als mein Bruder noch ein Baby war, sieht man die Freude des Vaters über seinen Sohn. Ja, man konnte die Liebe wirklich sehen. Irgendwann veränderte sich das. Ich weiß nicht, ob das mit der Trennung von meiner Mutter kam oder später. Auf jeden Fall wurde es richtig schlimm, nachdem er eine neue Frau kennenlernte, die selbst einen etwas älteren Sohn hatte und meinen Bruder nicht leiden kann.

Es tut mir wirklich leid um meinen Bruder. Ich wünschte mir oft, dass ich eine bessere Schwester für ihn gewesen wäre.

Welche Erklärungen hat deine Mutter?

Meine Mutter ist ein Kapitel für sich. Sie hatte eine schreckliche Kindheit, sie ist von ihrem Vater missbraucht und geschlagen worden und das hat sie nie aufgearbeitet. Das hat sie innerlich kaputt gemacht und zu der Frau, die sie heute ist.

Ein Teil von mir hasst sie, weil unsere Kindheit schrecklich war. Es war das pure Chaos. Meine Mutter hat so viel Mist gebaut und ich hoffe, eines Tages sieht sie das auch ein.

Weiß dein Bruder denn mittlerweile wer sein leiblicher Vater ist?

Nein, der leibliche Vater weiß wohl auch überhaupt nicht, dass es meinen Bruder gibt. Meine Mutter schweigt bis heute über den leiblichen Vater.

Was hat das alles mit eurer Geschwisterbeziehung gemacht?

Im Laufe der Jahre haben wir alle den Kontakt zu unserer Mutter abgebrochen und auch der Kontakt unter uns fünfen ist sehr dürftig. Es ist einfach so viel passiert, es ist einfach schwer. Ich liebe meine Geschwister, aber irgendwie geht es gerade nicht…

Das muss hart für dich sein…

Ja, das ist es. Ich weine oft. Ich weine um meine Kindheit. Ich wollte einfach nur ein sicheres, harmonisches Zuhause. Das hatten wir alle nicht. Und diese Wunde wird nie verheilen, weil wir diese Zeit nicht nachholen können.

Du bist mittlerweile selbst Mama.

Genau, meine Tochter wird im Dezember sechs Jahre alt, mit ihrem Vater bin ich nicht mehr zusammen. Aber wir wohnen sehr nah beieinander und leben das Wechselmodell. Nach allem, was ich erlebt habe, habe ich mich entschieden, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf.

Ich war nie verheiratet, wollte nie von jemandem abhängig sein. Ich tue mich schwer, Männern zu vertrauen. Aber ich tue mein Bestes, um meine Geschichte zu verarbeiten. Dazu gehört auch, dass ich mich sehr darum bemühe, dass meine Tochter ihren Papa und mich als gutes Team erlebt. Sie soll immer spüren, dass wir sie lieben und dass sie gewollt ist. Denn ich weiß, was das mit Kindern macht, wenn sie genau das nicht spüren….

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2 comments

  1. Liebe Scarlett und liebe Sarah, ich fühle aufrichtig mit euch, das ist wirklich ein schwieriger Start ins Leben. Aber deswegen ist es ja so wichtig, dass ihr es jetzt in der Hand habt und sich das Blatt wendet.Als Kind ist man machtlos im der Famiiestruktur gefangen. Das macht einen großen Unterschied und ich bin mir sicher, dass kommt letztendlich wieder zu euch zurück. Alles Liebe zu euch!

  2. Liebe Scarlett, auch ich hatte so etwas Ähnliches erlebt. Nur waren es bei meiner Mutter vier Kinder von drei Männern inklusive Affairen und einem jetzigen neuen Mann ohne Nachwuchs von und mit ihm. Mein Vater ging nach seinem Studium nach Syrien zurück und mein erster Stiefvater war muslimischer Libanense, anfangs war er nett zu mir. Aber als seine beiden Töchter geboren wurden, fing es an, zur seelischen Hölle zu werden. Er berührte mich nie. Nein, er schlug nicht und er vergewaltigte nicht, immerhin. Aber er machte meine kindliche Psyche kaputt mit allen möglichen Bösartigkeiten. Er hetzte meine jüngeren Schwestern auf mich und tat immer auf netten Mann, wenn Cousinen, Tanten und Oma um uns herum waren. Meinen Kummer verstand keiner, schließlich war er ja nett. Es musste doch einen Grund geben, warum er nur so zu mir war. So immer die Sprüche. Ich lebte sogar einige Zeit bei meiner Großmutter. Sie war auch nicht sonderlich liebevoll, aber ich hatte meine Ruhe. In all den Jahren hatte meine Mutter Affairen, von denen ich leider mitbekommen hatte. Später kam sie mit einer dieser Affairen zusammen. Am Morgen zog der Vater meiner Schwestern aus und am Abend der Neue ein. Ich sagte damals ehrlich zu meiner Mutter, dass es mir zu schnell ginge und ich auch mal mit meiner Mutter und Schwestern alleine sein möchte und man mehr Zeit bekommen sollte. „Was willst du mit uns alleine sein? Was soll das Theater?“- So ihre Antwort. Nun stellte sie mich als Schlechte dar und hetzte meine Schwestern auf. Genau wie ihr Partner zuvor jahrelang gemacht hatte. Ich würde ihr Glück nicht gönnen, missgünstig sein. In mir brach alles zusammen. Mit diesen neuen Mann ging sie eine Ehe ein und bekam einen Sohn. Nach zwei Jahren hatte sie von ihm schon die Schn###e voll und behandelte ihn sehr schlecht. Mein Stiefvater tat mir leid. Er war eine einfache Seele, gleichzeitig aber grob und ein Lügner. Beide waren noch einige Jahre zusammen – in der Zeit bekamen beide meiner Schwestern mit 15 bzw 16 ihr jeweils erstes Kind. Ich zog aus und fühlte mich befreit. Jedoch erfuhr ich so einiges von meiner Mutter. Sie wurde in der Kindheit geschlagen und vergewaltigt – von einem ihrer Brüder und der Affaire ihrer Mutter. Mein Abitur (ich wollte meine Mutter stolz machen, sie erzählte immer allen, ich würde bald als erste Person der ganzen Familie Abitur machen und Lehrerin werden) schaffte ich nicht, ich entwickelte Panikattacken. Alles zusammen mit meiner eigenen lieblosen Kindheit waren zu viel. In meinen 20ern war ich mehr in meinen eigenen vier Wänden als draußen. Ich schaffte nichts, außer abends als Reinigungskraft zu arbeiten und damit mein Geld zu verdienen. Ich wollte mein Abitur schaffen, studieren und Lehrerin für Kunst und Geografie werden. Alles nicht geschafft, weil ich trotz Therapie nie diese Panikattacken losgeworden bin. Mit meinem Mann bin ich seit bald 14 Jahren zusammen. Wir hatten geheiratet und erst danach ein Kind bekommen. Ganz neu für die ganze Familie. Darauf war und bin ich stolz, dass ich eine stabile Beziehung führe und auf sozialer Ebene nicht versage. Beruflich und ausbildungstechnisch bin ich ein Desaster, also ein Nullwert für die Gesellschaft. Aber es ist in Ordnung. Mein Mann und ich führen deswegen eine konservative Ehe. Er verdient das Geld und ich kümmere mich um Haushalt, Bürokratie und unsere Tochter. Ich schaffe es einfach nicht, mit anderen Menschen lange zusammenzuarbeiten. Ich empfinde Menschen sehr oft als ruppig, egoistisch und illoyal. Daher bleibe ich gerne zuhause und habe meine kleine Gruppe an Freunden, die mich aber schon so viel länger begleiten als die Partner meiner Mutter jemals. Zu dieser habe ich keinen Kontakt mehr. Sie hatte in der Ehe (mit dem Vater meines Bruders) eine Affaire und kam mit diesem Mann zusammen. Sie ging, ließ den Sohn beim Vater und meinte, nun sei sie endlich dran, zu leben. Die Ehe wurde geschieden. Der neue Mann, mit dem sie nun verheiratet ist, tut ihr finanziell gut. Aber nicht seelisch. Sie hat sich ihm völlig ergeben und es wurden Dinge getan und gesagt, die so falsch und verletzend waren, dass ich den Kontakt abgebrochen hatte. Ich möchte meine Tochter vor Erniedrigung und unnötigen Verletzungen schützen. Und mich natürlich auch.
    Ich hatte Angst, als ich schwanger war, dass ich meiner Tochter nie Liebe geben und ihr nie sagen könnte „Ich liebe dich“. Aber als das kleine Wesen damals vor über vier Jahren auf meine Brust gelegt wurde, wusste ich, dass unsere Zukunft eine andere, liebevollere werden wird.

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