Liebe Marisa, es geht heute um dein drittes Kind. Wann und wie hast du bemerkt, dass dieses Kind eine „Special Edition“ ist, wie du es nennst?
Unsere kleine Ida war als Baby schon anstrengender als ihre beiden großen Geschwister, sie war sehr schnell überreizt, hat nicht selbst in den Schlaf gefunden, und sehr viel geschrien, anders als bei den typischen Schreikindern waren die Nächte ruhig.
Dann fiel mir auf, dass sie nichts mit mir spielen wollte, egal was ich ihr angeboten habe. Sie kletterte nur überall hoch – am Kratzbaum hoch, auf Fensterbänke und die Küchen-Arbeitsplatte.
Das Sprachverständnis blieb ebenfalls aus. In meinem Beruf als Tagesmutter hatte ich mit vielen kleinen Kindern zu tun – und wusste bald, dass da was nicht stimmt. Die Kinderärztin hat mich lange noch beschwichtigt und gesagt, dass jedes Kind sein Tempo hat und jedes Kind anders ist. Mein Gefühl als Mutter sagte aber etwas anders, zumal sie auch kein Interesse am Spiel mit ihren Geschwistern hatte.
Mit 10 Monaten hatte sie dann auch noch einen Fieberkrampf, die Ärzte stellten daraufhin eine Tendenz zur Epilepsie fest. Als Ida 1 1/2 Jahre war, fragte ich unseren Kinderarzt, ob sie Autistin sein könnte, weil sie so wenig mit uns tun wollte. Der lachte mich fast aus.
Ich kam mir sehr dumm vor, zweifelte an meinem Instinkt. Ich dachte, ich hätte vielleicht einfach weniger gute Nerven als früher und würde mir viele Dinge auch nur einbilden. Deshalb habe ich lange nichts mehr gesagt….
Wie lange hat es noch gedauert, bis Ihr eine Diagnose hattet und wie lautet diese?
Nachdem bei der U-Untersuchung mit zwei Jahren dann auch festgestellt wurde, dass die Sprachentwicklung weit zurück ist, bekamen wir für Dezember einen Termin zur Frühförderung zur Logopädie.
Mit 2 1/2 Jahren im Herbst hatte sie von heute auf morgen eine Phase, in der sie wieder stundenlang geschrien hat wie ein Baby. Tag und Nacht. Ich ging zu unserem Kinderarzt, weil ich nicht wusste was los ist, ob sie Schmerzen hat. Sie konnte es mir ja nicht mitteilen .
Inzwischen war ich mit den Nerven absolut am Ende, auch weil ich kaum Beziehung zu diesem Kind hatte und einfach nicht verstand, was es brauchte. Leider war der Arzt keine Hilfe, er meinte nur, ich soll ihr Schmerzsaft geben. Meine eigentlichen Sorgen nahm er nicht ernst.
Nachdem ich mir nicht mehr zu helfen wusste, ließ ich uns eine Woche ins Josefinum in die Neuropädiatrie einweisen. Dort gab es Spezialisten, die schnell den Verdacht auf Autismus äußerten. Ein paar Wochen später bestätigte sich die Diagnose.
Wie ging es dir in dieser Zeit?
Auch wenn ich immer schon in diese Richtung gedacht habe, riss mir die Diagnose den Boden unter den Füßen weg. Die kleine Hoffnung, dass sich alles einfach verwächst, war damit weg.
Mit der Diagnose prasselten 1000 Gedanken auf mich ein. Was wird aus ihr? Wird sie im Leben einen Platz finden? Wird sie jemals Freunde haben und später jemanden, der sie liebt? Wird sie überhaupt mal alleine leben können? Wer kümmert sich um sie, wenn wir alt sind oder nicht mehr da?
Am meisten Sorge bereitete mir der soziale Aspekt. Ich hatte so Angst, dass Ida ihr Leben lang viel alleine sein wird und nicht so akzeptiert wird, wie sie ist.
Und wie hat dein Mann das aufgenommen?
Es hat ihn auch hart getroffen, er hat all die Jahre zuvor die Augen verschlossen und immer gesagt: Das wird schon noch. Ida braucht einfach mehr Zeit.
Als die Diagnose fest stand, haben wir viele Abende zusammen geweint. Für meinen Mann brach wirklich eine Welt zusammen.
Viele Paare zerbrechen an so einer Herausforderung. Wie war das bei euch?
Auch für uns war es eine Herausforderung. Kurz vor der Diagnose wollte ich mich beruflich verändern, aber Ida schaffte es nicht, längere Zeit in den Kindergarten zu gehen. Hinzu kamen die ständigen Arzttermine. Meine beruflichen Interessen waren damit nicht nicht zu verwirklichen.
Die Tage mit Ida waren sehr anstrengend, sie kletterte nach wie vor überall hoch, rannte viel weg. Ich war nur beschäftigt, ihr hinterher zu räumen und sie vor sich selbst zu schützen. Ich war frustriert, weil es mir nicht gelang, zu ihr durchzudringen.
Ich wurde neidisch auf meinen Mann, der sein Leben „ normal“ weiter zu leben schien. Er durfte arbeiten, mit Kollegen lachen, raus kommen.
Ich konnte mich zwar abends mit Freunden treffen, aber lange Zeit war meine Fröhlichkeit weg – ich hatte immer Angst vor dem nächsten Tag.
Zudem hatte ich das Gefühl, dass am Ende doch alles an mir hängen bleibt, die ganzen Termine, das Kümmern. Ich fühlte mich alleine mit meinen Sorgen.
Das führte zu einem Knall….
Ja, und zwar zu einem gewaltigen Knall. Wir haben auch über Trennung gesprochen. Tatsächlich ist mein Mann ein paar Tage ausgezogen, da haben wir gemerkt, dass wir einander brauchen und zusammen bleiben wollen. Seitdem gehen wir viele Themen anders an – nämlich zusammen. Wir helfen und stützen uns nun viel mehr gegenseitig.
Was ist das Schwerste für eine Partnerschaft in so einer Situation?
Ich kann nur von uns sprechen. Ich hatte oft das Gefühl, dass wir an ganz unterschiedlichen Punkten stehen. Ich hatte mich mit dem Thema Autismus schon viel auseinander gesetzt, mein Mann wollte das alles noch nicht glauben und hat dicht gemacht. Ich wollte reden, er hat alles mit sich selbst ausgemacht. Und weil alles anstrengend ist, bleibt auch kaum Zeit als Paar. Das fehlt natürlich sehr und irgendwann hat man nur das Gefühl zu funktionieren und nicht mehr zu leben.
Wo holst du dir Kraft im Alltag?
Seit Ida in den Kindergarten geht, habe ich vormittags an und zu Zeit mich mit Freunden zu treffen. Eine große Stütze war immer meine beste Freundin, die mich ohne Worte versteht. Sie war es, die in meiner Tochter auch immer eine tolle Person gesehen hat und mir gezeigt hat, was für ein tolles Mädchen sie ist. Das hat mir, als ich wirklich am Ende war, sehr geholfen.
Wie geht es Ida heute?
Seit September hat Ida riesige Fortschritte gemacht. Vor einem Jahr war nicht klar, ob sie jemals sprechen wird, mittlerweile spricht sie drei-Wort-Sätze. Als sie das erste Mal „ Mama“ gesagt hat, habe ich geheult wie ein ein Schlosshund.
Mittlerweile gibt es sogar Spiele, die man mit ihr spielen kann und ich merke, dass sie sich zunehmend für andere Kinder interessiert. Wir hoffen so sehr, dass diese positive Entwicklung weiter geht.
Was wünscht du dir für Ida?
Wir wünschen uns nur, dass sie ihren Platz im Leben findet und glücklich ist – wie auch immer ihr Glück aussehen wird – Hauptsache sie ist glücklich.
2 comments
Liebe Marisa,
vielen Dank für deinen Beitrag. Uns geht ess mit unserem Konstantin genauso. Er hat die gleiche Diagnose, allerdings erst seitdem er 5,5 Jahre ist, vorher war rätselraten oder Zweifel am Eriehungsstil. Ich wünsche euch für die Zukunft viel Kraft, gute Nerven und das ihr weiterhin einen guten Weg für euch alle findet!
Liebe Grüße von Dominique aus Berlin (Mama von Konstantin (6) und Julius (3))
„Kurz vor der Diagnose wollte ich mich beruflich verändern, aber Ida schaffte es nicht, längere Zeit in den Kindergarten zu gehen. Hinzu kamen die ständigen Arzttermine. Meine beruflichen Interessen waren damit nicht nicht zu verwirklichen.
…
Ich wurde neidisch auf meinen Mann, der sein Leben „ normal“ weiter zu leben schien. Er durfte arbeiten, mit Kollegen lachen, raus kommen.“
Ganz unabhängig von der Diagnose der kleinen Ida: Genau das ist doch das Problem, die Trennung kurz darauf muss einen doch echt nicht verwundern. Wieso muss automatisch die Mutter zurückstecken, wieso ist es automatisch so, dass sie bei einem behinderten Kind nichts mehr erreichen kann, während der Mann normal weiter arbeiten geht?
Aber schön, dass ihr wieder zueinander gefunden habt und als Familien Ida unterstützen könnt. Autismus ist eine gewaltige Herausforderung und wird es wohl auch bleiben. Ich wünsche euch auf dem Weg alles Gute.