Frühjahrsputz für die Seele: Durch kreatives Schreiben

Frühjahrsputz für die Seele

Doris Hönig. Foto: Jan Konitzki

Ihr Lieben, pünktlich zum Frühlingsbeginn haben wir Doris Hönig gebeten, uns mal in die Welt des kreativen Schreibens mitzunehmen, quasi als Frühjahrsputz für die Seele. Hier kommt ihr Gastbeitrag.

Hey, ich bin Doris Hönig und das Schreiben spielt in meinem Leben eine ganz wichtige Rolle. Aber das war nicht immer so, denn eigentlich komme ich aus der Architektur und habe viele Jahre als freie Architektin in Berlin und der Schweiz gearbeitet. Ein Visions-Traum im Sommer 2006 hat mein Leben ganz schön durcheinander gewürfelt. Von einem Tag auf den anderen galt mein Herzblut nicht mehr der Architektur, sondern dem Schreiben. Und das, obwohl ich im Deutschunterricht immer nur Mittelmaß war.

Aus dem reinen Geschichtenschreiben sind über die Jahre die unterschiedlichsten Angebote entstanden, die alle etwas mit dem Schreiben zu tun haben. Ich arbeite mit Frauen, die an einem Wendepunkt stehen, die einen Schicksalsschlag verarbeiten müssen, die ihr Leben verändern wollen oder einfach nur das Schreiben in ihr Leben integrieren möchten. Und ich bin jeden Tag aufs Neue fasziniert, was dieses Medium mit meinen Klientinnen – aber auch mit mir macht.

Was hat das mit dem Frühjahrsputz für die Seele zu tun?

Und was hat das nun mit dem Frühjahrsputz zu tun? Im Frühjahr sprühen viele von uns vor Aktivitäten. Wir wollen ausmisten, aufräumen, sauber machen und Neues starten. Das beschränkt sich aber ganz oft auf unsere Wohnung, unser Haus oder unseren Garten. Wäre es nicht aber sinnvoll, solch ein Ritual auch für uns selbst zu vollziehen? Eine Art ‹Frühjahrsputz für die Seele›?

Als zertifizierte Schreibtherapeutin empfehle ich – natürlich! –, Stift und Papier in die Hand zu nehmen. Denn das kreative Schreiben bietet ganz viele Möglichkeiten, Altes loszulassen und Neues in unser Leben zu holen. Ein Beispiel kann da vielleicht mehr erklären als tausend Worte.

Vor ungefähr einem Jahr stand ich vor einem Problem, das eine große Herausforderung für mich war. Meine Tage waren übervoll, Zeit für mich blieb kaum und ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Rein logisch war dem Problem nicht beizukommen. Deshalb habe ich mich hingesetzt und habe in die Mitte eines DIN-A4 Blattes die Worte ‹Ich will› und ‹Ich will nicht› geschrieben.

Um beide Wortpaare habe ich einen Kreis gezogen und dann alle Gedanken in Stichpunkten aufgeschrieben, die mir in den Sinn gekommen sind. Ohne nachzudenken oder zu bewerten. Nach ungefähr 10 Minuten habe ich den Stift beiseitegelegt und dieses ‹Cluster› auf mich wirken lassen. Wieder ohne irgendetwas zu bewerten oder bewusst nachzudenken.

Dann habe ich mein Handy auf 10 Minuten gestellt und drauflos geschrieben. Eine Methode, die ich sehr gerne verwende und die ‹Freewriting› heißt. Als Abschluss habe ich dann noch ein ‹Elfchen› zu dem vorherrschenden Gefühl geschrieben, das du weiter unten bei den Methoden findest.

Wie uns das Schreiben durch den Alltag helfen kann

Sind meine Tage dadurch weniger voll geworden? Natürlich nicht. Aber sie sind jetzt wieder mit Dingen gefüllt, die mich glücklich machen und erfüllen. Was war passiert? Durch das freie Schreiben wurde mir bewusst, dass es an der Zeit ist, mich von einer Kooperation zu trennen, die zwar meinem Konto gutgetan hat, aber meiner Seele nicht mehr.

Dieser Schritt war rein logisch gesehen alles andere als sinnvoll. Interessanterweise hat sich ein paar Monate später – wie von selbst – eine neue Kooperation ergeben, die viel besser zu meiner damaligen Situation gepasst hat.

Wie kreatives Schreiben den Alltag einer Mutter erleichtert

Frühjahrsputz für die Seele
Doris Hönig. Foto: Jan Konitzki

Und wie kann nun kreatives Schreiben den Alltag einer Mutter erleichtern? Den Wunsch, den Tag um ein paar Stunden zu verlängern oder sich zu klonen, kennt wohl jede Mutter. Weil beides nicht geht, ist der Alltag oft eine Herausforderung. Nicht selten sogar eine Überforderung.

Wir unterdrücken im Alltag oft unsere Gefühle, ob bewusst oder unbewusst. Durch das Schreiben kommen sie wieder an die Oberfläche. Wir können sie erkennen und annehmen. Wenn wir zum Beispiel der Angst, die Mutterrolle nicht erfüllen zu können, mutig ins Gesicht blicken, dann verändert sich dieses Gefühl. Im besten Fall löst es sich auf, weil wir erkennen, dass die Ansprüche nicht unsere eigenen sind.

Wir werden in unserem Alltag auch mit Informationen von außen überflutet und verlernen, auf unsere innere Stimme zu hören. Durch das Schreiben konzentrieren wir uns auf uns selbst und nehmen diese leise Stimme immer deutlicher wahr. Sie wird zu einem inneren Kompass, der uns durch stürmische Zeiten manövriert.

Wenn wir in den Schreibfluss eintauchen und die Worte aus unserem Inneren aufsteigen lassen, dann brechen wir alte Muster auf und entwirren lose Fäden. Das Schreiben wirkt dann wie ein Besen, der das verwelkte Laub wegfegt und den wunderschönen Mosaikboden wieder freilegt.

Beim Schreiben ist es auch ganz oft so, als ob ein Schleier vor unseren Augen weggezogen wird. Dinge, die wir vorher nicht erkannt haben, werden klar und wir finden neue Möglichkeiten, wie wir mit einer Situation umgehen können. Wir hinterfragen Glaubenssätze, die uns schon lange begleiten, die uns Steine in den Weg legen und uns am Weitergehen hindern. Dass all das eine Entlastung darstellt, verwundert wohl niemanden…

Worauf achten, wenn ich das Schreiben für mich nutzen will?

Worauf muss ich achten, wenn ich das Schreiben für mich nutzen will? Es gibt ein paar Dinge, die es uns erleichtern, in den Schreibfluss zu kommen.

  • Suche dir einen Ort, an dem du dich für die Schreibzeit zurückziehen kannst. Mach es dir gerne mit einer Tasse Tee oder einer Kerze gemütlich.
  • Schreibe mindestens 10 Minuten und lass dich in dieser Zeit voll auf das Schreiben ein. Stell dir am besten dein Handy.
  • Schreibe einfach drauflos! Grammatik, Satzzeichen, Wortwahl sind überhaupt nicht wichtig. Es geht nicht darum, einen ‹schönen› Text zu schreiben, wie in der Schule. Wir wollen aus dem Bauch schreiben und da dürfen auch einzelne Worte oder Satzfetzen auf dem Papier stehen.
  • Außerdem gibt es kein Ziel, das wir erreichen müssen. Es geht einzig und allein darum, alle Gedanken – und seien sie auch noch so unwichtig – ungefiltert aus uns herausfließen zu lassen. Und wenn sich beim Schreiben auf einmal ein ganz anderes Thema zeigen sollte, dann vertrau darauf, dass genau dieses Thema in diesem Moment von dir angeschaut werden will.
  • Lass deine Hand nie stillstehen, damit sich das Denken nicht einschaltet. Wenn dir nichts mehr einfällt, dann mach eine Wellenlinie, die sich auch über mehrere Zeilen ziehen kann. Oder schreib deine Gedanken auf, die dir im Kopf herumgehen, z.B. ‹Mir fällt überhaupt nichts mehr ein. Was soll ich denn noch schreiben? Das ist doch…›

Schreib-Methoden: Freewriting, serielles Schreiben, Elfchen

Für Menschen mit wenig Zeit – und da zähle ich Mütter definitiv dazu – gibt es einfache Schreibmethoden, die nur 10-15 Minuten Zeit in Anspruch nehmen.

Methode 1: Meine Lieblings-Methode ist, wie schon oben erwähnt, das ‹Freewriting›. Also das freie Schreiben, um Gedanken zu sammeln oder Gefühle zu klären. Durch diese Art des Schreibens fließt der Strom der nur halb bewussten Gedanken und inneren Bilder ungefiltert aufs Papier. Dadurch werden sie für uns sichtbar und häufig zeigen sich neue Lösungsmöglichkeiten.

Das Wichtigste ist, wie bei allen Methoden, dass du einfach zu schreiben beginnst, ohne darüber nachzudenken, was du schreiben kannst. Ein guter Trick ist einfach mit dem Satz ‹Ich schreibe jetzt 10 Minuten alles auf, was mir einfällt. Egal was es ist…› zu starten und darauf zu vertrauen, dass weitere Worte kommen.

Methode 2: Eine zweite sehr effektive Methode ist das ‹serielle Schreiben›, bei dem wir in immer tiefere Schichten gelangen. Es ist fast eine Art Selbsthypnose, in der wir Erinnerungen und unverstandenen Gefühlen auf die Spur kommen.

Jeder Satz beginnt in einer neuen Zeile mit denselben Worten, z.B. ‹Es ist zwar überhaupt nicht das, was ich mir vorgestellt habe, aber…› Es ist ganz wichtig, diesen Satzbeginn nicht abzukürzen, sondern ihn jedes Mal wieder in voller Länge zu schreiben und ihn zu beenden. Sonst verliert er seine Wirkung. Wenn sich Dinge wiederholen, ist das völlig egal.

Methode 3: Das ‹Elfchen›, ein kreatives Gedicht, ist eine wunderbare Methode, um schnell Luft abzulassen oder ein Gefühl in Worte zu fassen. Diese kleinen Gedichte sind unglaublich ausdrucksstark.

Es besteht aus elf Worten – daher der Name –, die auf 5 Zeilen verteilt sind und sich nicht reimen müssen. In der ersten Zeile steht ein Wort, in der zweiten zwei, in der dritten drei, in der vierten vier und in der letzten Zeile dann wieder nur ein Wort. Gerne mit einem Ausrufezeichen. Manchmal gibt es noch zusätzliche Vorgaben für die einzelnen Zeilen. Ich persönlich bin ein Freund der puren Elfchen, bei denen es nur auf die Anzahl der Worte und der Zeilen ankommt. Auch hier gilt: Einfach die elf Worte aufs Papier zu setzen, ohne darüber nachzudenken.

Hier mein Elfchen, das ich vor ca. einem Jahr nach dem Cluster und dem Freewriting geschrieben habe:

Stillstand

Es reicht

Loslassen und vertrauen

Neuem die Türen öffnen

Vorfreude!

Frühjahrsputz für die Seele – die intensive Version

Und das Neue kam! Wenn du etwas mehr Zeit zur Verfügung hast, kannst du die Wirkung des kreativen Schreibens noch vergrößern, indem du die Methoden kombinierst. Als Einstimmung schreibst du 10 Minuten Freewriting zu einem Thema, das dich gerade beschäftigt, zum Beispiel ‹Aufbruchstimmung›.

Dann gehst du mit dem seriellen Schreiben eine Stufe tiefer und startest zum Beispiel mit dem Satz: ‹Ich bin bereit, auch wenn ich…› Das machst du wieder für 10 vielleicht 15 Minuten. Als Abschluss schreibst du ein Elfchen und bringst das Gefühl oder die Erkenntnis auf den Punkt. Lass dich nicht entmutigen, wenn es am Anfang etwas schwer ist, deine Gedanken aufzuschreiben. Je öfter du schreibst – und wenn es nur 10 Minuten sind – desto leichter wird es dir fallen und desto intensiver wirst du die Wirkung spüren.

So kann sich zum Beispiel das Verhältnis zu deinen Gefühlen verändern. Anstatt dass sie mit dir Achterbahn fahren, behältst du die Oberhand und lässt sie einfach durch dich hindurchfließen. Das kann dir gerade in Situationen eine große Hilfe sein, in der du als Mutter einen kühlen Kopf bewahren musst. Jetzt bin ich gespannt, was sich bei dir auf dem Papier zeigen wird und wünsche dir ganz viel Spaß dabei!

Frühjahrsputz für die Seele
Doris Hönig. Foto: Jan Konitzki

Herzlichst, Doris

PS: Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn du mich an deinen Erfahrungen mit dem Schreiben und den unterschiedlichen Impulsen unten in den Kommentaren teilhaben lässt.

Als Schreibtherapeutin helfe ich meinen Klientinnen dabei, die innere Stimme bewusster wahrzunehmen. In Einzelsettings und Gruppen-Workshops, geht es darum, durch unterschiedliche Schreibtechniken, sich selbst wieder näher zu kommen und persönliche Themen aufzuarbeiten und zu heilen.

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4 comments

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Es hat mich an die Morgenseiten erinnert, die ich eine Zeit lang jeden Morgen geschrieben habe. Dabei schreibt man drei DIN A4 Seiten einfach voll ohne zu denken und zwar, wie der Name schon sagt: direkt am Morgen, möglichst früh nach dem aufwachen. Die sind allerdings nur dazu da den Kopf frei zu kriegen, man soll sie bewusst nicht mehr anschauen oder durchlesen danach. Eine Hilfe emotional freier zu werden.
    Ich habe richtig Lust bekommen, mich wieder hin zu setzten und einfach drauf los zu schreiben.

    1. Mach das, liebes Mamatier. Ich bin sicher, dass sich die Lust noch steigern wird!

      Haben dir die Morgenseiten geholfen? Mir persönlich hat das Schreiben direkt nach dem Augen-Öffnen und im Bett nicht gelegen. Deshalb habe ich sie leicht abgeändert: Ich habe mir erst einen Kaffee gemacht, mich in einen bequemen Schreibstuhl gesetzt und dann 20 Minuten geschrieben – egal wieviele Seiten ich hatte.

      Das ist auch eine ganz wichtige Message, die ich meinen Kursteilnehmerinnen mit auf den Weg gebe: Wenn euch eine Methoden prinzipiell gefällt, aber Teile davon schwer fallen, dann ändert die Methode so ab, dass sie euch gut tut. Hauptsache ihr schreibt. Egal wie.

  2. Ich muss mich hier mal kritisch äußern. Schreiben kann sehr therapeutisch sein, definitiv! Ich schreibe seit meiner Kindheit Tagebuch und habe schon so manches in meinen Romanen verarbeitet. Was mich stört ist, 1) dass die Autorin und weiß machen will, dass man zum Tagenuchschreiben einen Coach braucht. Freewriting geht da nämlich in eine sehr ähnliche Richtung. Übrigens muss es nicht immer gleich Englisch sein, man kann auch einfach „Freies Schreiben“ sagen, haben wir damals in der Uni auch. Aber Englisch verkauft sich vermutlich besser.
    Und 2) stört mich, dass hier Listen anfertigen und Freies Schreiben etc. als Kreatives Schreiben bezeichnet wird. Das ist es mMn nicht. Freies Schreiben hilft vielleicht beim Brain Storming, um Ideen zu finden, aber es ist noch kein Kreatives Schreiben, noch keine Kunst.

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